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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Schnecken. Kreiskiemer. Käferschnecken.
wachsende Schnecken kennen gelernt. Obwohl die Patellen nie anwachsen, schließen sie sich doch
hinsichtlich ihrer ungemeinen Trägheit und Unbeweglichkeit am nächsten an jene Gattungen an.
"Man kann", sagt Johnston, "dasselbe Thier tage-, sogar jahrelang genau an derselben Stelle
finden. Nachdem diese eigenthümliche Befestigungsweise an ein und derselben Stelle in ihrem
Jugendzustande begonnen hat, suchen sie selten mehr eine andere auf, sondern modeln den unteren
Rand ihrer Schale bei deren allmäliger Vergrößerung nach allen Unregelmäßigkeiten des Felsens.
Es ist ziemlich allgemein bekannt, wie fest sie sitzen. Reaumur hat erprobt, daß ein Gewicht
von 28 bis 30 Pfund erforderlich war, um ihre (der Patella vulgaris) Haftkraft zu überwinden.
Diese erstaunliche Kraft in einem so kleinen und stumpfsinnigen Thiere hängt nicht von der
Muskelbeschaffenheit des Fußes, noch von einem mechanischen Eingreifen seiner Oberfläche in die
Poren des Steines, noch von Bildung eines luftleeren Raumes unter der Schale ab; Reaumur
hat alle diese Erklärungen mittelst einiger entscheidender Versuche widerlegt. Er schnitt das Thier,
als es auf dem Stein festsaß, vom Scheitel bis zur Spitze in zwei Hälften und machte andere
tiefe Einschnitte in wagerechter Richtung, um auf diese Art alle Muskelkraft der Sohle zu zer-
stören und alle vermutheten luftleeren Räume unter der Schale auszufüllen; aber die Haftkraft
blieb so stark, als vor dem Versuche. Selbst der Tod zerstört dieselbe nicht. Sie hängt gänzlich
von einem Leim oder Kleister ab, welcher, wenn auch unsichtbar, doch eine sehr beträchtliche
Wirkung hervorbringt. Wenn man einer abgelösten Napfschnecke den Finger an die angeheftet
gewesene Fläche hält, so bemerkt man ein sehr fühlbares Festhängen, obwohl kein Leim sichtbar ist.
Benetzt man aber jetzt denselben Fleck mit etwas Wasser, oder durchschneidet man den Grund
des Thieres, so daß das in ihm enthaltene Wasser darüber fließen kann, so erfolgt kein Anhängen
des Fingers mehr, der Leim ist aufgelöst worden. Es ist daher dieses das Auflösungsmittel der
Natur, wodurch die Thiere selbst den Zusammenhang mit dem Felsen aufheben können. Wenn
der Sturm wüthet, oder der Feind droht, klebt sich das Thier fest an seine Unterlage; ist aber
die Gefahr vorüber, so preßt es, um sich von seiner Einzwängung wieder zu befreien, etwas
Wasser aus dem Fuße, wodurch der Leim aufgelöst und das Thier befähigt wird, sich selbst zu
erheben und zu bewegen. Die klebende Flüssigkeit sowohl als das auflösende Wasser werden
in einer unendlichen Menge hirsenartiger Drüschen abgesondert; und da die Napfschnecke diese
Stoffe nicht so schnell absondern kann, als sie erschöpft werden, so kann man das Befestigungs-
vermögen des Thieres dadurch zerstören, daß man versucht, es 2 bis 3 mal hinter einander abzureißen."

So schön diese Theorie klingt, so kann ich doch nicht ganz mit ihr einverstanden sein; im
Gegentheil halte ich dafür, daß das Ansangevermögen das kräftigste Mittel für die so schwer zu
überwindende Anheftung der Napfschnecken ist. Beschleicht man eine über dem Wasserspiegel sitzende
Patella, so trifft man sie häufig mit vollständig gelüsteter Schale an. Giebt man ihr in diesem
Zustande mit einem Holz oder Hammer einen mäßigen Stoß, so fällt sie ab. Oft aber ist sie
unmittelbar vor dem Stoße im Stande, blitzschnell, durch Zusammenziehung des Fußes und
Schalenmuskels den Schalenrand auf die Unterlage aufzusetzen. Gelingt ihr dieß, so ist sie
angeheftet. Abgesehen davon, daß es ein sehr wunderbarer Leim wäre, der im Nu ergossen
werden und in demselben Augenblicke den Körper an den Felsen anleimen könnte, überzeugt man
sich auch bei den meist vergeblichen Bemühungen, die Patella unversehrt vom Steine zu lösen,
daß die größte Schwierigkeit darin besteht, den Rand der Schale zu lüften. Dieser ist aber
unmöglich in der Geschwindigkeit auch angeleimt worden. Hat man einmal einen kleinen Keil unter
eine Seite des Schalenrandes gebracht, so hat man zwar immer noch einen ziemlichen Widerstand
zu brechen, die eigentliche Kraft der Schnecke ist aber überwunden.

