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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Die Geradflügler. Grillen.
es nie, um stets hineinhuschen zu können, was mehr im Laufen als durch Springen geschieht,
wenn eine Eidechse, ein insektenfressender Vogel naht, die Fußtritte eines Menschen den Boden
erschüttern etc.; denn die Grillen entwickeln eine außerordentliche Vorsicht, die wohl Furchtsamkeit
genannt werden kann. Bringt das Männchen dem in der Nachbarschaft wohnenden Weibchen, um
es herbeizulocken, ein Ständchen, so sitzt es mit gespreizten Beinen da, drückt die Brust gegen
den Boden, erhebt die Flügeldecken ein wenig und wetzt sie mit ungemeiner Hast gegen einander.
Untersucht man dieselben etwas näher, so findet man, daß die zweite Querader (Schrillader) der
rechten Flügeldecke auf der Unterseite vorzugsweise hervorragt und mit vielen kleinen Stegen
[Abbildung] Männchen und Weibchen der Feldgrille (Gryllus campestris).
querüber besetzt ist; dieselben werden gegen
eine nahe dem Jnnenrande gelegene Ader
der linken Decke eine Zeit lang im Herunter-
und dann abwechselnd wieder im Herauf-
striche gewetzt, wodurch der Ton sich ver-
ändert. Nur wenn die Grille aufhört, legt
sie die Decken zusammen, der Widerhall,
welchen die dünnen Häute erzeugen, schwin-
det dadurch, und der letzte Laut wird viel
schwächer. Es findet sich somit dieselbe
Einrichtung, wie bei den Laubheuschrecken, nur vertauschen die beiden Flügeldecken ihre Rolle, weil
hier die rechte, dort die linke die oberste ist. Das Weibchen vernimmt die Locktöne, womit aber,
weiß man noch nicht, da die Oeffnung an den Vorderschienen allen Grillen fehlt. Genug, es
kommt herbei, stößt das Männchen mit seinen Fühlern an, damit dies seine Gegenwart bemerke,
dieses schweigt dann, erwidert wohl die Begrüßung, duckt sich, streckt und reckt sich, dreht den
Kopf hin und her, und die Vereinigung erfolgt, indem es sich vom Weibchen besteigen läßt, eine
Sitte, welche bei allen Schrecken üblich zu sein scheint. Acht Tage später beginnt das Weibchen
im Grunde seiner Höhle mit dem Legen der Eier, bis dreißig auf einmal. Sein Eierstock enthält
deren etwa 300 und ehe diese alle entleert sind, soll es öfter mit dem Männchen zusammen-
kommen. Nach ungefähr vierzehn Tagen schlüpfen die Larven daraus hervor und halten sich zunächst
noch zusammen, fangen aber schon an, Schlupflöcher zu graben. Nach der ersten Häutung zerstreuen
sie sich mehr, ohne weitere Wanderungen von ihrer Geburtsstätte vorzunehmen, suchen auch Ver-
stecke unter Steinen und gehen der Nahrung nach, welche aus Wurzeln besteht, so lange es die
Witterung erlaubt; wird diese unfreundlich und für das meiste Geziefer unangenehm, so suchen
sie schützende Plätzchen zum Ueberwintern. Sie beziehen in sehr verschiedenen Größen die Winter-
quartiere. Jn dem der Entwickelung gewiß nicht günstigen Jahre 1867 traf ich in der ersten
Hälfte Oktobers an den schönen, sonnigen Tagen, welche er noch brachte, Larven mit Flügel-
stumpfen und kurzen Legröhren, welche also, meiner Meinung nach, vor der letzten Häutung
standen. Frisch und Rösel sind der Ansicht, daß mit der vierten das Jnsekt vollkommen werde,
neuerdings wird behauptet, die Larve häute sich zehnmal, was mir nach allen sonstigen Erfahrungen
entschieden zu hoch gegriffen zu sein scheint. Mit dem jungen Jahre erwachen auch unsere noch
unreifen Grillen, eine jede denkt nun ernstlicher daran, sich ihren eignen Heerd zu gründen,
was, wie bereits erwähnt, hier so viel sagen will, als eine Wohnung für sich allein zu beziehen.
