Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Worte des hebräischen Mannes. -- Aber Curio von seinem
Bruder des Christenthums angeklagt, floh mit seiner Ge¬
mahlin Docka und seinen Söhnen über die Alpen nach Rhä¬
tien und fand dort Alles, wie ihm gesagt worden. Er baute
viele feste Schlösser und Flecken und setzte seine Söhne dar¬
auf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und sammelte Got¬
tesmänner in Gotteshäusern, und die da reif waren, säete
er aus in Gottesäckern und that alle Wege, wie man thut,
da man neue Lande und Leute gründet, das Reich Gottes
zu mehren auf Erden. -- Auf den beiden Schultern aber
trug er die heiligen Achselbänder, und wurden sie genannt die
Kleinode des Landes. Von Curio kamen diese Kleinode auf
seinen Enkel den Grafen Anselm von Montfort. Seine Gemah¬
linn brachte Zwillingsbrüder zur Welt, den Wolfbrand von Ro¬
thenfahn, dessen Schild war weiß mit rother Fahne, und
den Hego von Weißenfahn, dessen Schild war roth mit wei¬
ßer Fahne. Als der Graf Anselm seinem Tode nahe kam,
heftete er seiner Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die
Schultern und befahl ihr, ihre beiden Söhne gleich vor Gott
in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu
geben, und wenn sie endlich dem Einen die Lande überlasse,
solle sie ihm die beiden Edelsteine auf die Schultern heften
und diese niemals trennen, sonst würde großer Haß und Un¬
friede entstehen. -- Die Gräfinn von Montfort that nicht so,
sie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augen¬
diener mit rothen Wangen und einem Kirschenmund war viel
mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr,
aber weiß und bleich von Farbe; und sie hielt den Rothen¬
fahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er schlummerte
oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des lin¬
ken Edelsteins, und sie wiegte ihn mit dem Reime ein:

"Feuerothe Röselein,
Aus der Erde springt der Schein,

Worte des hebraͤiſchen Mannes. — Aber Curio von ſeinem
Bruder des Chriſtenthums angeklagt, floh mit ſeiner Ge¬
mahlin Docka und ſeinen Soͤhnen uͤber die Alpen nach Rhaͤ¬
tien und fand dort Alles, wie ihm geſagt worden. Er baute
viele feſte Schloͤſſer und Flecken und ſetzte ſeine Soͤhne dar¬
auf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und ſammelte Got¬
tesmaͤnner in Gotteshaͤuſern, und die da reif waren, ſaͤete
er aus in Gottesaͤckern und that alle Wege, wie man thut,
da man neue Lande und Leute gruͤndet, das Reich Gottes
zu mehren auf Erden. — Auf den beiden Schultern aber
trug er die heiligen Achſelbaͤnder, und wurden ſie genannt die
Kleinode des Landes. Von Curio kamen dieſe Kleinode auf
ſeinen Enkel den Grafen Anſelm von Montfort. Seine Gemah¬
linn brachte Zwillingsbruͤder zur Welt, den Wolfbrand von Ro¬
thenfahn, deſſen Schild war weiß mit rother Fahne, und
den Hego von Weißenfahn, deſſen Schild war roth mit wei¬
ßer Fahne. Als der Graf Anſelm ſeinem Tode nahe kam,
heftete er ſeiner Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die
Schultern und befahl ihr, ihre beiden Soͤhne gleich vor Gott
in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu
geben, und wenn ſie endlich dem Einen die Lande uͤberlaſſe,
ſolle ſie ihm die beiden Edelſteine auf die Schultern heften
und dieſe niemals trennen, ſonſt wuͤrde großer Haß und Un¬
friede entſtehen. — Die Graͤfinn von Montfort that nicht ſo,
ſie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augen¬
diener mit rothen Wangen und einem Kirſchenmund war viel
mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr,
aber weiß und bleich von Farbe; und ſie hielt den Rothen¬
fahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er ſchlummerte
oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des lin¬
ken Edelſteins, und ſie wiegte ihn mit dem Reime ein:

