Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

auf es mäuschenstille ward. -- Da nun Alles in der Kir¬
che, und die ganze Stadt todt und stille war, warf ich
noch einen Blick auf die seltsamen Gebäude im Sternenlicht.
Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit
ward es um die Seele, meine Locken schienen mir Gefühle
und Wünsche, die sich sehnten, im Winde zu spielen, und
ich gab sie ihm hin; denn, horch', jetzt kam auch ein Wehen
und regte die Wipfel des Hains auf; sieh, und das Eben¬
bild unsrer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die
schwärmerische, die Nacht kam, trunken von Sternen und
wohl wenig bekümmert um uns glänzte die Erstaunende dort,
die Fremdliugin unter den Menschen, über Gebirgsanhöhen
traurig und prächtig herauf! -- Ach! da dachte ich nichts
mehr, als wäre nur Vater und Mutter hier, und wenn selbst
nur Kronovus hier wäre, daß ich mittheilen könnte, was
ich fühle! ja liebe Eltern, es giebt Eindrücke, die
ein armes Kind nicht allein fassen kann, wo es sich anklam¬
mern möchte an ein vertrautes festeres Wesen, wie an ei¬
nen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der
Empfindung anschwillt und uns reißend ins weite Meer der
Begeisterung dahin tragen will! -- nirgends aber ist dieses
mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mondschein" --
da hielt Gackeleia ein wenig in der Erzählung ein, Frau
Hinkel schloß sie ans Herz und sagte: "O das ist eine sehr
poetische Stelle, o das ist aus meinem Herzen, ja du bist
mein Kind, mein herz- und seelenvolles Kind, auch mich
hätte einst zu Gelnhausen im Pallast Barbarossa's im Mond¬
schein der Strom der Empfindung ins Meer der Begeisterung
reißend dahin getragen, -- aber Vater Gockel war bei mir
und so einerlei, daß ich nicht so allerlei empfinden konnte."
"Bleibe bei der Wahrheit", sagte Gockel, "du hast doch zweier¬
lei empfunden, du hast an die Fleischerladen und Bäckerladen ge¬
dacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, sage
ich: ich müßte mich sehr irren, oder du bist eine Schwärmerin

auf es maͤuschenſtille ward. — Da nun Alles in der Kir¬
che, und die ganze Stadt todt und ſtille war, warf ich
noch einen Blick auf die ſeltſamen Gebaͤude im Sternenlicht.
Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit
ward es um die Seele, meine Locken ſchienen mir Gefuͤhle
und Wuͤnſche, die ſich ſehnten, im Winde zu ſpielen, und
ich gab ſie ihm hin; denn, horch', jetzt kam auch ein Wehen
und regte die Wipfel des Hains auf; ſieh, und das Eben¬
bild unſrer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die
ſchwaͤrmeriſche, die Nacht kam, trunken von Sternen und
wohl wenig bekuͤmmert um uns glaͤnzte die Erſtaunende dort,
die Fremdliugin unter den Menſchen, uͤber Gebirgsanhoͤhen
traurig und praͤchtig herauf! — Ach! da dachte ich nichts
mehr, als waͤre nur Vater und Mutter hier, und wenn ſelbſt
nur Kronovus hier waͤre, daß ich mittheilen koͤnnte, was
ich fuͤhle! ja liebe Eltern, es giebt Eindruͤcke, die
ein armes Kind nicht allein faſſen kann, wo es ſich anklam¬
mern moͤchte an ein vertrautes feſteres Weſen, wie an ei¬
nen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der
Empfindung anſchwillt und uns reißend ins weite Meer der
Begeiſterung dahin tragen will! — nirgends aber iſt dieſes
mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mondſchein“ —
da hielt Gackeleia ein wenig in der Erzaͤhlung ein, Frau
Hinkel ſchloß ſie ans Herz und ſagte: „O das iſt eine ſehr
poetiſche Stelle, o das iſt aus meinem Herzen, ja du biſt
mein Kind, mein herz- und ſeelenvolles Kind, auch mich
haͤtte einſt zu Gelnhauſen im Pallaſt Barbaroſſa's im Mond¬
ſchein der Strom der Empfindung ins Meer der Begeiſterung
reißend dahin getragen, — aber Vater Gockel war bei mir
und ſo einerlei, daß ich nicht ſo allerlei empfinden konnte.“
„Bleibe bei der Wahrheit“, ſagte Gockel, „du haſt doch zweier¬
lei empfunden, du haſt an die Fleiſcherladen und Baͤckerladen ge¬
dacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, ſage
ich: ich muͤßte mich ſehr irren, oder du biſt eine Schwaͤrmerin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0207" n="159"/>
auf es ma&#x0364;uschen&#x017F;tille ward. &#x2014; Da nun Alles in der Kir¬<lb/>
che, und die ganze Stadt todt und &#x017F;tille war, warf ich<lb/>
noch einen Blick auf die &#x017F;elt&#x017F;amen Geba&#x0364;ude im Sternenlicht.<lb/>
Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit<lb/>
ward es um die Seele, meine Locken &#x017F;chienen mir Gefu&#x0364;hle<lb/>
und Wu&#x0364;n&#x017F;che, die &#x017F;ich &#x017F;ehnten, im Winde zu &#x017F;pielen, und<lb/>
