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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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stand neben demselben ihr irdisches Kleid im Sarge auf einer
Tragbahre; nicht weit von diesem aber bei jenen Kräutern,
die bei dem Begräbniß Gallina's so großes Beileid bezeigt
hatten, stand die Erscheinung von acht altfränkisch festlich ge¬
kleideten Jungfrauen, sie waren mit Kräutern bekränzt und
mit einem Orden an amaranthfarbigem Band geschmückt.
Eine Jede trug ein schönes Huhn in einem Körbchen unter
dem Arm. Sie blickten alle mit dem Ausdruck ernster Freude
und Rührung nach dem Geiste und dem Leibe der Ahnfrau
und waren in einer lieblich schwebenden Bewegung. Sie
schienen Etwas zu erwarten, die Tragbahre war mit einer
tiefrothen Sammtdecke, worauf das Hennegausche Wappen
in Gold gestickt, bedeckt. Auf dieser Bahre stand nun der
offne Sarg, worin die liebste Frau Urhinkel ruhte; aber welch
ein seltsamer Sarg! es war ein langer Gitterkorb von Zypressen
und Myrthenzweigen geflochten und mit erstaunlich vielerlei
Blumen durchschlungen, welche durch ihre Namen und Be¬
deutungen ausdrückten, wie sehr die Todte von den Armen ge¬
liebt worden war, die ihr den Sarg geflochten und ausge¬
schmückt hatten und ihrer Leiche gefolgt waren. Gackeleia
hatte oft von dem Blumensarg ihrer Ahnfrau erzählen hören.
Es gab ein Mährchen davon in der Gockelschen Familie, das
man den Kindern erzählte, um ihnen Milde gegen die Ar¬
men einzuflößen. -- Nun sah sie diesen Blumensarg vor ih¬
ren Augen; aber er war ganz welk und verdorrt. -- Sie
wollte um Alles in der Welt den Blumensarg wieder in sei¬
ner ganzen Schönheit sehen. So drehte sie dann den Ring
Salomonis mit den Worten:

"Salomo, du weiser König,
Dem die Geister unterthänig,
Lasse neu den Sarg verzieren
Mit des Dankes Blumengaben;
Wolle uns vorüber führen
Alle Armen, alle Kinder,

ſtand neben demſelben ihr irdiſches Kleid im Sarge auf einer
Tragbahre; nicht weit von dieſem aber bei jenen Kraͤutern,
die bei dem Begraͤbniß Gallina's ſo großes Beileid bezeigt
hatten, ſtand die Erſcheinung von acht altfraͤnkiſch feſtlich ge¬
kleideten Jungfrauen, ſie waren mit Kraͤutern bekraͤnzt und
mit einem Orden an amaranthfarbigem Band geſchmuͤckt.
Eine Jede trug ein ſchoͤnes Huhn in einem Koͤrbchen unter
dem Arm. Sie blickten alle mit dem Ausdruck ernſter Freude
und Ruͤhrung nach dem Geiſte und dem Leibe der Ahnfrau
und waren in einer lieblich ſchwebenden Bewegung. Sie
ſchienen Etwas zu erwarten, die Tragbahre war mit einer
tiefrothen Sammtdecke, worauf das Hennegauſche Wappen
in Gold geſtickt, bedeckt. Auf dieſer Bahre ſtand nun der
offne Sarg, worin die liebſte Frau Urhinkel ruhte; aber welch
ein ſeltſamer Sarg! es war ein langer Gitterkorb von Zypreſſen
und Myrthenzweigen geflochten und mit erſtaunlich vielerlei
Blumen durchſchlungen, welche durch ihre Namen und Be¬
deutungen ausdruͤckten, wie ſehr die Todte von den Armen ge¬
liebt worden war, die ihr den Sarg geflochten und ausge¬
ſchmuͤckt hatten und ihrer Leiche gefolgt waren. Gackeleia
hatte oft von dem Blumenſarg ihrer Ahnfrau erzaͤhlen hoͤren.
Es gab ein Maͤhrchen davon in der Gockelſchen Familie, das
man den Kindern erzaͤhlte, um ihnen Milde gegen die Ar¬
men einzufloͤßen. — Nun ſah ſie dieſen Blumenſarg vor ih¬
ren Augen; aber er war ganz welk und verdorrt. — Sie
wollte um Alles in der Welt den Blumenſarg wieder in ſei¬
ner ganzen Schoͤnheit ſehen. So drehte ſie dann den Ring
Salomonis mit den Worten:

„Salomo, du weiſer Koͤnig,
Dem die Geiſter unterthaͤnig,
Laſſe neu den Sarg verzieren
Mit des Dankes Blumengaben;
Wolle uns voruͤber fuͤhren
Alle Armen, alle Kinder,
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[192/0244] ſtand neben demſelben ihr irdiſches Kleid im Sarge auf einer Tragbahre; nicht weit von dieſem aber bei jenen Kraͤutern, die bei dem Begraͤbniß Gallina's ſo großes Beileid bezeigt hatten, ſtand die Erſcheinung von acht altfraͤnkiſch feſtlich ge¬ kleideten Jungfrauen, ſie waren mit Kraͤutern bekraͤnzt und mit einem Orden an amaranthfarbigem Band geſchmuͤckt. Eine Jede trug ein ſchoͤnes Huhn in einem Koͤrbchen unter dem Arm. Sie blickten alle mit dem Ausdruck ernſter Freude und Ruͤhrung nach dem Geiſte und dem Leibe der Ahnfrau und waren in einer lieblich ſchwebenden Bewegung. Sie ſchienen Etwas zu erwarten, die Tragbahre war mit einer tiefrothen Sammtdecke, worauf das Hennegauſche Wappen in Gold geſtickt, bedeckt. Auf dieſer Bahre ſtand nun der offne Sarg, worin die liebſte Frau Urhinkel ruhte; aber welch ein ſeltſamer Sarg! es war ein langer Gitterkorb von Zypreſſen und Myrthenzweigen geflochten und mit erſtaunlich vielerlei Blumen durchſchlungen, welche durch ihre Namen und Be¬ deutungen ausdruͤckten, wie ſehr die Todte von den Armen ge¬ liebt worden war, die ihr den Sarg geflochten und ausge¬ ſchmuͤckt hatten und ihrer Leiche gefolgt waren. Gackeleia hatte oft von dem Blumenſarg ihrer Ahnfrau erzaͤhlen hoͤren. Es gab ein Maͤhrchen davon in der Gockelſchen Familie, das man den Kindern erzaͤhlte, um ihnen Milde gegen die Ar¬ men einzufloͤßen. — Nun ſah ſie dieſen Blumenſarg vor ih¬ ren Augen; aber er war ganz welk und verdorrt. — Sie wollte um Alles in der Welt den Blumenſarg wieder in ſei¬ ner ganzen Schoͤnheit ſehen. So drehte ſie dann den Ring Salomonis mit den Worten: „Salomo, du weiſer Koͤnig, Dem die Geiſter unterthaͤnig, Laſſe neu den Sarg verzieren Mit des Dankes Blumengaben; Wolle uns voruͤber fuͤhren Alle Armen, alle Kinder,

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/244>, abgerufen am 19.04.2024.