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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Umherschweisende Krabbenspinne und die Erscheinung der Herbstfäden.
sie zu dieser Zeit so weit herangewachsen sind, um sich mehr zu zerstreuen und nun allmälig
ihre Winterquartiere aufzusuchen und machen sich nur bei schönem Wetter durch ihre Fäden
bemerklich, weil keine des ganzen Geschlechts bei ungünstigem Wetter spinnt. War der Sommer für
ihre Entwickelung besonders geeignet, so werden sie im Oktober, welcher immer noch einige warme
und sonnige Tage zu bringen pflegt, auch vorzugsweise auffallen; denn sie sind in größeren
Mengen vorhanden, als in andern Jahren, deren Witterung ihr Gedeihen weniger förderte.

Wenn es mithin feststeht, daß die Herbstfäden die Wege markiren, welche jene umher-
schweifenden Spinnen zurücklegen und zwar jetzt weniger, um Nahrung aufzusuchen, als um sich
mehr zu vereinzeln, oder theilweise, um die seuchteren Aufenthaltsorte mit höher gelegenen und
trockneren für den Winteraufenthalt zu vertauschen, so kann man auch noch einen Schritt weiter
gehen und diesen Thieren oder einigen Arten von ihnen den bei manchen Jnsekten bereits kennen
gelernten Wandertrieb zusprechen. Als Raubthiere können sie um so weniger in gedrängten
Schaaren bei einander bleiben, wie ihre ansässigen Schwestern, die Rad-, Trichter-, Röhrenspinnen
und wie die Nesterbauer noch alle heißen mögen, welche doch immer eine Häuslichkeit haben,
durch die sie an einen bestimmten Ort gebunden sind. Da den Spinnen aber die Flügel der
wandernden Jnsekten fehlen, die Reise zu Fuß wenig fördern würde, so benutzen sie in sehr sinn-
reicher Weise ihre Fäden, um mit diesen durch die Luft zu segeln. Wie aber fangen sie das an?
Man schenke ihnen nur einige Aufmerksamkeit und wird bald ihre Schlauheit durchschauen. Alle
die Erde überragenden Gegenstände, Prellsteine an den Straßen, Pfähle, die sich leicht übersehen
lassen, aber auch Zweigspitzen von Buschwerk und Bäumen wimmeln zur Zeit der Herbstfäden von
verschiedenen Spinnen, welche den sich herumtreibenden Arten angehören und noch nicht völlig
erwachsen sind. Hat nun eine das Verlangen, eine Luftfahrt anzutreten, so kriecht sie auf den
höchsten, freien Gipfel ihres Standortes, reckt den Hinterleib hoch empor, so daß sie fast auf
dem Kopfe zu stehen scheint und schießt einen Faden, bisweilen auch mehrere aus ihren Spinn-
warzen, läßt mit den Beinen los und beginnt an jenem ihre Luftreise. White erzählt, wie er im
Vorsaale gelesen habe, sei eine Spinne auf seinem Buche erschienen, bis an das Ende eines
Blattes gekrochen und habe einen Faden ausgeschossen, auf welchem sie davonflog. Sorglos und
behaglich streckt sie alle Beine von sich und überläßt es dem Geschick, wohin sie geführt werden
soll. Langsam gleitet der Faden dahin, geführt von einer leisen Luftströmung, die stets vorhanden
ist, wenn wir sie auch nicht fühlen, überdies mag noch der negativ elektrische Faden von der
positiven Elektricität in der Luft angezogen werden. Vielleicht geht die Reise nicht weit, indem
der Faden irgendwo hängen bleibt und die Gestrandete nöthigt, wieder festen Fuß zu fassen. Bis-
weilen führt die Fahrt aber auch weiter. Darvin sah 60 Seemeilen vom Lande entfernt, auf
dem Schiffe Tausende von kleinen röthlichen Spinnen in dieser Weise ankommen und Lister
beobachtete ihre Flüge wiederholt hoch über sich von der höchsten Stelle des York-Münsters.
Um jedoch nicht zu ewiger Luftreise verdammt zu sein, hat die Spinne ein sehr einfaches Mittel
zur Erde herabzukommen, sie braucht nämlich nur an ihrem Faden hinaufzuklettern und ihn dabei
mit den Beinen zu einem weißen Flöckchen aufzuwickeln, so kommt er allmälig, gleich dem Fall-
schirme eines Luftschiffers auf die Erde zurück. Die Flocken fallen bisweilen in überraschenden
Mengen aus der Luft herab und in sehr vielen Fällen wird man eine Spinne darin auffinden.
