Schall einer Gerichtstrompete von allen Wänden wiederhallte, und alle Vögel erwachten und streckten die Köpfe aus dem Neste hervor, um zu vernehmen, was er verkünde; und da sie hörten, daß er sie zu Recht und Gericht gegen die mör¬ derische Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief, fiengen sie an, mit tausend Stimmen ihre Freude über die¬ sen Ruf zu verkünden, schlüpften alle aus ihren Nestern, schüt¬ telten sich die Federn und putzten sich die Schnäbel, um ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der Kapelle, wo sie sich hübsch ordentlich in Reih und Glied in die leeren Fenster, auf die Mauervorsprünge und auf die Sträucher und Bäume, welche darin wuchsen, setzten und die Eröffnung des Gerichts erwarteten.
Als die Vögel alle versammelt waren, trat Alektryo vor den Hühnerstall, worin Hinkel und Gackeleia noch schlie¬ fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der frommen Gallina geschehen, krähte er mit solchem Zorne in den Stall hinein, und schlug dermassen mit den Flügeln dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen Schrecken erwachten, und beide zusammen ausriefen: "o weh, o weh! da ist der abscheuliche Alektryo schon wieder, er ist gewiß dem Vater im Walde entwischt, wir müssen ihn nur gleich fangen." Nun sprangen sie beide auf und verfolgten den Alektryo mit ihren Schürzen wehend; er aber lief spornstreichs in die Kapelle hinein; wie erschracken Hinkel und Gackeleia, als sie daselbst auf den Stufen des Altares den Gockel mit finsterm Angesicht das grosse rostige Gra¬ fenschwert in der Hand haltend sitzen sahen. Sie wollten ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen sey, aber er gebot ihnen zu schweigen und wies ihnen mit einer so finstern Miene einen Ort an, wo sie ruhig stehen bleiben sollten, bis sie vor Gericht gerufen würden, daß sie sich ver¬ wundert einander ansahen. Der Hahn Alektryo gieng immer sehr traurig und in schweren Gedanken mit gesenktem Kopfe
Schall einer Gerichtstrompete von allen Waͤnden wiederhallte, und alle Voͤgel erwachten und ſtreckten die Koͤpfe aus dem Neſte hervor, um zu vernehmen, was er verkuͤnde; und da ſie hoͤrten, daß er ſie zu Recht und Gericht gegen die moͤr¬ deriſche Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief, fiengen ſie an, mit tauſend Stimmen ihre Freude uͤber die¬ ſen Ruf zu verkuͤnden, ſchluͤpften alle aus ihren Neſtern, ſchuͤt¬ telten ſich die Federn und putzten ſich die Schnaͤbel, um ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der Kapelle, wo ſie ſich huͤbſch ordentlich in Reih und Glied in die leeren Fenſter, auf die Mauervorſpruͤnge und auf die Straͤucher und Baͤume, welche darin wuchſen, ſetzten und die Eroͤffnung des Gerichts erwarteten.
Als die Voͤgel alle verſammelt waren, trat Alektryo vor den Huͤhnerſtall, worin Hinkel und Gackeleia noch ſchlie¬ fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der frommen Gallina geſchehen, kraͤhte er mit ſolchem Zorne in den Stall hinein, und ſchlug dermaſſen mit den Fluͤgeln dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen Schrecken erwachten, und beide zuſammen ausriefen: „o weh, o weh! da iſt der abſcheuliche Alektryo ſchon wieder, er iſt gewiß dem Vater im Walde entwiſcht, wir muͤſſen ihn nur gleich fangen.“ Nun ſprangen ſie beide auf und verfolgten den Alektryo mit ihren Schuͤrzen wehend; er aber lief ſpornſtreichs in die Kapelle hinein; wie erſchracken Hinkel und Gackeleia, als ſie daſelbſt auf den Stufen des Altares den Gockel mit finſterm Angeſicht das groſſe roſtige Gra¬ fenſchwert in der Hand haltend ſitzen ſahen. Sie wollten ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen ſey, aber er gebot ihnen zu ſchweigen und wies ihnen mit einer ſo finſtern Miene einen Ort an, wo ſie ruhig ſtehen bleiben ſollten, bis ſie vor Gericht gerufen wuͤrden, daß ſie ſich ver¬ wundert einander anſahen. Der Hahn Alektryo gieng immer ſehr traurig und in ſchweren Gedanken mit geſenktem Kopfe
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Schall einer Gerichtstrompete von allen Waͤnden wiederhallte,
und alle Voͤgel erwachten und ſtreckten die Koͤpfe aus dem
Neſte hervor, um zu vernehmen, was er verkuͤnde; und da
ſie hoͤrten, daß er ſie zu Recht und Gericht gegen die moͤr¬
deriſche Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief,
fiengen ſie an, mit tauſend Stimmen ihre Freude uͤber die¬
ſen Ruf zu verkuͤnden, ſchluͤpften alle aus ihren Neſtern, ſchuͤt¬
telten ſich die Federn und putzten ſich die Schnaͤbel, um
ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der
Kapelle, wo ſie ſich huͤbſch ordentlich in Reih und Glied in
die leeren Fenſter, auf die Mauervorſpruͤnge und auf die
Straͤucher und Baͤume, welche darin wuchſen, ſetzten und
die Eroͤffnung des Gerichts erwarteten.
Als die Voͤgel alle verſammelt waren, trat Alektryo
vor den Huͤhnerſtall, worin Hinkel und Gackeleia noch ſchlie¬
fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der
frommen Gallina geſchehen, kraͤhte er mit ſolchem Zorne in
den Stall hinein, und ſchlug dermaſſen mit den Fluͤgeln
dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen
Schrecken erwachten, und beide zuſammen ausriefen: „o weh,
o weh! da iſt der abſcheuliche Alektryo ſchon wieder, er iſt
gewiß dem Vater im Walde entwiſcht, wir muͤſſen ihn nur
gleich fangen.“ Nun ſprangen ſie beide auf und verfolgten
den Alektryo mit ihren Schuͤrzen wehend; er aber lief
ſpornſtreichs in die Kapelle hinein; wie erſchracken Hinkel
und Gackeleia, als ſie daſelbſt auf den Stufen des Altares
den Gockel mit finſterm Angeſicht das groſſe roſtige Gra¬
fenſchwert in der Hand haltend ſitzen ſahen. Sie wollten
ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen ſey, aber
er gebot ihnen zu ſchweigen und wies ihnen mit einer ſo
finſtern Miene einen Ort an, wo ſie ruhig ſtehen bleiben
ſollten, bis ſie vor Gericht gerufen wuͤrden, daß ſie ſich ver¬
wundert einander anſahen. Der Hahn Alektryo gieng immer
ſehr traurig und in ſchweren Gedanken mit geſenktem Kopfe
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/86>, abgerufen am 09.11.2024.
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