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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Geradflügler. Grillen.
andere Glieder waren größtentheils verschwunden. Jn ihrer Gefräßigkeit und dem Aerger
über das unfreiwillige enge Zusammensein, hatten sie sich einander angenagt. Hätte ich damals
gewußt, was ich später erfahren, so hätte ich selbst die Behauptungen Anderer prüfen können.
Die Heimchen sollen nämlich, wie die Krebse, beschädigte oder ganz fehlende Glieder wieder aus
sich heraus ersetzen können, so lange sie noch in den Häutungen begriffen sind. Da meine Küchen-
promenaden und Heimchenjagden in den Juli fielen, so kann ich nach dem, was ich sah, und eben
erzählte, den Ansichten derjenigen nicht beipflichten, welche meinen, in diesem und dem folgenden
Monat allein würden die Eier gelegt, sondern nehme an, daß es in der ganzen Zeit geschieht,
während welcher sich das lebhafte Zirpen vernehmen läßt. Die Paarung erfolgt in derselben
Weise, wie bei der Feldgrille. Mittelst seiner dünnen, geraden Legröhre bringt das Weibchen die
gelblichen, länglichen Eier im Schutte, Kehricht oder in dem lockern Erdreiche innerhalb seiner
Verstecke unter, aus ihnen schlüpfen schon nach zehn bis zwölf Tagen die Lärvchen. Sie häuten
sich viermal und überwintern in ihrem unvollkommenen Zustande. Nach der dritten Häutung
erscheinen die Flügelstumpfe und bei den Weibchen kurze Legröhren. Man nimmt an, daß die
Lebensdauer ein Jahr nicht überschreite, während dessen das Weibchen sicherlich mehrere Male
Partien von Eiern absetzt und stirbt, wenn der Vorrath im Eierstocke erschöpft ist.

Die zahlreichen volksthümlichen Namen, wie Werre, Rentwurm, Reitkröte, Erdwolf,
Moldworf, Erdkrebs
u. a., womit man die Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) belegt,

[Abbildung] Die Mautwurfsgrille nebst Larve (Gryllotalpa vulgaris).
deuten darauf hin, daß man sich
um dieses Thier kümmert, sei
es wegen des Schadens, den es
anrichtet, sei es wegen des wun-
derlichen Ansehens, durch welches
es ein Zerrbild des Maulwurfes
darstellt. Vom Baue sei nur
bemerkt, daß hinten die vom
Rücken herab zwischen die Raifen
gehende Bogenlinie die Gräten,
also die Spitzen der Hinterflügel
sind, vorn außer den Fühlern
die fünfgliederigen Kiefertaster
auffällig hervorragen und auf dem Scheitel zwei glänzende Nebenaugen stehen. Der braune
Körper ist mit Ausnahme der Augen, der Bewehrung an den Beinen, der Flügel, so wie des
durch sie geschützten Rückentheils von einem rostbraunen, seidenglänzenden, ungemein kurzen Filze
bedeckt. Das Weibchen hat keine Legröhre und unterscheidet sich vom andern Geschlecht durch etwas
anders gebildete letzte Bauchschuppen.

Die Maulwurfsgrille bewohnt nach den vorliegenden Erfahrungen vorzugsweise einen lockern,
besonders sandigen Boden und zieht trocknen dem nassen vor; im sogenannten fetten, schweren
Erdreiche trifft man sie selten und vereinzelt an. Jm norddeutschen Tieflande dürfte sie daher
eine allgemeinere Verbreitung haben, als im hügeligen oder gebirgigen Süden. Sie ist, wo sie
einmal haust, gefürchtet und mit Recht, nur gehen die Ansichten über die Veranlassung des
Schadens auseinander. Der bisher geltenden Meinung, daß sie die Wurzeln verzehre, treten
in neueren Zeiten mehrere Beobachter entgegen mit der Behauptung, daß sie Gewürm, Enger-
linge, ja ihre eigene Brut zur Nahrung wähle und nur die Wurzeln der über dem Neste befind-
lichen Pflanzen abbeiße, außerdem aber noch durch das fortwährende Durchwühlen und Auflockern
dieser Stelle dem Pflanzenwuchse nachtheilig werde. Beide Theile dürften Recht haben. Wie die
übrigen Schrecken Pflanzennahrung zu sich nehmen, ohne andere ihnen zu nahe kommende Kerfe
zu verschonen, so auch die Werre. Da sie sich fast nur unter der Erde aufhält, so fallen ihr

