Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeines.
beiden Hälften der Austerschale sind ungleich, massiv im Verhältniß zum Thier und besonders an
einigen fossilen Austern ist die Abscheidung der schilferigen, unschönen Kalkschichten so voluminös,
daß sie fast zur Hauptsache des ganzen Lebensprozesses des Thieres geworden zu sein scheint.
Ferner ist die Flußmuschel mit zwei symmetrisch entwickelten, starken aber doch nicht umfangreichen
Muskeln mit der Schale verbunden; die Auster hat einen großen Schließmuskel. Auf beide
Weisen wird der Verschluß der Schalen gut erreicht; an sich, und wenn man die Lage der übrigen
Körpertheile berücksichtigt, sind wohl die zwei Schlußmuskel vortheilhafter. Merkwürdiger Weise
sind aber in keiner Muschel die Sinneswerkzeuge so hoch entwickelt, als gerade in einer mit einem
Schließmuskel versehenen Sippe, den Kammmuscheln, ein Umstand, geeignet, uns in dem
systemisirenden Sichten zu beirren. Aus der Beschaffenheit des Mantels ergibt sich weder für
die Flußmuschel noch für die Auster ein ihre Stellung bestimmendes Moment; bei beiden ist der
Mantel von vorn bis hinten geschlitzt. Jn vielen anderen Sippen aber ist der Mantel so weit
geschlossen, d. h. seine Ränder verwachsen, daß bloß vorn ein Schlitz zum Durchtritt des Fußes
und hinten ein oder zwei Schlitze oder Röhren für die Athmung und Entleerung offen geblieben.
Es ist nicht zu leugnen, daß durch diesen vollkommneren Abschluß eine gewisse höhere Stellung
wenigstens vorbereitet wird. Jch möchte aber bei Berücksichtigung der faktischen Verhältnisse
darauf nicht so viel geben, als manche Systematiker thun. Wir finden nämlich den Mantel-
verschluß und die Röhrenbildung bei den sich tief in den Schlamm und Sand versenkenden und in
Stein und Holz bohrenden Sippen, ohne daß eine anderweitige Vervollkommung an ihnen hervorträte.

Jn ihrer Entwicklung weichen die Fluß- und Teichmuscheln nicht nur von der Auster, sondern
überhaupt von den übrigen Klassengenossen erheblich ab. Wir werden bei Gelegenheit ihrer
Naturgeschichte näher darauf eingehen und bemerken hier nur so viel, daß sie sich darin vielen
anderen, das Süßwasser und das Land bewohnenden Thieren anschließen. Jn der Entwicklungs-
geschichte dieser Thiere zeigt sich oft die Besonderheit, daß ihnen die für die verwandten Meeres-
bewohner charakteristischen Larvenzustände abhanden gekommen, womit häufig auch eine allgemeine
höhere Entwicklung verbunden. Alles in Allem sind daher die Seemuscheln niedriger als die
Süßwassermuscheln, die mit einem Schließmuskel niedriger als die mit zwei Schließmuskeln, die
mit blättriger, unregelmäßiger Schale niedriger als die mit wohlausgebildeter regelmäßiger,
und allenfalls auch die mit offenem Mantel niedriger als die mit theilweise geschlossenem. Was
nun aber das Aneinanderreihen der Familien noch schwieriger macht, ist die äußerst schwankende
Fähigkeit der Ortsbewegung oder, was dasselbe ist, die höchst verschiedene Ausbildung des Fußes.
Sowohl bei den Muscheln mit zwei Schließmuskeln (Dimyaria) als bei denen mit einem
(Monomyaria) kann die Ortsbewegung vollkommen schwinden, und da endlich auch der Leitstern,
welcher bei anderen Thierklassen die Auffindung des natürlichen Systems erleichtert, nämlich die
Vergleichung der jetzt lebenden mit den untergegangenen Sippen, bei den Muschelthieren nur ein
sehr vages Licht gibt, so können wir zwar mit einiger Sicherheit den Ordnungen ihren gegenseitigen
Rang anweisen, müssen aber hinsichtlich der weiteren Eintheilung mit Philippi dafür halten, daß
"eine linealische Anordnung der Familien nach den Graden ihrer Vollkommenheit nicht möglich ist".



Erste Ordnung.
Dimyarier (Dimyaria).