ich gab &#x017F;ie ihm hin; denn, horch', jetzt kam auch ein Wehen<lb/>
und regte die Wipfel des Hains auf; &#x017F;ieh, und das Eben¬<lb/>
bild un&#x017F;rer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;rmeri&#x017F;che, die Nacht kam, trunken von Sternen und<lb/>
wohl wenig beku&#x0364;mmert um uns gla&#x0364;nzte die Er&#x017F;taunende dort,<lb/>
die Fremdliugin unter den Men&#x017F;chen, u&#x0364;ber Gebirgsanho&#x0364;hen<lb/>
traurig und pra&#x0364;chtig herauf! &#x2014; Ach! da dachte ich nichts<lb/>
mehr, als wa&#x0364;re nur Vater und Mutter hier, und wenn &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nur Kronovus hier wa&#x0364;re, daß ich mittheilen ko&#x0364;nnte, was<lb/>
ich fu&#x0364;hle! ja liebe Eltern, es giebt Eindru&#x0364;cke, die<lb/>
ein armes Kind nicht allein fa&#x017F;&#x017F;en kann, wo es &#x017F;ich anklam¬<lb/>
mern mo&#x0364;chte an ein vertrautes fe&#x017F;teres We&#x017F;en, wie an ei¬<lb/>
nen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der<lb/>
Empfindung an&#x017F;chwillt und uns reißend ins weite Meer der<lb/>
Begei&#x017F;terung dahin tragen will! &#x2014; nirgends aber i&#x017F;t die&#x017F;es<lb/>
mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mond&#x017F;chein&#x201C; &#x2014;<lb/>
da hielt Gackeleia ein wenig in der Erza&#x0364;hlung ein, Frau<lb/>
Hinkel &#x017F;chloß &#x017F;ie ans Herz und &#x017F;agte: &#x201E;O das i&#x017F;t eine &#x017F;ehr<lb/>
poeti&#x017F;che Stelle, o das i&#x017F;t aus meinem Herzen, ja du bi&#x017F;t<lb/>
mein Kind, mein herz- und &#x017F;eelenvolles Kind, auch mich<lb/>
ha&#x0364;tte ein&#x017F;t zu Gelnhau&#x017F;en im Palla&#x017F;t Barbaro&#x017F;&#x017F;a's im Mond¬<lb/>
&#x017F;chein der Strom der Empfindung ins Meer der Begei&#x017F;terung<lb/>
reißend dahin getragen, &#x2014; aber Vater Gockel war bei mir<lb/>
und &#x017F;o einerlei, daß ich nicht &#x017F;o allerlei empfinden konnte.&#x201C;<lb/>
&#x201E;Bleibe bei der Wahrheit&#x201C;, &#x017F;agte Gockel, &#x201E;du ha&#x017F;t doch zweier¬<lb/>
lei empfunden, du ha&#x017F;t an die Flei&#x017F;cherladen und Ba&#x0364;ckerladen ge¬<lb/>
dacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, &#x017F;age<lb/>
ich: ich mu&#x0364;ßte mich &#x017F;ehr irren, oder du bi&#x017F;t eine Schwa&#x0364;rmerin<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0207] auf es maͤuschenſtille ward. — Da nun Alles in der Kir¬ che, und die ganze Stadt todt und ſtille war, warf ich noch einen Blick auf die ſeltſamen Gebaͤude im Sternenlicht. Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit ward es um die Seele, meine Locken ſchienen mir Gefuͤhle und Wuͤnſche, die ſich ſehnten, im Winde zu ſpielen, und ich gab ſie ihm hin; denn, horch', jetzt kam auch ein Wehen und regte die Wipfel des Hains auf; ſieh, und das Eben¬ bild unſrer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die ſchwaͤrmeriſche, die Nacht kam, trunken von Sternen und wohl wenig bekuͤmmert um uns glaͤnzte die Erſtaunende dort, die Fremdliugin unter den Menſchen, uͤber Gebirgsanhoͤhen traurig und praͤchtig herauf! — Ach! da dachte ich nichts mehr, als waͤre nur Vater und Mutter hier, und wenn ſelbſt nur Kronovus hier waͤre, daß ich mittheilen koͤnnte, was ich fuͤhle! ja liebe Eltern, es giebt Eindruͤcke, die ein armes Kind nicht allein faſſen kann, wo es ſich anklam¬ mern moͤchte an ein vertrautes feſteres Weſen, wie an ei¬ nen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der Empfindung anſchwillt und uns reißend ins weite Meer der Begeiſterung dahin tragen will! — nirgends aber iſt dieſes mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mondſchein“ — da hielt Gackeleia ein wenig in der Erzaͤhlung ein, Frau Hinkel ſchloß ſie ans Herz und ſagte: „O das iſt eine ſehr poetiſche Stelle, o das iſt aus meinem Herzen, ja du biſt mein Kind, mein herz- und ſeelenvolles Kind, auch mich haͤtte einſt zu Gelnhauſen im Pallaſt Barbaroſſa's im Mond¬ ſchein der Strom der Empfindung ins Meer der Begeiſterung reißend dahin getragen, — aber Vater Gockel war bei mir und ſo einerlei, daß ich nicht ſo allerlei empfinden konnte.“ „Bleibe bei der Wahrheit“, ſagte Gockel, „du haſt doch zweier¬ lei empfunden, du haſt an die Fleiſcherladen und Baͤckerladen ge¬ dacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, ſage ich: ich muͤßte mich ſehr irren, oder du biſt eine Schwaͤrmerin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/207
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/207>, abgerufen am 28.03.2024.