Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Erde dringt der Wein;
Roth schwing ich mein Fähnelein."

Der Weißenfahn aber mußte wie der Knecht des Bru¬
ders sein und auch meist die Strafe für ihn aushalten. So
erzog sie ein rechtes Unkraut an dem Wolfbrand, und er hatte
eine harte Stirne wie ein Widder, sein Sinn war zäh und
sein Haar war kraus, und weil Hego alles mußte, was er
wollte und er Alles wollte, das diesem weh that, so hatte
er sich ein Spiel erdacht, das nannte er Hammelstutz. Es be¬
stand aber darin, daß er "Hammel, Hammel stutz!" sagte und
mit seiner harten Stirne gegen die Stirne seines armen Bru¬
ders rannte, daß dieser wie ein Lamm von einem Widder
niedergestoßen, oft blutend zur Erde stürzte; und wenn der
Bruder fiel, rief der böse Bube: "Vadutz!" und die Mut¬
ter und er gaben dem Hego den Spottnamen Vadutz. Die¬
ser aber war gütig und weise, liebte Mutter und Bruder
und nahm in Allem zu. -- Als nun die Mutter zum Ster¬
ben kam und einem der Söhne die beiden Edelsteine auf
die Schulter heften und das Land übergeben sollte, wählte
sie ihren Liebling Wolfbrand dazu. Dieser aber sprach tro¬
tzig: "ich mag den Stein da drüben nicht, da hat der Vadutz
daran geruht, er mag ihn behalten, so ich einmal Lust da¬
zu habe, mache ich Hammelstutz, da plumpst er nieder Va¬
dutz! und ich nehme ihm den Stein, das macht mir mehr
Spaß." -- Die Mutter konnte ihm nichts abschlagen; da
heftete sich Wolfbrand den linken Edelstein selbst auf die
linke Schulter und die Mutter übergab ihm zugleich das ganze
Land. Hego aber kniete mit gefaltenen Händen betend am
Sterbebett der Mutter und bat sie um den Segen, da hef¬
tete sie ihm den Edelstein auf die rechte Schulter und sprach:
"dein Bruder hat alles Land, aber da drüben liegt ein stei¬
ler, oder Berg, da gehen meine Schafe, ich schenke dir die
Schafe und den Berg, da bau dir dein Haus." Der Jüng¬
ling benetzte die Hand der sterbenden Mutter mit Thränen

Aus der Erde dringt der Wein;
Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein.“