Es liegt uns nichts näher, als daß wir mit derjenigen Familie, welche uns auf den vorigen
Blättern schon so viele Anknüpfungspunkte bot, beginnen. Dieß sind die Najaden (Najades,
Unionacea
), unsere größeren, allbekannten Süßwassermuscheln. Sehen wir von einigen süd-

Taschenberg und Schmidt, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 57

Allgemeines.
beiden Hälften der Auſterſchale ſind ungleich, maſſiv im Verhältniß zum Thier und beſonders an
einigen foſſilen Auſtern iſt die Abſcheidung der ſchilferigen, unſchönen Kalkſchichten ſo voluminös,
daß ſie faſt zur Hauptſache des ganzen Lebensprozeſſes des Thieres geworden zu ſein ſcheint.
Ferner iſt die Flußmuſchel mit zwei ſymmetriſch entwickelten, ſtarken aber doch nicht umfangreichen
Muskeln mit der Schale verbunden; die Auſter hat einen großen Schließmuskel. Auf beide
Weiſen wird der Verſchluß der Schalen gut erreicht; an ſich, und wenn man die Lage der übrigen
Körpertheile berückſichtigt, ſind wohl die zwei Schlußmuskel vortheilhafter. Merkwürdiger Weiſe
ſind aber in keiner Muſchel die Sinneswerkzeuge ſo hoch entwickelt, als gerade in einer mit einem
Schließmuskel verſehenen Sippe, den Kammmuſcheln, ein Umſtand, geeignet, uns in dem
ſyſtemiſirenden Sichten zu beirren. Aus der Beſchaffenheit des Mantels ergibt ſich weder für
die Flußmuſchel noch für die Auſter ein ihre Stellung beſtimmendes Moment; bei beiden iſt der
Mantel von vorn bis hinten geſchlitzt. Jn vielen anderen Sippen aber iſt der Mantel ſo weit
geſchloſſen, d. h. ſeine Ränder verwachſen, daß bloß vorn ein Schlitz zum Durchtritt des Fußes
und hinten ein oder zwei Schlitze oder Röhren für die Athmung und Entleerung offen geblieben.
Es iſt nicht zu leugnen, daß durch dieſen vollkommneren Abſchluß eine gewiſſe höhere Stellung
wenigſtens vorbereitet wird. Jch möchte aber bei Berückſichtigung der faktiſchen Verhältniſſe
darauf nicht ſo viel geben, als manche Syſtematiker thun. Wir finden nämlich den Mantel-
verſchluß und die Röhrenbildung bei den ſich tief in den Schlamm und Sand verſenkenden und in
Stein und Holz bohrenden Sippen, ohne daß eine anderweitige Vervollkommung an ihnen hervorträte.

Jn ihrer Entwicklung weichen die Fluß- und Teichmuſcheln nicht nur von der Auſter, ſondern
überhaupt von den übrigen Klaſſengenoſſen erheblich ab. Wir werden bei Gelegenheit ihrer
Naturgeſchichte näher darauf eingehen und bemerken hier nur ſo viel, daß ſie ſich darin vielen
anderen, das Süßwaſſer und das Land bewohnenden Thieren anſchließen. Jn der Entwicklungs-
geſchichte dieſer Thiere zeigt ſich oft die Beſonderheit, daß ihnen die für die verwandten Meeres-
bewohner charakteriſtiſchen Larvenzuſtände abhanden gekommen, womit häufig auch eine allgemeine
höhere Entwicklung verbunden. Alles in Allem ſind daher die Seemuſcheln niedriger als die
Süßwaſſermuſcheln, die mit einem Schließmuskel niedriger als die mit zwei Schließmuskeln, die
mit blättriger, unregelmäßiger Schale niedriger als die mit wohlausgebildeter regelmäßiger,
und allenfalls auch die mit offenem Mantel niedriger als die mit theilweiſe geſchloſſenem. Was
nun aber das Aneinanderreihen der Familien noch ſchwieriger macht, iſt die äußerſt ſchwankende
Fähigkeit der Ortsbewegung oder, was daſſelbe iſt, die höchſt verſchiedene Ausbildung des Fußes.
Sowohl bei den Muſcheln mit zwei Schließmuskeln (Dimyaria) als bei denen mit einem
(Monomyaria) kann die Ortsbewegung vollkommen ſchwinden, und da endlich auch der Leitſtern,
welcher bei anderen Thierklaſſen die Auffindung des natürlichen Syſtems erleichtert, nämlich die
Vergleichung der jetzt lebenden mit den untergegangenen Sippen, bei den Muſchelthieren nur ein
ſehr vages Licht gibt, ſo können wir zwar mit einiger Sicherheit den Ordnungen ihren gegenſeitigen
Rang anweiſen, müſſen aber hinſichtlich der weiteren Eintheilung mit Philippi dafür halten, daß
„eine linealiſche Anordnung der Familien nach den Graden ihrer Vollkommenheit nicht möglich iſt“.



