Tasterkralle in Mehrzahl vorhanden; die vordern Augen bilden einen kaum bemerkbaren Bogen und die vier mittelsten, zugleich auch kleinsten, ein Quadrat. Die umherschweifende Krabbenspinne findet sich von Schweden an durch ganz Europa bis nach Egypten und ist wegen der nicht eben langen Beine in ihren Bewegungen eher träge als lebhaft zu nennen. Sie hält sich gern zwischen Blättern auf, welche sie mit einigen losen Fäden umspinnt und im Mai oder Anfang des Juni auch zum Ablegen der Eier benutzt. Diese werden vom Weibchen in ein pralles, abgerundetes Säckchen ein- geschlossen und mit solchem Eifer bewacht, daß man es durch Berührung nicht davon wegtreiben kann. Die Entwickelung der Jungen scheint sehr ungleichmäßig von Statten zu gehen. Jm Herbst sieht man sie in verschiedenen Größen und unter denjenigen, welche an Fäden die Luft durchschiffen.
[Abbildung]
Die umherschweisende Krabbenspinne (Thomisus viaticus), im Hintergrunde fadenschießend und davon fliegend, im Vorder- grunde Weibchen und Männchen stark vergrößert; Augenstellung von der Hinteransicht.
Die Erscheinung der Herbstfäden, des fliegenden Sommers, der Marienfäden (fils de la Vierge) ist längst bekannt, aber vielfach falsch beurtheilt worden und noch nicht völlig auf- geklärt. Tausend und abermals tausend Fäden glänzen in der herbstlichen Sonne wie Silber und Edelsteine über den Stoppelfeldern und Wiesen, in Gebüsch und Hecken, hängen als lange Fahnen an Bäumen und andern hervorragenden Gegenständen und ziehen in weißen Flocken durch die unbewegte Luft, sich scharf gegen den tiefblauen Himmel abgrenzend. Nur besonders schöne Witterung bringt diese Erscheinung mit sich und ist sie einmal eingetreten, so darf man mit ziemlicher Gewißheit auf Dauer der ersteren rechnen. Darum hat man diese Anzeigen einiger im vorgerückten Alter des Jahres erscheinenden, in gewisser Hinsicht den Sommer an Anmuth übertreffenden Tage nicht unpassend und ohne anzüglich sein zu wollen auch "Altenweibersommer" genannt. Daß jene Fäden von Spinnen herrühren, weiß jedes Kind und Niemand wird sie mehr für Ausdünstungen von Pflanzen halten, wie in vergangenen, weniger aufgeklärten Zeiten geschehen ist. Wie aber kommt es, wird man mit Recht fragen, daß gerade zu dieser späten Jahreszeit die Spinnen in so auffälliger Weise Alles bespinnen und warum nicht früher, warum nicht dann, wenn man in allen Winkeln, zwischen Gebüsch und Gras den verschiedenartigen Spinnenweben begegnet? Dem aufmerksamen Beobachter kann nicht entgehen, daß jene Nester ganz anderer Natur sind, als die Herbstfäden. Jene, mögen sie eine Form haben, welche sie wollen, stammen von den als ansässig bezeichneten Spinnen und dienen als Fangnetze für ihre Nahrung. Die in Rede stehenden Herbstfäden bezeichnen nur die Straße, welche das Heer der Spinnen und Spinnchen wanderte und haben keineswegs den Zweck, Jnsekten zu fangen, weil die Verfertiger derselben überhaupt nur umherschweifen und keine Nester bauen. Diese Spinnen fallen jetzt erst auf, weil
Die Spinnenthiere. Echte Spinnen. Krabbenſpinnen.
Taſterkralle in Mehrzahl vorhanden; die vordern Augen bilden einen kaum bemerkbaren Bogen und die vier mittelſten, zugleich auch kleinſten, ein Quadrat. Die umherſchweifende Krabbenſpinne findet ſich von Schweden an durch ganz Europa bis nach Egypten und iſt wegen der nicht eben langen Beine in ihren Bewegungen eher träge als lebhaft zu nennen. Sie hält ſich gern zwiſchen Blättern auf, welche ſie mit einigen loſen Fäden umſpinnt und im Mai oder Anfang des Juni auch zum Ablegen der Eier benutzt. Dieſe werden vom Weibchen in ein pralles, abgerundetes Säckchen ein- geſchloſſen und mit ſolchem Eifer bewacht, daß man es durch Berührung nicht davon wegtreiben kann. Die Entwickelung der Jungen ſcheint ſehr ungleichmäßig von Statten zu gehen. Jm Herbſt ſieht man ſie in verſchiedenen Größen und unter denjenigen, welche an Fäden die Luft durchſchiffen.
[Abbildung]
Die umherſchweiſende Krabbenſpinne (Thomisus viaticus), im Hintergrunde fadenſchießend und davon fliegend, im Vorder- grunde Weibchen und Männchen ſtark vergrößert; Augenſtellung von der Hinteranſicht.
