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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Olive. Ancilla. Harfe. Kinkhorn.
wodurch diese Stelle schwächer wird und bei einer starken Zusammenziehung sich trennt. Unter
50 Thieren haben wir diese Trennung bei 40 beobachtet." Obwohl solche Trennungen und
Abschneidungen freiwillig zu erfolgen scheinen, so wird jedoch eben so sehr bei diesen Weichthieren,
als bei den durch ihre Selbstverstümmelung berühmten Holothurien ein vom Nervensystem
beeinflußter Krampf im Spiele sein. Der verlorene Theil soll sich ungeachtet seiner Größe bald
wieder ersetzen.



Ein gemeiner Bewohner der Nordsee, das gewellte Kinkhorn (Buceinum undatum),
wird gewöhnlich der Charakterisirung der Familie der Bucciniden zu Grunde gelegt. Die
bis drei Zoll hohe Schale ist kegelig-eiförmig, bauchig und auf den konvexen, längsfaltigen
Windungen mit erhabenen Querleisten und feinen Längslinien versehen. Das Thier hat einen
platten, vorn abgestutzten Kopf, an dessen beiden Ecken die ziemlich langen Fühler stehen. Außen
am Grunde derselben befinden sich die Augen. Der große Fuß ist hinten und an den vorderen
Ecken abgerundet. Man kann nicht leicht einige Tage am Strande unserer nördlichen Meere sich
aufhalten, ohne unter den Auswürflingen des Wassers die traubenartig zusammenhaltenden gelb-
lichen Eibehälter dieses Thieres zu finden. Die einzelnen lederartigen Beutel sind etwa halb so
groß, wie eine Erbse und von zusammengedrückter Kugelgestalt. Ein starkes Band vereinigt sie
zu einer rundlichen Masse, welche von Ellis "Seeseifenkugel" genannt wird, indem die Schiffer
sich ihrer bedienen, um die Hände damit zu reinigen. Diese Eibehälter-Massen werden von den
Schnecken an verschiedene untermeerische Körper, Steine, Holzstücke, Austern u. s. w. angeheftet
und die Wandungen der Kapseln sind anfangs so dünn und durchsichtig, daß man die darin ein-
geschlossenen Eier leicht beobachten kann. Eine jede enthält die erstaunliche Anzahl von 600 bis
800 Eiern; noch erstaunlicher ist aber, daß nur eine geringe Menge junger Schnecken, etwa
4 bis 12, aus der Kapsel hervorgehen. Die bekannten norwegischen Naturforscher Koren und
Danielssen verfolgten die Entwicklung der Embryonen und stellten die Behauptung auf, nicht aus
einem Ei, wie sonst im Thierreiche, ginge das Junge hervor, sondern 40 bis 150 Eier ballten
sich zusammen, um nach dieser Vereinigung sich zu einem Embryo umzugestalten. Es hat sich
aber ergeben, daß der Vorgang ein anderer, obwohl nicht minder merkwürdiger ist. Die Anlage
des Embryos geschieht aus dem Material eines einzigen Eies. Sobald aber die ersten Organe
zum Vorschein gekommen sind, unter ihnen namentlich das schon oben bei Vermetus von uns
kennen gelernte Segel und der Fuß, versieht sich das werdende Thierchen mit Mund und Darm
und schluckt nun mit wahrhaftem Heißhunger die es umgebenden, nicht zur Entwicklung kommenden
Eier ein. Seine Leibeshöhle wird dadurch so ausgefüllt und zu einer dünnen durchsichtigen Hülle
ausgedehnt, daß der Jrrthum, das kleine Wesen sei ein Conglomerat vieler Eier, verzeihlich ist.
Die verschluckten Eier dienen also einfach als Nahrung und versehen in diesem Falle die Stelle
des sogenannten Nahrungsdotters, d. h. derjenigen Portion des zu einem Ei gehörigen Dotters,
welcher im Verlaufe der Entwicklung nicht direkt sich in die Gewebe und Körpersubstanz des
Embryos umwandelt, sondern als Nahrung im Darmkanale des jungen Thieres verdaut wird.
Die in den Kapseln enthaltenen Eier sind anfänglich von durchaus gleicher Beschaffenheit, und
sind die eigentlichen Ursachen, wodurch nur jene wenigen zur Entwicklung auserwählt werden,
unbekannt.

