Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Während allem diesem Gerede war die Alte, gerade
als ob sie taub und blind sey, ganz ungestört mit ihrer
Zubereitung fertig geworden, und da der Letzte abermals
sagte: Hier kann sie doch nicht bleiben, erwiederte sie,
mit einer wunderlich tiefen und ernsten Stimme:

Warum soll ich nicht hier bleiben, ist dies nicht ein
herzogliches Haus? ich bin acht und achtzig Jahr alt,
und der Herzog wird mich gewiß nicht von seiner
Schwelle treiben. Drei Söhne sind in seinem Dienst
gestorben, und mein einziger Enkel hat seinen Abschied
genommen; -- Gott verzeiht es ihm gewiß und ich will
nicht sterben, bis er in seinem ehrlichen Grabe liegt.

Acht und achtzig Jahre und sechs Meilen gelaufen!
sagten die Umstehenden, sie ist müd', und kindisch, in
solchem Alter wird der Mensch schwach.

Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und
sehr krank werden hier, und Langeweile wird Sie auch
haben, sprach nun einer der Gesellen und beugte sich
näher zu ihr.

Da sprach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme,
halb bittend, halb befehlend:

O laßt mir meine Ruhe, und seyd nicht unver¬
nünftig; ich brauch' keinen Schnupfen, ich brauche keine

Während allem dieſem Gerede war die Alte, gerade
als ob ſie taub und blind ſey, ganz ungeſtört mit ihrer
Zubereitung fertig geworden, und da der Letzte abermals
ſagte: Hier kann ſie doch nicht bleiben, erwiederte ſie,
mit einer wunderlich tiefen und ernſten Stimme:

Warum ſoll ich nicht hier bleiben, iſt dies nicht ein
herzogliches Haus? ich bin acht und achtzig Jahr alt,
und der Herzog wird mich gewiß nicht von ſeiner
Schwelle treiben. Drei Söhne ſind in ſeinem Dienſt
geſtorben, und mein einziger Enkel hat ſeinen Abſchied
genommen; — Gott verzeiht es ihm gewiß und ich will
nicht ſterben, bis er in ſeinem ehrlichen Grabe liegt.

Acht und achtzig Jahre und ſechs Meilen gelaufen!
ſagten die Umſtehenden, ſie iſt müd', und kindiſch, in
ſolchem Alter wird der Menſch ſchwach.

Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und
ſehr krank werden hier, und Langeweile wird Sie auch
haben, ſprach nun einer der Geſellen und beugte ſich
näher zu ihr.

Da ſprach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme,
halb bittend, halb befehlend:

O laßt mir meine Ruhe, und ſeyd nicht unver¬
nünftig; ich brauch' keinen Schnupfen, ich brauche keine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017" n="7"/>
        <p>Während allem die&#x017F;em Gerede war die Alte, gerade<lb/>
als ob &#x017F;ie taub und blind &#x017F;ey, ganz unge&#x017F;tört mit ihrer<lb/>
Zubereitung fertig geworden, und da der Letzte abermals<lb/>
&#x017F;agte: Hier kann &#x017F;ie doch nicht bleiben, erwiederte &#x017F;ie,<lb/>
mit einer wunderlich tiefen und ern&#x017F;ten Stimme:</p><lb/>
        <p>Warum &#x017F;oll ich nicht hier bleiben, i&#x017F;t dies nicht ein<lb/>
herzogliches Haus? ich bin acht und achtzig Jahr alt,<lb/>
und der Herzog wird mich gewiß nicht von &#x017F;einer<lb/>
Schwelle treiben. Drei Söhne &#x017F;ind in &#x017F;einem Dien&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;torben, und mein einziger Enkel hat &#x017F;einen Ab&#x017F;chied<lb/>
genommen; &#x2014; Gott verzeiht es ihm gewiß und ich will<lb/>
nicht &#x017F;terben, bis er in &#x017F;einem ehrlichen Grabe liegt.</p><lb/>
        <p>Acht und achtzig Jahre und &#x017F;echs Meilen gelaufen!<lb/>
&#x017F;agten die Um&#x017F;tehenden, &#x017F;ie i&#x017F;t müd', und kindi&#x017F;ch, in<lb/>
&#x017F;olchem Alter wird der Men&#x017F;ch &#x017F;chwach.</p><lb/>
        <p>Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und<lb/>
&#x017F;ehr krank werden hier, und Langeweile wird Sie auch<lb/>
haben, &#x017F;prach nun einer der Ge&#x017F;ellen und beugte &#x017F;ich<lb/>
näher zu ihr.</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;prach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme,<lb/>
halb bittend, halb befehlend:</p><lb/>
        <p>O laßt mir meine Ruhe, und &#x017F;eyd nicht unver¬<lb/>
nünftig; ich brauch' keinen Schnupfen, ich brauche keine<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0017] Während allem dieſem Gerede war die Alte, gerade als ob ſie taub und blind ſey, ganz ungeſtört mit ihrer Zubereitung fertig geworden, und da der Letzte abermals ſagte: Hier kann ſie doch nicht bleiben, erwiederte ſie, mit einer wunderlich tiefen und ernſten Stimme: Warum ſoll ich nicht hier bleiben, iſt dies nicht ein herzogliches Haus? ich bin acht und achtzig Jahr alt, und der Herzog wird mich gewiß nicht von ſeiner Schwelle treiben. Drei Söhne ſind in ſeinem Dienſt geſtorben, und mein einziger Enkel hat ſeinen Abſchied genommen; — Gott verzeiht es ihm gewiß und ich will nicht ſterben, bis er in ſeinem ehrlichen Grabe liegt. Acht und achtzig Jahre und ſechs Meilen gelaufen! ſagten die Umſtehenden, ſie iſt müd', und kindiſch, in ſolchem Alter wird der Menſch ſchwach. Mutter, Sie kann aber den Schnupfen kriegen und ſehr krank werden hier, und Langeweile wird Sie auch haben, ſprach nun einer der Geſellen und beugte ſich näher zu ihr. Da ſprach die Alte wieder mit ihrer tiefen Stimme, halb bittend, halb befehlend: O laßt mir meine Ruhe, und ſeyd nicht unver¬ nünftig; ich brauch' keinen Schnupfen, ich brauche keine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/17
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl. Berlin, 1838, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_kasperl_1838/17>, abgerufen am 26.04.2024.