Die Erſcheinung der Herbſtfäden, des fliegenden Sommers, der Marienfäden (fils de la Vierge) iſt längſt bekannt, aber vielfach falſch beurtheilt worden und noch nicht völlig auf- geklärt. Tauſend und abermals tauſend Fäden glänzen in der herbſtlichen Sonne wie Silber und Edelſteine über den Stoppelfeldern und Wieſen, in Gebüſch und Hecken, hängen als lange Fahnen an Bäumen und andern hervorragenden Gegenſtänden und ziehen in weißen Flocken durch die unbewegte Luft, ſich ſcharf gegen den tiefblauen Himmel abgrenzend. Nur beſonders ſchöne Witterung bringt dieſe Erſcheinung mit ſich und iſt ſie einmal eingetreten, ſo darf man mit ziemlicher Gewißheit auf Dauer der erſteren rechnen. Darum hat man dieſe Anzeigen einiger im vorgerückten Alter des Jahres erſcheinenden, in gewiſſer Hinſicht den Sommer an Anmuth übertreffenden Tage nicht unpaſſend und ohne anzüglich ſein zu wollen auch „Altenweiberſommer“ genannt. Daß jene Fäden von Spinnen herrühren, weiß jedes Kind und Niemand wird ſie mehr für Ausdünſtungen von Pflanzen halten, wie in vergangenen, weniger aufgeklärten Zeiten geſchehen iſt. Wie aber kommt es, wird man mit Recht fragen, daß gerade zu dieſer ſpäten Jahreszeit die Spinnen in ſo auffälliger Weiſe Alles beſpinnen und warum nicht früher, warum nicht dann, wenn man in allen Winkeln, zwiſchen Gebüſch und Gras den verſchiedenartigen Spinnenweben begegnet? Dem aufmerkſamen Beobachter kann nicht entgehen, daß jene Neſter ganz anderer Natur ſind, als die Herbſtfäden. Jene, mögen ſie eine Form haben, welche ſie wollen, ſtammen von den als anſäſſig bezeichneten Spinnen und dienen als Fangnetze für ihre Nahrung. Die in Rede ſtehenden Herbſtfäden bezeichnen nur die Straße, welche das Heer der Spinnen und Spinnchen wanderte und haben keineswegs den Zweck, Jnſekten zu fangen, weil die Verfertiger derſelben überhaupt nur umherſchweifen und keine Neſter bauen. Dieſe Spinnen fallen jetzt erſt auf, weil
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Die Spinnenthiere. Echte Spinnen. Krabbenſpinnen.
Taſterkralle in Mehrzahl vorhanden; die vordern Augen bilden einen kaum bemerkbaren Bogen und
die vier mittelſten, zugleich auch kleinſten, ein Quadrat. Die umherſchweifende Krabbenſpinne findet
ſich von Schweden an durch ganz Europa bis nach Egypten und iſt wegen der nicht eben langen
Beine in ihren Bewegungen eher träge als lebhaft zu nennen. Sie hält ſich gern zwiſchen Blättern
auf, welche ſie mit einigen loſen Fäden umſpinnt und im Mai oder Anfang des Juni auch zum
Ablegen der Eier benutzt. Dieſe werden vom Weibchen in ein pralles, abgerundetes Säckchen ein-
geſchloſſen und mit ſolchem Eifer bewacht, daß man es durch Berührung nicht davon wegtreiben
kann. Die Entwickelung der Jungen ſcheint ſehr ungleichmäßig von Statten zu gehen. Jm
Herbſt ſieht man ſie in verſchiedenen Größen und unter denjenigen, welche an Fäden die Luft
durchſchiffen.
[Abbildung Die umherſchweiſende Krabbenſpinne (Thomisus viaticus), im Hintergrunde fadenſchießend und davon fliegend, im Vorder-
grunde Weibchen und Männchen ſtark vergrößert; Augenſtellung von der Hinteranſicht.]
Die Erſcheinung der Herbſtfäden, des fliegenden Sommers, der Marienfäden (fils
de la Vierge) iſt längſt bekannt, aber vielfach falſch beurtheilt worden und noch nicht völlig auf-
geklärt. Tauſend und abermals tauſend Fäden glänzen in der herbſtlichen Sonne wie Silber
und Edelſteine über den Stoppelfeldern und Wieſen, in Gebüſch und Hecken, hängen als lange
Fahnen an Bäumen und andern hervorragenden Gegenſtänden und ziehen in weißen Flocken durch
die unbewegte Luft, ſich ſcharf gegen den tiefblauen Himmel abgrenzend. Nur beſonders ſchöne
Witterung bringt dieſe Erſcheinung mit ſich und iſt ſie einmal eingetreten, ſo darf man mit
ziemlicher Gewißheit auf Dauer der erſteren rechnen. Darum hat man dieſe Anzeigen einiger im
vorgerückten Alter des Jahres erſcheinenden, in gewiſſer Hinſicht den Sommer an Anmuth
übertreffenden Tage nicht unpaſſend und ohne anzüglich ſein zu wollen auch „Altenweiberſommer“
genannt. Daß jene Fäden von Spinnen herrühren, weiß jedes Kind und Niemand wird ſie mehr
für Ausdünſtungen von Pflanzen halten, wie in vergangenen, weniger aufgeklärten Zeiten geſchehen
iſt. Wie aber kommt es, wird man mit Recht fragen, daß gerade zu dieſer ſpäten Jahreszeit
die Spinnen in ſo auffälliger Weiſe Alles beſpinnen und warum nicht früher, warum nicht dann,
wenn man in allen Winkeln, zwiſchen Gebüſch und Gras den verſchiedenartigen Spinnenweben
begegnet? Dem aufmerkſamen Beobachter kann nicht entgehen, daß jene Neſter ganz anderer Natur
ſind, als die Herbſtfäden. Jene, mögen ſie eine Form haben, welche ſie wollen, ſtammen von
den als anſäſſig bezeichneten Spinnen und dienen als Fangnetze für ihre Nahrung. Die in Rede
ſtehenden Herbſtfäden bezeichnen nur die Straße, welche das Heer der Spinnen und Spinnchen
wanderte und haben keineswegs den Zweck, Jnſekten zu fangen, weil die Verfertiger derſelben
überhaupt nur umherſchweifen und keine Neſter bauen. Dieſe Spinnen fallen jetzt erſt auf, weil
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/630>, abgerufen am 24.11.2024.
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