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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Gemeines Uferaas.
zu ihm zurück, nachdem der Regen aufgehört hatte. Als der Deckel, den man auf den Kübel
gelegt hatte, wieder abgenommen worden war, erschien die Anzahl der Fliegen bedeutend vermehrt
und wuchs noch immer. Viele flogen hinweg, noch mehr ertranken im Wasser. Die schon Ver-
wandelten und in der Verwandlung Begriffenen würden allein hingereicht haben, den Kübel
anzufüllen; doch wurde ihre Zahl bald von andern, welche das Licht anzog, vergrößert. Um ihr
Ertrinken zu verhindern, ließ Reaumur den Kübel wieder bedecken und das Licht darüber halten,
welches gar bald vom Schwarme der Anstürmenden verlöscht wurde, die man händeweise von dem
Leuchter wegnehmen konnte. -- Die Seene um den Kübel herum war indeß nicht zu vergleichen
mit dem wundervollen Schauspiele an den Ufern des Flusses selbst. Die Bewunderungsrufe des
Gärtners zogen unsern Forscher dorthin. Welch ein Anblick! Derselbe war dem genannten
Beobachter vollkommen neu und kaum kann er Worte finden, ihn zu schildern. "Die Myriaden
Hafte", erzählt er, "welche die Luft über dem Strome des Flusses und auf dem Ufer, wo ich stand,
anfüllten, können weder ausgesprochen, noch gedacht werden. Wenn der Schnee mit den größten
und dichtesten Flocken fällt, so ist die Luft nicht so voll von demselben, als sie hier von Haften
war. Kaum stand ich einige Minnten auf einer Stufe, als die Stelle mit einer Schicht derselben
von zwei bis vier Zoll in der Dicke bedeckt wurde. Neben der untersten Stufe war eine Wasser-
fläche von fünf bis sechs Fuß nach allen Seiten gänzlich und dicht von ihnen zugedeckt und was
der Strom wegtrieb, wurde unaufhörlich ersetzt. Mehrere Male war ich gezwungen, meine Stelle
zu verlassen, weil ich den Schauer von Haften nicht ertragen konnte, der, nicht so beständig in
schiefer Richtung wie ein Regenschauer einfallend, immer und auf eine sehr unaugenehme Weise
von allen Seiten mir in das Gesicht schlug; Augen, Mund und Nase waren voll davon. Bei
dieser Gelegenheit die Fackel zu halten, war eben kein angenehmes Geschäft. Die Kleider des
Maunes, der sie trug, waren in wenig Augenblicken von diesen Fliegen bedeckt, gleichsam über-
schneit. Gegen zehn Uhr war dieses interessante Schauspiel zu Ende. Einige Nächte darauf
erneuerte es sich, allein die Fliegen zeigten sich nicht mehr in derselben Menge. Die Fischer nehmen
nur drei auf einander folgende Tage für den großen Fall des "Manna" an, doch erscheinen
einzelne Fliegen sowohl vor, als nach denselben. Wie immer auch die Temperatur der Atmo-
sphäre beschaffen fein möge, kalt oder heiß, diese Thiere schwärmen unveränderlich um dieselbe
Stunde des Abends, d. h. zwischen ein Viertel und ein Halb nach acht Uhr; gegen neun Uhr
beginnen sie die Luft zu erfüllen, in der folgenden halben Stunde ist ihre Anzahl am größten und
um zehn Uhr sind kaum einige mehr zu sehen, so daß in weniger als zwei Stunden dieses
ungeheure Fliegenheer aus dem Flusse, der sie zur Welt bringt, hervorgeht, die Luft erfüllt,
sein bestimmtes Werk verrichtet und -- verschwindet. Eine große Anzahl fällt in das Wasser,
den Fischen zum reichlichen Mahle, den Fischern zum glücklichen Fang." Auch ich hatte zu
verschiedenen Malen Gelegenheit im Vorübergehen das gemeine Uferaas (Palingenia horaria)
zu beobachten. Zuerst in Leipzig, wo es bekanntlich nicht an fließendem Wasser fehlt. Hier sah
ich an den brennenden Straßenlaternen der bewässerten Vorstädte diese Thiere in Klumpen hängen,
welche die halbe Größe einer Laterne erreichten. Jn der ersten Woche des August (1859) bemerkte
man hier in Halle dieselbe Art in der Nähe der am Wasser stehenden Laternen wie Schneeflocken
umherfliegen und hatte beim Fortschreiten an den Füßen die Empfindung, welche locker gefallener
Schnee verursacht. Es war am 26. Juli (1865) Abends nach zehn Uhr, als ich an einer mehr-
armigen Laterne auf hiesigem Marktplatze ein ähnliches Schauspiel beobachtete, wie es unser
Gewährsmann eben beschrieb. Tausende und aber Tausende der genannten Haste umkreisten das
Licht in größern und kleinern Zirkeln, im Allgemeinen aber ließen sich bestimmte Richtungen,
einzelne Gürtel unterscheiden. Merkwürdig war mir dabei, daß auf meinem weiteren Wege an
einzelnen Straßenlaternen diese Fliegen nicht beobachtet wurden, selbst nicht an denen, welche sich
unmittelbar neben einem Saalarme befanden, während jener Armleuchter weiter vom Wasser
entfernt stand, als alle übrigen nicht umflatterten Laternen. Wer dergleichen interessante

Gemeines Uferaas.
