vor Gockel auf und ab, wie ein Mann, der in traurigen Umständen sehr tiefsinnige, verwickelte Dinge überlegt. Ja es sah ordentlich aus, als lege er die Hände auf dem Rücken zusammen. Auch Gockel sah einige Minuten still vor sich hin und alle Vögel rührten sich nicht. Nun stand Gockel auf und hieb mit seinem Grafenschwert majestätisch nach al¬ len vier Winden mit dem Ausruf:
"Ich pflege und hege ein Hals-Gericht, Wo Gockel von Hanau das Urtheil spricht Und über den Mörder den Stab zerbricht."
Nach diesen Worten flog Alektryo auf die Schulter Gockels und krähte dreimal sehr durchdringlich. Frau Hin¬ kel wußte gar nicht, was das alles bedeuten sollte, und schrie in grossen Aengsten ans: "o Gockel, mein lieber Mann, was machst du? ach ich unglückselige, er ist närrisch gewor¬ den!" Da winkte ihr Gockel nochmals zu schweigen, und sprach:
"Wer kömmt zu Rüge, wer kömmt zu Recht?"
Da trat Alektryo hervor, und sprach mit gebeugtem Haupt:
"Alektryo klagt, dein Edelknecht!"
Ach! wie fuhr das der Frau Hinkel und der kleinen Gacke¬ leia durch das Gewissen, als sie hörten, daß der Hahn re¬ den konnte; sie zitterten, daß nun Alles gewiß herauskom¬ men würde. Da sprach Gockel:
"Alektryo, was ward dir gethan?"
Da antwortete Alektryo:
"Graf Gockel, trag mir das Schwert voran, Trag es voran mit gewaffneter Hand, Dann rufe ich Zeter wohl durch das Land."
Da zog Gockel einen alten Blechhandschuh an die rechte Hand, in der er sein Schwert trug, und gieng so vor Alek¬ tryo, der ihm folgte, im Kreis durch die Kapelle wieder zu den Gebeinen Gallina's zurück.
vor Gockel auf und ab, wie ein Mann, der in traurigen Umſtaͤnden ſehr tiefſinnige, verwickelte Dinge uͤberlegt. Ja es ſah ordentlich aus, als lege er die Haͤnde auf dem Ruͤcken zuſammen. Auch Gockel ſah einige Minuten ſtill vor ſich hin und alle Voͤgel ruͤhrten ſich nicht. Nun ſtand Gockel auf und hieb mit ſeinem Grafenſchwert majeſtaͤtiſch nach al¬ len vier Winden mit dem Ausruf:
„Ich pflege und hege ein Hals-Gericht, Wo Gockel von Hanau das Urtheil ſpricht Und uͤber den Moͤrder den Stab zerbricht.“
Nach dieſen Worten flog Alektryo auf die Schulter Gockels und kraͤhte dreimal ſehr durchdringlich. Frau Hin¬ kel wußte gar nicht, was das alles bedeuten ſollte, und ſchrie in groſſen Aengſten ans: „o Gockel, mein lieber Mann, was machſt du? ach ich ungluͤckſelige, er iſt naͤrriſch gewor¬ den!“ Da winkte ihr Gockel nochmals zu ſchweigen, und ſprach:
„Wer koͤmmt zu Ruͤge, wer koͤmmt zu Recht?“
Da trat Alektryo hervor, und ſprach mit gebeugtem Haupt:
„Alektryo klagt, dein Edelknecht!“
Ach! wie fuhr das der Frau Hinkel und der kleinen Gacke¬ leia durch das Gewiſſen, als ſie hoͤrten, daß der Hahn re¬ den konnte; ſie zitterten, daß nun Alles gewiß herauskom¬ men wuͤrde. Da ſprach Gockel:
„Alektryo, was ward dir gethan?“
Da antwortete Alektryo:
„Graf Gockel, trag mir das Schwert voran, Trag es voran mit gewaffneter Hand, Dann rufe ich Zeter wohl durch das Land.“
Da zog Gockel einen alten Blechhandſchuh an die rechte Hand, in der er ſein Schwert trug, und gieng ſo vor Alek¬ tryo, der ihm folgte, im Kreis durch die Kapelle wieder zu den Gebeinen Gallina's zuruͤck.
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[61/0087]
vor Gockel auf und ab, wie ein Mann, der in traurigen
Umſtaͤnden ſehr tiefſinnige, verwickelte Dinge uͤberlegt. Ja es
ſah ordentlich aus, als lege er die Haͤnde auf dem Ruͤcken
zuſammen. Auch Gockel ſah einige Minuten ſtill vor ſich
hin und alle Voͤgel ruͤhrten ſich nicht. Nun ſtand Gockel
auf und hieb mit ſeinem Grafenſchwert majeſtaͤtiſch nach al¬
len vier Winden mit dem Ausruf:
„Ich pflege und hege ein Hals-Gericht,
Wo Gockel von Hanau das Urtheil ſpricht
Und uͤber den Moͤrder den Stab zerbricht.“
Nach dieſen Worten flog Alektryo auf die Schulter
Gockels und kraͤhte dreimal ſehr durchdringlich. Frau Hin¬
kel wußte gar nicht, was das alles bedeuten ſollte, und ſchrie
in groſſen Aengſten ans: „o Gockel, mein lieber Mann,
was machſt du? ach ich ungluͤckſelige, er iſt naͤrriſch gewor¬
den!“ Da winkte ihr Gockel nochmals zu ſchweigen, und
ſprach:
„Wer koͤmmt zu Ruͤge, wer koͤmmt zu Recht?“
Da trat Alektryo hervor, und ſprach mit gebeugtem
Haupt:
„Alektryo klagt, dein Edelknecht!“
Ach! wie fuhr das der Frau Hinkel und der kleinen Gacke¬
leia durch das Gewiſſen, als ſie hoͤrten, daß der Hahn re¬
den konnte; ſie zitterten, daß nun Alles gewiß herauskom¬
men wuͤrde. Da ſprach Gockel:
„Alektryo, was ward dir gethan?“
Da antwortete Alektryo:
„Graf Gockel, trag mir das Schwert voran,
Trag es voran mit gewaffneter Hand,
Dann rufe ich Zeter wohl durch das Land.“
Da zog Gockel einen alten Blechhandſchuh an die rechte
Hand, in der er ſein Schwert trug, und gieng ſo vor Alek¬
tryo, der ihm folgte, im Kreis durch die Kapelle wieder zu
den Gebeinen Gallina's zuruͤck.
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/87>, abgerufen am 17.02.2025.
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