Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Herbst-Cantata. Denn, weil das helle Sonnen-LichtDurch die so bunt-als zarten Blätter bricht, Erblicket man der Farben Harmonie Jn einem klaren Glantz, und nicht verdickt Als jene, die Von dick- und dichter Seid' entworffen und gestickt. Allein: Wie bald vergeht der Blätter bunter Schein! Kaum seh' ich sie mit Lust in hohen Lüfften stehn, So taumeln sie herab, sie welcken, sie vergehn, Doch selbst ihr schöner Tod ist billig hoch zu schätzen, Und giebt dem, ders erwegt, ein lehrendes Ergetzen. ARIOSO. Seh ich die Blätterchen erbleichen,So deucht mich, ihre kleine Leichen Verdienen diese Grab-Schrift wol, Die meistens ihnen zwar zur Ehre, Doch aber dir, mein Leser, auch zur Lehre, Wofern du klug bist, dienen soll: "Wir kamen an die Welt, nach unsers Schöpfers Willen, "Wir waren, Jhm zum Ruhm, der Erden Schmuck und Zier. "Jetzt sieht man uns aufs neu Desselben Winck erfüllen. "Wir machen denen Platz, die schöner sind, als wir. "Ein ordentlich-beständger Unbestand "Macht GOttes Wunder-Werck, im Wechsel selbst, bekannt. War- X
Herbſt-Cantata. Denn, weil das helle Sonnen-LichtDurch die ſo bunt-als zarten Blaͤtter bricht, Erblicket man der Farben Harmonie Jn einem klaren Glantz, und nicht verdickt Als jene, die Von dick- und dichter Seid’ entworffen und geſtickt. Allein: Wie bald vergeht der Blaͤtter bunter Schein! Kaum ſeh’ ich ſie mit Luſt in hohen Luͤfften ſtehn, So taumeln ſie herab, ſie welcken, ſie vergehn, Doch ſelbſt ihr ſchoͤner Tod iſt billig hoch zu ſchaͤtzen, Und giebt dem, ders erwegt, ein lehrendes Ergetzen. ARIOSO. Seh ich die Blaͤtterchen erbleichen,So deucht mich, ihre kleine Leichen Verdienen dieſe Grab-Schrift wol, Die meiſtens ihnen zwar zur Ehre, Doch aber dir, mein Leſer, auch zur Lehre, Wofern du klug biſt, dienen ſoll: „Wir kamen an die Welt, nach unſers Schoͤpfers Willen, „Wir waren, Jhm zum Ruhm, der Erden Schmuck und Zier. „Jetzt ſieht man uns aufs neu Deſſelben Winck erfuͤllen. „Wir machen denen Platz, die ſchoͤner ſind, als wir. „Ein ordentlich-beſtaͤndger Unbeſtand „Macht GOttes Wunder-Werck, im Wechſel ſelbſt, bekañt. War- X
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0353" n="321"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Herbſt-<hi rendition="#aq">Cantata.</hi></hi> </fw><lb/> <l>Denn, weil das helle Sonnen-Licht</l><lb/> <l>Durch die ſo bunt-als zarten Blaͤtter bricht,</l><lb/> <l>Erblicket man der Farben Harmonie</l><lb/> <l>Jn einem klaren Glantz, und nicht verdickt</l><lb/> <l>Als jene, die</l><lb/> <l>Von dick- und dichter Seid’ entworffen und geſtickt.</l><lb/> <l>Allein:</l><lb/> <l>Wie bald vergeht der Blaͤtter bunter Schein!</l><lb/> <l>Kaum ſeh’ ich ſie mit Luſt in hohen Luͤfften ſtehn,</l><lb/> <l>So taumeln ſie herab, ſie welcken, ſie vergehn,</l><lb/> <l>Doch ſelbſt ihr ſchoͤner Tod iſt billig hoch zu ſchaͤtzen,</l><lb/> <l>Und giebt dem, ders erwegt, ein lehrendes Ergetzen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#g">ARIOSO.</hi> </hi> </head><lb/> <l> <hi rendition="#in">S</hi> <hi rendition="#fr">eh ich die Blaͤtterchen erbleichen,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">So deucht mich, ihre kleine Leichen</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Verdienen dieſe Grab-Schrift wol,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Die meiſtens ihnen zwar zur Ehre,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Doch aber dir, mein Leſer, auch zur Lehre,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#fr">Wofern du klug biſt, dienen ſoll:</hi> </l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg n="5"> <l>„<hi rendition="#in">W</hi>ir kamen an die Welt, nach unſers Schoͤpfers Willen,<lb/> „Wir waren, Jhm zum Ruhm, der Erden Schmuck<lb/><hi rendition="#et">und Zier.</hi><lb/> „Jetzt ſieht man uns aufs neu Deſſelben Winck erfuͤllen.<lb/> „Wir machen denen Platz, die ſchoͤner ſind, als wir.<lb/> „Ein ordentlich-beſtaͤndger Unbeſtand<lb/> „Macht GOttes Wunder-Werck, im Wechſel ſelbſt, bekañt.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">X</fw> <fw place="bottom" type="catch">War-</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [321/0353]
Herbſt-Cantata.
Denn, weil das helle Sonnen-Licht
Durch die ſo bunt-als zarten Blaͤtter bricht,
Erblicket man der Farben Harmonie
Jn einem klaren Glantz, und nicht verdickt
Als jene, die
Von dick- und dichter Seid’ entworffen und geſtickt.
Allein:
Wie bald vergeht der Blaͤtter bunter Schein!
Kaum ſeh’ ich ſie mit Luſt in hohen Luͤfften ſtehn,
So taumeln ſie herab, ſie welcken, ſie vergehn,
Doch ſelbſt ihr ſchoͤner Tod iſt billig hoch zu ſchaͤtzen,
Und giebt dem, ders erwegt, ein lehrendes Ergetzen.
ARIOSO.
Seh ich die Blaͤtterchen erbleichen,
So deucht mich, ihre kleine Leichen
Verdienen dieſe Grab-Schrift wol,
Die meiſtens ihnen zwar zur Ehre,
Doch aber dir, mein Leſer, auch zur Lehre,
Wofern du klug biſt, dienen ſoll:
„Wir kamen an die Welt, nach unſers Schoͤpfers Willen,
„Wir waren, Jhm zum Ruhm, der Erden Schmuck
und Zier.
„Jetzt ſieht man uns aufs neu Deſſelben Winck erfuͤllen.
„Wir machen denen Platz, die ſchoͤner ſind, als wir.
„Ein ordentlich-beſtaͤndger Unbeſtand
„Macht GOttes Wunder-Werck, im Wechſel ſelbſt, bekañt.
War-
X
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |