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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Weinbergschnecke und andre Helix-Arten.
züchtete und mästete man sie in eignen Gärten. Doch ist die gute Zeit vorüber, wo in der
Gegend von Ulm die Helix pomatia durch eigne Schneckenbauern in diesen Gärten gehegt und
jährlich über 4 Millionen in Fässern zu 10,000 Stück im Winter auf der Donau hinunter bis
jenseits Wien ausgeführt wurden. Jn Steiermark, wo sie auch in ziemlicher Menge gegessen
werden, sammelt man sie einfach im Herbste ein, nachdem sie sich bedeckelt haben, und bewahrt
sie zwischen Hafer auf. Natürlich trocknet derselbe während des Winters etwas zusammen, was
die Leute damit erklären, die Schnecken verzehrten denselben. Wie das durch den Deckel hindurch
geschehn könne, wußte man mir freilich nicht anzugeben. Man ißt sie hier zu Lande einfach nur
abgekocht; ob eine andre Zubereitung sie zu einer größern Delicatesse macht, kann ich aus eigner
Erfahrung nicht sagen.

Jm südlichen Deutschland gränzt an den Verbreitungsbezirk der Weinbergschnecke derjenige
der vorzugsweise dem Süden Europas angehörigen gesprenkelten Schnirkelschnecke (Helix
adspersa
). Sie ist etwas kleiner, ihr Gehäus dem der vorigen ähnlich, gebändert und mit weißen
oder gelblichen flammigen Springseln bedeckt und wie damit bespritzt. Sie ist ein wichtiges
Nahrungsmittel der niederen Volksklassen des südlichen Europa, besonders Jtaliens. Jn den
offenen Garküchen der größeren Städte wird sie in Kesseln gesotten, und ich habe in Neapel oft
mein Geschick gepriesen, daß ich nicht die Brühe zu trinken brauchte, welche der Lazzarone zu seiner
reichlichen, um eine kleine Kupfermünze gekausten Portion zubekam und die er als ein köstliches
Naß aufsog. Die Beobachtung des Verkaufes solcher allverbreiteter, nur die Arbeit des Ein-
sammelns und die einfachste Zubereitung kostender Lebensmittel macht es begreiflich, welch ein
großer Reiz dort im Müßiggehn und Betteln liegt. Ein Paar Bajok für den Mittagstisch treibt
ein geschickter Bettler doch auf; dafür hat er nicht nur Fleisch und kräftige Brühe, sondern zum
Nachtisch ein großes Stück Wassermelone, welche neben den brodelnden Schneckenkesseln mit wahrer
Virtuosität ausgeboten werden. Schon im Alterthum wurden aber außer dieser noch verschiedene
andre, zum Theil eingeführte Arten gezüchtet und gemästet. Wie Plinius erzählt, beschäftigte
sich zuerst Fulvins Lippinus kurze Zeit vor dem pompejanischen Kriege mit der Schnecken-
zucht, und je in besonderen Ställen wurden die weißen Schnecken aus der Gegend von Reate
gehalten, die besonders großen illyrischen, die durch ihre Fruchtbarkeit ausgezeichneten afrikanischen
und die hochgeschätzten solitanischen. Ja sogar einen Teig aus Most, Weizenmehl und anderen
Bestandtheilen hatte er ersonnen, um fette, schmackhafte Schnecken auf die Tafel zu bringen.
Welche ausländische Arten gezogen wurden, ob darunter etwa der und jener Bulimus und Achatina
aus Afrika, läßt sich nicht angeben. Jn Unteritalien verspeist man außer der Helix adspersa jetzt
vorzüglich noch H. naticoides und vermiculata und in Venedig die kleineren H. pisana, welche in
ungeheuren Mengen auf den Dünenpflanzen sich aufhalten. "Diese niedliche Schnecke hat die
Gestalt der gewöhnlichen Gartenschnecke, ohne jedoch ihre Größe ganz zu erreichen; dabei ist sie
etwas genabelt, die Mündung inwendig rosenfarbig, die äußere Schale aber weiß mit gelbbraunen
Bändern, welche beinahe an jeder einzelnen Schale wieder verschieden, bald wie Notenlinien fort-
laufend, bald wie Laubwerk nach oben und unten ausgeschweift, bald aus Punkten und Quer-
strichen zusammengesetzt, oft sehr lebhaft, oft blaß sind oder ganz fehlen. Diese Schnecken werden
in großer Menge nach Venedig gebracht, dort abgesotten, mit sammt der Schale mit gehacktem
Knoblauch und Oel in großen Schüsseln angemacht und den ganzen Sommer durch auf allen
Plätzen verkauft." (Martens.)

Mit der Weinbergsschnecke haben noch drei größere, sehr gemeine Arten fast denselben Ver-
breitungsbezirk, wovon die meisten unserer deutschen Leser sich in ihrer nächsten Umgebung werden
überzeugen können. Die gefleckte Schnirkelschnecke oder Baumschnecke (Helix arbustorum)
ist in der Grundfarbe kastanienbraun und mit zahlreichen unregelmäßigen strohgelben Stricheln
besprengt. Der Mundsaum ist immer mit einer glänzend weißen Lippe belegt. Das Thier ist
blauschwarz mit lichterer Sohle und hält sich in Gärten, Vorhölzern und Hecken an schattigen

Weinbergſchnecke und andre Helix-Arten.
züchtete und mäſtete man ſie in eignen Gärten. Doch iſt die gute Zeit vorüber, wo in der
Gegend von Ulm die Helix pomatia durch eigne Schneckenbauern in dieſen Gärten gehegt und
jährlich über 4 Millionen in Fäſſern zu 10,000 Stück im Winter auf der Donau hinunter bis
jenſeits Wien ausgeführt wurden. Jn Steiermark, wo ſie auch in ziemlicher Menge gegeſſen
werden, ſammelt man ſie einfach im Herbſte ein, nachdem ſie ſich bedeckelt haben, und bewahrt
ſie zwiſchen Hafer auf. Natürlich trocknet derſelbe während des Winters etwas zuſammen, was
die Leute damit erklären, die Schnecken verzehrten denſelben. Wie das durch den Deckel hindurch
geſchehn könne, wußte man mir freilich nicht anzugeben. Man ißt ſie hier zu Lande einfach nur
abgekocht; ob eine andre Zubereitung ſie zu einer größern Delicateſſe macht, kann ich aus eigner
Erfahrung nicht ſagen.

Jm ſüdlichen Deutſchland gränzt an den Verbreitungsbezirk der Weinbergſchnecke derjenige
der vorzugsweiſe dem Süden Europas angehörigen geſprenkelten Schnirkelſchnecke (Helix
adspersa
). Sie iſt etwas kleiner, ihr Gehäus dem der vorigen ähnlich, gebändert und mit weißen
oder gelblichen flammigen Springſeln bedeckt und wie damit beſpritzt. Sie iſt ein wichtiges
Nahrungsmittel der niederen Volksklaſſen des ſüdlichen Europa, beſonders Jtaliens. Jn den
offenen Garküchen der größeren Städte wird ſie in Keſſeln geſotten, und ich habe in Neapel oft
mein Geſchick geprieſen, daß ich nicht die Brühe zu trinken brauchte, welche der Lazzarone zu ſeiner
reichlichen, um eine kleine Kupfermünze gekauſten Portion zubekam und die er als ein köſtliches
Naß aufſog. Die Beobachtung des Verkaufes ſolcher allverbreiteter, nur die Arbeit des Ein-
ſammelns und die einfachſte Zubereitung koſtender Lebensmittel macht es begreiflich, welch ein
großer Reiz dort im Müßiggehn und Betteln liegt. Ein Paar Bajok für den Mittagstiſch treibt
ein geſchickter Bettler doch auf; dafür hat er nicht nur Fleiſch und kräftige Brühe, ſondern zum
Nachtiſch ein großes Stück Waſſermelone, welche neben den brodelnden Schneckenkeſſeln mit wahrer
Virtuoſität ausgeboten werden. Schon im Alterthum wurden aber außer dieſer noch verſchiedene
andre, zum Theil eingeführte Arten gezüchtet und gemäſtet. Wie Plinius erzählt, beſchäftigte
ſich zuerſt Fulvins Lippinus kurze Zeit vor dem pompejaniſchen Kriege mit der Schnecken-
zucht, und je in beſonderen Ställen wurden die weißen Schnecken aus der Gegend von Reate
gehalten, die beſonders großen illyriſchen, die durch ihre Fruchtbarkeit ausgezeichneten afrikaniſchen
und die hochgeſchätzten ſolitaniſchen. Ja ſogar einen Teig aus Moſt, Weizenmehl und anderen
Beſtandtheilen hatte er erſonnen, um fette, ſchmackhafte Schnecken auf die Tafel zu bringen.
