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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Sänger weiter gezogen waren; dann aber richtete ich mich
auf und sah die schönste Procession ein wenig an. An der
Spitze gieng die schöne Kunstfigur, umgeben von der könig¬
lichen Familie und dem ganzen Hofstaat. Unter den Hof¬
fräulein sah ich eine viel zu große, kuriose Person mitgehen,
sie war wie eine Riesin unter ihnen, tanzte mehr als sie
gieng, und ihre Stimme paßte gar nicht in den Gesang.
Hierauf folgten mehrere fremdartige Mäuse, sie unterschie¬
den sich nicht nur durch Gestalt, Größe und Farbe, sondern
auch leider meistens durch ihr nicht sehr erbauliches Betra¬
gen; sie guckten viel umher und flüsterten immer sehr ange¬
legentlich unter einander. Ich erfuhr später, wer sie waren.
Auf sie folgten alle adelichen Geschlechter, worunter das
schöne Geschlecht meistens aus weißen Mäuschen von hoher
Zartheit und Delikatesse bestand. Alle, von welchen ich bis
jetzt gesprochen, trugen Fackeln, aus leuchtenden Johanniskä¬
fern bestehend, welche ihnen die herumschweifenden Fleder¬
mäuse hatten einfangen müssen. Hierauf folgten nun die
Bürgerlichen und endlich die Landmäuse, alle in ihren Na¬
tional- und Naturalfarben; diese bedienten sich der Splitter
von leuchtendem faulem Holze als Fackeln, welche sie im
Vorübergehen an einem alten Weidenstumpf abbissen. Ich
kann euch gar nicht sagen, wie feierlich sich der Zug der vie¬
len kleinen Lichter durch die Straßen der wunderlichen Mäu¬
sestadt den Hügel hinan in den ehrwürdigen Dom hinein
schlängelte -- es war, als wenn die Funken an einem ver¬
glimmenden Zunderlappen hinlaufen; weißt du noch Vater,
du sagtest mir manchmal in Gelnhausen am Kamin, "das sind
die Studentchen, die aus der Schule laufen", ich dachte noch
an diese deine Rede. Vor der Thüre der Kirche empfieng eine
sehr elegante Maus an der Spitze der andern Kirchenmäuse
die schöne Kunstfigur und den Hof und geleitete sie in den
Dom, den ich nun aus allen seinen Oeffnungen erleuchtet
sah; dann vernahm ich einen sanft pfeifenden Gesang, wor¬

Saͤnger weiter gezogen waren; dann aber richtete ich mich
auf und ſah die ſchoͤnſte Proceſſion ein wenig an. An der
Spitze gieng die ſchoͤne Kunſtfigur, umgeben von der koͤnig¬
lichen Familie und dem ganzen Hofſtaat. Unter den Hof¬
fraͤulein ſah ich eine viel zu große, kurioſe Perſon mitgehen,
ſie war wie eine Rieſin unter ihnen, tanzte mehr als ſie
gieng, und ihre Stimme paßte gar nicht in den Geſang.
Hierauf folgten mehrere fremdartige Maͤuſe, ſie unterſchie¬
den ſich nicht nur durch Geſtalt, Groͤße und Farbe, ſondern
auch leider meiſtens durch ihr nicht ſehr erbauliches Betra¬
gen; ſie guckten viel umher und fluͤſterten immer ſehr ange¬
legentlich unter einander. Ich erfuhr ſpaͤter, wer ſie waren.
