ist der Mangel jener Kalkkörper. "Wenn einzelne Kalkkörper", fahren Meyer und Möbius fort, "in Exemplaren von Polycera ocellata, welche auf dem Wege zwischen der offenen Nordsee und der Kieler Bucht wohnen, gefunden werden sollten, so würde die Meinung, daß aus dem Besitz oder Mangel derselben keine specifischen Verschiedenheiten abzuleiten seien, eine sichere Stütze gewinnen. Und diese haben wir auch zu unserer nicht geringen Freude am zweiten Pfingsttage 1863 im Fänö-Sund gefunden. Kaum war nach einer kalten Morgenfahrt von Assens aus der Anker gefallen und unsere Jacht im Sonnenschein unter dem Schutze hoher Buchen in Ruhe gelegt, so wurde das Grundnetz ausgeworfen. Schon der erste Zug brachte uns von Kiel her
wohlbekannte Thiere zu Tage, darunter auch Exemplare von Polycera ocellata, die aber meistens auffallendere gelbe Flecke auf einer dunkleren Grundfarbe als die Kieler Exemplare trugen. Alle hatten Kalkstäbchen in der Haut, auch die bleichfarbigen, welche auf tiefem Grunde gefischt wurden. Jst vielleicht ungleicher Salzgehalt die Ursache dieser Verschiedenheit? Dieses zu denken, liegt sehr nahe; doch spricht gegen eine solche Annahme der Mangel von Kalkkörpern in Exemplaren aus einer kleinen Bucht von Samsö, die der salzreichen Nordsee noch näher liegt, als der kleine Belt. Wir halten besonders die starke Strömung in dem großen und kleinen Belt für eine wichtige Bedingung der größeren Aehnlichkeit ihrer Fauna mit der Nordseefauna, denjenigen Thier- formen gegenüber, welche die ruhigen Buchten des westlichen Ostseebeckens bewohnen."
Lassen wir die Ursachen des Vorhandenseins oder des Mangels jener Kalkkörperchen bei Seite und halten wir uns an das Faktum. Wir sehen eine Eigenschaft, welche eine Art mit allen übrigen Arten ihrer Sippe theilt, unter uns unbekannten Einflüssen schwinden; wir sehen eine Varietät entstehen, zu deren Artwerdung weiter nichts als eine vollständige Jsolirung von dem Verbreitungsbezirke der Stammart gehören würde. Denn das Vorhandensein der Kalk- körperchen setzt doch eine sehr eingreifende und eigenthümliche Thätigkeit der Hautzellen voraus, welche mindestens so viele Beachtung verlangt, als tausend andere Kleinigkeiten, nach welchen in der niederen Pflanzen- und Thierwelt Arten unterschieden zu werden pflegen. Die niederen Thiere werden uns noch des öfteren solche frappante Beispiele der Nichtstichhaltigkeit der sogenannten Artmerkmale bringen, auf welchen die Umwandlungstheorie beruht.
Schnecken. Hinterkiemer. Nacktkiemer.
iſt der Mangel jener Kalkkörper. „Wenn einzelne Kalkkörper“, fahren Meyer und Möbius fort, „in Exemplaren von Polycera ocellata, welche auf dem Wege zwiſchen der offenen Nordſee und der Kieler Bucht wohnen, gefunden werden ſollten, ſo würde die Meinung, daß aus dem Beſitz oder Mangel derſelben keine ſpecifiſchen Verſchiedenheiten abzuleiten ſeien, eine ſichere Stütze gewinnen. Und dieſe haben wir auch zu unſerer nicht geringen Freude am zweiten Pfingſttage 1863 im Fänö-Sund gefunden. Kaum war nach einer kalten Morgenfahrt von Aſſens aus der Anker gefallen und unſere Jacht im Sonnenſchein unter dem Schutze hoher Buchen in Ruhe gelegt, ſo wurde das Grundnetz ausgeworfen. Schon der erſte Zug brachte uns von Kiel her
wohlbekannte Thiere zu Tage, darunter auch Exemplare von Polycera ocellata, die aber meiſtens auffallendere gelbe Flecke auf einer dunkleren Grundfarbe als die Kieler Exemplare trugen. Alle hatten Kalkſtäbchen in der Haut, auch die bleichfarbigen, welche auf tiefem Grunde gefiſcht wurden. Jſt vielleicht ungleicher Salzgehalt die Urſache dieſer Verſchiedenheit? Dieſes zu denken, liegt ſehr nahe; doch ſpricht gegen eine ſolche Annahme der Mangel von Kalkkörpern in Exemplaren aus einer kleinen Bucht von Samſö, die der ſalzreichen Nordſee noch näher liegt, als der kleine Belt. Wir halten beſonders die ſtarke Strömung in dem großen und kleinen Belt für eine wichtige Bedingung der größeren Aehnlichkeit ihrer Fauna mit der Nordſeefauna, denjenigen Thier- formen gegenüber, welche die ruhigen Buchten des weſtlichen Oſtſeebeckens bewohnen.“
