Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Andenken der grimmigen Kälte Der Wein zu dem geweihten Kelch war, in der Kirche, so gefroren, Daß man, denselben aufzuthauen, ihn zu dem Feuer bringen mußt. Viel Hühner, Enten, ja das Vieh, wovon sonst keiner was gewußt, Hat hie und dort, selbst in den Ställen, das Leben, durch den Frost, verlohren. Die Bäume borsten von einander. Nicht nur das Bier; so gar der Wein, Fror, selber in gewölbten Kellern. Tief ausgegrabne Brunnen deckte Ein starr, fast undurchdringlichs Eis. Wir haben aus der Luft die Krähen, Nebst andern Vögeln, selbst im Flug erstarrt, herunter- fallen sehen. Kein Brodt war eßbar; und kein Stein Konnt', ehe man es aufgethauet, an Kält' und Härte, fester seyn. Es war in keinem Haus', im Flecken, ein Fenster-Schlag herabgelassen: Daher schien' alles öd' und leer, Und recht, als ob, in allen Gassen, Fast alles ausgestorben wär. Vom Bremer Post-Knecht lief bey uns, nach kurzer Zeit, die Nachricht ein, Er sollte, nebst zwo alten Leuten in Bremen, ebenfals nicht minder Jm Lande Wursten zwo Personen, in Steinau auch zwey kleine Kinder, Und noch vier Menschen, auf der Post, erstarret und erfroren seyn. Ver-
Andenken der grimmigen Kaͤlte Der Wein zu dem geweihten Kelch war, in der Kirche, ſo gefroren, Daß man, denſelben aufzuthauen, ihn zu dem Feuer bringen mußt. Viel Huͤhner, Enten, ja das Vieh, wovon ſonſt keiner was gewußt, Hat hie und dort, ſelbſt in den Staͤllen, das Leben, durch den Froſt, verlohren. Die Baͤume borſten von einander. Nicht nur das Bier; ſo gar der Wein, Fror, ſelber in gewoͤlbten Kellern. Tief ausgegrabne Brunnen deckte Ein ſtarr, faſt undurchdringlichs Eis. Wir haben aus der Luft die Kraͤhen, Nebſt andern Voͤgeln, ſelbſt im Flug erſtarrt, herunter- fallen ſehen. Kein Brodt war eßbar; und kein Stein Konnt’, ehe man es aufgethauet, an Kaͤlt’ und Haͤrte, feſter ſeyn. Es war in keinem Hauſ’, im Flecken, ein Fenſter-Schlag herabgelaſſen: Daher ſchien’ alles oͤd’ und leer, Und recht, als ob, in allen Gaſſen, Faſt alles ausgeſtorben waͤr. Vom Bremer Poſt-Knecht lief bey uns, nach kurzer Zeit, die Nachricht ein, Er ſollte, nebſt zwo alten Leuten in Bremen, ebenfals nicht minder Jm Lande Wurſten zwo Perſonen, in Steinau auch zwey kleine Kinder, Und noch vier Menſchen, auf der Poſt, erſtarret und erfroren ſeyn. Ver-
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Andenken der grimmigen Kaͤlte
Der Wein zu dem geweihten Kelch war, in der Kirche,
ſo gefroren,
Daß man, denſelben aufzuthauen, ihn zu dem Feuer
bringen mußt.
Viel Huͤhner, Enten, ja das Vieh, wovon ſonſt keiner
was gewußt,
Hat hie und dort, ſelbſt in den Staͤllen, das Leben,
durch den Froſt, verlohren.
Die Baͤume borſten von einander. Nicht nur das Bier;
ſo gar der Wein,
Fror, ſelber in gewoͤlbten Kellern. Tief ausgegrabne
Brunnen deckte
Ein ſtarr, faſt undurchdringlichs Eis. Wir haben aus
der Luft die Kraͤhen,
Nebſt andern Voͤgeln, ſelbſt im Flug erſtarrt, herunter-
fallen ſehen.
Kein Brodt war eßbar; und kein Stein
Konnt’, ehe man es aufgethauet, an Kaͤlt’ und Haͤrte,
feſter ſeyn.
Es war in keinem Hauſ’, im Flecken, ein Fenſter-Schlag
herabgelaſſen:
Daher ſchien’ alles oͤd’ und leer,
Und recht, als ob, in allen Gaſſen,
Faſt alles ausgeſtorben waͤr.
Vom Bremer Poſt-Knecht lief bey uns, nach kurzer
Zeit, die Nachricht ein,
Er ſollte, nebſt zwo alten Leuten in Bremen, ebenfals
nicht minder
Jm Lande Wurſten zwo Perſonen, in Steinau auch
zwey kleine Kinder,
Und noch vier Menſchen, auf der Poſt, erſtarret und
erfroren ſeyn.
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