Von den übrigen, den wärmeren Meeren angehörigen Buccinum-Arten kennt man die
Entwicklung nicht, doch darf angenommen werden, daß sie denselben Verlauf nimmt.

Buccinum undatum hält sich in der Nähe der sandigen Küsten auf, wo es sich häufig mit
Hülfe seines Fußes einbohrt. Dieß geschieht, um den dort sich aufhaltenden Muscheln (Pecten
opercularis,
Arten von Mactra u. a.) nachzustellen. Der ersten soll sich das Buccinum nicht
selten dadurch bemächtigen, daß es den Fuß zwischen die geöffnete Schale schiebt, wobei es aller-
dings riskirt, arg gekniffen zu werden. Jedenfalls geschieht der Angriff auf die Muschel viel

Olive. Ancilla. Harfe. Kinkhorn.
wodurch dieſe Stelle ſchwächer wird und bei einer ſtarken Zuſammenziehung ſich trennt. Unter
50 Thieren haben wir dieſe Trennung bei 40 beobachtet.“ Obwohl ſolche Trennungen und
Abſchneidungen freiwillig zu erfolgen ſcheinen, ſo wird jedoch eben ſo ſehr bei dieſen Weichthieren,
als bei den durch ihre Selbſtverſtümmelung berühmten Holothurien ein vom Nervenſyſtem
beeinflußter Krampf im Spiele ſein. Der verlorene Theil ſoll ſich ungeachtet ſeiner Größe bald
wieder erſetzen.



Ein gemeiner Bewohner der Nordſee, das gewellte Kinkhorn (Buceinum undatum),
wird gewöhnlich der Charakteriſirung der Familie der Bucciniden zu Grunde gelegt. Die
bis drei Zoll hohe Schale iſt kegelig-eiförmig, bauchig und auf den konvexen, längsfaltigen
Windungen mit erhabenen Querleiſten und feinen Längslinien verſehen. Das Thier hat einen
platten, vorn abgeſtutzten Kopf, an deſſen beiden Ecken die ziemlich langen Fühler ſtehen. Außen
am Grunde derſelben befinden ſich die Augen. Der große Fuß iſt hinten und an den vorderen
Ecken abgerundet. Man kann nicht leicht einige Tage am Strande unſerer nördlichen Meere ſich
aufhalten, ohne unter den Auswürflingen des Waſſers die traubenartig zuſammenhaltenden gelb-
lichen Eibehälter dieſes Thieres zu finden. Die einzelnen lederartigen Beutel ſind etwa halb ſo
groß, wie eine Erbſe und von zuſammengedrückter Kugelgeſtalt. Ein ſtarkes Band vereinigt ſie
zu einer rundlichen Maſſe, welche von Ellis „Seeſeifenkugel“ genannt wird, indem die Schiffer
ſich ihrer bedienen, um die Hände damit zu reinigen. Dieſe Eibehälter-Maſſen werden von den
Schnecken an verſchiedene untermeeriſche Körper, Steine, Holzſtücke, Auſtern u. ſ. w. angeheftet
und die Wandungen der Kapſeln ſind anfangs ſo dünn und durchſichtig, daß man die darin ein-
geſchloſſenen Eier leicht beobachten kann. Eine jede enthält die erſtaunliche Anzahl von 600 bis
800 Eiern; noch erſtaunlicher iſt aber, daß nur eine geringe Menge junger Schnecken, etwa
4 bis 12, aus der Kapſel hervorgehen. Die bekannten norwegiſchen Naturforſcher Koren und
Danielſſen verfolgten die Entwicklung der Embryonen und ſtellten die Behauptung auf, nicht aus
einem Ei, wie ſonſt im Thierreiche, ginge das Junge hervor, ſondern 40 bis 150 Eier ballten
ſich zuſammen, um nach dieſer Vereinigung ſich zu einem Embryo umzugeſtalten. Es hat ſich
aber ergeben, daß der Vorgang ein anderer, obwohl nicht minder merkwürdiger iſt. Die Anlage
des Embryos geſchieht aus dem Material eines einzigen Eies. Sobald aber die erſten Organe
zum Vorſchein gekommen ſind, unter ihnen namentlich das ſchon oben bei Vermetus von uns
kennen gelernte Segel und der Fuß, verſieht ſich das werdende Thierchen mit Mund und Darm
und ſchluckt nun mit wahrhaftem Heißhunger die es umgebenden, nicht zur Entwicklung kommenden
Eier ein. Seine Leibeshöhle wird dadurch ſo ausgefüllt und zu einer dünnen durchſichtigen Hülle
ausgedehnt, daß der Jrrthum, das kleine Weſen ſei ein Conglomerat vieler Eier, verzeihlich iſt.
Die verſchluckten Eier dienen alſo einfach als Nahrung und verſehen in dieſem Falle die Stelle
des ſogenannten Nahrungsdotters, d. h. derjenigen Portion des zu einem Ei gehörigen Dotters,
welcher im Verlaufe der Entwicklung nicht direkt ſich in die Gewebe und Körperſubſtanz des
Embryos umwandelt, ſondern als Nahrung im Darmkanale des jungen Thieres verdaut wird.
Die in den Kapſeln enthaltenen Eier ſind anfänglich von durchaus gleicher Beſchaffenheit, und
ſind die eigentlichen Urſachen, wodurch nur jene wenigen zur Entwicklung auserwählt werden,
unbekannt.