Das Ausschießen dieser Fäden wurde schon lange von verschiedenen Forschern beobachtet, von
andern wieder geleugnet. Daß es aber seine Richtigkeit habe, kann von jedem mit eigenen Augen
angeschauet werden, der kein Forscher ist, wenn er sich nur die Zeit läßt, an einem der oben näher
bezeichneten Orte dem Treiben der Spinnen zuzusehen und dabei diejenige Beleuchtung trifft,
welche den ausstrahlenden Faden blitzen läßt, da ihn seine Feinheit unter ungünstigen Verhältnissen
unsichtbar macht. So zauberhaft am Morgen, wenn dicke Thautropfen darin erglänzen, jenes
Flormeer erscheint, welches Stoppel-, Brachfelder und Wiesen überströmt, so lästig kann es auf
letzteren in solchen Gegenden werden, wo man erst spät an das Mähen des Grummets geht; denn

Taschenberg, wirbellose Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 38

Umherſchweiſende Krabbenſpinne und die Erſcheinung der Herbſtfäden.
ſie zu dieſer Zeit ſo weit herangewachſen ſind, um ſich mehr zu zerſtreuen und nun allmälig
ihre Winterquartiere aufzuſuchen und machen ſich nur bei ſchönem Wetter durch ihre Fäden
bemerklich, weil keine des ganzen Geſchlechts bei ungünſtigem Wetter ſpinnt. War der Sommer für
ihre Entwickelung beſonders geeignet, ſo werden ſie im Oktober, welcher immer noch einige warme
und ſonnige Tage zu bringen pflegt, auch vorzugsweiſe auffallen; denn ſie ſind in größeren
Mengen vorhanden, als in andern Jahren, deren Witterung ihr Gedeihen weniger förderte.

Wenn es mithin feſtſteht, daß die Herbſtfäden die Wege markiren, welche jene umher-
ſchweifenden Spinnen zurücklegen und zwar jetzt weniger, um Nahrung aufzuſuchen, als um ſich
mehr zu vereinzeln, oder theilweiſe, um die ſeuchteren Aufenthaltsorte mit höher gelegenen und
trockneren für den Winteraufenthalt zu vertauſchen, ſo kann man auch noch einen Schritt weiter
gehen und dieſen Thieren oder einigen Arten von ihnen den bei manchen Jnſekten bereits kennen
gelernten Wandertrieb zuſprechen. Als Raubthiere können ſie um ſo weniger in gedrängten
Schaaren bei einander bleiben, wie ihre anſäſſigen Schweſtern, die Rad-, Trichter-, Röhrenſpinnen
und wie die Neſterbauer noch alle heißen mögen, welche doch immer eine Häuslichkeit haben,
durch die ſie an einen beſtimmten Ort gebunden ſind. Da den Spinnen aber die Flügel der
wandernden Jnſekten fehlen, die Reiſe zu Fuß wenig fördern würde, ſo benutzen ſie in ſehr ſinn-
reicher Weiſe ihre Fäden, um mit dieſen durch die Luft zu ſegeln. Wie aber fangen ſie das an?
