Ebenfalls bedachtsam an! Wenn du alles überlegt, Sprich: was dieses Lebens Elend doch für Süßigkeiten hegt?
Jst es nicht bewundernswerth? alle Menschen hört man klagen, Jn der Zeit, worinn sie leben, über ihres Lebens Plagen, Und ein jeder lobt das Leben, und desselben Lieblichkeit, Wenn von einem solchen Uebel ihn der Tod dereinst be- freyt. Daß die Welt voll bittrer Wermuth, daß sie treulos, schreyt ein jeder, Ueberall sind in ihr Quellen herber Pein und Klagelieder, Seufzen wir, indem wir leben; Wird uns, durch den Tod, ein Mittel gegen alle Noth gegeben; So umarmt man die von uns stets gescholtne Welt von neuen, Und bestrebt sich, unbegreiflich ihrer dann sich zu erfreuen. Alle Kraft von unserm Zorn wendet man dann auf den Tod, Heißt ihn grausam, unerbittlich, eine Quell von aller Noth, Und das Schrecklichste von allen, was auf Erden schreck- lich ist. Sind wir denn nicht unglückselig, wenn man unsern Stand ermißt? Jn sich selbst verwelkt die Welt, und sie blüht in unsern Herzen, Ueberall ist Leid und Trauer, uns erfüllen Gram und Schmerzen; Und dennoch, durch blinde Sucht unsers Fleisches, lieben wir Jhre Bitterkeiten selber, selbst die Plag' und Pein an ihr:
Flieht
O o
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Ebenfalls bedachtſam an! Wenn du alles uͤberlegt, Sprich: was dieſes Lebens Elend doch fuͤr Suͤßigkeiten hegt?
Jſt es nicht bewundernswerth? alle Menſchen hoͤrt man klagen, Jn der Zeit, worinn ſie leben, uͤber ihres Lebens Plagen, Und ein jeder lobt das Leben, und deſſelben Lieblichkeit, Wenn von einem ſolchen Uebel ihn der Tod dereinſt be- freyt. Daß die Welt voll bittrer Wermuth, daß ſie treulos, ſchreyt ein jeder, Ueberall ſind in ihr Quellen herber Pein und Klagelieder, Seufzen wir, indem wir leben; Wird uns, durch den Tod, ein Mittel gegen alle Noth gegeben; So umarmt man die von uns ſtets geſcholtne Welt von neuen, Und beſtrebt ſich, unbegreiflich ihrer dann ſich zu erfreuen. Alle Kraft von unſerm Zorn wendet man dann auf den Tod, Heißt ihn grauſam, unerbittlich, eine Quell von aller Noth, Und das Schrecklichſte von allen, was auf Erden ſchreck- lich iſt. Sind wir denn nicht ungluͤckſelig, wenn man unſern Stand ermißt? Jn ſich ſelbſt verwelkt die Welt, und ſie bluͤht in unſern Herzen, Ueberall iſt Leid und Trauer, uns erfuͤllen Gram und Schmerzen; Und dennoch, durch blinde Sucht unſers Fleiſches, lieben wir Jhre Bitterkeiten ſelber, ſelbſt die Plag’ und Pein an ihr:
Flieht
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[577/0597]
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Ebenfalls bedachtſam an! Wenn du alles uͤberlegt,
Sprich: was dieſes Lebens Elend doch fuͤr Suͤßigkeiten
hegt?
Jſt es nicht bewundernswerth? alle Menſchen hoͤrt
man klagen,
Jn der Zeit, worinn ſie leben, uͤber ihres Lebens Plagen,
Und ein jeder lobt das Leben, und deſſelben Lieblichkeit,
Wenn von einem ſolchen Uebel ihn der Tod dereinſt be-
freyt.
Daß die Welt voll bittrer Wermuth, daß ſie treulos,
ſchreyt ein jeder,
Ueberall ſind in ihr Quellen herber Pein und Klagelieder,
Seufzen wir, indem wir leben;
Wird uns, durch den Tod, ein Mittel gegen alle Noth
gegeben;
So umarmt man die von uns ſtets geſcholtne Welt von
neuen,
Und beſtrebt ſich, unbegreiflich ihrer dann ſich zu erfreuen.
Alle Kraft von unſerm Zorn wendet man dann auf den
Tod,
Heißt ihn grauſam, unerbittlich, eine Quell von aller
Noth,
Und das Schrecklichſte von allen, was auf Erden ſchreck-
lich iſt.
Sind wir denn nicht ungluͤckſelig, wenn man unſern
Stand ermißt?
Jn ſich ſelbſt verwelkt die Welt, und ſie bluͤht in unſern
Herzen,
Ueberall iſt Leid und Trauer, uns erfuͤllen Gram und
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Und dennoch, durch blinde Sucht unſers Fleiſches, lieben wir
Jhre Bitterkeiten ſelber, ſelbſt die Plag’ und Pein an ihr:
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/597>, abgerufen am 23.06.2024.
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