Erſte Ordnung.
Dimyarier (Dimyaria).

Es liegt uns nichts näher, als daß wir mit derjenigen Familie, welche uns auf den vorigen
Blättern ſchon ſo viele Anknüpfungspunkte bot, beginnen. Dieß ſind die Najaden (Najades,
Unionacea
), unſere größeren, allbekannten Süßwaſſermuſcheln. Sehen wir von einigen ſüd-

Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 57
<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div n="1">
            <p><pb facs="#f0945" n="897"/><fw place="top" type="header">Allgemeines.</fw><lb/>
beiden Hälften der Au&#x017F;ter&#x017F;chale &#x017F;ind ungleich, ma&#x017F;&#x017F;iv im Verhältniß zum Thier und be&#x017F;onders an<lb/>
einigen fo&#x017F;&#x017F;ilen Au&#x017F;tern i&#x017F;t die Ab&#x017F;cheidung der &#x017F;chilferigen, un&#x017F;chönen Kalk&#x017F;chichten &#x017F;o voluminös,<lb/>
daß &#x017F;ie fa&#x017F;t zur Haupt&#x017F;ache des ganzen Lebensproze&#x017F;&#x017F;es des Thieres geworden zu &#x017F;ein &#x017F;cheint.<lb/>
Ferner i&#x017F;t die Flußmu&#x017F;chel mit <hi rendition="#g">zwei</hi> &#x017F;ymmetri&#x017F;ch entwickelten, &#x017F;tarken aber doch nicht umfangreichen<lb/>
Muskeln mit der Schale verbunden; die Au&#x017F;ter hat <hi rendition="#g">einen</hi> großen Schließmuskel. Auf beide<lb/>
Wei&#x017F;en wird der Ver&#x017F;chluß der Schalen gut erreicht; an &#x017F;ich, und wenn man die Lage der übrigen<lb/>
Körpertheile berück&#x017F;ichtigt, &#x017F;ind wohl die zwei Schlußmuskel vortheilhafter. Merkwürdiger Wei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ind aber in keiner Mu&#x017F;chel die Sinneswerkzeuge &#x017F;o hoch entwickelt, als gerade in einer mit <hi rendition="#g">einem</hi><lb/>
Schließmuskel ver&#x017F;ehenen Sippe, den Kammmu&#x017F;cheln, ein Um&#x017F;tand, geeignet, uns in dem<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temi&#x017F;irenden Sichten zu beirren. Aus der Be&#x017F;chaffenheit des Mantels ergibt &#x017F;ich weder für<lb/>
die Flußmu&#x017F;chel noch für die Au&#x017F;ter ein ihre Stellung be&#x017F;timmendes Moment; bei beiden i&#x017F;t der<lb/>
Mantel von vorn bis hinten ge&#x017F;chlitzt. Jn vielen anderen Sippen aber i&#x017F;t der Mantel &#x017F;o weit<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, d. h. &#x017F;eine Ränder verwach&#x017F;en, daß bloß vorn ein Schlitz zum Durchtritt des Fußes<lb/>
und hinten ein oder zwei Schlitze oder Röhren für die Athmung und Entleerung offen geblieben.<lb/>
Es i&#x017F;t nicht zu leugnen, daß durch die&#x017F;en vollkommneren Ab&#x017F;chluß eine gewi&#x017F;&#x017F;e höhere Stellung<lb/>
wenig&#x017F;tens vorbereitet wird. Jch möchte aber bei Berück&#x017F;ichtigung der fakti&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
darauf nicht &#x017F;o viel geben, als manche Sy&#x017F;tematiker thun. Wir finden nämlich den Mantel-<lb/>
ver&#x017F;chluß und die Röhrenbildung bei den &#x017F;ich tief in den Schlamm und Sand ver&#x017F;enkenden und in<lb/>
Stein und Holz bohrenden Sippen, ohne daß eine anderweitige Vervollkommung an ihnen hervorträte.</p><lb/>
            <p>Jn ihrer Entwicklung weichen die Fluß- und Teichmu&#x017F;cheln nicht nur von der Au&#x017F;ter, &#x017F;ondern<lb/>
überhaupt von den übrigen Kla&#x017F;&#x017F;engeno&#x017F;&#x017F;en erheblich ab. Wir werden bei Gelegenheit ihrer<lb/>
Naturge&#x017F;chichte näher darauf eingehen und bemerken hier nur &#x017F;o viel, daß &#x017F;ie &#x017F;ich darin vielen<lb/>
anderen, das Süßwa&#x017F;&#x017F;er und das Land bewohnenden Thieren an&#x017F;chließen. Jn der Entwicklungs-<lb/>