Keine Feldgrille überwintert im erwachsenen Zustande; nach Beendigung des Brutgeschäftes geht
es mit dem Schlaraffenleben zu Ende. Sie hält sich glücklicherweise auf solchem Boden auf, mit
dem der Mensch nicht viel anfangen kann, sonst wäre sie wohl im Stande, durch Abfressen der
Wurzeln seinen Kulturen nachtheilig zu werden. Ueber ihre Körperbeschaffenheit, welche wir vor
uns haben, brauche ich nur zu bemerken, daß sie glänzend schwarz an der Unterseite der Hinter-
schenkel, das Weibchen wohl auch an den zugehörigen Schienen roth ist und die braunen Flügel-
decken an der Wurzel gelblich sind. Obgleich eine Verwechselung mit einem andern Thiere nicht

Die Geradflügler. Grillen.
es nie, um ſtets hineinhuſchen zu können, was mehr im Laufen als durch Springen geſchieht,
wenn eine Eidechſe, ein inſektenfreſſender Vogel naht, die Fußtritte eines Menſchen den Boden
erſchüttern ꝛc.; denn die Grillen entwickeln eine außerordentliche Vorſicht, die wohl Furchtſamkeit
genannt werden kann. Bringt das Männchen dem in der Nachbarſchaft wohnenden Weibchen, um
es herbeizulocken, ein Ständchen, ſo ſitzt es mit geſpreizten Beinen da, drückt die Bruſt gegen
den Boden, erhebt die Flügeldecken ein wenig und wetzt ſie mit ungemeiner Haſt gegen einander.
Unterſucht man dieſelben etwas näher, ſo findet man, daß die zweite Querader (Schrillader) der
rechten Flügeldecke auf der Unterſeite vorzugsweiſe hervorragt und mit vielen kleinen Stegen
[Abbildung] Männchen und Weibchen der Feldgrille (Gryllus campestris).
querüber beſetzt iſt; dieſelben werden gegen
eine nahe dem Jnnenrande gelegene Ader
der linken Decke eine Zeit lang im Herunter-
und dann abwechſelnd wieder im Herauf-
ſtriche gewetzt, wodurch der Ton ſich ver-
ändert. Nur wenn die Grille aufhört, legt
ſie die Decken zuſammen, der Widerhall,
welchen die dünnen Häute erzeugen, ſchwin-
det dadurch, und der letzte Laut wird viel
ſchwächer. Es findet ſich ſomit dieſelbe
Einrichtung, wie bei den Laubheuſchrecken, nur vertauſchen die beiden Flügeldecken ihre Rolle, weil
hier die rechte, dort die linke die oberſte iſt. Das Weibchen vernimmt die Locktöne, womit aber,
weiß man noch nicht, da die Oeffnung an den Vorderſchienen allen Grillen fehlt. Genug, es
kommt herbei, ſtößt das Männchen mit ſeinen Fühlern an, damit dies ſeine Gegenwart bemerke,
dieſes ſchweigt dann, erwidert wohl die Begrüßung, duckt ſich, ſtreckt und reckt ſich, dreht den
Kopf hin und her, und die Vereinigung erfolgt, indem es ſich vom Weibchen beſteigen läßt, eine
Sitte, welche bei allen Schrecken üblich zu ſein ſcheint. Acht Tage ſpäter beginnt das Weibchen
im Grunde ſeiner Höhle mit dem Legen der Eier, bis dreißig auf einmal. Sein Eierſtock enthält
deren etwa 300 und ehe dieſe alle entleert ſind, ſoll es öfter mit dem Männchen zuſammen-
kommen. Nach ungefähr vierzehn Tagen ſchlüpfen die Larven daraus hervor und halten ſich zunächſt
noch zuſammen, fangen aber ſchon an, Schlupflöcher zu graben. Nach der erſten Häutung zerſtreuen
