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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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Vermischte Gedichte

Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher,
wenn der Verstand

Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er
gut erkannt,

Nach ihrem eigentlichen Wesen sodann zu haben nicht
verlange,

Und, was er schädlich hält, verwerfe? Dieß wird nicht
weniger geschehn

Jn Dingen, wo man Wahrheit sucht. Da, wie die
Phantasie wird meynen,

Man, was uns wahr scheint, wird bejahen, und auch
das Gegentheil verneinen.

Hieraus wird jedermann nun leicht, und fast unwi-
dersprechlich, sehn,

Wie viel an dieser Kraft gelegen, da, so, wie wir von
allen Sachen,
Uns,
wendigkeit und den Nutzen begriffen hätten. Der
Einwurf, der hiegegen gemacht werden könnte,
wird etwan dieser seyn: Auf welche Weise wir
zu gleicher Zeit Lehrer und Schüler seyn können?
M. Hinderte uns das Wort Lehrer und Schüler
etwan; könnte man es als eine durch zwey Freunde
gehaltene nähere Ueberlegung ansehen, an deren
Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja
öfters befindet, daß man durch eine Widerlegung
selbst in Stand gesetzt wird, noch schärfer zu denken,
als man vorhin selbst geglaubet.
M. Sollte ein solches innerliches Gespräch
zu anfangs nicht von statten gehen wollen; dadurch
lasse man sich nicht abschrecken, durch Gewohnheit
und Exerciren muß alles gelernet werden.

Vermiſchte Gedichte

Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher,
wenn der Verſtand

Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er
gut erkannt,

Nach ihrem eigentlichen Weſen ſodann zu haben nicht
verlange,

Und, was er ſchaͤdlich haͤlt, verwerfe? Dieß wird nicht
weniger geſchehn

Jn Dingen, wo man Wahrheit ſucht. Da, wie die
Phantaſie wird meynen,

Man, was uns wahr ſcheint, wird bejahen, und auch
das Gegentheil verneinen.

Hieraus wird jedermann nun leicht, und faſt unwi-
derſprechlich, ſehn,

Wie viel an dieſer Kraft gelegen, da, ſo, wie wir von
allen Sachen,
Uns,
wendigkeit und den Nutzen begriffen haͤtten. Der
Einwurf, der hiegegen gemacht werden koͤnnte,
wird etwan dieſer ſeyn: Auf welche Weiſe wir
zu gleicher Zeit Lehrer und Schuͤler ſeyn koͤnnen?
M. Hinderte uns das Wort Lehrer und Schuͤler
etwan; koͤnnte man es als eine durch zwey Freunde
gehaltene naͤhere Ueberlegung anſehen, an deren
Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja
oͤfters befindet, daß man durch eine Widerlegung
ſelbſt in Stand geſetzt wird, noch ſchaͤrfer zu denken,
als man vorhin ſelbſt geglaubet.
M. Sollte ein ſolches innerliches Geſpraͤch
zu anfangs nicht von ſtatten gehen wollen; dadurch
laſſe man ſich nicht abſchrecken, durch Gewohnheit
und Exerciren muß alles gelernet werden.
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[478/0498] Vermiſchte Gedichte Sich Bilder deutlich zu formiren, und auch nachher, wenn der Verſtand Sie nach der Richtigkeit erwogen, die Seele, was er gut erkannt, Nach ihrem eigentlichen Weſen ſodann zu haben nicht verlange, Und, was er ſchaͤdlich haͤlt, verwerfe? Dieß wird nicht weniger geſchehn Jn Dingen, wo man Wahrheit ſucht. Da, wie die Phantaſie wird meynen, Man, was uns wahr ſcheint, wird bejahen, und auch das Gegentheil verneinen. Hieraus wird jedermann nun leicht, und faſt unwi- derſprechlich, ſehn, Wie viel an dieſer Kraft gelegen, da, ſo, wie wir von allen Sachen, Uns, * * wendigkeit und den Nutzen begriffen haͤtten. Der Einwurf, der hiegegen gemacht werden koͤnnte, wird etwan dieſer ſeyn: Auf welche Weiſe wir zu gleicher Zeit Lehrer und Schuͤler ſeyn koͤnnen? M. Hinderte uns das Wort Lehrer und Schuͤler etwan; koͤnnte man es als eine durch zwey Freunde gehaltene naͤhere Ueberlegung anſehen, an deren Nutzen wir nicht zu zweifeln haben, da man ja oͤfters befindet, daß man durch eine Widerlegung ſelbſt in Stand geſetzt wird, noch ſchaͤrfer zu denken, als man vorhin ſelbſt geglaubet. M. Sollte ein ſolches innerliches Geſpraͤch zu anfangs nicht von ſtatten gehen wollen; dadurch laſſe man ſich nicht abſchrecken, durch Gewohnheit und Exerciren muß alles gelernet werden.

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/498>, abgerufen am 26.05.2024.