ge&#x017F;chichte die&#x017F;er Thiere zeigt &#x017F;ich oft die Be&#x017F;onderheit, daß ihnen die für die verwandten Meeres-<lb/>
bewohner charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Larvenzu&#x017F;tände abhanden gekommen, womit häufig auch eine allgemeine<lb/>
höhere Entwicklung verbunden. Alles in Allem &#x017F;ind daher die Seemu&#x017F;cheln niedriger als die<lb/>
Süßwa&#x017F;&#x017F;ermu&#x017F;cheln, die mit einem Schließmuskel niedriger als die mit zwei Schließmuskeln, die<lb/>
mit blättriger, unregelmäßiger Schale niedriger als die mit wohlausgebildeter regelmäßiger,<lb/>
und allenfalls auch die mit offenem Mantel niedriger als die mit theilwei&#x017F;e ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enem. Was<lb/>
nun aber das Aneinanderreihen der Familien noch &#x017F;chwieriger macht, i&#x017F;t die äußer&#x017F;t &#x017F;chwankende<lb/>
Fähigkeit der Ortsbewegung oder, was da&#x017F;&#x017F;elbe i&#x017F;t, die höch&#x017F;t ver&#x017F;chiedene Ausbildung des Fußes.<lb/>
Sowohl bei den Mu&#x017F;cheln mit zwei Schließmuskeln (<hi rendition="#aq">Dimyaria</hi>) als bei denen mit einem<lb/>
(<hi rendition="#aq">Monomyaria</hi>) kann die Ortsbewegung vollkommen &#x017F;chwinden, und da endlich auch der Leit&#x017F;tern,<lb/>
welcher bei anderen Thierkla&#x017F;&#x017F;en die Auffindung des natürlichen Sy&#x017F;tems erleichtert, nämlich die<lb/>
Vergleichung der jetzt lebenden mit den untergegangenen Sippen, bei den Mu&#x017F;chelthieren nur ein<lb/>
&#x017F;ehr vages Licht gibt, &#x017F;o können wir zwar mit einiger Sicherheit den Ordnungen ihren gegen&#x017F;eitigen<lb/>
Rang anwei&#x017F;en, mü&#x017F;&#x017F;en aber hin&#x017F;ichtlich der weiteren Eintheilung mit <hi rendition="#g">Philippi</hi> dafür halten, daß<lb/>
&#x201E;eine lineali&#x017F;che Anordnung der Familien nach den Graden ihrer Vollkommenheit nicht möglich i&#x017F;t&#x201C;.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <div n="2">
              <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Er&#x017F;te Ordnung.<lb/>
Dimyarier (<hi rendition="#aq">Dimyaria</hi>).</hi> </hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">E</hi>s liegt uns nichts näher, als daß wir mit derjenigen Familie, welche uns auf den vorigen<lb/>
Blättern &#x017F;chon &#x017F;o viele Anknüpfungspunkte bot, beginnen. Dieß &#x017F;ind die <hi rendition="#g">Najaden</hi> (<hi rendition="#aq">Najades,<lb/>
Unionacea</hi>), un&#x017F;ere größeren, allbekannten Süßwa&#x017F;&#x017F;ermu&#x017F;cheln. Sehen wir von einigen &#x017F;üd-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ta&#x017F;chenberg</hi> und <hi rendition="#g">Schmidt,</hi> wirbello&#x017F;e Thiere. (<hi rendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben. <hi rendition="#aq">VI.</hi>) 57</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[897/0945] Allgemeines. beiden Hälften der Auſterſchale ſind ungleich, maſſiv im Verhältniß zum Thier und beſonders an einigen foſſilen Auſtern iſt die Abſcheidung der ſchilferigen, unſchönen Kalkſchichten ſo voluminös, daß ſie faſt zur Hauptſache des ganzen Lebensprozeſſes des Thieres geworden zu ſein ſcheint. Ferner iſt die Flußmuſchel mit zwei ſymmetriſch entwickelten, ſtarken aber doch nicht umfangreichen Muskeln mit der Schale verbunden; die Auſter hat einen großen Schließmuskel. Auf beide Weiſen wird der Verſchluß der Schalen gut erreicht; an ſich, und wenn man die Lage der übrigen Körpertheile berückſichtigt, ſind wohl