Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Schall einer Gerichtstrompete von allen Wänden wiederhallte,
und alle Vögel erwachten und streckten die Köpfe aus dem
Neste hervor, um zu vernehmen, was er verkünde; und da
sie hörten, daß er sie zu Recht und Gericht gegen die mör¬
derische Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief,
fiengen sie an, mit tausend Stimmen ihre Freude über die¬
sen Ruf zu verkünden, schlüpften alle aus ihren Nestern, schüt¬
telten sich die Federn und putzten sich die Schnäbel, um
ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der
Kapelle, wo sie sich hübsch ordentlich in Reih und Glied in
die leeren Fenster, auf die Mauervorsprünge und auf die
Sträucher und Bäume, welche darin wuchsen, setzten und
die Eröffnung des Gerichts erwarteten.

Als die Vögel alle versammelt waren, trat Alektryo
vor den Hühnerstall, worin Hinkel und Gackeleia noch schlie¬
fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der
frommen Gallina geschehen, krähte er mit solchem Zorne in
den Stall hinein, und schlug dermassen mit den Flügeln
dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen
Schrecken erwachten, und beide zusammen ausriefen: "o weh,
o weh! da ist der abscheuliche Alektryo schon wieder, er ist
gewiß dem Vater im Walde entwischt, wir müssen ihn nur
gleich fangen." Nun sprangen sie beide auf und verfolgten
den Alektryo mit ihren Schürzen wehend; er aber lief
spornstreichs in die Kapelle hinein; wie erschracken Hinkel
und Gackeleia, als sie daselbst auf den Stufen des Altares
den Gockel mit finsterm Angesicht das grosse rostige Gra¬
fenschwert in der Hand haltend sitzen sahen. Sie wollten
ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen sey, aber
er gebot ihnen zu schweigen und wies ihnen mit einer so
finstern Miene einen Ort an, wo sie ruhig stehen bleiben
sollten, bis sie vor Gericht gerufen würden, daß sie sich ver¬
wundert einander ansahen. Der Hahn Alektryo gieng immer
sehr traurig und in schweren Gedanken mit gesenktem Kopfe

Schall einer Gerichtstrompete von allen Waͤnden wiederhallte,
und alle Voͤgel erwachten und ſtreckten die Koͤpfe aus dem
Neſte hervor, um zu vernehmen, was er verkuͤnde; und da
ſie hoͤrten, daß er ſie zu Recht und Gericht gegen die moͤr¬
deriſche Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief,
fiengen ſie an, mit tauſend Stimmen ihre Freude uͤber die¬
ſen Ruf zu verkuͤnden, ſchluͤpften alle aus ihren Neſtern, ſchuͤt¬
telten ſich die Federn und putzten ſich die Schnaͤbel, um
ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der
Kapelle, wo ſie ſich huͤbſch ordentlich in Reih und Glied in
die leeren Fenſter, auf die Mauervorſpruͤnge und auf die
Straͤucher und Baͤume, welche darin wuchſen, ſetzten und
die Eroͤffnung des Gerichts erwarteten.