„Feuerothe Roͤſelein,
Aus der Erde ſpringt der Schein,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0336" n="282"/>
Worte des hebra&#x0364;i&#x017F;chen Mannes. &#x2014; Aber Curio von &#x017F;einem<lb/>
Bruder des Chri&#x017F;tenthums angeklagt, floh mit &#x017F;einer Ge¬<lb/>
mahlin Docka und &#x017F;einen So&#x0364;hnen u&#x0364;ber die Alpen nach Rha&#x0364;¬<lb/>
tien und fand dort Alles, wie ihm ge&#x017F;agt worden. Er baute<lb/>
viele fe&#x017F;te Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er und Flecken und &#x017F;etzte &#x017F;eine So&#x0364;hne dar¬<lb/>
auf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und &#x017F;ammelte Got¬<lb/>
tesma&#x0364;nner in Gottesha&#x0364;u&#x017F;ern, und die da reif waren, &#x017F;a&#x0364;ete<lb/>
er aus in Gottesa&#x0364;ckern und that alle Wege, wie man thut,<lb/>
da man neue Lande und Leute gru&#x0364;ndet, das Reich Gottes<lb/>
zu mehren auf Erden. &#x2014; Auf den beiden Schultern aber<lb/>
trug er die heiligen Ach&#x017F;elba&#x0364;nder, und wurden &#x017F;ie genannt die<lb/>
Kleinode des Landes. Von Curio kamen die&#x017F;e Kleinode auf<lb/>
&#x017F;einen Enkel den Grafen An&#x017F;elm von Montfort. Seine Gemah¬<lb/>
linn brachte Zwillingsbru&#x0364;der zur Welt, den Wolfbrand von Ro¬<lb/>
thenfahn, de&#x017F;&#x017F;en Schild war weiß mit rother Fahne, und<lb/>
den Hego von Weißenfahn, de&#x017F;&#x017F;en Schild war roth mit wei¬<lb/>
ßer Fahne. Als der Graf An&#x017F;elm &#x017F;einem Tode nahe kam,<lb/>
heftete er &#x017F;einer Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die<lb/>
Schultern und befahl ihr, ihre beiden So&#x0364;hne gleich vor Gott<lb/>
in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu<lb/>
geben, und wenn &#x017F;ie endlich dem Einen die Lande u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
&#x017F;olle &#x017F;ie ihm die beiden Edel&#x017F;teine auf die Schultern heften<lb/>
und die&#x017F;e niemals trennen, &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde großer Haß und Un¬<lb/>
friede ent&#x017F;tehen. &#x2014; Die Gra&#x0364;finn von Montfort that nicht &#x017F;o,<lb/>
&#x017F;ie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augen¬<lb/>
diener mit rothen Wangen und einem Kir&#x017F;chenmund war viel<lb/>
mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr,<lb/>
aber weiß und bleich von Farbe; und &#x017F;ie hielt den Rothen¬<lb/>
fahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er &#x017F;chlummerte<lb/>
oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des lin¬<lb/>
ken Edel&#x017F;teins, und &#x017F;ie wiegte ihn mit dem Reime ein:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201E;Feuerothe Ro&#x0364;&#x017F;elein,</l><lb/>
            <l>Aus der Erde &#x017F;pringt der Schein,</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0336] Worte des hebraͤiſchen Mannes. — Aber Curio von ſeinem Bruder des Chriſtenthums angeklagt, floh mit ſeiner Ge¬ mahlin Docka und ſeinen Soͤhnen uͤber die Alpen nach Rhaͤ¬ tien und fand dort Alles, wie ihm geſagt worden. Er baute viele feſte Schloͤſſer und Flecken und ſetzte ſeine Soͤhne dar¬ auf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und ſammelte Got¬ tesmaͤnner in Gotteshaͤuſern, und die da reif waren, ſaͤete er aus in Gottesaͤckern und that alle Wege, wie man thut, da man neue Lande und Leute gruͤndet, das Reich Gottes zu mehren auf Erden. — Auf den beiden Schultern aber trug er die heiligen Achſelbaͤnder, und wurden ſie genannt die Kleinode des Landes. Von Curio kamen dieſe Kleinode auf ſeinen Enkel den Grafen Anſelm von Montfort. Seine Gemah¬ linn brachte Zwillingsbruͤder zur Welt, den Wolfbrand von Ro¬ thenfahn, deſſen Schild war weiß mit rother Fahne, und den Hego von Weißenfahn, deſſen Schild war roth mit wei¬ ßer Fahne. Als der Graf Anſelm ſeinem Tode nahe kam, heftete er ſeiner Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die Schultern und befahl ihr, ihre beiden Soͤhne gleich vor Gott in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu geben, und wenn ſie endlich dem Einen die Lande uͤberlaſſe, ſolle ſie ihm die beiden Edelſteine auf die Schultern heften und dieſe niemals trennen, ſonſt wuͤrde großer Haß und Un¬ friede entſtehen. — Die Graͤfinn von Montfort that nicht ſo, ſie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augen¬ diener mit rothen Wangen und einem Kirſchenmund war viel mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr, aber weiß und bleich von Farbe; und ſie hielt den Rothen¬ fahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er ſchlummerte oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des lin¬ ken Edelſteins, und ſie wiegte ihn mit dem Reime ein: „Feuerothe Roͤſelein, Aus der Erde ſpringt der Schein,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/336
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/336>, abgerufen am 03.05.2024.