Ach Göttinn! riefen sie verwirrt, laß dieß doch nimmermehr geschehn, Daß eines solchen Geists Gedächtniß und sein Verdienst könn untergehn! Hier war es, da er voller Sanftmuth zum letztenmal noch zu uns kam, Hier war es, da der theure Marggraf von uns noch ge- stern Abschied nahm. Seht, Kinder, sprach er, bey den Tulpen, wie wir die Blät- ter fallen sehn, So wird es auch bald mir ergehn. O bald erfüllte Peophezeyung! O gar zu wahres Schwanen- Lied! Vor Abend hat er es gesungen; den Morgen war er schon ver- blüht.
Der Dichtkunst stiegen, über dieß betrübt und unverhofft Erblassen, Die Thränen selber in die Augen, und, voller Gram erstarrt, entstellt, Dreht sie sich ab-und Seitenwerts, um sich ein wenig nur zu fassen. Hier traf sie nun, zum neuen Leide, die ganze schöne Blumen- Welt, Entblößt von aller Zier und Pracht, und kurz in solchem Zu- stand an, Den keiner, weil er gar zu kläglich, mit Farben ähnlich bil- den kann.
Sie schwammen all in bittern Thränen, theils hiengen un- ter sich gebogen, Theils waren sie zerzaußt, verwirrt, verdreht, verwehet, ein- geknickt,
Und
Ehrenmaal des Marggrafen
Ach Goͤttinn! riefen ſie verwirrt, laß dieß doch nimmermehr geſchehn, Daß eines ſolchen Geiſts Gedaͤchtniß und ſein Verdienſt koͤnn untergehn! Hier war es, da er voller Sanftmuth zum letztenmal noch zu uns kam, Hier war es, da der theure Marggraf von uns noch ge- ſtern Abſchied nahm. Seht, Kinder, ſprach er, bey den Tulpen, wie wir die Blaͤt- ter fallen ſehn, So wird es auch bald mir ergehn. O bald erfuͤllte Peophezeyung! O gar zu wahres Schwanen- Lied! Vor Abend hat er es geſungen; den Morgen war er ſchon ver- bluͤht.
Der Dichtkunſt ſtiegen, uͤber dieß betruͤbt und unverhofft Erblaſſen, Die Thraͤnen ſelber in die Augen, und, voller Gram erſtarrt, entſtellt, Dreht ſie ſich ab-und Seitenwerts, um ſich ein wenig nur zu faſſen. Hier traf ſie nun, zum neuen Leide, die ganze ſchoͤne Blumen- Welt, Entbloͤßt von aller Zier und Pracht, und kurz in ſolchem Zu- ſtand an, Den keiner, weil er gar zu klaͤglich, mit Farben aͤhnlich bil- den kann.
Sie ſchwammen all in bittern Thraͤnen, theils hiengen un- ter ſich gebogen, Theils waren ſie zerzaußt, verwirrt, verdreht, verwehet, ein- geknickt,
Und
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Ehrenmaal des Marggrafen
Ach Goͤttinn! riefen ſie verwirrt, laß dieß doch nimmermehr
geſchehn,
Daß eines ſolchen Geiſts Gedaͤchtniß und ſein Verdienſt koͤnn
untergehn!
Hier war es, da er voller Sanftmuth zum letztenmal noch zu
uns kam,
Hier war es, da der theure Marggraf von uns noch ge-
ſtern Abſchied nahm.
Seht, Kinder, ſprach er, bey den Tulpen, wie wir die Blaͤt-
ter fallen ſehn,
So wird es auch bald mir ergehn.
O bald erfuͤllte Peophezeyung! O gar zu wahres Schwanen-
Lied!
Vor Abend hat er es geſungen; den Morgen war er ſchon ver-
bluͤht.
Der Dichtkunſt ſtiegen, uͤber dieß betruͤbt und unverhofft
Erblaſſen,
Die Thraͤnen ſelber in die Augen, und, voller Gram erſtarrt,
entſtellt,
Dreht ſie ſich ab-und Seitenwerts, um ſich ein wenig nur zu
faſſen.
Hier traf ſie nun, zum neuen Leide, die ganze ſchoͤne Blumen-
Welt,
Entbloͤßt von aller Zier und Pracht, und kurz in ſolchem Zu-
ſtand an,
Den keiner, weil er gar zu klaͤglich, mit Farben aͤhnlich bil-
den kann.
Sie ſchwammen all in bittern Thraͤnen, theils hiengen un-
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Theils waren ſie zerzaußt, verwirrt, verdreht, verwehet, ein-
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/748>, abgerufen am 22.11.2024.
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