zu ihm zurück, nachdem der Regen aufgehört hatte. Als der Deckel, den man auf den Kübel
gelegt hatte, wieder abgenommen worden war, erſchien die Anzahl der Fliegen bedeutend vermehrt
und wuchs noch immer. Viele flogen hinweg, noch mehr ertranken im Waſſer. Die ſchon Ver-
wandelten und in der Verwandlung Begriffenen würden allein hingereicht haben, den Kübel
anzufüllen; doch wurde ihre Zahl bald von andern, welche das Licht anzog, vergrößert. Um ihr
Ertrinken zu verhindern, ließ Réaumur den Kübel wieder bedecken und das Licht darüber halten,
welches gar bald vom Schwarme der Anſtürmenden verlöſcht wurde, die man händeweiſe von dem
Leuchter wegnehmen konnte. — Die Seene um den Kübel herum war indeß nicht zu vergleichen
mit dem wundervollen Schauſpiele an den Ufern des Fluſſes ſelbſt. Die Bewunderungsrufe des
Gärtners zogen unſern Forſcher dorthin. Welch ein Anblick! Derſelbe war dem genannten
Beobachter vollkommen neu und kaum kann er Worte finden, ihn zu ſchildern. „Die Myriaden
Hafte“, erzählt er, „welche die Luft über dem Strome des Fluſſes und auf dem Ufer, wo ich ſtand,
anfüllten, können weder ausgeſprochen, noch gedacht werden. Wenn der Schnee mit den größten
und dichteſten Flocken fällt, ſo iſt die Luft nicht ſo voll von demſelben, als ſie hier von Haften
war. Kaum ſtand ich einige Minnten auf einer Stufe, als die Stelle mit einer Schicht derſelben
von zwei bis vier Zoll in der Dicke bedeckt wurde. Neben der unterſten Stufe war eine Waſſer-
fläche von fünf bis ſechs Fuß nach allen Seiten gänzlich und dicht von ihnen zugedeckt und was
der Strom wegtrieb, wurde unaufhörlich erſetzt. Mehrere Male war ich gezwungen, meine Stelle
zu verlaſſen, weil ich den Schauer von Haften nicht ertragen konnte, der, nicht ſo beſtändig in
ſchiefer Richtung wie ein Regenſchauer einfallend, immer und auf eine ſehr unaugenehme Weiſe
von allen Seiten mir in das Geſicht ſchlug; Augen, Mund und Naſe waren voll davon. Bei
dieſer Gelegenheit die Fackel zu halten, war eben kein angenehmes Geſchäft. Die Kleider des
Maunes, der ſie trug, waren in wenig Augenblicken von dieſen Fliegen bedeckt, gleichſam über-
ſchneit. Gegen zehn Uhr war dieſes intereſſante Schauſpiel zu Ende. Einige Nächte darauf
erneuerte es ſich, allein die Fliegen zeigten ſich nicht mehr in derſelben Menge. Die Fiſcher nehmen
nur drei auf einander folgende Tage für den großen Fall des „Manna“ an, doch erſcheinen
einzelne Fliegen ſowohl vor, als nach denſelben. Wie immer auch die Temperatur der Atmo-
ſphäre beſchaffen fein möge, kalt oder heiß, dieſe Thiere ſchwärmen unveränderlich um dieſelbe
Stunde des Abends, d. h. zwiſchen ein Viertel und ein Halb nach acht Uhr; gegen neun Uhr
beginnen ſie die Luft zu erfüllen, in der folgenden halben Stunde iſt ihre Anzahl am größten und
um zehn Uhr ſind kaum einige mehr zu ſehen, ſo daß in weniger als zwei Stunden dieſes
ungeheure Fliegenheer aus dem Fluſſe, der ſie zur Welt bringt, hervorgeht, die Luft erfüllt,
ſein beſtimmtes Werk verrichtet und — verſchwindet. Eine große Anzahl fällt in das Waſſer,
