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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Jetzt ist mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner
Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus diesen
zwei Jahren, wie von einer Andern und sage es dir, du
magst morgen die Schwestern darum fragen, ich zweifle nicht,
daß es so gewesen. Als wir nach Vadutz heim gekommen,
fanden wir Jürgo nicht mehr. Er war am Vorabend von
des Täufers Tag in der Kirche des Klosters Bänderen be¬
tend von seinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da
meine Stirne das Kleinod in Hennegau berührte, und er hatte
das Kloster nicht mehr verlassen. Sie hatten ihn aufgenom¬
men in ihren Orden. -- Ich aber bin gleich bei meiner An¬
kunft in Jürgos Hütte nächst unserm Haus gegangen und
habe mich an seinen Webstuhl gesetzt und an dem rothen
Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe seine
irren Weberlieder gesungen von dem Seelchen auf der Heide,
fort und fort bis dort drüben am Zaun, wo ich dir das
Tuch gegeben. -- Als nun der Klostervogt von Bänderen
zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Jürgos brachte,
worin dieser mir und den Schwestern Hütte, Webstuhl,
Garten und Alles, was er zurückgelassen, schenkte, und mir
sagen ließ, ich möchte doch das rothe Tuch fertig weben,
er wolle uns dafür geistlicher Weise eine Aussteuer bereiten
für eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn
ich saß schon am Webstuhl und sang die Weberlieder, als
sey das immer gewesen. -- So gieng ein Jahr vorüber,
Sonnenwende nahte heran, die Schwestern hörten, daß nach
deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern
ruhten, sie wollten mich nochmals um Hülfe hieher führen.
Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig;
auch fürchtete ich heimlich, Jürgo möge wieder krank wer¬
den, so ich genese. Erst um diese Zeit kam mein Zustand
zu den Ohren Jürgos in Bänderen, der ward sehr traurig
darum und starb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes.
Als das Sterbglöcklein um ihn läutete, schoß ich sein We¬

Jetzt iſt mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner
Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus dieſen
zwei Jahren, wie von einer Andern und ſage es dir, du
magſt morgen die Schweſtern darum fragen, ich zweifle nicht,
daß es ſo geweſen. Als wir nach Vadutz heim gekommen,
fanden wir Juͤrgo nicht mehr. Er war am Vorabend von
des Taͤufers Tag in der Kirche des Kloſters Baͤnderen be¬
tend von ſeinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da
meine Stirne das Kleinod in Hennegau beruͤhrte, und er hatte
das Kloſter nicht mehr verlaſſen. Sie hatten ihn aufgenom¬
men in ihren Orden. — Ich aber bin gleich bei meiner An¬
kunft in Juͤrgos Huͤtte naͤchſt unſerm Haus gegangen und
habe mich an ſeinen Webſtuhl geſetzt und an dem rothen
Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe ſeine
irren Weberlieder geſungen von dem Seelchen auf der Heide,
fort und fort bis dort druͤben am Zaun, wo ich dir das
Tuch gegeben. — Als nun der Kloſtervogt von Baͤnderen
zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Juͤrgos brachte,
worin dieſer mir und den Schweſtern Huͤtte, Webſtuhl,
Garten und Alles, was er zuruͤckgelaſſen, ſchenkte, und mir
ſagen ließ, ich moͤchte doch das rothe Tuch fertig weben,
er wolle uns dafuͤr geiſtlicher Weiſe eine Ausſteuer bereiten
fuͤr eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn
ich ſaß ſchon am Webſtuhl und ſang die Weberlieder, als
ſey das immer geweſen. — So gieng ein Jahr voruͤber,
Sonnenwende nahte heran, die Schweſtern hoͤrten, daß nach
deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern
ruhten, ſie wollten mich nochmals um Huͤlfe hieher fuͤhren.
Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig;
auch fuͤrchtete ich heimlich, Juͤrgo moͤge wieder krank wer¬
den, ſo ich geneſe. Erſt um dieſe Zeit kam mein Zuſtand
zu den Ohren Juͤrgos in Baͤnderen, der ward ſehr traurig
darum und ſtarb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes.
Als das Sterbgloͤcklein um ihn laͤutete, ſchoß ich ſein We¬

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[288/0342] Jetzt iſt mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus dieſen zwei Jahren, wie von einer Andern und ſage es dir, du magſt morgen die Schweſtern darum fragen, ich zweifle nicht, daß es ſo geweſen. Als wir nach Vadutz heim gekommen, fanden wir Juͤrgo nicht mehr. Er war am Vorabend von des Taͤufers Tag in der Kirche des Kloſters Baͤnderen be¬ tend von ſeinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da meine Stirne das Kleinod in Hennegau beruͤhrte, und er hatte das Kloſter nicht mehr verlaſſen. Sie hatten ihn aufgenom¬ men in ihren Orden. — Ich aber bin gleich bei meiner An¬ kunft in Juͤrgos Huͤtte naͤchſt unſerm Haus gegangen und habe mich an ſeinen Webſtuhl geſetzt und an dem rothen Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe ſeine irren Weberlieder geſungen von dem Seelchen auf der Heide, fort und fort bis dort druͤben am Zaun, wo ich dir das Tuch gegeben. — Als nun der Kloſtervogt von Baͤnderen zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Juͤrgos brachte, worin dieſer mir und den Schweſtern Huͤtte, Webſtuhl, Garten und Alles, was er zuruͤckgelaſſen, ſchenkte, und mir ſagen ließ, ich moͤchte doch das rothe Tuch fertig weben, er wolle uns dafuͤr geiſtlicher Weiſe eine Ausſteuer bereiten fuͤr eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn ich ſaß ſchon am Webſtuhl und ſang die Weberlieder, als ſey das immer geweſen. — So gieng ein Jahr voruͤber, Sonnenwende nahte heran, die Schweſtern hoͤrten, daß nach deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern ruhten, ſie wollten mich nochmals um Huͤlfe hieher fuͤhren. Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig; auch fuͤrchtete ich heimlich, Juͤrgo moͤge wieder krank wer¬ den, ſo ich geneſe. Erſt um dieſe Zeit kam mein Zuſtand zu den Ohren Juͤrgos in Baͤnderen, der ward ſehr traurig darum und ſtarb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes. Als das Sterbgloͤcklein um ihn laͤutete, ſchoß ich ſein We¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/342>, abgerufen am 22.11.2024.