Welche ausländiſche Arten gezogen wurden, ob darunter etwa der und jener Bulimus und Achatina
aus Afrika, läßt ſich nicht angeben. Jn Unteritalien verſpeiſt man außer der Helix adspersa jetzt
vorzüglich noch H. naticoides und vermiculata und in Venedig die kleineren H. pisana, welche in
ungeheuren Mengen auf den Dünenpflanzen ſich aufhalten. „Dieſe niedliche Schnecke hat die
Geſtalt der gewöhnlichen Gartenſchnecke, ohne jedoch ihre Größe ganz zu erreichen; dabei iſt ſie
etwas genabelt, die Mündung inwendig roſenfarbig, die äußere Schale aber weiß mit gelbbraunen
Bändern, welche beinahe an jeder einzelnen Schale wieder verſchieden, bald wie Notenlinien fort-
laufend, bald wie Laubwerk nach oben und unten ausgeſchweift, bald aus Punkten und Quer-
ſtrichen zuſammengeſetzt, oft ſehr lebhaft, oft blaß ſind oder ganz fehlen. Dieſe Schnecken werden
in großer Menge nach Venedig gebracht, dort abgeſotten, mit ſammt der Schale mit gehacktem
Knoblauch und Oel in großen Schüſſeln angemacht und den ganzen Sommer durch auf allen
Plätzen verkauft.“ (Martens.)

Mit der Weinbergsſchnecke haben noch drei größere, ſehr gemeine Arten faſt denſelben Ver-
breitungsbezirk, wovon die meiſten unſerer deutſchen Leſer ſich in ihrer nächſten Umgebung werden
überzeugen können. Die gefleckte Schnirkelſchnecke oder Baumſchnecke (Helix arbustorum)
iſt in der Grundfarbe kaſtanienbraun und mit zahlreichen unregelmäßigen ſtrohgelben Stricheln
beſprengt. Der Mundſaum iſt immer mit einer glänzend weißen Lippe belegt. Das Thier iſt
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[797/0843] Weinbergſchnecke und andre Helix-Arten. züchtete und mäſtete man ſie in eignen Gärten. Doch iſt die gute Zeit vorüber, wo in der Gegend von Ulm die Helix pomatia durch eigne Schneckenbauern in dieſen Gärten gehegt und jährlich über 4 Millionen in Fäſſern zu 10,000 Stück im Winter auf der Donau hinunter bis jenſeits Wien ausgeführt wurden. Jn Steiermark, wo ſie auch in ziemlicher Menge gegeſſen werden, ſammelt man ſie einfach im Herbſte ein, nachdem ſie ſich bedeckelt haben, und bewahrt ſie zwiſchen Hafer auf. Natürlich trocknet derſelbe während des Winters etwas zuſammen, was die Leute damit erklären, die Schnecken verzehrten denſelben. Wie das durch den Deckel hindurch geſchehn könne, wußte man mir freilich nicht anzugeben. Man ißt ſie hier zu Lande einfach nur abgekocht; ob eine andre Zubereitung ſie zu einer größern Delicateſſe macht, kann ich aus eigner Erfahrung nicht ſagen. Jm ſüdlichen Deutſchland gränzt an den Verbreitungsbezirk der Weinbergſchnecke derjenige der vorzugsweiſe dem Süden Europas angehörigen geſprenkelten Schnirkelſchnecke (Helix adspersa). Sie iſt etwas kleiner, ihr Gehäus dem der vorigen ähnlich, gebändert und mit weißen oder gelblichen flammigen Springſeln bedeckt und wie damit beſpritzt. Sie iſt ein wichtiges Nahrungsmittel der niederen Volksklaſſen des ſüdlichen Europa, beſonders Jtaliens. Jn den offenen Garküchen der größeren Städte wird ſie in Keſſeln geſotten, und ich habe in Neapel oft mein Geſchick geprieſen, daß