ſie ſich mehr, ohne weitere Wanderungen von ihrer Geburtsſtätte vorzunehmen, ſuchen auch Ver-
ſtecke unter Steinen und gehen der Nahrung nach, welche aus Wurzeln beſteht, ſo lange es die
Witterung erlaubt; wird dieſe unfreundlich und für das meiſte Geziefer unangenehm, ſo ſuchen
ſie ſchützende Plätzchen zum Ueberwintern. Sie beziehen in ſehr verſchiedenen Größen die Winter-
quartiere. Jn dem der Entwickelung gewiß nicht günſtigen Jahre 1867 traf ich in der erſten
Hälfte Oktobers an den ſchönen, ſonnigen Tagen, welche er noch brachte, Larven mit Flügel-
ſtumpfen und kurzen Legröhren, welche alſo, meiner Meinung nach, vor der letzten Häutung
ſtanden. Friſch und Röſel ſind der Anſicht, daß mit der vierten das Jnſekt vollkommen werde,
neuerdings wird behauptet, die Larve häute ſich zehnmal, was mir nach allen ſonſtigen Erfahrungen
entſchieden zu hoch gegriffen zu ſein ſcheint. Mit dem jungen Jahre erwachen auch unſere noch
unreifen Grillen, eine jede denkt nun ernſtlicher daran, ſich ihren eignen Heerd zu gründen,
was, wie bereits erwähnt, hier ſo viel ſagen will, als eine Wohnung für ſich allein zu beziehen.
Keine Feldgrille überwintert im erwachſenen Zuſtande; nach Beendigung des Brutgeſchäftes geht
es mit dem Schlaraffenleben zu Ende. Sie hält ſich glücklicherweiſe auf ſolchem Boden auf, mit
dem der Menſch nicht viel anfangen kann, ſonſt wäre ſie wohl im Stande, durch Abfreſſen der
Wurzeln ſeinen Kulturen nachtheilig zu werden. Ueber ihre Körperbeſchaffenheit, welche wir vor
uns haben, brauche ich nur zu bemerken, daß ſie glänzend ſchwarz an der Unterſeite der Hinter-
ſchenkel, das Weibchen wohl auch an den zugehörigen Schienen roth iſt und die braunen Flügel-
decken an der Wurzel gelblich ſind. Obgleich eine Verwechſelung mit einem andern Thiere nicht

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[492/0524] Die Geradflügler. Grillen. es nie, um ſtets hineinhuſchen zu können, was mehr im Laufen als durch Springen geſchieht, wenn eine Eidechſe, ein inſektenfreſſender Vogel naht, die Fußtritte eines Menſchen den Boden erſchüttern ꝛc.; denn die Grillen entwickeln eine außerordentliche Vorſicht, die wohl Furchtſamkeit genannt werden kann. Bringt das Männchen dem in der Nachbarſchaft wohnenden Weibchen, um es herbeizulocken, ein Ständchen, ſo ſitzt es mit geſpreizten Beinen da, drückt die Bruſt gegen den Boden, erhebt die Flügeldecken ein wenig und wetzt ſie mit ungemeiner Haſt gegen einander. Unterſucht man dieſelben etwas näher, ſo findet man, daß die zweite Querader (Schrillader) der rechten Flügeldecke auf der Unterſeite vorzugsweiſe hervorragt und mit vielen kleinen Stegen [Abbildung Männchen und Weibchen der Feldgrille (Gryllus campestris).] querüber beſetzt iſt; dieſelben werden gegen eine nahe dem Jnnenrande gelegene Ader der linken Decke eine Zeit lang im Herunter- und dann abwechſelnd wieder im Herauf- ſtriche gewetzt, wodurch der Ton ſich ver- ändert. Nur wenn die Grille aufhört, legt ſie die Decken zuſammen, der Widerhall, welchen die dünnen Häute