den Fiſchen zum reichlichen Mahle, den Fiſchern zum glücklichen Fang.“ Auch ich hatte zu
verſchiedenen Malen Gelegenheit im Vorübergehen das gemeine Uferaas (Palingenia horaria)
zu beobachten. Zuerſt in Leipzig, wo es bekanntlich nicht an fließendem Waſſer fehlt. Hier ſah
ich an den brennenden Straßenlaternen der bewäſſerten Vorſtädte dieſe Thiere in Klumpen hängen,
welche die halbe Größe einer Laterne erreichten. Jn der erſten Woche des Auguſt (1859) bemerkte
man hier in Halle dieſelbe Art in der Nähe der am Waſſer ſtehenden Laternen wie Schneeflocken
umherfliegen und hatte beim Fortſchreiten an den Füßen die Empfindung, welche locker gefallener
Schnee verurſacht. Es war am 26. Juli (1865) Abends nach zehn Uhr, als ich an einer mehr-
armigen Laterne auf hieſigem Marktplatze ein ähnliches Schauſpiel beobachtete, wie es unſer
Gewährsmann eben beſchrieb. Tauſende und aber Tauſende der genannten Haſte umkreiſten das
Licht in größern und kleinern Zirkeln, im Allgemeinen aber ließen ſich beſtimmte Richtungen,
einzelne Gürtel unterſcheiden. Merkwürdig war mir dabei, daß auf meinem weiteren Wege an
einzelnen Straßenlaternen dieſe Fliegen nicht beobachtet wurden, ſelbſt nicht an denen, welche ſich
unmittelbar neben einem Saalarme befanden, während jener Armleuchter weiter vom Waſſer
entfernt ſtand, als alle übrigen nicht umflatterten Laternen. Wer dergleichen intereſſante

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[443/0471] Gemeines Uferaas. zu ihm zurück, nachdem der Regen aufgehört hatte. Als der Deckel, den man auf den Kübel gelegt hatte, wieder abgenommen worden war, erſchien die Anzahl der Fliegen bedeutend vermehrt und wuchs noch immer. Viele flogen hinweg, noch mehr ertranken im Waſſer. Die ſchon Ver- wandelten und in der Verwandlung Begriffenen würden allein hingereicht haben, den Kübel anzufüllen; doch wurde ihre Zahl bald von andern, welche das Licht anzog, vergrößert. Um ihr Ertrinken zu verhindern, ließ Réaumur den Kübel wieder bedecken und das Licht darüber halten, welches gar bald vom Schwarme der Anſtürmenden verlöſcht wurde, die man händeweiſe von dem Leuchter wegnehmen konnte. — Die Seene um den Kübel herum war indeß nicht zu vergleichen mit dem wundervollen Schauſpiele an den Ufern des Fluſſes ſelbſt. Die Bewunderungsrufe des Gärtners zogen unſern Forſcher dorthin. Welch ein Anblick! Derſelbe war dem genannten Beobachter vollkommen neu und kaum kann er Worte finden, ihn zu ſchildern. „Die Myriaden Hafte“, erzählt er, „welche die Luft über dem Strome des Fluſſes und auf dem Ufer, wo ich ſtand, anfüllten, können weder ausgeſprochen, noch gedacht werden. Wenn der Schnee mit den größten und dichteſten Flocken fällt, ſo iſt die Luft nicht ſo voll von demſelben, als ſie hier von Haften war. Kaum ſtand ich einige Minnten auf einer Stufe, als die Stelle mit einer Schicht derſelben von zwei bis vier Zoll in der Dicke bedeckt wurde. Neben der unterſten Stufe war eine Waſſer- fläche von fünf bis ſechs Fuß nach