ich nicht die Brühe zu trinken brauchte, welche der Lazzarone zu ſeiner reichlichen, um eine kleine Kupfermünze gekauſten Portion zubekam und die er als ein köſtliches Naß aufſog. Die Beobachtung des Verkaufes ſolcher allverbreiteter, nur die Arbeit des Ein- ſammelns und die einfachſte Zubereitung koſtender Lebensmittel macht es begreiflich, welch ein großer Reiz dort im Müßiggehn und Betteln liegt. Ein Paar Bajok für den Mittagstiſch treibt ein geſchickter Bettler doch auf; dafür hat er nicht nur Fleiſch und kräftige Brühe, ſondern zum Nachtiſch ein großes Stück Waſſermelone, welche neben den brodelnden Schneckenkeſſeln mit wahrer Virtuoſität ausgeboten werden. Schon im Alterthum wurden aber außer dieſer noch verſchiedene andre, zum Theil eingeführte Arten gezüchtet und gemäſtet. Wie Plinius erzählt, beſchäftigte ſich zuerſt Fulvins Lippinus kurze Zeit vor dem pompejaniſchen Kriege mit der Schnecken- zucht, und je in beſonderen Ställen wurden die weißen Schnecken aus der Gegend von Reate gehalten, die beſonders großen illyriſchen, die durch ihre Fruchtbarkeit ausgezeichneten afrikaniſchen und die hochgeſchätzten ſolitaniſchen. Ja ſogar einen Teig aus Moſt, Weizenmehl und anderen Beſtandtheilen hatte er erſonnen, um fette, ſchmackhafte Schnecken auf die Tafel zu bringen. Welche ausländiſche Arten gezogen wurden, ob darunter etwa der und jener Bulimus und Achatina aus Afrika, läßt ſich nicht angeben. Jn Unteritalien verſpeiſt man außer der Helix adspersa jetzt vorzüglich noch H. naticoides und vermiculata und in Venedig die kleineren H. pisana, welche in ungeheuren Mengen auf den Dünenpflanzen ſich aufhalten. „Dieſe niedliche Schnecke hat die Geſtalt der gewöhnlichen Gartenſchnecke, ohne jedoch ihre Größe ganz zu erreichen; dabei iſt ſie etwas genabelt, die Mündung inwendig roſenfarbig, die äußere Schale aber weiß mit gelbbraunen Bändern, welche beinahe an jeder einzelnen Schale wieder verſchieden, bald wie Notenlinien fort- laufend, bald wie Laubwerk nach oben und unten ausgeſchweift, bald aus Punkten und Quer- ſtrichen zuſammengeſetzt, oft ſehr lebhaft, oft blaß ſind oder ganz fehlen. Dieſe Schnecken werden in großer Menge nach Venedig gebracht, dort abgeſotten, mit ſammt der Schale mit gehacktem Knoblauch und Oel in großen Schüſſeln angemacht und den ganzen Sommer durch auf allen Plätzen verkauft.“ (Martens.) Mit der Weinbergsſchnecke haben noch drei größere, ſehr gemeine Arten faſt denſelben Ver- breitungsbezirk, wovon die meiſten unſerer deutſchen Leſer ſich in ihrer nächſten Umgebung werden überzeugen können. Die gefleckte Schnirkelſchnecke oder Baumſchnecke (Helix arbustorum) iſt in der Grundfarbe kaſtanienbraun und mit zahlreichen unregelmäßigen ſtrohgelben Stricheln beſprengt. Der Mundſaum iſt immer mit einer glänzend weißen Lippe belegt. Das Thier iſt blauſchwarz mit lichterer Sohle und hält ſich in Gärten, Vorhölzern und Hecken an ſchattigen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 797. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/843>, abgerufen am 24.11.2024.