erzeugen, ſchwin- det dadurch, und der letzte Laut wird viel ſchwächer. Es findet ſich ſomit dieſelbe Einrichtung, wie bei den Laubheuſchrecken, nur vertauſchen die beiden Flügeldecken ihre Rolle, weil hier die rechte, dort die linke die oberſte iſt. Das Weibchen vernimmt die Locktöne, womit aber, weiß man noch nicht, da die Oeffnung an den Vorderſchienen allen Grillen fehlt. Genug, es kommt herbei, ſtößt das Männchen mit ſeinen Fühlern an, damit dies ſeine Gegenwart bemerke, dieſes ſchweigt dann, erwidert wohl die Begrüßung, duckt ſich, ſtreckt und reckt ſich, dreht den Kopf hin und her, und die Vereinigung erfolgt, indem es ſich vom Weibchen beſteigen läßt, eine Sitte, welche bei allen Schrecken üblich zu ſein ſcheint. Acht Tage ſpäter beginnt das Weibchen im Grunde ſeiner Höhle mit dem Legen der Eier, bis dreißig auf einmal. Sein Eierſtock enthält deren etwa 300 und ehe dieſe alle entleert ſind, ſoll es öfter mit dem Männchen zuſammen- kommen. Nach ungefähr vierzehn Tagen ſchlüpfen die Larven daraus hervor und halten ſich zunächſt noch zuſammen, fangen aber ſchon an, Schlupflöcher zu graben. Nach der erſten Häutung zerſtreuen ſie ſich mehr, ohne weitere Wanderungen von ihrer Geburtsſtätte vorzunehmen, ſuchen auch Ver- ſtecke unter Steinen und gehen der Nahrung nach, welche aus Wurzeln beſteht, ſo lange es die Witterung erlaubt; wird dieſe unfreundlich und für das meiſte Geziefer unangenehm, ſo ſuchen ſie ſchützende Plätzchen zum Ueberwintern. Sie beziehen in ſehr verſchiedenen Größen die Winter- quartiere. Jn dem der Entwickelung gewiß nicht günſtigen Jahre 1867 traf ich in der erſten Hälfte Oktobers an den ſchönen, ſonnigen Tagen, welche er noch brachte, Larven mit Flügel- ſtumpfen und kurzen Legröhren, welche alſo, meiner Meinung nach, vor der letzten Häutung ſtanden. Friſch und Röſel ſind der Anſicht, daß mit der vierten das Jnſekt vollkommen werde, neuerdings wird behauptet, die Larve häute ſich zehnmal, was mir nach allen ſonſtigen Erfahrungen entſchieden zu hoch gegriffen zu ſein ſcheint. Mit dem jungen Jahre erwachen auch unſere noch unreifen Grillen, eine jede denkt nun ernſtlicher daran, ſich ihren eignen Heerd zu gründen, was, wie bereits erwähnt, hier ſo viel ſagen will, als eine Wohnung für ſich allein zu beziehen. Keine Feldgrille überwintert im erwachſenen Zuſtande; nach Beendigung des Brutgeſchäftes geht es mit dem Schlaraffenleben zu Ende. Sie hält ſich glücklicherweiſe auf ſolchem Boden auf, mit dem der Menſch nicht viel anfangen kann, ſonſt wäre ſie wohl im Stande, durch Abfreſſen der Wurzeln ſeinen Kulturen nachtheilig zu werden. Ueber ihre Körperbeſchaffenheit, welche wir vor uns haben, brauche ich nur zu bemerken, daß ſie glänzend ſchwarz an der Unterſeite der Hinter- ſchenkel, das Weibchen wohl auch an den zugehörigen Schienen roth iſt und die braunen Flügel- decken an der Wurzel gelblich ſind. Obgleich eine Verwechſelung mit einem andern Thiere nicht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/524>, abgerufen am 24.11.2024.