Der Weißenfahn aber mußte wie der Knecht des Bru¬
ders ſein und auch meiſt die Strafe fuͤr ihn aushalten. So
erzog ſie ein rechtes Unkraut an dem Wolfbrand, und er hatte
eine harte Stirne wie ein Widder, ſein Sinn war zaͤh und
ſein Haar war kraus, und weil Hego alles mußte, was er
wollte und er Alles wollte, das dieſem weh that, ſo hatte
er ſich ein Spiel erdacht, das nannte er Hammelſtutz. Es be¬
ſtand aber darin, daß er „Hammel, Hammel ſtutz!“ ſagte und
mit ſeiner harten Stirne gegen die Stirne ſeines armen Bru¬
ders rannte, daß dieſer wie ein Lamm von einem Widder
niedergeſtoßen, oft blutend zur Erde ſtuͤrzte; und wenn der
Bruder fiel, rief der boͤſe Bube: „Vadutz!“ und die Mut¬
ter und er gaben dem Hego den Spottnamen Vadutz. Die¬
ſer aber war guͤtig und weiſe, liebte Mutter und Bruder
und nahm in Allem zu. — Als nun die Mutter zum Ster¬
ben kam und einem der Soͤhne die beiden Edelſteine auf
die Schulter heften und das Land uͤbergeben ſollte, waͤhlte
ſie ihren Liebling Wolfbrand dazu. Dieſer aber ſprach tro¬
tzig: „ich mag den Stein da druͤben nicht, da hat der Vadutz
daran geruht, er mag ihn behalten, ſo ich einmal Luſt da¬
zu habe, mache ich Hammelſtutz, da plumpſt er nieder Va¬
dutz! und ich nehme ihm den Stein, das macht mir mehr
Spaß.“ — Die Mutter konnte ihm nichts abſchlagen; da
heftete ſich Wolfbrand den linken Edelſtein ſelbſt auf die
linke Schulter und die Mutter uͤbergab ihm zugleich das ganze
Land. Hego aber kniete mit gefaltenen Haͤnden betend am
Sterbebett der Mutter und bat ſie um den Segen, da hef¬
tete ſie ihm den Edelſtein auf die rechte Schulter und ſprach:
„dein Bruder hat alles Land, aber da druͤben liegt ein ſtei¬
ler, oder Berg, da gehen meine Schafe, ich ſchenke dir die
Schafe und den Berg, da bau dir dein Haus.“ Der Juͤng¬
ling benetzte die Hand der ſterbenden Mutter mit Thraͤnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0337" n="283"/>
            <l>Aus der Erde dringt der Wein;</l><lb/>
            <l>Roth &#x017F;chwing ich mein Fa&#x0364;hnelein.&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <p>Der Weißenfahn aber mußte wie der Knecht des Bru¬<lb/>
ders &#x017F;ein und auch mei&#x017F;t die Strafe fu&#x0364;r ihn aushalten. So<lb/>
erzog &#x017F;ie ein rechtes Unkraut an dem Wolfbrand, und er hatte<lb/>
eine harte Stirne wie ein Widder, &#x017F;ein Sinn war za&#x0364;h und<lb/>
&#x017F;ein Haar war kraus, und weil Hego alles mußte, was er<lb/>
wollte und er Alles wollte, das die&#x017F;em weh that, &#x017F;o hatte<lb/>
er &#x017F;ich ein Spiel erdacht, das nannte er Hammel&#x017F;tutz. Es be¬<lb/>
&#x017F;tand aber darin, daß er &#x201E;Hammel, Hammel &#x017F;tutz!&#x201C; &#x017F;agte und<lb/>
mit &#x017F;einer harten Stirne gegen die Stirne &#x017F;eines armen Bru¬<lb/>
ders rannte, daß die&#x017F;er wie ein Lamm von einem Widder<lb/>
niederge&#x017F;toßen, oft blutend zur Erde &#x017F;tu&#x0364;rzte; und wenn der<lb/>
Bruder fiel, rief der bo&#x0364;&#x017F;e Bube: &#x201E;Vadutz!&#x201C; und die Mut¬<lb/>
ter und er gaben dem Hego den Spottnamen Vadutz. Die¬<lb/>
&#x017F;er aber war gu&#x0364;tig und wei&#x017F;e, liebte Mutter und Bruder<lb/>
und nahm in Allem zu. &#x2014; Als nun die Mutter zum Ster¬<lb/>
ben kam und einem der So&#x0364;hne die beiden Edel&#x017F;teine auf<lb/>
die Schulter heften und das Land u&#x0364;bergeben &#x017F;ollte, wa&#x0364;hlte<lb/>
&#x017F;ie ihren Liebling Wolfbrand dazu. Die&#x017F;er aber &#x017F;prach tro¬<lb/>
tzig: &#x201E;ich mag den Stein da dru&#x0364;ben nicht, da hat der Vadutz<lb/>
daran geruht, er mag ihn behalten, &#x017F;o ich einmal Lu&#x017F;t da¬<lb/>
zu habe, mache ich Hammel&#x017F;tutz, da plump&#x017F;t er nieder Va¬<lb/>
dutz! und ich nehme ihm den Stein, das macht mir mehr<lb/>
Spaß.&#x201C; &#x2014; Die Mutter konnte ihm nichts ab&#x017F;chlagen; da<lb/>
heftete &#x017F;ich Wolfbrand den linken Edel&#x017F;tein &#x017F;elb&#x017F;t auf die<lb/>
linke Schulter und die Mutter u&#x0364;bergab ihm zugleich das ganze<lb/>
Land. Hego aber kniete mit gefaltenen Ha&#x0364;nden betend am<lb/>
Sterbebett der Mutter und bat &#x017F;ie um den Segen, da hef¬<lb/>
tete &#x017F;ie ihm den Edel&#x017F;tein auf die rechte Schulter und &#x017F;prach:<lb/>
&#x201E;dein Bruder hat alles Land, aber da dru&#x0364;ben liegt ein &#x017F;tei¬<lb/>
ler, oder Berg, da gehen meine Schafe, ich &#x017F;chenke dir die<lb/>
Schafe und den Berg, da bau dir dein Haus.&#x201C; Der Ju&#x0364;ng¬<lb/>
ling benetzte die Hand der &#x017F;terbenden Mutter mit Thra&#x0364;nen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0337] Aus der Erde dringt der Wein; Roth ſchwing ich mein Faͤhnelein.“ Der Weißenfahn aber mußte wie der Knecht des Bru¬ ders ſein und auch meiſt die Strafe fuͤr ihn aushalten. So erzog ſie ein rechtes Unkraut an dem Wolfbrand, und er hatte eine harte Stirne wie ein Widder, ſein Sinn war zaͤh und ſein Haar war kraus, und weil Hego alles mußte, was er wollte und er Alles wollte, das dieſem weh that, ſo hatte er ſich ein Spiel erdacht, das nannte er Hammelſtutz. Es be¬ ſtand aber darin, daß er „Hammel, Hammel ſtutz!“ ſagte und mit ſeiner harten Stirne gegen die Stirne ſeines armen Bru¬ ders rannte, daß dieſer wie ein Lamm von einem Widder niedergeſtoßen, oft blutend zur Erde ſtuͤrzte; und wenn der Bruder fiel, rief der boͤſe Bube: „Vadutz!“ und die Mut¬ ter und er gaben dem Hego den Spottnamen Vadutz. Die¬ ſer aber war guͤtig und weiſe, liebte Mutter und Bruder und nahm in Allem zu. — Als nun die Mutter zum Ster¬ ben kam und einem der Soͤhne die beiden Edelſteine auf die Schulter heften und das Land uͤbergeben ſollte, waͤhlte ſie ihren Liebling Wolfbrand dazu. Dieſer aber ſprach tro¬ tzig: „ich mag den Stein da druͤben nicht, da hat der Vadutz daran geruht, er mag ihn behalten, ſo ich einmal Luſt da¬ zu habe, mache ich Hammelſtutz, da plumpſt er nieder Va¬ dutz! und ich nehme ihm den Stein, das macht mir mehr Spaß.“ — Die Mutter konnte ihm nichts abſchlagen; da heftete ſich Wolfbrand den linken Edelſtein ſelbſt auf die linke Schulter und die Mutter uͤbergab ihm zugleich das ganze Land. Hego aber kniete mit gefaltenen Haͤnden betend am Sterbebett der Mutter und bat ſie um den Segen, da hef¬ tete ſie ihm den Edelſtein auf die rechte Schulter und ſprach: „dein Bruder hat alles Land, aber da druͤben liegt ein ſtei¬ ler, oder Berg, da gehen meine Schafe, ich ſchenke dir die Schafe und den Berg, da bau dir dein Haus.“ Der Juͤng¬ ling benetzte die Hand der ſterbenden Mutter mit Thraͤnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/337
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/337>, abgerufen am 25.11.2024.