Ueber die Lebensweise der an den europäischen Küsten gemeinen Napfschnecke (Patella
vulgata
) hat ein Herr Lukis auf der Jnsel Guernsey interessante Beobachtungen gemacht. "Der
Ortwechsel der Napfschnecken", sagt er, "muß zur Vermeidung jeden Jrrthums an einem und dem-
selben Jndividuum beobachtet werden, und man wird dann sehen, wie es vorsichtig umherkriecht

Schnecken. Kreiskiemer. Käferſchnecken.
wachſende Schnecken kennen gelernt. Obwohl die Patellen nie anwachſen, ſchließen ſie ſich doch
hinſichtlich ihrer ungemeinen Trägheit und Unbeweglichkeit am nächſten an jene Gattungen an.
„Man kann“, ſagt Johnſton, „daſſelbe Thier tage-, ſogar jahrelang genau an derſelben Stelle
finden. Nachdem dieſe eigenthümliche Befeſtigungsweiſe an ein und derſelben Stelle in ihrem
Jugendzuſtande begonnen hat, ſuchen ſie ſelten mehr eine andere auf, ſondern modeln den unteren
Rand ihrer Schale bei deren allmäliger Vergrößerung nach allen Unregelmäßigkeiten des Felſens.
Es iſt ziemlich allgemein bekannt, wie feſt ſie ſitzen. Réaumur hat erprobt, daß ein Gewicht
von 28 bis 30 Pfund erforderlich war, um ihre (der Patella vulgaris) Haftkraft zu überwinden.
Dieſe erſtaunliche Kraft in einem ſo kleinen und ſtumpfſinnigen Thiere hängt nicht von der
Muskelbeſchaffenheit des Fußes, noch von einem mechaniſchen Eingreifen ſeiner Oberfläche in die
Poren des Steines, noch von Bildung eines luftleeren Raumes unter der Schale ab; Réaumur
hat alle dieſe Erklärungen mittelſt einiger entſcheidender Verſuche widerlegt. Er ſchnitt das Thier,
als es auf dem Stein feſtſaß, vom Scheitel bis zur Spitze in zwei Hälften und machte andere
tiefe Einſchnitte in wagerechter Richtung, um auf dieſe Art alle Muskelkraft der Sohle zu zer-
ſtören und alle vermutheten luftleeren Räume unter der Schale auszufüllen; aber die Haftkraft
blieb ſo ſtark, als vor dem Verſuche. Selbſt der Tod zerſtört dieſelbe nicht. Sie hängt gänzlich
von einem Leim oder Kleiſter ab, welcher, wenn auch unſichtbar, doch eine ſehr beträchtliche
Wirkung hervorbringt. Wenn man einer abgelöſten Napfſchnecke den Finger an die angeheftet
geweſene Fläche hält, ſo bemerkt man ein ſehr fühlbares Feſthängen, obwohl kein Leim ſichtbar iſt.