Als die Voͤgel alle verſammelt waren, trat Alektryo
vor den Huͤhnerſtall, worin Hinkel und Gackeleia noch ſchlie¬
fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der
frommen Gallina geſchehen, kraͤhte er mit ſolchem Zorne in
den Stall hinein, und ſchlug dermaſſen mit den Fluͤgeln
dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen
Schrecken erwachten, und beide zuſammen ausriefen: „o weh,
o weh! da iſt der abſcheuliche Alektryo ſchon wieder, er iſt
gewiß dem Vater im Walde entwiſcht, wir muͤſſen ihn nur
gleich fangen.“ Nun ſprangen ſie beide auf und verfolgten
den Alektryo mit ihren Schuͤrzen wehend; er aber lief
ſpornſtreichs in die Kapelle hinein; wie erſchracken Hinkel
und Gackeleia, als ſie daſelbſt auf den Stufen des Altares
den Gockel mit finſterm Angeſicht das groſſe roſtige Gra¬
fenſchwert in der Hand haltend ſitzen ſahen. Sie wollten
ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen ſey, aber
er gebot ihnen zu ſchweigen und wies ihnen mit einer ſo
finſtern Miene einen Ort an, wo ſie ruhig ſtehen bleiben
ſollten, bis ſie vor Gericht gerufen wuͤrden, daß ſie ſich ver¬
wundert einander anſahen. Der Hahn Alektryo gieng immer
ſehr traurig und in ſchweren Gedanken mit geſenktem Kopfe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="60"/>
Schall einer Gerichtstrompete von allen Wa&#x0364;nden wiederhallte,<lb/>
und alle Vo&#x0364;gel erwachten und &#x017F;treckten die Ko&#x0364;pfe aus dem<lb/>
Ne&#x017F;te hervor, um zu vernehmen, was er verku&#x0364;nde; und da<lb/>
&#x017F;ie ho&#x0364;rten, daß er &#x017F;ie zu Recht und Gericht gegen die mo&#x0364;<lb/>
deri&#x017F;che Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief,<lb/>
fiengen &#x017F;ie an, mit tau&#x017F;end Stimmen ihre Freude u&#x0364;ber die¬<lb/>
&#x017F;en Ruf zu verku&#x0364;nden, &#x017F;chlu&#x0364;pften alle aus ihren Ne&#x017F;tern, &#x017F;chu&#x0364;<lb/>
telten &#x017F;ich die Federn und putzten &#x017F;ich die Schna&#x0364;bel, um<lb/>
ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der<lb/>
Kapelle, wo &#x017F;ie &#x017F;ich hu&#x0364;b&#x017F;ch ordentlich in Reih und Glied in<lb/>
die leeren Fen&#x017F;ter, auf die Mauervor&#x017F;pru&#x0364;nge und auf die<lb/>
Stra&#x0364;ucher und Ba&#x0364;ume, welche darin wuch&#x017F;en, &#x017F;etzten und<lb/>
die Ero&#x0364;ffnung des Gerichts erwarteten.</p><lb/>
        <p>Als die Vo&#x0364;gel alle ver&#x017F;ammelt waren, trat Alektryo<lb/>
vor den Hu&#x0364;hner&#x017F;tall, worin Hinkel und Gackeleia noch &#x017F;chlie¬<lb/>
fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der<lb/>
frommen Gallina ge&#x017F;chehen, kra&#x0364;hte er mit &#x017F;olchem Zorne in<lb/>
den Stall hinein, und &#x017F;chlug derma&#x017F;&#x017F;en mit den Flu&#x0364;geln<lb/>
dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen<lb/>
Schrecken erwachten, und beide zu&#x017F;ammen ausriefen: &#x201E;o weh,<lb/>
o weh! da i&#x017F;t der ab&#x017F;cheuliche Alektryo &#x017F;chon wieder, er i&#x017F;t<lb/>
gewiß dem Vater im Walde entwi&#x017F;cht, wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ihn nur<lb/>
gleich fangen.&#x201C; Nun &#x017F;prangen &#x017F;ie beide auf und verfolgten<lb/>
den Alektryo mit ihren Schu&#x0364;rzen wehend; er aber lief<lb/>
&#x017F;porn&#x017F;treichs in die Kapelle hinein; wie er&#x017F;chracken Hinkel<lb/>
und Gackeleia, als &#x017F;ie da&#x017F;elb&#x017F;t auf den Stufen des Altares<lb/>
den Gockel mit fin&#x017F;term Ange&#x017F;icht das gro&#x017F;&#x017F;e ro&#x017F;tige Gra¬<lb/>
fen&#x017F;chwert in der Hand haltend &#x017F;itzen &#x017F;ahen. Sie wollten<lb/>
ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen &#x017F;ey, aber<lb/>
er gebot ihnen zu &#x017F;chweigen und wies ihnen mit einer &#x017F;o<lb/>
fin&#x017F;tern Miene einen Ort an, wo &#x017F;ie ruhig &#x017F;tehen bleiben<lb/>
&#x017F;ollten, bis &#x017F;ie vor Gericht gerufen wu&#x0364;rden, daß &#x017F;ie &#x017F;ich ver¬<lb/>
wundert einander an&#x017F;ahen. Der Hahn Alektryo gieng immer<lb/>
&#x017F;ehr traurig und in &#x017F;chweren Gedanken mit ge&#x017F;enktem Kopfe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0086] Schall einer Gerichtstrompete von allen Waͤnden wiederhallte, und alle Voͤgel erwachten und ſtreckten die Koͤpfe aus dem Neſte hervor, um zu vernehmen, was er verkuͤnde; und da ſie hoͤrten, daß er ſie zu Recht und Gericht gegen die moͤr¬ deriſche Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief, fiengen ſie an, mit tauſend Stimmen ihre Freude uͤber die¬ ſen Ruf zu verkuͤnden, ſchluͤpften alle aus ihren Neſtern, ſchuͤt¬ telten ſich die Federn und putzten ſich die Schnaͤbel, um ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der Kapelle, wo ſie ſich huͤbſch ordentlich in Reih und Glied in die leeren Fenſter, auf die Mauervorſpruͤnge und auf die Straͤucher und Baͤume, welche darin wuchſen, ſetzten und die Eroͤffnung des Gerichts erwarteten. Als die Voͤgel alle verſammelt waren, trat Alektryo vor den Huͤhnerſtall, worin Hinkel und Gackeleia noch ſchlie¬ fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der frommen Gallina geſchehen, kraͤhte er mit ſolchem Zorne in den Stall hinein, und ſchlug dermaſſen mit den Fluͤgeln dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen Schrecken erwachten, und beide zuſammen ausriefen: „o weh, o weh! da iſt der abſcheuliche Alektryo ſchon wieder, er iſt gewiß dem Vater im Walde entwiſcht, wir muͤſſen ihn nur gleich fangen.“ Nun ſprangen ſie beide auf und verfolgten den Alektryo mit ihren Schuͤrzen wehend; er aber lief ſpornſtreichs in die Kapelle hinein; wie erſchracken Hinkel und Gackeleia, als ſie daſelbſt auf den Stufen des Altares den Gockel mit finſterm Angeſicht das groſſe roſtige Gra¬ fenſchwert in der Hand haltend ſitzen ſahen. Sie wollten ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen ſey, aber er gebot ihnen zu ſchweigen und wies ihnen mit einer ſo finſtern Miene einen Ort an, wo ſie ruhig ſtehen bleiben ſollten, bis ſie vor Gericht gerufen wuͤrden, daß ſie ſich ver¬ wundert einander anſahen. Der Hahn Alektryo gieng immer ſehr traurig und in ſchweren Gedanken mit geſenktem Kopfe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/86
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/86>, abgerufen am 19.04.2024.