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Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

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Langeweile; es ist ja schon spät an der Zeit, acht und
achtzig bin ich alt, der Morgen wird bald anbrechen, da
geh' ich zu meinen Befreundeten. Wenn ein Mensch
fromm ist, und hat Schicksale, und kann beten, so kann
er die paar armen Stunden auch noch wohl hinbringen.

Die Leute hatten sich nach und nach verloren, und
die letzten, welche noch da standen, eilten auch hinweg,
weil der Nachtwächter durch die Straße kam und sie
sich von ihm ihre Wohnungen wollten öffnen lassen.
So war ich allein noch gegenwärtig. Die Straße ward
ruhiger. Ich wandelte nachdenkend unter den Bäumen
des vor mir liegenden freien Platzes auf und nieder;
das Wesen der Bäuerin, ihr bestimmter ernster Ton,
ihre Sicherheit im Leben, das sie acht und achtzigmal
mit seinen Jahreszeiten hatte zurück kehren sehen, und
das ihr nur wie ein Vorsaal im Bethause erschien, hatten
mich mannigfach erschüttert. Was sind alle Leiden, alle
Begierden meiner Brust, die Sterne gehen ewig unbe¬
kümmert ihren Weg, wozu suche ich Erquickung und
Labung und von wem suche ich sie und für wen? Alles
was ich hier suche und liebe und erringe, wird es mich
je dahin bringen, so ruhig, wie diese gute fromme Seele,
die Nacht auf der Schwelle des Hauses zubringen zu

Langeweile; es iſt ja ſchon ſpät an der Zeit, acht und
achtzig bin ich alt, der Morgen wird bald anbrechen, da
geh' ich zu meinen Befreundeten. Wenn ein Menſch
fromm iſt, und hat Schickſale, und kann beten, ſo kann
er die paar armen Stunden auch noch wohl hinbringen.

Die Leute hatten ſich nach und nach verloren, und
die letzten, welche noch da ſtanden, eilten auch hinweg,
weil der Nachtwächter durch die Straße kam und ſie
ſich von ihm ihre Wohnungen wollten öffnen laſſen.
So war ich allein noch gegenwärtig. Die Straße ward
ruhiger. Ich wandelte nachdenkend unter den Bäumen
des vor mir liegenden freien Platzes auf und nieder;
das Weſen der Bäuerin, ihr beſtimmter ernſter Ton,
ihre Sicherheit im Leben, das ſie acht und achtzigmal
mit ſeinen Jahreszeiten hatte zurück kehren ſehen, und
das ihr nur wie ein Vorſaal im Bethauſe erſchien, hatten
mich mannigfach erſchüttert. Was ſind alle Leiden, alle
Begierden meiner Bruſt, die Sterne gehen ewig unbe¬
kümmert ihren Weg, wozu ſuche ich Erquickung und
Labung und von wem ſuche ich ſie und für wen? Alles
was ich hier ſuche und liebe und erringe, wird es mich
je dahin bringen, ſo ruhig, wie dieſe gute fromme Seele,
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[8/0018] Langeweile; es iſt ja ſchon ſpät an der Zeit, acht und achtzig bin ich alt, der Morgen wird bald anbrechen, da geh' ich zu meinen Befreundeten. Wenn ein Menſch fromm iſt, und hat Schickſale, und kann beten, ſo kann er die paar armen Stunden auch noch wohl hinbringen. Die Leute hatten ſich nach und nach verloren, und die letzten, welche noch da ſtanden, eilten auch hinweg, weil der Nachtwächter durch die Straße kam und ſie ſich von ihm ihre Wohnungen wollten öffnen laſſen. So war ich allein noch gegenwärtig. Die Straße ward ruhiger. Ich wandelte nachdenkend unter den Bäumen des vor mir liegenden freien Platzes auf und nieder; das Weſen der Bäuerin, ihr beſtimmter ernſter Ton, ihre Sicherheit im Leben, das ſie acht und achtzigmal mit ſeinen Jahreszeiten hatte zurück kehren ſehen, und das ihr nur wie ein Vorſaal im Bethauſe erſchien, hatten mich mannigfach erſchüttert. Was ſind alle Leiden, alle Begierden meiner Bruſt, die Sterne gehen ewig unbe¬ kümmert ihren Weg, wozu ſuche ich Erquickung und Labung und von wem ſuche ich ſie und für wen? Alles was ich hier ſuche und liebe und erringe, wird es mich je dahin bringen, ſo ruhig, wie dieſe gute fromme Seele, die Nacht auf der Schwelle des Hauſes zubringen zu

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/18>, abgerufen am 26.04.2024.