nem Gemache fand ich eine große Freude. Da trat mir mein liebes Herzgespann mit dem schönsten Johannisengel entge¬ gen. Sie hatte ihr Kindlein, das liebste Röschen mit den schönsten Blumen umgeben und legte mir diesen lächelnden Johannisstrauß in die Arme. Ich dankte ihr von Herzen und lehnte das liebe Kind mit heißem Wunsche, Gott möge es segnen, an meine rechte Schulter. Ich betete still und gab es der Mutter wieder, die es aus den Blumen wickelte und auf mein Kissen legte. -- Nun erzählte ich dem lieben Herzgespann die Heilung Klaretas und das Geheimniß der Kleinode, da lehnte sie ihr Haupt unter Thränen auf meine rechte Schulter und sprach mit großer Junigkeit: "Amey! wie wächst mir der Frieden im Herzen, sieh, ich habe im¬ mer geahndet, es müße etwas Heiliges an dir seyn, darum machte es mich auch so glücklich, als du mein Röschen zu¬ erst in den Garten trugst, du hast es doch auf dem rechten Arme getragen?" -- "Ja," erwiederte ich: "aber fällt dir Nichts ein, was du einmal zu mir gesagt, da wir zusam¬ men im Kloster erzogen worden? ich habe gleich daran ge¬ dacht, als Klareta mir heute das vergessene Geheimniß der Achselspangen wieder eröffnete." -- "O ich habe dich noch nie vor mir wandeln sehen," erwiederte mein Herzgespann, "ohne daran zu denken; -- es war, da ich zum erstenmal in der Prozession das Marienbildlein mit dir auf den Schul¬ tern trug; wir waren vier Jungfrauen, und ich wandelte hinter dir, immer mußte ich deine Schultern anschauen, im¬ mer erwartete ich, es sollten Engelsflügel daraus hervorspro¬ ßen, weißt du noch, wie ich dich zu Haus umarmte und dir so ernsthaft sagte, es sey nicht ohne Bedeutung gewesen, daß in der Stunde deiner Geburt gesungen ward: "uns ist ein Kindlein geboren, sein Reich ist auf seinen Schultern" und daß dein Vater dich mit der Grafschaft Vadutz be¬ schenkte, indem er die Kleinodien auf die Schultern deiner Mutter heftete; -- sieh, damals schon, als Niemand mehr
nem Gemache fand ich eine große Freude. Da trat mir mein liebes Herzgeſpann mit dem ſchoͤnſten Johannisengel entge¬ gen. Sie hatte ihr Kindlein, das liebſte Roͤschen mit den ſchoͤnſten Blumen umgeben und legte mir dieſen laͤchelnden Johannisſtrauß in die Arme. Ich dankte ihr von Herzen und lehnte das liebe Kind mit heißem Wunſche, Gott moͤge es ſegnen, an meine rechte Schulter. Ich betete ſtill und gab es der Mutter wieder, die es aus den Blumen wickelte und auf mein Kiſſen legte. — Nun erzaͤhlte ich dem lieben Herzgeſpann die Heilung Klaretas und das Geheimniß der Kleinode, da lehnte ſie ihr Haupt unter Thraͤnen auf meine rechte Schulter und ſprach mit großer Junigkeit: „Amey! wie waͤchſt mir der Frieden im Herzen, ſieh, ich habe im¬ mer geahndet, es muͤße etwas Heiliges an dir ſeyn, darum machte es mich auch ſo gluͤcklich, als du mein Roͤschen zu¬ erſt in den Garten trugſt, du haſt es doch auf dem rechten Arme getragen?“ — „Ja,“ erwiederte ich: „aber faͤllt dir Nichts ein, was du einmal zu mir geſagt, da wir zuſam¬ men im Kloſter erzogen worden? ich habe gleich daran ge¬ dacht, als Klareta mir heute das vergeſſene Geheimniß der Achſelſpangen wieder eroͤffnete.“ — „O ich habe dich noch nie vor mir wandeln ſehen,“ erwiederte mein Herzgeſpann, „ohne daran zu denken; — es war, da ich zum erſtenmal in der Prozeſſion das Marienbildlein mit dir auf den Schul¬ tern trug; wir waren vier Jungfrauen, und ich wandelte hinter dir, immer mußte ich deine Schultern anſchauen, im¬ mer erwartete ich, es ſollten Engelsfluͤgel daraus hervorſpro¬ ßen, weißt du noch, wie ich dich zu Haus umarmte und dir ſo ernſthaft ſagte, es ſey nicht ohne Bedeutung geweſen, daß in der Stunde deiner Geburt geſungen ward: „uns iſt ein Kindlein geboren, ſein Reich iſt auf ſeinen Schultern“ und daß dein Vater dich mit der Grafſchaft Vadutz be¬ ſchenkte, indem er die Kleinodien auf die Schultern deiner Mutter heftete; — ſieh, damals ſchon, als Niemand mehr
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nem Gemache fand ich eine große Freude. Da trat mir mein
liebes Herzgeſpann mit dem ſchoͤnſten Johannisengel entge¬
gen. Sie hatte ihr Kindlein, das liebſte Roͤschen mit den
ſchoͤnſten Blumen umgeben und legte mir dieſen laͤchelnden
Johannisſtrauß in die Arme. Ich dankte ihr von Herzen
und lehnte das liebe Kind mit heißem Wunſche, Gott moͤge
es ſegnen, an meine rechte Schulter. Ich betete ſtill und
gab es der Mutter wieder, die es aus den Blumen wickelte
und auf mein Kiſſen legte. — Nun erzaͤhlte ich dem lieben
Herzgeſpann die Heilung Klaretas und das Geheimniß der
Kleinode, da lehnte ſie ihr Haupt unter Thraͤnen auf meine
rechte Schulter und ſprach mit großer Junigkeit: „Amey!
wie waͤchſt mir der Frieden im Herzen, ſieh, ich habe im¬
mer geahndet, es muͤße etwas Heiliges an dir ſeyn, darum
machte es mich auch ſo gluͤcklich, als du mein Roͤschen zu¬
erſt in den Garten trugſt, du haſt es doch auf dem rechten
Arme getragen?“ — „Ja,“ erwiederte ich: „aber faͤllt dir
Nichts ein, was du einmal zu mir geſagt, da wir zuſam¬
men im Kloſter erzogen worden? ich habe gleich daran ge¬
dacht, als Klareta mir heute das vergeſſene Geheimniß der
Achſelſpangen wieder eroͤffnete.“ — „O ich habe dich noch
nie vor mir wandeln ſehen,“ erwiederte mein Herzgeſpann,
„ohne daran zu denken; — es war, da ich zum erſtenmal
in der Prozeſſion das Marienbildlein mit dir auf den Schul¬
tern trug; wir waren vier Jungfrauen, und ich wandelte
hinter dir, immer mußte ich deine Schultern anſchauen, im¬
mer erwartete ich, es ſollten Engelsfluͤgel daraus hervorſpro¬
ßen, weißt du noch, wie ich dich zu Haus umarmte und
dir ſo ernſthaft ſagte, es ſey nicht ohne Bedeutung geweſen,
daß in der Stunde deiner Geburt geſungen ward: „uns iſt
ein Kindlein geboren, ſein Reich iſt auf ſeinen Schultern“
und daß dein Vater dich mit der Grafſchaft Vadutz be¬
ſchenkte, indem er die Kleinodien auf die Schultern deiner
Mutter heftete; — ſieh, damals ſchon, als Niemand mehr
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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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