Benetzt man aber jetzt denſelben Fleck mit etwas Waſſer, oder durchſchneidet man den Grund
des Thieres, ſo daß das in ihm enthaltene Waſſer darüber fließen kann, ſo erfolgt kein Anhängen
des Fingers mehr, der Leim iſt aufgelöſt worden. Es iſt daher dieſes das Auflöſungsmittel der
Natur, wodurch die Thiere ſelbſt den Zuſammenhang mit dem Felſen aufheben können. Wenn
der Sturm wüthet, oder der Feind droht, klebt ſich das Thier feſt an ſeine Unterlage; iſt aber
die Gefahr vorüber, ſo preßt es, um ſich von ſeiner Einzwängung wieder zu befreien, etwas
Waſſer aus dem Fuße, wodurch der Leim aufgelöſt und das Thier befähigt wird, ſich ſelbſt zu
erheben und zu bewegen. Die klebende Flüſſigkeit ſowohl als das auflöſende Waſſer werden
in einer unendlichen Menge hirſenartiger Drüschen abgeſondert; und da die Napfſchnecke dieſe
Stoffe nicht ſo ſchnell abſondern kann, als ſie erſchöpft werden, ſo kann man das Befeſtigungs-
vermögen des Thieres dadurch zerſtören, daß man verſucht, es 2 bis 3 mal hinter einander abzureißen.“

So ſchön dieſe Theorie klingt, ſo kann ich doch nicht ganz mit ihr einverſtanden ſein; im
Gegentheil halte ich dafür, daß das Anſangevermögen das kräftigſte Mittel für die ſo ſchwer zu
überwindende Anheftung der Napfſchnecken iſt. Beſchleicht man eine über dem Waſſerſpiegel ſitzende
Patella, ſo trifft man ſie häufig mit vollſtändig gelüſteter Schale an. Giebt man ihr in dieſem
Zuſtande mit einem Holz oder Hammer einen mäßigen Stoß, ſo fällt ſie ab. Oft aber iſt ſie
unmittelbar vor dem Stoße im Stande, blitzſchnell, durch Zuſammenziehung des Fußes und
Schalenmuskels den Schalenrand auf die Unterlage aufzuſetzen. Gelingt ihr dieß, ſo iſt ſie
angeheftet. Abgeſehen davon, daß es ein ſehr wunderbarer Leim wäre, der im Nu ergoſſen
werden und in demſelben Augenblicke den Körper an den Felſen anleimen könnte, überzeugt man
ſich auch bei den meiſt vergeblichen Bemühungen, die Patella unverſehrt vom Steine zu löſen,
daß die größte Schwierigkeit darin beſteht, den Rand der Schale zu lüften. Dieſer iſt aber
unmöglich in der Geſchwindigkeit auch angeleimt worden. Hat man einmal einen kleinen Keil unter
eine Seite des Schalenrandes gebracht, ſo hat man zwar immer noch einen ziemlichen Widerſtand
zu brechen, die eigentliche Kraft der Schnecke iſt aber überwunden.

Ueber die Lebensweiſe der an den europäiſchen Küſten gemeinen Napfſchnecke (Patella
vulgata
) hat ein Herr Lukis auf der Jnſel Guernſey intereſſante Beobachtungen gemacht. „Der
Ortwechſel der Napfſchnecken“, ſagt er, „muß zur Vermeidung jeden Jrrthums an einem und dem-
ſelben Jndividuum beobachtet werden, und man wird dann ſehen, wie es vorſichtig umherkriecht

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[850/0898] Schnecken. Kreiskiemer. Käferſchnecken. wachſende Schnecken kennen gelernt. Obwohl die Patellen nie anwachſen, ſchließen ſie ſich doch hinſichtlich ihrer ungemeinen Trägheit und Unbeweglichkeit am nächſten an jene Gattungen an. „Man kann“, ſagt Johnſton, „daſſelbe Thier tage-, ſogar jahrelang genau an derſelben Stelle finden. Nachdem dieſe eigenthümliche Befeſtigungsweiſe an ein und derſelben Stelle in ihrem Jugendzuſtande begonnen hat, ſuchen ſie ſelten mehr eine andere auf, ſondern modeln den unteren Rand ihrer Schale bei deren allmäliger Vergrößerung nach allen Unregelmäßigkeiten des Felſens. Es iſt ziemlich allgemein bekannt, wie feſt ſie ſitzen. Réaumur hat erprobt, daß ein Gewicht von 28 bis 30 Pfund erforderlich war, um ihre (der Patella vulgaris) Haftkraft zu überwinden. Dieſe erſtaunliche Kraft in einem ſo kleinen und ſtumpfſinnigen Thiere hängt nicht von der Muskelbeſchaffenheit des Fußes, noch von einem mechaniſchen Eingreifen