allen Seiten gänzlich und dicht von ihnen zugedeckt und was der Strom wegtrieb, wurde unaufhörlich erſetzt. Mehrere Male war ich gezwungen, meine Stelle zu verlaſſen, weil ich den Schauer von Haften nicht ertragen konnte, der, nicht ſo beſtändig in ſchiefer Richtung wie ein Regenſchauer einfallend, immer und auf eine ſehr unaugenehme Weiſe von allen Seiten mir in das Geſicht ſchlug; Augen, Mund und Naſe waren voll davon. Bei dieſer Gelegenheit die Fackel zu halten, war eben kein angenehmes Geſchäft. Die Kleider des Maunes, der ſie trug, waren in wenig Augenblicken von dieſen Fliegen bedeckt, gleichſam über- ſchneit. Gegen zehn Uhr war dieſes intereſſante Schauſpiel zu Ende. Einige Nächte darauf erneuerte es ſich, allein die Fliegen zeigten ſich nicht mehr in derſelben Menge. Die Fiſcher nehmen nur drei auf einander folgende Tage für den großen Fall des „Manna“ an, doch erſcheinen einzelne Fliegen ſowohl vor, als nach denſelben. Wie immer auch die Temperatur der Atmo- ſphäre beſchaffen fein möge, kalt oder heiß, dieſe Thiere ſchwärmen unveränderlich um dieſelbe Stunde des Abends, d. h. zwiſchen ein Viertel und ein Halb nach acht Uhr; gegen neun Uhr beginnen ſie die Luft zu erfüllen, in der folgenden halben Stunde iſt ihre Anzahl am größten und um zehn Uhr ſind kaum einige mehr zu ſehen, ſo daß in weniger als zwei Stunden dieſes ungeheure Fliegenheer aus dem Fluſſe, der ſie zur Welt bringt, hervorgeht, die Luft erfüllt, ſein beſtimmtes Werk verrichtet und — verſchwindet. Eine große Anzahl fällt in das Waſſer, den Fiſchen zum reichlichen Mahle, den Fiſchern zum glücklichen Fang.“ Auch ich hatte zu verſchiedenen Malen Gelegenheit im Vorübergehen das gemeine Uferaas (Palingenia horaria) zu beobachten. Zuerſt in Leipzig, wo es bekanntlich nicht an fließendem Waſſer fehlt. Hier ſah ich an den brennenden Straßenlaternen der bewäſſerten Vorſtädte dieſe Thiere in Klumpen hängen, welche die halbe Größe einer Laterne erreichten. Jn der erſten Woche des Auguſt (1859) bemerkte man hier in Halle dieſelbe Art in der Nähe der am Waſſer ſtehenden Laternen wie Schneeflocken umherfliegen und hatte beim Fortſchreiten an den Füßen die Empfindung, welche locker gefallener Schnee verurſacht. Es war am 26. Juli (1865) Abends nach zehn Uhr, als ich an einer mehr- armigen Laterne auf hieſigem Marktplatze ein ähnliches Schauſpiel beobachtete, wie es unſer Gewährsmann eben beſchrieb. Tauſende und aber Tauſende der genannten Haſte umkreiſten das Licht in größern und kleinern Zirkeln, im Allgemeinen aber ließen ſich beſtimmte Richtungen, einzelne Gürtel unterſcheiden. Merkwürdig war mir dabei, daß auf meinem weiteren Wege an einzelnen Straßenlaternen dieſe Fliegen nicht beobachtet wurden, ſelbſt nicht an denen, welche ſich unmittelbar neben einem Saalarme befanden, während jener Armleuchter weiter vom Waſſer entfernt ſtand, als alle übrigen nicht umflatterten Laternen. Wer dergleichen intereſſante

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/471>, abgerufen am 24.11.2024.