Als ich im Frühjahr 1852 zum ersten Male die dalmatinische Jnsel Lesina besuchte, um dort niedere Thiere, namentlich Würmer zu studiren, führten mich die vom gleichen Jnteresse beseelten und schnell gefundenen Freunde Botteri und Boglich über die Berge hinab nach der Bucht von Socolizza, an deren Strand wir zahlreiches Gethier würden sammeln können. Schon mancher Stein war umgewendet, Nereiden und andere Borstenwürmer in die Gläser gewandert, neue mikroskopische Ausbeute stand für daheim in Aussicht, als ich etwa einen Fuß tief unter Wasser unter einem großen Stein ein intensiv grünes, wurmartig sich bewegendes Wesen bemerkte. Jch faßte schnell zu, der Stein wurde weggehoben, und mein vermeint- licher Wurm erwies sich als der mit zwei seitlichen Flügeln en- digende Rüssel eines bis dahin von sehr wenigen Zoologen ge- sehenen Wurmes, der Bonellia viridis. Jn einem Becken erhielt ich ihn einen Tag am Leben, und wir konnten uns zuerst an den wunderlichen Bewegungen nicht satt sehen. Ein grüner Farbstoff, der sich dem Weingeist, in dem man das Thier aufhebt, mittheilt, färbt Körper und Rüssel. Ersterer ist mit vielen kleinen Warzen bedeckt und der manchfaltigsten Zusam- menschnürungen und Einziehungen fähig, bald kuglig, bald eiförmig, dann wieder gleiten Wellenbewe- gungen von hinten nach vorn, wo sie sich in leichten Schwingungen dem Rüssel mittheilen. Dieser ist
[Abbildung]
a Bonellia. b Phascolosoma. c Priapulus.
wo möglich ein noch größerer Proteus, als der Körper, indem er von einigen Zollen sich bei den größeren Exemplaren (von 3 Zoll Körperlänge) auf zwei Fuß und darüber ausdehnen kann. Die Mundöffnung an unserem Wurme ist am Grunde des Rüssels, die Afteröffnung am Hinter- ende. Charakteristisch sind auch noch 2 kurze, starke Borsten unweit des Vorderendes.
Mehr, als sich ausstrecken und zusammenziehen, that meine Bonellia nicht, und auch die Zoologen, welche sie gründlicher beobachtet und zergliedert haben, berichten nichts weiter von ihren Thaten. Es hat sich später gezeigt, daß sie an dem Strande von Socolizza eines der gemeinsten Thiere ist; sie liebt aber nicht das volle Tageslicht, sondern die Morgendämmerung. Man findet
Taschenberg und Schmidt, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 45
Bonellia.
Dritte Ordnung. Sternwürmer (Gephyrea).
Als ich im Frühjahr 1852 zum erſten Male die dalmatiniſche Jnſel Leſina beſuchte, um dort niedere Thiere, namentlich Würmer zu ſtudiren, führten mich die vom gleichen Jntereſſe beſeelten und ſchnell gefundenen Freunde Botteri und Boglich über die Berge hinab nach der Bucht von Socolizza, an deren Strand wir zahlreiches Gethier würden ſammeln können. Schon mancher Stein war umgewendet, Nereiden und andere Borſtenwürmer in die Gläſer gewandert, neue mikroſkopiſche Ausbeute ſtand für daheim in Ausſicht, als ich etwa einen Fuß tief unter Waſſer unter einem großen Stein ein intenſiv grünes, wurmartig ſich bewegendes Weſen bemerkte. Jch faßte ſchnell zu, der Stein wurde weggehoben, und mein vermeint- licher Wurm erwies ſich als der mit zwei ſeitlichen Flügeln en- digende Rüſſel eines bis dahin von ſehr wenigen Zoologen ge- ſehenen Wurmes, der Bonellia viridis. Jn einem Becken erhielt ich ihn einen Tag am Leben, und wir konnten uns zuerſt an den wunderlichen Bewegungen nicht ſatt ſehen. Ein grüner Farbſtoff, der ſich dem Weingeiſt, in dem man das Thier aufhebt, mittheilt, färbt Körper und Rüſſel. Erſterer iſt mit vielen kleinen Warzen bedeckt und der manchfaltigſten Zuſam- menſchnürungen und Einziehungen fähig, bald kuglig, bald eiförmig, dann wieder gleiten Wellenbewe- gungen von hinten nach vorn, wo ſie ſich in leichten Schwingungen dem Rüſſel mittheilen. Dieſer iſt
[Abbildung]
a Bonellia. b Phascolosoma. c Priapulus.