Die Geradflügler. Grillen.
andere Glieder waren größtentheils verſchwunden. Jn ihrer Gefräßigkeit und dem Aerger
über das unfreiwillige enge Zuſammenſein, hatten ſie ſich einander angenagt. Hätte ich damals
gewußt, was ich ſpäter erfahren, ſo hätte ich ſelbſt die Behauptungen Anderer prüfen können.
Die Heimchen ſollen nämlich, wie die Krebſe, beſchädigte oder ganz fehlende Glieder wieder aus
ſich heraus erſetzen können, ſo lange ſie noch in den Häutungen begriffen ſind. Da meine Küchen-
promenaden und Heimchenjagden in den Juli fielen, ſo kann ich nach dem, was ich ſah, und eben
erzählte, den Anſichten derjenigen nicht beipflichten, welche meinen, in dieſem und dem folgenden
Monat allein würden die Eier gelegt, ſondern nehme an, daß es in der ganzen Zeit geſchieht,
während welcher ſich das lebhafte Zirpen vernehmen läßt. Die Paarung erfolgt in derſelben
Weiſe, wie bei der Feldgrille. Mittelſt ſeiner dünnen, geraden Legröhre bringt das Weibchen die
gelblichen, länglichen Eier im Schutte, Kehricht oder in dem lockern Erdreiche innerhalb ſeiner
Verſtecke unter, aus ihnen ſchlüpfen ſchon nach zehn bis zwölf Tagen die Lärvchen. Sie häuten
ſich viermal und überwintern in ihrem unvollkommenen Zuſtande. Nach der dritten Häutung
erſcheinen die Flügelſtumpfe und bei den Weibchen kurze Legröhren. Man nimmt an, daß die
Lebensdauer ein Jahr nicht überſchreite, während deſſen das Weibchen ſicherlich mehrere Male
Partien von Eiern abſetzt und ſtirbt, wenn der Vorrath im Eierſtocke erſchöpft iſt.

Die zahlreichen volksthümlichen Namen, wie Werre, Rentwurm, Reitkröte, Erdwolf,
Moldworf, Erdkrebs
u. a., womit man die Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) belegt,

[Abbildung] Die Mautwurfsgrille nebſt Larve (Gryllotalpa vulgaris).
deuten darauf hin, daß man ſich
um dieſes Thier kümmert, ſei
es wegen des Schadens, den es
anrichtet, ſei es wegen des wun-
derlichen Anſehens, durch welches
es ein Zerrbild des Maulwurfes
darſtellt. Vom Baue ſei nur
bemerkt, daß hinten die vom
Rücken herab zwiſchen die Raifen
gehende Bogenlinie die Gräten,
alſo die Spitzen der Hinterflügel
ſind, vorn außer den Fühlern
die fünfgliederigen Kiefertaſter
auffällig hervorragen und auf dem Scheitel zwei glänzende Nebenaugen ſtehen. Der braune
Körper iſt mit Ausnahme der Augen, der Bewehrung an den Beinen, der Flügel, ſo wie des
durch ſie geſchützten Rückentheils von einem roſtbraunen, ſeidenglänzenden, ungemein kurzen Filze
bedeckt. Das Weibchen hat keine Legröhre und unterſcheidet ſich vom andern Geſchlecht durch etwas
anders gebildete letzte Bauchſchuppen.

Die Maulwurfsgrille bewohnt nach den vorliegenden Erfahrungen vorzugsweiſe einen lockern,
beſonders ſandigen Boden und zieht trocknen dem naſſen vor; im ſogenannten fetten, ſchweren
Erdreiche trifft man ſie ſelten und vereinzelt an. Jm norddeutſchen Tieflande dürfte ſie daher
eine allgemeinere Verbreitung haben, als im hügeligen oder gebirgigen Süden. Sie iſt, wo ſie
einmal haust, gefürchtet und mit Recht, nur gehen die Anſichten über die Veranlaſſung des
Schadens auseinander. Der bisher geltenden Meinung, daß ſie die Wurzeln verzehre, treten
in neueren Zeiten mehrere Beobachter entgegen mit der Behauptung, daß ſie Gewürm, Enger-
linge, ja ihre eigene Brut zur Nahrung wähle und nur die Wurzeln der über dem Neſte befind-
lichen Pflanzen abbeiße, außerdem aber noch durch das fortwährende Durchwühlen und Auflockern
dieſer Stelle dem Pflanzenwuchſe nachtheilig werde. Beide Theile dürften Recht haben. Wie die
übrigen Schrecken Pflanzennahrung zu ſich nehmen, ohne andere ihnen zu nahe kommende Kerfe
zu verſchonen, ſo auch die Werre. Da ſie ſich faſt nur unter der Erde aufhält, ſo fallen ihr

