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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

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Hier ward die Alte still und schüttelte mit dem
Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: den
sollte sie sich bis zu ihrem Ehrentag bewahren, -- fuhr
sie fort: wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach,
wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! -- Wozu, fragte
ich, welch' Anliegen habt Ihr denn, Mutter? da sagte
sie ernst: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein
End' nähme, was läge am Leben, wenn es nicht ewig
wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort:

Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unserm
Dorfe angekommen, aber morgens hatte ihm sein Wirth
im Stalle gezeigt, daß sein Pferd gedrückt sey, und
dabei gesagt: mein Freund, das macht dem Reiter keine
Ehre. Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte
deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles,
ihm die Wunde zu heilen, und setzte seine Reise, das
Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am
späten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unserm
Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund
seines Vaters kannte, sprach er bei ihm ein, und wurde
wie ein recht lieber Gast aus der Fremde empfangen.
Kasper zog sein Pferd in den Stall, legte den Sattel
und sein Felleisen in einen Winkel, und ging nun zu dem

Hier ward die Alte ſtill und ſchüttelte mit dem
Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: den
ſollte ſie ſich bis zu ihrem Ehrentag bewahren, — fuhr
ſie fort: wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach,
wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! — Wozu, fragte
ich, welch' Anliegen habt Ihr denn, Mutter? da ſagte
ſie ernſt: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein
End' nähme, was läge am Leben, wenn es nicht ewig
wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort:

Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unſerm
Dorfe angekommen, aber morgens hatte ihm ſein Wirth
im Stalle gezeigt, daß ſein Pferd gedrückt ſey, und
dabei geſagt: mein Freund, das macht dem Reiter keine
Ehre. Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte
deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles,
ihm die Wunde zu heilen, und ſetzte ſeine Reiſe, das
Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am
ſpäten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unſerm
Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund
ſeines Vaters kannte, ſprach er bei ihm ein, und wurde
wie ein recht lieber Gaſt aus der Fremde empfangen.
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und ſein Felleiſen in einen Winkel, und ging nun zu dem

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[27/0037] Hier ward die Alte ſtill und ſchüttelte mit dem Kopf; als ich aber die letzten Worte wiederholte: den ſollte ſie ſich bis zu ihrem Ehrentag bewahren, — fuhr ſie fort: wer weiß, ob ich es nicht erflehen kann, ach, wenn ich den Herzog nur wecken dürfte! — Wozu, fragte ich, welch' Anliegen habt Ihr denn, Mutter? da ſagte ſie ernſt: O, was läge am ganzen Leben, wenn's kein End' nähme, was läge am Leben, wenn es nicht ewig wäre! und fuhr dann in ihrer Erzählung fort: Kasper wäre noch recht gut zu Mittag in unſerm Dorfe angekommen, aber morgens hatte ihm ſein Wirth im Stalle gezeigt, daß ſein Pferd gedrückt ſey, und dabei geſagt: mein Freund, das macht dem Reiter keine Ehre. Das Wort hatte Kasper tief empfunden, er legte deswegen den Sattel hohl und leicht auf, that Alles, ihm die Wunde zu heilen, und ſetzte ſeine Reiſe, das Pferd am Zügel führend, zu Fuße fort. So kam er am ſpäten Abend bis an eine Mühle, eine Meile von unſerm Dorf, und weil er den Müller als einen alten Freund ſeines Vaters kannte, ſprach er bei ihm ein, und wurde wie ein recht lieber Gaſt aus der Fremde empfangen. Kasper zog ſein Pferd in den Stall, legte den Sattel und ſein Felleiſen in einen Winkel, und ging nun zu dem

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/37>, abgerufen am 29.03.2024.