wo möglich ein noch größerer Proteus, als der Körper, indem er von einigen Zollen ſich bei den größeren Exemplaren (von 3 Zoll Körperlänge) auf zwei Fuß und darüber ausdehnen kann. Die Mundöffnung an unſerem Wurme iſt am Grunde des Rüſſels, die Afteröffnung am Hinter- ende. Charakteriſtiſch ſind auch noch 2 kurze, ſtarke Borſten unweit des Vorderendes.
Mehr, als ſich ausſtrecken und zuſammenziehen, that meine Bonellia nicht, und auch die Zoologen, welche ſie gründlicher beobachtet und zergliedert haben, berichten nichts weiter von ihren Thaten. Es hat ſich ſpäter gezeigt, daß ſie an dem Strande von Socolizza eines der gemeinſten Thiere iſt; ſie liebt aber nicht das volle Tageslicht, ſondern die Morgendämmerung. Man findet
Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 45
<TEI><text><body><floatingText><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0749"n="705"/><fwplace="top"type="header">Bonellia.</fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Dritte Ordnung.<lb/>
Sternwürmer (<hirendition="#aq">Gephyrea</hi>).</hi></hi></head><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>ls ich im Frühjahr 1852 zum erſten Male die dalmatiniſche Jnſel Leſina beſuchte, um<lb/>
dort niedere Thiere, namentlich Würmer zu ſtudiren, führten mich die vom gleichen Jntereſſe<lb/>
beſeelten und ſchnell gefundenen Freunde <hirendition="#g">Botteri</hi> und <hirendition="#g">Boglich</hi> über die Berge hinab nach der<lb/>
Bucht von Socolizza, an deren Strand wir zahlreiches Gethier würden ſammeln können. Schon<lb/>
mancher Stein war umgewendet, Nereiden und andere Borſtenwürmer in die Gläſer gewandert,<lb/>
neue mikroſkopiſche Ausbeute ſtand<lb/>
für daheim in Ausſicht, als ich<lb/>
etwa einen Fuß tief unter Waſſer<lb/>
unter einem großen Stein ein<lb/>
intenſiv grünes, wurmartig ſich<lb/>
bewegendes Weſen bemerkte. Jch<lb/>
faßte ſchnell zu, der Stein wurde<lb/>
weggehoben, und mein vermeint-<lb/>
licher Wurm erwies ſich als der<lb/>
mit zwei ſeitlichen Flügeln en-<lb/>
digende Rüſſel eines bis dahin<lb/>
von ſehr wenigen Zoologen ge-<lb/>ſehenen Wurmes, der <hirendition="#aq">Bonellia<lb/>
viridis.</hi> Jn einem Becken erhielt<lb/>
ich ihn einen Tag am Leben, und<lb/>
wir konnten uns zuerſt an den<lb/>
wunderlichen Bewegungen nicht<lb/>ſatt ſehen. Ein grüner Farbſtoff,<lb/>
der ſich dem Weingeiſt, in dem<lb/>
man das Thier aufhebt, mittheilt,<lb/>
färbt Körper und Rüſſel. Erſterer<lb/>
iſt mit vielen kleinen Warzen bedeckt<lb/>
und der manchfaltigſten Zuſam-<lb/>
menſchnürungen und Einziehungen<lb/>
fähig, bald kuglig, bald eiförmig,<lb/>
dann wieder gleiten Wellenbewe-<lb/>
gungen von hinten nach vorn, wo<lb/>ſie ſich in leichten Schwingungen<lb/>
dem Rüſſel mittheilen. Dieſer iſt<lb/><figure><head><hirendition="#c"><hirendition="#aq">a Bonellia. b Phascolosoma. c Priapulus.</hi></hi></head></figure><lb/>
wo möglich ein noch größerer Proteus, als der Körper, indem er von einigen Zollen ſich bei den<lb/>
größeren Exemplaren (von 3 Zoll Körperlänge) auf zwei Fuß und darüber ausdehnen kann.<lb/>
Die Mundöffnung an unſerem Wurme iſt am Grunde des Rüſſels, die Afteröffnung am Hinter-<lb/>
ende. Charakteriſtiſch ſind auch noch 2 kurze, ſtarke Borſten unweit des Vorderendes.</p><lb/><p>Mehr, als ſich ausſtrecken und zuſammenziehen, that meine <hirendition="#aq">Bonellia</hi> nicht, und auch die<lb/>
Zoologen, welche ſie gründlicher beobachtet und zergliedert haben, berichten nichts weiter von ihren<lb/>
Thaten. Es hat ſich ſpäter gezeigt, daß ſie an dem Strande von Socolizza eines der gemeinſten<lb/>
Thiere iſt; ſie liebt aber nicht das volle Tageslicht, ſondern die Morgendämmerung. Man findet<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Taſchenberg</hi> und <hirendition="#g">Schmidt,</hi> wirbelloſe Thiere. (<hirendition="#g">Brehm,</hi> Thierleben <hirendition="#aq">VI.</hi>) 45</fw><lb/></p></div></div></div></body></floatingText></body></text></TEI>
[705/0749]
Bonellia.