Man ſchenke ihnen nur einige Aufmerkſamkeit und wird bald ihre Schlauheit durchſchauen. Alle
die Erde überragenden Gegenſtände, Prellſteine an den Straßen, Pfähle, die ſich leicht überſehen
laſſen, aber auch Zweigſpitzen von Buſchwerk und Bäumen wimmeln zur Zeit der Herbſtfäden von
verſchiedenen Spinnen, welche den ſich herumtreibenden Arten angehören und noch nicht völlig
erwachſen ſind. Hat nun eine das Verlangen, eine Luftfahrt anzutreten, ſo kriecht ſie auf den
höchſten, freien Gipfel ihres Standortes, reckt den Hinterleib hoch empor, ſo daß ſie faſt auf
dem Kopfe zu ſtehen ſcheint und ſchießt einen Faden, bisweilen auch mehrere aus ihren Spinn-
warzen, läßt mit den Beinen los und beginnt an jenem ihre Luftreiſe. White erzählt, wie er im
Vorſaale geleſen habe, ſei eine Spinne auf ſeinem Buche erſchienen, bis an das Ende eines
Blattes gekrochen und habe einen Faden ausgeſchoſſen, auf welchem ſie davonflog. Sorglos und
behaglich ſtreckt ſie alle Beine von ſich und überläßt es dem Geſchick, wohin ſie geführt werden
ſoll. Langſam gleitet der Faden dahin, geführt von einer leiſen Luftſtrömung, die ſtets vorhanden
iſt, wenn wir ſie auch nicht fühlen, überdies mag noch der negativ elektriſche Faden von der
poſitiven Elektricität in der Luft angezogen werden. Vielleicht geht die Reiſe nicht weit, indem
der Faden irgendwo hängen bleibt und die Geſtrandete nöthigt, wieder feſten Fuß zu faſſen. Bis-
weilen führt die Fahrt aber auch weiter. Darvin ſah 60 Seemeilen vom Lande entfernt, auf
dem Schiffe Tauſende von kleinen röthlichen Spinnen in dieſer Weiſe ankommen und Liſter
beobachtete ihre Flüge wiederholt hoch über ſich von der höchſten Stelle des York-Münſters.
Um jedoch nicht zu ewiger Luftreiſe verdammt zu ſein, hat die Spinne ein ſehr einfaches Mittel
zur Erde herabzukommen, ſie braucht nämlich nur an ihrem Faden hinaufzuklettern und ihn dabei
mit den Beinen zu einem weißen Flöckchen aufzuwickeln, ſo kommt er allmälig, gleich dem Fall-
ſchirme eines Luftſchiffers auf die Erde zurück. Die Flocken fallen bisweilen in überraſchenden
Mengen aus der Luft herab und in ſehr vielen Fällen wird man eine Spinne darin auffinden.
Das Ausſchießen dieſer Fäden wurde ſchon lange von verſchiedenen Forſchern beobachtet, von
andern wieder geleugnet. Daß es aber ſeine Richtigkeit habe, kann von jedem mit eigenen Augen
angeſchauet werden, der kein Forſcher iſt, wenn er ſich nur die Zeit läßt, an einem der oben näher
bezeichneten Orte dem Treiben der Spinnen zuzuſehen und dabei diejenige Beleuchtung trifft,
welche den ausſtrahlenden Faden blitzen läßt, da ihn ſeine Feinheit unter ungünſtigen Verhältniſſen
unſichtbar macht. So zauberhaft am Morgen, wenn dicke Thautropfen darin erglänzen, jenes
Flormeer erſcheint, welches Stoppel-, Brachfelder und Wieſen überſtrömt, ſo läſtig kann es auf
letzteren in ſolchen Gegenden werden, wo man erſt ſpät an das Mähen des Grummets geht; denn

Taſchenberg, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 38
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[593/0631] Umherſchweiſende Krabbenſpinne und die Erſcheinung der Herbſtfäden. ſie zu dieſer Zeit ſo weit herangewachſen ſind, um ſich mehr zu zerſtreuen und nun allmälig ihre Winterquartiere aufzuſuchen und machen ſich nur bei ſchönem Wetter durch ihre Fäden bemerklich, weil keine des ganzen Geſchlechts bei ungünſtigem Wetter ſpinnt. War der Sommer für ihre Entwickelung beſonders geeignet, ſo werden ſie im Oktober, welcher immer noch einige warme und ſonnige Tage zu bringen pflegt, auch vorzugsweiſe auffallen; denn ſie ſind in größeren Mengen vorhanden, als in andern Jahren, deren Witterung ihr Gedeihen weniger förderte. Wenn es mithin feſtſteht, daß die Herbſtfäden die Wege markiren, welche jene umher- ſchweifenden Spinnen zurücklegen und zwar jetzt weniger, um Nahrung aufzuſuchen, als um ſich mehr zu vereinzeln, oder