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[494/0526] Die Geradflügler. Grillen. andere Glieder waren größtentheils verſchwunden. Jn ihrer Gefräßigkeit und dem Aerger über das unfreiwillige enge Zuſammenſein, hatten ſie ſich einander angenagt. Hätte ich damals gewußt, was ich ſpäter erfahren, ſo hätte ich ſelbſt die Behauptungen Anderer prüfen können. Die Heimchen ſollen nämlich, wie die Krebſe, beſchädigte oder ganz fehlende Glieder wieder aus ſich heraus erſetzen können, ſo lange ſie noch in den Häutungen begriffen ſind. Da meine Küchen- promenaden und Heimchenjagden in den Juli fielen, ſo kann ich nach dem, was ich ſah, und eben erzählte, den Anſichten derjenigen nicht beipflichten, welche meinen, in dieſem und dem folgenden Monat allein würden die Eier gelegt, ſondern nehme an, daß es in der ganzen Zeit geſchieht, während welcher ſich das lebhafte Zirpen vernehmen läßt. Die Paarung erfolgt in derſelben Weiſe, wie bei der Feldgrille. Mittelſt ſeiner dünnen, geraden Legröhre bringt das Weibchen die gelblichen, länglichen Eier im Schutte, Kehricht oder in dem lockern Erdreiche innerhalb ſeiner Verſtecke unter, aus ihnen ſchlüpfen ſchon nach zehn bis zwölf Tagen die Lärvchen. Sie häuten ſich viermal und überwintern in ihrem unvollkommenen Zuſtande. Nach der dritten Häutung erſcheinen die Flügelſtumpfe und bei den Weibchen kurze Legröhren. Man nimmt an, daß die Lebensdauer ein Jahr nicht überſchreite, während deſſen das Weibchen ſicherlich mehrere Male Partien von Eiern abſetzt und ſtirbt, wenn der Vorrath im Eierſtocke erſchöpft iſt. Die zahlreichen volksthümlichen Namen, wie Werre, Rentwurm, Reitkröte, Erdwolf, Moldworf, Erdkrebs u. a., womit man die Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) belegt, [Abbildung Die Mautwurfsgrille nebſt Larve (Gryllotalpa vulgaris).] deuten darauf hin, daß man ſich um dieſes Thier kümmert, ſei es wegen des Schadens, den es anrichtet, ſei es wegen des wun- derlichen Anſehens, durch welches es ein Zerrbild des Maulwurfes darſtellt. Vom Baue ſei nur bemerkt, daß hinten die vom Rücken herab zwiſchen die Raifen gehende Bogenlinie die Gräten, alſo die Spitzen der Hinterflügel ſind, vorn außer den Fühlern die fünfgliederigen Kiefertaſter auffällig hervorragen und auf dem Scheitel zwei glänzende Nebenaugen ſtehen. Der braune Körper iſt mit Ausnahme der Augen, der Bewehrung an den Beinen, der Flügel, ſo wie des durch ſie geſchützten Rückentheils von einem roſtbraunen, ſeidenglänzenden, ungemein kurzen Filze bedeckt. Das Weibchen hat keine Legröhre und unterſcheidet ſich vom andern Geſchlecht durch etwas anders gebildete letzte Bauchſchuppen. Die Maulwurfsgrille bewohnt nach den vorliegenden Erfahrungen vorzugsweiſe einen lockern, beſonders ſandigen Boden und zieht trocknen dem naſſen vor; im ſogenannten fetten, ſchweren Erdreiche trifft man ſie ſelten und vereinzelt an. Jm norddeutſchen Tieflande dürfte ſie daher eine allgemeinere Verbreitung haben, als im hügeligen oder gebirgigen Süden. Sie iſt, wo ſie einmal haust, gefürchtet und mit Recht, nur gehen die Anſichten über die Veranlaſſung des Schadens auseinander. Der bisher geltenden Meinung, daß ſie die Wurzeln verzehre, treten in neueren Zeiten mehrere Beobachter entgegen mit der Behauptung, daß ſie Gewürm, Enger- linge, ja ihre eigene Brut zur Nahrung wähle und nur die Wurzeln der über dem Neſte befind- lichen Pflanzen abbeiße, außerdem aber noch durch das fortwährende Durchwühlen und Auflockern dieſer Stelle dem Pflanzenwuchſe nachtheilig werde. Beide Theile dürften Recht haben. Wie die übrigen Schrecken Pflanzennahrung zu ſich nehmen, ohne andere ihnen zu nahe kommende Kerfe zu verſchonen, ſo auch die Werre. Da ſie ſich faſt nur unter der Erde aufhält, ſo fallen ihr

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/526>, abgerufen am 24.11.2024.