Dritte Ordnung.
Sternwürmer (Gephyrea).
Als ich im Frühjahr 1852 zum erſten Male die dalmatiniſche Jnſel Leſina beſuchte, um
dort niedere Thiere, namentlich Würmer zu ſtudiren, führten mich die vom gleichen Jntereſſe
beſeelten und ſchnell gefundenen Freunde Botteri und Boglich über die Berge hinab nach der
Bucht von Socolizza, an deren Strand wir zahlreiches Gethier würden ſammeln können. Schon
mancher Stein war umgewendet, Nereiden und andere Borſtenwürmer in die Gläſer gewandert,
neue mikroſkopiſche Ausbeute ſtand
für daheim in Ausſicht, als ich
etwa einen Fuß tief unter Waſſer
unter einem großen Stein ein
intenſiv grünes, wurmartig ſich
bewegendes Weſen bemerkte. Jch
faßte ſchnell zu, der Stein wurde
weggehoben, und mein vermeint-
licher Wurm erwies ſich als der
mit zwei ſeitlichen Flügeln en-
digende Rüſſel eines bis dahin
von ſehr wenigen Zoologen ge-
ſehenen Wurmes, der Bonellia
viridis. Jn einem Becken erhielt
ich ihn einen Tag am Leben, und
wir konnten uns zuerſt an den
wunderlichen Bewegungen nicht
ſatt ſehen. Ein grüner Farbſtoff,
der ſich dem Weingeiſt, in dem
man das Thier aufhebt, mittheilt,
färbt Körper und Rüſſel. Erſterer
iſt mit vielen kleinen Warzen bedeckt
und der manchfaltigſten Zuſam-
menſchnürungen und Einziehungen
fähig, bald kuglig, bald eiförmig,
dann wieder gleiten Wellenbewe-
gungen von hinten nach vorn, wo
ſie ſich in leichten Schwingungen
dem Rüſſel mittheilen. Dieſer iſt
[Abbildung a Bonellia. b Phascolosoma. c Priapulus.]
wo möglich ein noch größerer Proteus, als der Körper, indem er von einigen Zollen ſich bei den
größeren Exemplaren (von 3 Zoll Körperlänge) auf zwei Fuß und darüber ausdehnen kann.
Die Mundöffnung an unſerem Wurme iſt am Grunde des Rüſſels, die Afteröffnung am Hinter-
ende. Charakteriſtiſch ſind auch noch 2 kurze, ſtarke Borſten unweit des Vorderendes.
Mehr, als ſich ausſtrecken und zuſammenziehen, that meine Bonellia nicht, und auch die
Zoologen, welche ſie gründlicher beobachtet und zergliedert haben, berichten nichts weiter von ihren
Thaten. Es hat ſich ſpäter gezeigt, daß ſie an dem Strande von Socolizza eines der gemeinſten
Thiere iſt; ſie liebt aber nicht das volle Tageslicht, ſondern die Morgendämmerung. Man findet
Taſchenberg und Schmidt, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 45
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 705. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/749>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.