Hier, wenn ich durch die Wiesen wandre, folgt oft mein Blick dem schnellen Bach Jn seinem ungehemmten, ew'gen und immer regen Laufe nach. Sein stets ununterbrochnes Rennen scheint mir von meinem regen Leben Ein recht natürlich lebhaft Bild und wahres Gleichniß abzugeben. Wie so viel Millionen Wellen auf seiner äussern Fläch' entstanden, Von welchen, da sie nicht mehr da, nicht die geringste Spuhr vorhanden; So sieht man alle Menschen auch entstehen, leben, bald verdrungen, Und in dem Meer der Ewigkeit unwiederbringlich einge- schlungen.
Die Stille, die hier überall so Feld als Wald bedeckt und füllt, Vergleichet sich mit jener Stille, und scheint ein sanftes Ebenbild Von jener ewig- sel'gen Ruh, die, wenn man auf den Schöpfer denket, Die ewige selbständ'ge Lieb', uns hier bereits der Glaube schenket. Jst denn der Lerm in dieser Welt, ja der Besitz von allen Reichen, Mit diesem Bilde jener Stille, die künftig ist, wohl zu ver- gleichen? Nur in der Stille kann die Seele ihr eigentliches Wesen finden, Nur in der Stille kann sie das, was in und ausser ihr, ergründen,
Nur
Anmuht der Einſamkeit auf dem Lande.
Hier, wenn ich durch die Wieſen wandre, folgt oft mein Blick dem ſchnellen Bach Jn ſeinem ungehemmten, ew’gen und immer regen Laufe nach. Sein ſtets ununterbrochnes Rennen ſcheint mir von meinem regen Leben Ein recht natuͤrlich lebhaft Bild und wahres Gleichniß abzugeben. Wie ſo viel Millionen Wellen auf ſeiner aͤuſſern Flaͤch’ entſtanden, Von welchen, da ſie nicht mehr da, nicht die geringſte Spuhr vorhanden; So ſieht man alle Menſchen auch entſtehen, leben, bald verdrungen, Und in dem Meer der Ewigkeit unwiederbringlich einge- ſchlungen.
Die Stille, die hier uͤberall ſo Feld als Wald bedeckt und fuͤllt, Vergleichet ſich mit jener Stille, und ſcheint ein ſanftes Ebenbild Von jener ewig- ſel’gen Ruh, die, wenn man auf den Schoͤpfer denket, Die ewige ſelbſtaͤnd’ge Lieb’, uns hier bereits der Glaube ſchenket. Jſt denn der Lerm in dieſer Welt, ja der Beſitz von allen Reichen, Mit dieſem Bilde jener Stille, die kuͤnftig iſt, wohl zu ver- gleichen? Nur in der Stille kann die Seele ihr eigentliches Weſen finden, Nur in der Stille kann ſie das, was in und auſſer ihr, ergruͤnden,
Nur
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Anmuht der Einſamkeit auf dem Lande.
Hier, wenn ich durch die Wieſen wandre, folgt oft mein
Blick dem ſchnellen Bach
Jn ſeinem ungehemmten, ew’gen und immer regen Laufe
nach.
Sein ſtets ununterbrochnes Rennen ſcheint mir von meinem
regen Leben
Ein recht natuͤrlich lebhaft Bild und wahres Gleichniß
abzugeben.
Wie ſo viel Millionen Wellen auf ſeiner aͤuſſern Flaͤch’
entſtanden,
Von welchen, da ſie nicht mehr da, nicht die geringſte Spuhr
vorhanden;
So ſieht man alle Menſchen auch entſtehen, leben, bald
verdrungen,
Und in dem Meer der Ewigkeit unwiederbringlich einge-
ſchlungen.
Die Stille, die hier uͤberall ſo Feld als Wald bedeckt und
fuͤllt,
Vergleichet ſich mit jener Stille, und ſcheint ein ſanftes
Ebenbild
Von jener ewig- ſel’gen Ruh, die, wenn man auf den
Schoͤpfer denket,
Die ewige ſelbſtaͤnd’ge Lieb’, uns hier bereits der Glaube
ſchenket.
Jſt denn der Lerm in dieſer Welt, ja der Beſitz von allen
Reichen,
Mit dieſem Bilde jener Stille, die kuͤnftig iſt, wohl zu ver-
gleichen?
Nur in der Stille kann die Seele ihr eigentliches Weſen
finden,
Nur in der Stille kann ſie das, was in und auſſer ihr,
ergruͤnden,
Nur
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/317>, abgerufen am 24.11.2024.
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