Laſſen wir die Urſachen des Vorhandenſeins oder des Mangels jener Kalkkörperchen bei Seite und halten wir uns an das Faktum. Wir ſehen eine Eigenſchaft, welche eine Art mit allen übrigen Arten ihrer Sippe theilt, unter uns unbekannten Einflüſſen ſchwinden; wir ſehen eine Varietät entſtehen, zu deren Artwerdung weiter nichts als eine vollſtändige Jſolirung von dem Verbreitungsbezirke der Stammart gehören würde. Denn das Vorhandenſein der Kalk- körperchen ſetzt doch eine ſehr eingreifende und eigenthümliche Thätigkeit der Hautzellen voraus, welche mindeſtens ſo viele Beachtung verlangt, als tauſend andere Kleinigkeiten, nach welchen in der niederen Pflanzen- und Thierwelt Arten unterſchieden zu werden pflegen. Die niederen Thiere werden uns noch des öfteren ſolche frappante Beiſpiele der Nichtſtichhaltigkeit der ſogenannten Artmerkmale bringen, auf welchen die Umwandlungstheorie beruht.
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0916"n="868"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Schnecken. Hinterkiemer. Nacktkiemer.</hi></fw><lb/>
iſt der Mangel jener Kalkkörper. „Wenn einzelne Kalkkörper“, fahren <hirendition="#g">Meyer</hi> und <hirendition="#g">Möbius</hi><lb/>
fort, „in Exemplaren von <hirendition="#aq">Polycera ocellata,</hi> welche auf dem Wege zwiſchen der offenen Nordſee<lb/>
und der Kieler Bucht wohnen, gefunden werden ſollten, ſo würde die Meinung, daß aus dem<lb/>
Beſitz oder Mangel derſelben keine ſpecifiſchen Verſchiedenheiten abzuleiten ſeien, eine ſichere Stütze<lb/>
gewinnen. Und dieſe haben wir auch zu unſerer nicht geringen Freude am zweiten Pfingſttage<lb/>
1863 im Fänö-Sund gefunden. Kaum war nach einer kalten Morgenfahrt von Aſſens aus der<lb/>
Anker gefallen und unſere Jacht im Sonnenſchein unter dem Schutze hoher Buchen in Ruhe<lb/>
gelegt, ſo wurde das Grundnetz ausgeworfen. Schon der erſte Zug brachte uns von Kiel her<lb/><figure><head><hirendition="#c"><hirendition="#g">Weiße Griffelſchnecke</hi> (<hirendition="#aq">Ancula cristata</hi>).</hi></head></figure><lb/>
wohlbekannte Thiere zu Tage, darunter auch Exemplare von <hirendition="#aq">Polycera ocellata,</hi> die aber meiſtens<lb/>
auffallendere gelbe Flecke auf einer dunkleren Grundfarbe als die Kieler Exemplare trugen. Alle<lb/>
hatten Kalkſtäbchen in der Haut, auch die bleichfarbigen, welche auf tiefem Grunde gefiſcht wurden.<lb/>
Jſt vielleicht ungleicher Salzgehalt die Urſache dieſer Verſchiedenheit? Dieſes zu denken, liegt<lb/>ſehr nahe; doch ſpricht gegen eine ſolche Annahme der Mangel von Kalkkörpern in Exemplaren<lb/>
aus einer kleinen Bucht von Samſö, die der ſalzreichen Nordſee noch näher liegt, als der kleine<lb/>
Belt. Wir halten beſonders die ſtarke Strömung in dem großen und kleinen Belt für eine<lb/>
wichtige Bedingung der größeren Aehnlichkeit ihrer Fauna mit der Nordſeefauna, denjenigen Thier-<lb/>
formen gegenüber, welche die ruhigen Buchten des weſtlichen Oſtſeebeckens bewohnen.“</p><lb/><p>Laſſen wir die Urſachen des Vorhandenſeins oder des Mangels jener Kalkkörperchen bei<lb/>
Seite und halten wir uns an das Faktum. Wir ſehen eine Eigenſchaft, welche eine Art mit<lb/>
allen übrigen Arten ihrer Sippe theilt, unter uns unbekannten Einflüſſen ſchwinden; wir ſehen<lb/>
eine Varietät entſtehen, zu deren Artwerdung weiter nichts als eine vollſtändige Jſolirung von<lb/>
dem Verbreitungsbezirke der Stammart gehören würde. Denn das Vorhandenſein der Kalk-<lb/>
körperchen ſetzt doch eine ſehr eingreifende und eigenthümliche Thätigkeit der Hautzellen voraus,<lb/>
welche mindeſtens ſo viele Beachtung verlangt, als tauſend andere Kleinigkeiten, nach welchen in<lb/>
der niederen Pflanzen- und Thierwelt Arten unterſchieden zu werden pflegen. Die niederen<lb/>
Thiere werden uns noch des öfteren ſolche frappante Beiſpiele der Nichtſtichhaltigkeit der<lb/>ſogenannten Artmerkmale bringen, auf welchen die Umwandlungstheorie beruht.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[868/0916]
Schnecken. Hinterkiemer. Nacktkiemer.