die zwei Schlußmuskel vortheilhafter. Merkwürdiger Weiſe ſind aber in keiner Muſchel die Sinneswerkzeuge ſo hoch entwickelt, als gerade in einer mit einem Schließmuskel verſehenen Sippe, den Kammmuſcheln, ein Umſtand, geeignet, uns in dem ſyſtemiſirenden Sichten zu beirren. Aus der Beſchaffenheit des Mantels ergibt ſich weder für die Flußmuſchel noch für die Auſter ein ihre Stellung beſtimmendes Moment; bei beiden iſt der Mantel von vorn bis hinten geſchlitzt. Jn vielen anderen Sippen aber iſt der Mantel ſo weit geſchloſſen, d. h. ſeine Ränder verwachſen, daß bloß vorn ein Schlitz zum Durchtritt des Fußes und hinten ein oder zwei Schlitze oder Röhren für die Athmung und Entleerung offen geblieben. Es iſt nicht zu leugnen, daß durch dieſen vollkommneren Abſchluß eine gewiſſe höhere Stellung wenigſtens vorbereitet wird. Jch möchte aber bei Berückſichtigung der faktiſchen Verhältniſſe darauf nicht ſo viel geben, als manche Syſtematiker thun. Wir finden nämlich den Mantel- verſchluß und die Röhrenbildung bei den ſich tief in den Schlamm und Sand verſenkenden und in Stein und Holz bohrenden Sippen, ohne daß eine anderweitige Vervollkommung an ihnen hervorträte. Jn ihrer Entwicklung weichen die Fluß- und Teichmuſcheln nicht nur von der Auſter, ſondern überhaupt von den übrigen Klaſſengenoſſen erheblich ab. Wir werden bei Gelegenheit ihrer Naturgeſchichte näher darauf eingehen und bemerken hier nur ſo viel, daß ſie ſich darin vielen anderen, das Süßwaſſer und das Land bewohnenden Thieren anſchließen. Jn der Entwicklungs- geſchichte dieſer Thiere zeigt ſich oft die Beſonderheit, daß ihnen die für die verwandten Meeres- bewohner charakteriſtiſchen Larvenzuſtände abhanden gekommen, womit häufig auch eine allgemeine höhere Entwicklung verbunden. Alles in Allem ſind daher die Seemuſcheln niedriger als die Süßwaſſermuſcheln, die mit einem Schließmuskel niedriger als die mit zwei Schließmuskeln, die mit blättriger, unregelmäßiger Schale niedriger als die mit wohlausgebildeter regelmäßiger, und allenfalls auch die mit offenem Mantel niedriger als die mit theilweiſe geſchloſſenem. Was nun aber das Aneinanderreihen der Familien noch ſchwieriger macht, iſt die äußerſt ſchwankende Fähigkeit der Ortsbewegung oder, was daſſelbe iſt, die höchſt verſchiedene Ausbildung des Fußes. Sowohl bei den Muſcheln mit zwei Schließmuskeln (Dimyaria) als bei denen mit einem (Monomyaria) kann die Ortsbewegung vollkommen ſchwinden, und da endlich auch der Leitſtern, welcher bei anderen Thierklaſſen die Auffindung des natürlichen Syſtems erleichtert, nämlich die Vergleichung der jetzt lebenden mit den untergegangenen Sippen, bei den Muſchelthieren nur ein ſehr vages Licht gibt, ſo können wir zwar mit einiger Sicherheit den Ordnungen ihren gegenſeitigen Rang anweiſen, müſſen aber hinſichtlich der weiteren Eintheilung mit Philippi dafür halten, daß „eine linealiſche Anordnung der Familien nach den Graden ihrer Vollkommenheit nicht möglich iſt“. Erſte Ordnung. Dimyarier (Dimyaria). Es liegt uns nichts näher, als daß wir mit derjenigen Familie, welche uns auf den vorigen Blättern ſchon ſo viele Anknüpfungspunkte bot, beginnen. Dieß ſind die Najaden (Najades, Unionacea), unſere größeren, allbekannten Süßwaſſermuſcheln. Sehen wir von einigen ſüd- Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben. VI.) 57

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/945
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 897. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/945>, abgerufen am 24.11.2024.