Von den übrigen, den wärmeren Meeren angehörigen Buccinum-Arten kennt man die
Entwicklung nicht, doch darf angenommen werden, daß ſie denſelben Verlauf nimmt.

Buccinum undatum hält ſich in der Nähe der ſandigen Küſten auf, wo es ſich häufig mit
Hülfe ſeines Fußes einbohrt. Dieß geſchieht, um den dort ſich aufhaltenden Muſcheln (Pecten
opercularis,
Arten von Mactra u. a.) nachzuſtellen. Der erſten ſoll ſich das Buccinum nicht
ſelten dadurch bemächtigen, daß es den Fuß zwiſchen die geöffnete Schale ſchiebt, wobei es aller-
dings riskirt, arg gekniffen zu werden. Jedenfalls geſchieht der Angriff auf die Muſchel viel

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[829/0877] Olive. Ancilla. Harfe. Kinkhorn. wodurch dieſe Stelle ſchwächer wird und bei einer ſtarken Zuſammenziehung ſich trennt. Unter 50 Thieren haben wir dieſe Trennung bei 40 beobachtet.“ Obwohl ſolche Trennungen und Abſchneidungen freiwillig zu erfolgen ſcheinen, ſo wird jedoch eben ſo ſehr bei dieſen Weichthieren, als bei den durch ihre Selbſtverſtümmelung berühmten Holothurien ein vom Nervenſyſtem beeinflußter Krampf im Spiele ſein. Der verlorene Theil ſoll ſich ungeachtet ſeiner Größe bald wieder erſetzen. Ein gemeiner Bewohner der Nordſee, das gewellte Kinkhorn (Buceinum undatum), wird gewöhnlich der Charakteriſirung der Familie der Bucciniden zu Grunde gelegt. Die bis drei Zoll hohe Schale iſt kegelig-eiförmig, bauchig und auf den konvexen, längsfaltigen Windungen mit erhabenen Querleiſten und feinen Längslinien verſehen. Das Thier hat einen platten, vorn abgeſtutzten Kopf, an deſſen beiden Ecken die ziemlich langen Fühler ſtehen. Außen am Grunde derſelben befinden ſich die Augen. Der große Fuß iſt hinten und an den vorderen Ecken abgerundet. Man kann nicht leicht einige Tage am Strande unſerer nördlichen Meere ſich aufhalten, ohne unter den Auswürflingen des Waſſers die traubenartig zuſammenhaltenden gelb- lichen Eibehälter dieſes Thieres zu finden. Die einzelnen lederartigen Beutel ſind etwa halb ſo groß, wie eine Erbſe und von zuſammengedrückter Kugelgeſtalt. Ein ſtarkes Band vereinigt ſie zu einer rundlichen Maſſe, welche von Ellis „Seeſeifenkugel“ genannt wird, indem die Schiffer ſich ihrer bedienen, um die Hände damit zu reinigen. Dieſe Eibehälter-Maſſen werden von den Schnecken an verſchiedene untermeeriſche Körper, Steine, Holzſtücke, Auſtern u. ſ. w. angeheftet und die Wandungen der Kapſeln ſind anfangs ſo dünn und durchſichtig, daß man die darin ein- geſchloſſenen Eier leicht