theilweiſe, um die ſeuchteren Aufenthaltsorte mit höher gelegenen und trockneren für den Winteraufenthalt zu vertauſchen, ſo kann man auch noch einen Schritt weiter gehen und dieſen Thieren oder einigen Arten von ihnen den bei manchen Jnſekten bereits kennen gelernten Wandertrieb zuſprechen. Als Raubthiere können ſie um ſo weniger in gedrängten Schaaren bei einander bleiben, wie ihre anſäſſigen Schweſtern, die Rad-, Trichter-, Röhrenſpinnen und wie die Neſterbauer noch alle heißen mögen, welche doch immer eine Häuslichkeit haben, durch die ſie an einen beſtimmten Ort gebunden ſind. Da den Spinnen aber die Flügel der wandernden Jnſekten fehlen, die Reiſe zu Fuß wenig fördern würde, ſo benutzen ſie in ſehr ſinn- reicher Weiſe ihre Fäden, um mit dieſen durch die Luft zu ſegeln. Wie aber fangen ſie das an? Man ſchenke ihnen nur einige Aufmerkſamkeit und wird bald ihre Schlauheit durchſchauen. Alle die Erde überragenden Gegenſtände, Prellſteine an den Straßen, Pfähle, die ſich leicht überſehen laſſen, aber auch Zweigſpitzen von Buſchwerk und Bäumen wimmeln zur Zeit der Herbſtfäden von verſchiedenen Spinnen, welche den ſich herumtreibenden Arten angehören und noch nicht völlig erwachſen ſind. Hat nun eine das Verlangen, eine Luftfahrt anzutreten, ſo kriecht ſie auf den höchſten, freien Gipfel ihres Standortes, reckt den Hinterleib hoch empor, ſo daß ſie faſt auf dem Kopfe zu ſtehen ſcheint und ſchießt einen Faden, bisweilen auch mehrere aus ihren Spinn- warzen, läßt mit den Beinen los und beginnt an jenem ihre Luftreiſe. White erzählt, wie er im Vorſaale geleſen habe, ſei eine Spinne auf ſeinem Buche erſchienen, bis an das Ende eines Blattes gekrochen und habe einen Faden ausgeſchoſſen, auf welchem ſie davonflog. Sorglos und behaglich ſtreckt ſie alle Beine von ſich und überläßt es dem Geſchick, wohin ſie geführt werden ſoll. Langſam gleitet der Faden dahin, geführt von einer leiſen Luftſtrömung, die ſtets vorhanden iſt, wenn wir ſie auch nicht fühlen, überdies mag noch der negativ elektriſche Faden von der poſitiven Elektricität in der Luft angezogen werden. Vielleicht geht die Reiſe nicht weit, indem der Faden irgendwo hängen bleibt und die Geſtrandete nöthigt, wieder feſten Fuß zu faſſen. Bis- weilen führt die Fahrt aber auch weiter. Darvin ſah 60 Seemeilen vom Lande entfernt, auf dem Schiffe Tauſende von kleinen röthlichen Spinnen in dieſer Weiſe ankommen und Liſter beobachtete ihre Flüge wiederholt hoch über ſich von der höchſten Stelle des York-Münſters. Um jedoch nicht zu ewiger Luftreiſe verdammt zu ſein, hat die Spinne ein ſehr einfaches Mittel zur Erde herabzukommen, ſie braucht nämlich nur an ihrem Faden hinaufzuklettern und ihn dabei mit den Beinen zu einem weißen Flöckchen aufzuwickeln, ſo kommt er allmälig, gleich dem Fall- ſchirme eines Luftſchiffers auf die Erde zurück. Die Flocken fallen bisweilen in überraſchenden Mengen aus der Luft herab und in ſehr vielen Fällen wird man eine Spinne darin auffinden. Das Ausſchießen dieſer Fäden wurde ſchon lange von verſchiedenen Forſchern beobachtet, von andern wieder geleugnet. Daß es aber ſeine Richtigkeit habe, kann von jedem mit eigenen Augen angeſchauet werden, der kein Forſcher iſt, wenn er ſich nur die Zeit läßt, an einem der oben näher bezeichneten Orte dem Treiben der Spinnen zuzuſehen und dabei diejenige Beleuchtung trifft, welche den ausſtrahlenden Faden blitzen läßt, da ihn ſeine Feinheit unter ungünſtigen Verhältniſſen unſichtbar macht. So zauberhaft am Morgen, wenn dicke Thautropfen darin erglänzen, jenes Flormeer erſcheint, welches Stoppel-, Brachfelder und Wieſen überſtrömt, ſo läſtig kann es auf letzteren in ſolchen Gegenden werden, wo man erſt ſpät an das Mähen des Grummets geht; denn Taſchenberg, wirbelloſe Thiere. (Brehm, Thierleben VI.) 38

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/631>, abgerufen am 24.11.2024.