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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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sten Küssen zu bedecken, und als Frau Hinkel auch dazu
kam, gieng es derselben nicht besser; und da sie sich in diese
Liebkosungen gar nicht finden konnten, sagte endlich das un¬
bekannte Wesen mit einer wohlbekannten Stimme zu ihnen:
"Ach! kennt ihr denn euer Töchterlein Gackeleia gar nicht
mehr?" -- "Du, Gackeleia?" riefen Beide aus, "nein das
ist nicht möglich, du bist ja eine erwachsene Jungfrau." --
"Ach, groß oder klein", antwortete es, "ich bin doch eure
Gackeleia", und da riß sie die Thüre auf, und es fiel zu
gleicher Zeit so viel Fremdes und Wunderbares in die Au¬
gen des alten Gockels und der Frau Hinkel, daß sie sich ein¬
ander in die Arme sanken und weinen mußten.

Erstens sahen sie wirklich die ganze Gackeleia vor sich,
aber nicht mehr als ein kleines Mädchen, sondern als eine
blühende, wunderschöne, allerliebst geputzte Jungfrau; und
zweitens sahen sie sich selbst beide nicht mehr alt und in
Lumpen, sondern als zwei schöne wohlbekleidete Leute in den
besten Jahren; und drittens sahen sie durch die Thüre nicht
mehr in einen verfallenen, mit Schutt und wildem Unkraut
bewachsenen Burghof hinaus, sondern in einen schön
gepflasterten, reinlichen Hof von schönen Schloßgebäu¬
den, Ställen, Gärten und Terrassen umgeben; in der
Mitte des Hofes aber, an einem plätschernden Springbrun¬
nen, sahen sie drei verdrießliche alte Esel mit langen Oh¬
ren angebunden, welche die Köpfe zusammendrückten, als ob
sie sich schämten. Auch sahen sie allerlei Bediente in schönen
Livreen geschäftig auf und niedergehen, die immer, so oft
sie am Hühnerstall vorüber kamen, tiefe Verbeugungen mach¬
ten und schönen guten Morgen wünschten.

"Ach, was ist das, es ist nicht möglich, woher alle
diese Wunder?" rief Gockel aus; da reichte Gackeleia ihm
ihre schöne Hand und sah ihm freundlich lächelnd in die Au¬
gen, und Gockel schrie mit lautem Jubel aus: "ach der
Ring, der köstliche Ring Salomonis ist wieder da, den du

ſten Kuͤſſen zu bedecken, und als Frau Hinkel auch dazu
kam, gieng es derſelben nicht beſſer; und da ſie ſich in dieſe
Liebkoſungen gar nicht finden konnten, ſagte endlich das un¬
bekannte Weſen mit einer wohlbekannten Stimme zu ihnen:
„Ach! kennt ihr denn euer Toͤchterlein Gackeleia gar nicht
mehr?“ — „Du, Gackeleia?“ riefen Beide aus, „nein das
iſt nicht moͤglich, du biſt ja eine erwachſene Jungfrau.“ —
„Ach, groß oder klein“, antwortete es, „ich bin doch eure
Gackeleia“, und da riß ſie die Thuͤre auf, und es fiel zu
gleicher Zeit ſo viel Fremdes und Wunderbares in die Au¬
gen des alten Gockels und der Frau Hinkel, daß ſie ſich ein¬
ander in die Arme ſanken und weinen mußten.