beobachten kann. Eine jede enthält die erſtaunliche Anzahl von 600 bis 800 Eiern; noch erſtaunlicher iſt aber, daß nur eine geringe Menge junger Schnecken, etwa 4 bis 12, aus der Kapſel hervorgehen. Die bekannten norwegiſchen Naturforſcher Koren und Danielſſen verfolgten die Entwicklung der Embryonen und ſtellten die Behauptung auf, nicht aus einem Ei, wie ſonſt im Thierreiche, ginge das Junge hervor, ſondern 40 bis 150 Eier ballten ſich zuſammen, um nach dieſer Vereinigung ſich zu einem Embryo umzugeſtalten. Es hat ſich aber ergeben, daß der Vorgang ein anderer, obwohl nicht minder merkwürdiger iſt. Die Anlage des Embryos geſchieht aus dem Material eines einzigen Eies. Sobald aber die erſten Organe zum Vorſchein gekommen ſind, unter ihnen namentlich das ſchon oben bei Vermetus von uns kennen gelernte Segel und der Fuß, verſieht ſich das werdende Thierchen mit Mund und Darm und ſchluckt nun mit wahrhaftem Heißhunger die es umgebenden, nicht zur Entwicklung kommenden Eier ein. Seine Leibeshöhle wird dadurch ſo ausgefüllt und zu einer dünnen durchſichtigen Hülle ausgedehnt, daß der Jrrthum, das kleine Weſen ſei ein Conglomerat vieler Eier, verzeihlich iſt. Die verſchluckten Eier dienen alſo einfach als Nahrung und verſehen in dieſem Falle die Stelle des ſogenannten Nahrungsdotters, d. h. derjenigen Portion des zu einem Ei gehörigen Dotters, welcher im Verlaufe der Entwicklung nicht direkt ſich in die Gewebe und Körperſubſtanz des Embryos umwandelt, ſondern als Nahrung im Darmkanale des jungen Thieres verdaut wird. Die in den Kapſeln enthaltenen Eier ſind anfänglich von durchaus gleicher Beſchaffenheit, und ſind die eigentlichen Urſachen, wodurch nur jene wenigen zur Entwicklung auserwählt werden, unbekannt. Von den übrigen, den wärmeren Meeren angehörigen Buccinum-Arten kennt man die Entwicklung nicht, doch darf angenommen werden, daß ſie denſelben Verlauf nimmt. Buccinum undatum hält ſich in der Nähe der ſandigen Küſten auf, wo es ſich häufig mit Hülfe ſeines Fußes einbohrt. Dieß geſchieht, um den dort ſich aufhaltenden Muſcheln (Pecten opercularis, Arten von Mactra u. a.) nachzuſtellen. Der erſten ſoll ſich das Buccinum nicht ſelten dadurch bemächtigen, daß es den Fuß zwiſchen die geöffnete Schale ſchiebt, wobei es aller- dings riskirt, arg gekniffen zu werden. Jedenfalls geſchieht der Angriff auf die Muſchel viel

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 829. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/877>, abgerufen am 24.11.2024.