iſt der Mangel jener Kalkkörper. „Wenn einzelne Kalkkörper“, fahren Meyer und Möbius
fort, „in Exemplaren von Polycera ocellata, welche auf dem Wege zwiſchen der offenen Nordſee
und der Kieler Bucht wohnen, gefunden werden ſollten, ſo würde die Meinung, daß aus dem
Beſitz oder Mangel derſelben keine ſpecifiſchen Verſchiedenheiten abzuleiten ſeien, eine ſichere Stütze
gewinnen. Und dieſe haben wir auch zu unſerer nicht geringen Freude am zweiten Pfingſttage
1863 im Fänö-Sund gefunden. Kaum war nach einer kalten Morgenfahrt von Aſſens aus der
Anker gefallen und unſere Jacht im Sonnenſchein unter dem Schutze hoher Buchen in Ruhe
gelegt, ſo wurde das Grundnetz ausgeworfen. Schon der erſte Zug brachte uns von Kiel her
[Abbildung Weiße Griffelſchnecke (Ancula cristata).]
wohlbekannte Thiere zu Tage, darunter auch Exemplare von Polycera ocellata, die aber meiſtens
auffallendere gelbe Flecke auf einer dunkleren Grundfarbe als die Kieler Exemplare trugen. Alle
hatten Kalkſtäbchen in der Haut, auch die bleichfarbigen, welche auf tiefem Grunde gefiſcht wurden.
Jſt vielleicht ungleicher Salzgehalt die Urſache dieſer Verſchiedenheit? Dieſes zu denken, liegt
ſehr nahe; doch ſpricht gegen eine ſolche Annahme der Mangel von Kalkkörpern in Exemplaren
aus einer kleinen Bucht von Samſö, die der ſalzreichen Nordſee noch näher liegt, als der kleine
Belt. Wir halten beſonders die ſtarke Strömung in dem großen und kleinen Belt für eine
wichtige Bedingung der größeren Aehnlichkeit ihrer Fauna mit der Nordſeefauna, denjenigen Thier-
formen gegenüber, welche die ruhigen Buchten des weſtlichen Oſtſeebeckens bewohnen.“
Laſſen wir die Urſachen des Vorhandenſeins oder des Mangels jener Kalkkörperchen bei
Seite und halten wir uns an das Faktum. Wir ſehen eine Eigenſchaft, welche eine Art mit
allen übrigen Arten ihrer Sippe theilt, unter uns unbekannten Einflüſſen ſchwinden; wir ſehen
eine Varietät entſtehen, zu deren Artwerdung weiter nichts als eine vollſtändige Jſolirung von
dem Verbreitungsbezirke der Stammart gehören würde. Denn das Vorhandenſein der Kalk-
körperchen ſetzt doch eine ſehr eingreifende und eigenthümliche Thätigkeit der Hautzellen voraus,
welche mindeſtens ſo viele Beachtung verlangt, als tauſend andere Kleinigkeiten, nach welchen in
der niederen Pflanzen- und Thierwelt Arten unterſchieden zu werden pflegen. Die niederen
Thiere werden uns noch des öfteren ſolche frappante Beiſpiele der Nichtſtichhaltigkeit der
ſogenannten Artmerkmale bringen, auf welchen die Umwandlungstheorie beruht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 868. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/916>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.