Wie (zum Beyspiel) unser Geist eine solche Fertigkeit, Bloß durch Fleiß und Müh, erhalten, ein Clavir so schnell zu rühren, Daß, wenn unser' Augen kaum, die geschriebnen Noten spüren, Die gelencken Finger gleich, in fast nicht getheilter Zeit, Wie der Blitz sich hören lassen; welches von der regen Seele, Durch die von dem öfftern Fleiß wol geöfneten Canäle, Glaublich bloß gewircket wird. Ja wenn ich noch weiter geh, Und mit scharffem Ernst bedencke, wie im Hirn, dem Sitz der Seelen, Von den mancherley Jdeen, so dort, die Vernünftige Durch den Mund sich in der Rede, oder durch die Hand in Schriften, Abwärts sencken, und durchs Ohr oder Aug' ein Denckmahl stiften, Selbst in einer fremden Seele; wenn ich, sag ich, dieß be- dencke: Deucht mich, daß ich etwas tieffer mich ins Thun der Seele sencke. Ob ich nun gleich wohl begreiffe, daß dieß etwas; doch nicht viel: Hab' ich doch, so viel mir möglich, meine Pflicht in acht ge- nommen, Und verhoffe, daß ein andrer näher noch zu diesem Ziel, Mit weit mehr geschärften Augen, und vielleicht bald dürfte kommen.
Aber, laßt uns nach dem Endzweck, welchen wir uns vorgenommen, Auf die Handlungen und Kräft' unsers Geists nunmehro kommen! So wie wir das Sonnen-Licht, bloß im Gegenschlag, nur sehn; Kan man unsre Seelen-Kräfte, durch Erfahrung nur verstehn.
Wie
Neu-Jahrs Gedichte.
Wie (zum Beyſpiel) unſer Geiſt eine ſolche Fertigkeit, Bloß durch Fleiß und Muͤh, erhalten, ein Clavir ſo ſchnell zu ruͤhren, Daß, wenn unſer’ Augen kaum, die geſchriebnen Noten ſpuͤren, Die gelencken Finger gleich, in faſt nicht getheilter Zeit, Wie der Blitz ſich hoͤren laſſen; welches von der regen Seele, Durch die von dem oͤfftern Fleiß wol geoͤfneten Canaͤle, Glaublich bloß gewircket wird. Ja wenn ich noch weiter geh, Und mit ſcharffem Ernſt bedencke, wie im Hirn, dem Sitz der Seelen, Von den mancherley Jdeen, ſo dort, die Vernuͤnftige Durch den Mund ſich in der Rede, oder durch die Hand in Schriften, Abwaͤrts ſencken, und durchs Ohr oder Aug’ ein Denckmahl ſtiften, Selbſt in einer fremden Seele; wenn ich, ſag ich, dieß be- dencke: Deucht mich, daß ich etwas tieffer mich ins Thun der Seele ſencke. Ob ich nun gleich wohl begreiffe, daß dieß etwas; doch nicht viel: Hab’ ich doch, ſo viel mir moͤglich, meine Pflicht in acht ge- nommen, Und verhoffe, daß ein andrer naͤher noch zu dieſem Ziel, Mit weit mehr geſchaͤrften Augen, und vielleicht bald duͤrfte kommen.
Aber, laßt uns nach dem Endzweck, welchen wir uns vorgenommen, Auf die Handlungen und Kraͤft’ unſers Geiſts nunmehro kommen! So wie wir das Sonnen-Licht, bloß im Gegenſchlag, nur ſehn; Kan man unſre Seelen-Kraͤfte, durch Erfahrung nur verſtehn.
Wie
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Neu-Jahrs Gedichte.
Wie (zum Beyſpiel) unſer Geiſt eine ſolche Fertigkeit,
Bloß durch Fleiß und Muͤh, erhalten, ein Clavir ſo ſchnell
zu ruͤhren,
Daß, wenn unſer’ Augen kaum, die geſchriebnen Noten
ſpuͤren,
Die gelencken Finger gleich, in faſt nicht getheilter Zeit,
Wie der Blitz ſich hoͤren laſſen; welches von der regen Seele,
Durch die von dem oͤfftern Fleiß wol geoͤfneten Canaͤle,
Glaublich bloß gewircket wird. Ja wenn ich noch weiter geh,
Und mit ſcharffem Ernſt bedencke, wie im Hirn, dem Sitz
der Seelen,
Von den mancherley Jdeen, ſo dort, die Vernuͤnftige
Durch den Mund ſich in der Rede, oder durch die Hand in
Schriften,
Abwaͤrts ſencken, und durchs Ohr oder Aug’ ein Denckmahl
ſtiften,
Selbſt in einer fremden Seele; wenn ich, ſag ich, dieß be-
dencke:
Deucht mich, daß ich etwas tieffer mich ins Thun der Seele
ſencke.
Ob ich nun gleich wohl begreiffe, daß dieß etwas; doch nicht
viel:
Hab’ ich doch, ſo viel mir moͤglich, meine Pflicht in acht ge-
nommen,
Und verhoffe, daß ein andrer naͤher noch zu dieſem Ziel,
Mit weit mehr geſchaͤrften Augen, und vielleicht bald duͤrfte
kommen.
Aber, laßt uns nach dem Endzweck, welchen wir uns
vorgenommen,
Auf die Handlungen und Kraͤft’ unſers Geiſts nunmehro
kommen!
So wie wir das Sonnen-Licht, bloß im Gegenſchlag, nur
ſehn;
Kan man unſre Seelen-Kraͤfte, durch Erfahrung nur
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/507>, abgerufen am 03.10.2024.
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