Erſtens ſahen ſie wirklich die ganze Gackeleia vor ſich,
aber nicht mehr als ein kleines Maͤdchen, ſondern als eine
bluͤhende, wunderſchoͤne, allerliebſt geputzte Jungfrau; und
zweitens ſahen ſie ſich ſelbſt beide nicht mehr alt und in
Lumpen, ſondern als zwei ſchoͤne wohlbekleidete Leute in den
beſten Jahren; und drittens ſahen ſie durch die Thuͤre nicht
mehr in einen verfallenen, mit Schutt und wildem Unkraut
bewachſenen Burghof hinaus, ſondern in einen ſchoͤn
gepflaſterten, reinlichen Hof von ſchoͤnen Schloßgebaͤu¬
den, Staͤllen, Gaͤrten und Terraſſen umgeben; in der
Mitte des Hofes aber, an einem plaͤtſchernden Springbrun¬
nen, ſahen ſie drei verdrießliche alte Eſel mit langen Oh¬
ren angebunden, welche die Koͤpfe zuſammendruͤckten, als ob
ſie ſich ſchaͤmten. Auch ſahen ſie allerlei Bediente in ſchoͤnen
Livreen geſchaͤftig auf und niedergehen, die immer, ſo oft
ſie am Huͤhnerſtall voruͤber kamen, tiefe Verbeugungen mach¬
ten und ſchoͤnen guten Morgen wuͤnſchten.

„Ach, was iſt das, es iſt nicht moͤglich, woher alle
dieſe Wunder?“ rief Gockel aus; da reichte Gackeleia ihm
ihre ſchoͤne Hand und ſah ihm freundlich laͤchelnd in die Au¬
gen, und Gockel ſchrie mit lautem Jubel aus: „ach der
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[139/0183] ſten Kuͤſſen zu bedecken, und als Frau Hinkel auch dazu kam, gieng es derſelben nicht beſſer; und da ſie ſich in dieſe Liebkoſungen gar nicht finden konnten, ſagte endlich das un¬ bekannte Weſen mit einer wohlbekannten Stimme zu ihnen: „Ach! kennt ihr denn euer Toͤchterlein Gackeleia gar nicht mehr?“ — „Du, Gackeleia?“ riefen Beide aus, „nein das iſt nicht moͤglich, du biſt ja eine erwachſene Jungfrau.“ — „Ach, groß oder klein“, antwortete es, „ich bin doch eure Gackeleia“, und da riß ſie die Thuͤre auf, und es fiel zu gleicher Zeit ſo viel Fremdes und Wunderbares in die Au¬ gen des alten Gockels und der Frau Hinkel, daß ſie ſich ein¬ ander in die Arme ſanken und weinen mußten. Erſtens ſahen ſie wirklich die ganze Gackeleia vor ſich, aber nicht mehr als ein kleines Maͤdchen, ſondern als eine bluͤhende, wunderſchoͤne, allerliebſt geputzte Jungfrau; und zweitens ſahen ſie ſich ſelbſt beide nicht mehr alt und in Lumpen, ſondern als zwei ſchoͤne wohlbekleidete Leute in den beſten Jahren; und drittens ſahen ſie durch die Thuͤre nicht mehr in einen verfallenen, mit Schutt und wildem Unkraut bewachſenen Burghof hinaus, ſondern in einen ſchoͤn gepflaſterten, reinlichen Hof von ſchoͤnen Schloßgebaͤu¬ den, Staͤllen, Gaͤrten und Terraſſen umgeben; in der Mitte des Hofes aber, an einem plaͤtſchernden Springbrun¬ nen, ſahen ſie drei verdrießliche alte Eſel mit langen Oh¬ ren angebunden, welche die Koͤpfe zuſammendruͤckten, als ob ſie ſich ſchaͤmten. Auch ſahen ſie allerlei Bediente in ſchoͤnen Livreen geſchaͤftig auf und niedergehen, die immer, ſo oft ſie am Huͤhnerſtall voruͤber kamen, tiefe Verbeugungen mach¬ ten und ſchoͤnen guten Morgen wuͤnſchten. „Ach, was iſt das, es iſt nicht moͤglich, woher alle dieſe Wunder?“ rief Gockel aus; da reichte Gackeleia ihm ihre ſchoͤne Hand und ſah ihm freundlich laͤchelnd in die Au¬ gen, und Gockel ſchrie mit lautem Jubel aus: „ach der Ring, der koͤſtliche Ring Salomonis iſt wieder da, den du

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/183>, abgerufen am 23.11.2024.