ſeiner Oberfläche in die Poren des Steines, noch von Bildung eines luftleeren Raumes unter der Schale ab; Réaumur hat alle dieſe Erklärungen mittelſt einiger entſcheidender Verſuche widerlegt. Er ſchnitt das Thier, als es auf dem Stein feſtſaß, vom Scheitel bis zur Spitze in zwei Hälften und machte andere tiefe Einſchnitte in wagerechter Richtung, um auf dieſe Art alle Muskelkraft der Sohle zu zer- ſtören und alle vermutheten luftleeren Räume unter der Schale auszufüllen; aber die Haftkraft blieb ſo ſtark, als vor dem Verſuche. Selbſt der Tod zerſtört dieſelbe nicht. Sie hängt gänzlich von einem Leim oder Kleiſter ab, welcher, wenn auch unſichtbar, doch eine ſehr beträchtliche Wirkung hervorbringt. Wenn man einer abgelöſten Napfſchnecke den Finger an die angeheftet geweſene Fläche hält, ſo bemerkt man ein ſehr fühlbares Feſthängen, obwohl kein Leim ſichtbar iſt. Benetzt man aber jetzt denſelben Fleck mit etwas Waſſer, oder durchſchneidet man den Grund des Thieres, ſo daß das in ihm enthaltene Waſſer darüber fließen kann, ſo erfolgt kein Anhängen des Fingers mehr, der Leim iſt aufgelöſt worden. Es iſt daher dieſes das Auflöſungsmittel der Natur, wodurch die Thiere ſelbſt den Zuſammenhang mit dem Felſen aufheben können. Wenn der Sturm wüthet, oder der Feind droht, klebt ſich das Thier feſt an ſeine Unterlage; iſt aber die Gefahr vorüber, ſo preßt es, um ſich von ſeiner Einzwängung wieder zu befreien, etwas Waſſer aus dem Fuße, wodurch der Leim aufgelöſt und das Thier befähigt wird, ſich ſelbſt zu erheben und zu bewegen. Die klebende Flüſſigkeit ſowohl als das auflöſende Waſſer werden in einer unendlichen Menge hirſenartiger Drüschen abgeſondert; und da die Napfſchnecke dieſe Stoffe nicht ſo ſchnell abſondern kann, als ſie erſchöpft werden, ſo kann man das Befeſtigungs- vermögen des Thieres dadurch zerſtören, daß man verſucht, es 2 bis 3 mal hinter einander abzureißen.“ So ſchön dieſe Theorie klingt, ſo kann ich doch nicht ganz mit ihr einverſtanden ſein; im Gegentheil halte ich dafür, daß das Anſangevermögen das kräftigſte Mittel für die ſo ſchwer zu überwindende Anheftung der Napfſchnecken iſt. Beſchleicht man eine über dem Waſſerſpiegel ſitzende Patella, ſo trifft man ſie häufig mit vollſtändig gelüſteter Schale an. Giebt man ihr in dieſem Zuſtande mit einem Holz oder Hammer einen mäßigen Stoß, ſo fällt ſie ab. Oft aber iſt ſie unmittelbar vor dem Stoße im Stande, blitzſchnell, durch Zuſammenziehung des Fußes und Schalenmuskels den Schalenrand auf die Unterlage aufzuſetzen. Gelingt ihr dieß, ſo iſt ſie angeheftet. Abgeſehen davon, daß es ein ſehr wunderbarer Leim wäre, der im Nu ergoſſen werden und in demſelben Augenblicke den Körper an den Felſen anleimen könnte, überzeugt man ſich auch bei den meiſt vergeblichen Bemühungen, die Patella unverſehrt vom Steine zu löſen, daß die größte Schwierigkeit darin beſteht, den Rand der Schale zu lüften. Dieſer iſt aber unmöglich in der Geſchwindigkeit auch angeleimt worden. Hat man einmal einen kleinen Keil unter eine Seite des Schalenrandes gebracht, ſo hat man zwar immer noch einen ziemlichen Widerſtand zu brechen, die eigentliche Kraft der Schnecke iſt aber überwunden. Ueber die Lebensweiſe der an den europäiſchen Küſten gemeinen Napfſchnecke (Patella vulgata) hat ein Herr Lukis auf der Jnſel Guernſey intereſſante Beobachtungen gemacht. „Der Ortwechſel der Napfſchnecken“, ſagt er, „muß zur Vermeidung jeden Jrrthums an einem und dem- ſelben Jndividuum beobachtet werden, und man wird dann ſehen, wie es vorſichtig umherkriecht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 850. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/898>, abgerufen am 24.11.2024.