Auf ſie folgten alle adelichen Geſchlechter, worunter das
ſchoͤne Geſchlecht meiſtens aus weißen Maͤuschen von hoher
Zartheit und Delikateſſe beſtand. Alle, von welchen ich bis
jetzt geſprochen, trugen Fackeln, aus leuchtenden Johanniskaͤ¬
fern beſtehend, welche ihnen die herumſchweifenden Fleder¬
maͤuſe hatten einfangen muͤſſen. Hierauf folgten nun die
Buͤrgerlichen und endlich die Landmaͤuſe, alle in ihren Na¬
tional- und Naturalfarben; dieſe bedienten ſich der Splitter
von leuchtendem faulem Holze als Fackeln, welche ſie im
Voruͤbergehen an einem alten Weidenſtumpf abbiſſen. Ich
kann euch gar nicht ſagen, wie feierlich ſich der Zug der vie¬
len kleinen Lichter durch die Straßen der wunderlichen Maͤu¬
ſeſtadt den Huͤgel hinan in den ehrwuͤrdigen Dom hinein
ſchlaͤngelte — es war, als wenn die Funken an einem ver¬
glimmenden Zunderlappen hinlaufen; weißt du noch Vater,
du ſagteſt mir manchmal in Gelnhauſen am Kamin, „das ſind
die Studentchen, die aus der Schule laufen“, ich dachte noch
an dieſe deine Rede. Vor der Thuͤre der Kirche empfieng eine
ſehr elegante Maus an der Spitze der andern Kirchenmaͤuſe
die ſchoͤne Kunſtfigur und den Hof und geleitete ſie in den
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[158/0206] Saͤnger weiter gezogen waren; dann aber richtete ich mich auf und ſah die ſchoͤnſte Proceſſion ein wenig an. An der Spitze gieng die ſchoͤne Kunſtfigur, umgeben von der koͤnig¬ lichen Familie und dem ganzen Hofſtaat. Unter den Hof¬ fraͤulein ſah ich eine viel zu große, kurioſe Perſon mitgehen, ſie war wie eine Rieſin unter ihnen, tanzte mehr als ſie gieng, und ihre Stimme paßte gar nicht in den Geſang. Hierauf folgten mehrere fremdartige Maͤuſe, ſie unterſchie¬ den ſich nicht nur durch Geſtalt, Groͤße und Farbe, ſondern auch leider meiſtens durch ihr nicht ſehr erbauliches Betra¬ gen; ſie guckten viel umher und fluͤſterten immer ſehr ange¬ legentlich unter einander. Ich erfuhr ſpaͤter, wer ſie waren. Auf ſie folgten alle adelichen Geſchlechter, worunter das ſchoͤne Geſchlecht meiſtens aus weißen Maͤuschen von hoher Zartheit und Delikateſſe beſtand. Alle, von welchen ich bis jetzt geſprochen, trugen Fackeln, aus leuchtenden Johanniskaͤ¬ fern beſtehend, welche ihnen die herumſchweifenden Fleder¬ maͤuſe hatten einfangen muͤſſen. Hierauf folgten nun die Buͤrgerlichen und endlich die Landmaͤuſe, alle in ihren Na¬ tional- und Naturalfarben; dieſe bedienten ſich der Splitter von leuchtendem faulem Holze als Fackeln, welche ſie im Voruͤbergehen an einem alten Weidenſtumpf abbiſſen. Ich kann euch gar nicht ſagen, wie feierlich ſich der Zug der vie¬ len kleinen Lichter durch die Straßen der wunderlichen Maͤu¬ ſeſtadt den Huͤgel hinan in den ehrwuͤrdigen Dom hinein ſchlaͤngelte — es war, als wenn die Funken an einem ver¬ glimmenden Zunderlappen hinlaufen; weißt du noch Vater, du ſagteſt mir manchmal in Gelnhauſen am Kamin, „das ſind die Studentchen, die aus der Schule laufen“, ich dachte noch an dieſe deine Rede. Vor der Thuͤre der Kirche empfieng eine ſehr elegante Maus an der Spitze der andern Kirchenmaͤuſe die ſchoͤne Kunſtfigur und den Hof und geleitete ſie in den Dom, den ich nun aus allen ſeinen Oeffnungen erleuchtet ſah; dann vernahm ich einen ſanft pfeifenden Geſang, wor¬

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/206>, abgerufen am 24.11.2024.