weißen Haarschöpfchen des Hinterleibes nehmen sich sehr zierlich aus. -- Die meisten anderen außereuropäischen Saturnien haben so ziemlich denselben Flügelschnitt, dieselbe Zeichnungsanlage, unsere drei deutschen Arten, das große wiener Nachtpfauenauge (S. pyri), das mittlere (S. spini) und das gemeinste von ihnen, das kleine (S. carpini) dagegen kaum ausgeschweifte Flügel, auf jedem ein stattliches Auge und keinen Fensterfleck. Jhre Raupen tragen statt der Fleischzapfen behaarte Warzen und fertigen zur Verpuppung einen gut geleimten, birnförmigen Cocon, welcher oben durch trichterförmig nach innen gerichtete Gespinnstzipfelchen geschlossen wird. Noch andere stattliche Schmetterlinge des Jn- und Auslandes schließen sich hier an, deren Beschreibung jedoch unsere Grenzen überschreiten würde.
Der Seidenspinner, Maulbeerspinner (Bombyx mori), steht heut zu Tage im System einzig da, indem der Gattungsname Bombyx, welchen Linne der ganzen Familie verlieh, ihm allein noch geblieben ist. Wie die schönsten Sänger unter den Vögeln das schlichteste Kleid tragen, so der nützlichste unter allen Schmetterlingen. Er hat 11/2 bis 13/4 Zoll Flugweite, ist mehlweiß, die Doppelreihe der bei beiden Geschlechtern langen Fühlerzähne schwarz. Von den kurzen Flügeln erhalten die vorderen durch tiefen Bogenausschnitt des Saumes eine sichelförmige Spitze; eine gelbbräunliche Querbinde über beide ist eben so oft sichtbar wie ausgewischt. Der äußern Erscheinung, aber auch dem Drauge nach, sofort sich zu paaren, wenn er die Puppe verlassen hat, ist der Schmetterling ein echter Spinner, die nackte Raupe, gemeinhin "Seidenwurm" genannt, die vollendetste aller Spinnerinnen, nur ihrer äußern Tracht nach schwärmerartig; denn sie führt hinten ein kurzes Horn, auch verdickt sie ihren Hals fast ganz so, wie die Raupe des mittleren Weinschwärmers (Sphinx Elpenor). Sie sieht granweiß aus, hat über den Rücken braune Gabel- zeichnungen und rothgelbe Augenflecke an den Seiten der vorderen Ringe. Jhre einzige Nahrung bilden die Blätter des Maulbeerbaumes. Die eiförmigen, geleimten, auswendig von losen Seiden- fäden umgebenen Cocons sind entweder weiß oder gelb, die beiden Farben, in denen bekanntlich die rohe Seide vorkommt. Zwillingscocons gehören keineswegs zu den Seltenheiten; neulich sah ich aber einen, welcher geuau von der Form eines einfachen war und doch zwei Schmetterlinge geliefert hatte. Da der Falter mittelst seines Speichels das obere Ende des Cocons durchweicht und dann mit dem Kopfe durchbohrt, so wird natürlich der einzige Faden, welcher denselben bildet, in viele zerrissen und unbrauchbar. Die Cocons, welche Seide liefern sollen, können daher keine Schmetter- linge entwickeln, diese gehen vielmehr bei der Behandlung vor dem Abhaspeln zu Grunde.
Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt der Schmetterling aus China, dem Vaterlande seiner Futterpflanze, und verbreitete sich mit ihr von Norden nach Süden in der nächsten Umgebung, bis unter der Regierung des Kaisers Justinianus zwei persische Mönche Maulbeerpflanzen und Eier (Graines), welche sie entwendet und in ihren ausgehöhlten Wanderstäben verborgen hatten, nach Konstantinopel einschmuggelten. Hier wenigstens ward in Europa zuerst seit 520 u. Chr. der Seidenbau betrieben, blieb aber bis in das 12. Jahrhundert Monopol des griechischen Kaiser- reichs, wo die Jnsel Kos die bedeutendste Rolle in dieser Beziehung spielte. Von Griechenland aus ward der Seidenbau durch Araber nach Spanien verpflanzt. Jn der Mitte des 12. Jahr- hunderts kam er durch den Krieg, welchen RogerII. mit dem Byzantiner Emanuel führte, nach Sicilien und breitete sich allmälig über Florenz, Bologna, Venedig, Mailand und das übrige Jtalien aus, unter HeinrichIV. nach Frankreich und von da weiter nach Norden. Jn Deutsch- land bildete sich 1670 und zwar in Bayern die erste Seidenbaugesellschaft. Friedrich der Große nahm sich dieses Jndustriezweigs in seinen Ländern auf das Wärmste an, und so fand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Seidenbau überall in Deutschland Eingang. Die Freiheitskriege gaben der neuen Errungenschaft einen gewaltigen Stoß; denn die Zeiten waren nicht dazu angethan, Seidenraupen zu pflegen und Maulbeerblätter zu pflücken. Die Bäume wurden
Ailanthus Spinner. Seidenſpinner.
weißen Haarſchöpfchen des Hinterleibes nehmen ſich ſehr zierlich aus. — Die meiſten anderen außereuropäiſchen Saturnien haben ſo ziemlich denſelben Flügelſchnitt, dieſelbe Zeichnungsanlage, unſere drei deutſchen Arten, das große wiener Nachtpfauenauge (S. pyri), das mittlere (S. spini) und das gemeinſte von ihnen, das kleine (S. carpini) dagegen kaum ausgeſchweifte Flügel, auf jedem ein ſtattliches Auge und keinen Fenſterfleck. Jhre Raupen tragen ſtatt der Fleiſchzapfen behaarte Warzen und fertigen zur Verpuppung einen gut geleimten, birnförmigen Cocon, welcher oben durch trichterförmig nach innen gerichtete Geſpinnſtzipfelchen geſchloſſen wird. Noch andere ſtattliche Schmetterlinge des Jn- und Auslandes ſchließen ſich hier an, deren Beſchreibung jedoch unſere Grenzen überſchreiten würde.
Der Seidenſpinner, Maulbeerſpinner (Bombyx mori), ſteht heut zu Tage im Syſtem einzig da, indem der Gattungsname Bombyx, welchen Linné der ganzen Familie verlieh, ihm allein noch geblieben iſt. Wie die ſchönſten Sänger unter den Vögeln das ſchlichteſte Kleid tragen, ſo der nützlichſte unter allen Schmetterlingen. Er hat 1½ bis 1¾ Zoll Flugweite, iſt mehlweiß, die Doppelreihe der bei beiden Geſchlechtern langen Fühlerzähne ſchwarz. Von den kurzen Flügeln erhalten die vorderen durch tiefen Bogenausſchnitt des Saumes eine ſichelförmige Spitze; eine gelbbräunliche Querbinde über beide iſt eben ſo oft ſichtbar wie ausgewiſcht. Der äußern Erſcheinung, aber auch dem Drauge nach, ſofort ſich zu paaren, wenn er die Puppe verlaſſen hat, iſt der Schmetterling ein echter Spinner, die nackte Raupe, gemeinhin „Seidenwurm“ genannt, die vollendetſte aller Spinnerinnen, nur ihrer äußern Tracht nach ſchwärmerartig; denn ſie führt hinten ein kurzes Horn, auch verdickt ſie ihren Hals faſt ganz ſo, wie die Raupe des mittleren Weinſchwärmers (Sphinx Elpenor). Sie ſieht granweiß aus, hat über den Rücken braune Gabel- zeichnungen und rothgelbe Augenflecke an den Seiten der vorderen Ringe. Jhre einzige Nahrung bilden die Blätter des Maulbeerbaumes. Die eiförmigen, geleimten, auswendig von loſen Seiden- fäden umgebenen Cocons ſind entweder weiß oder gelb, die beiden Farben, in denen bekanntlich die rohe Seide vorkommt. Zwillingscocons gehören keineswegs zu den Seltenheiten; neulich ſah ich aber einen, welcher geuau von der Form eines einfachen war und doch zwei Schmetterlinge geliefert hatte. Da der Falter mittelſt ſeines Speichels das obere Ende des Cocons durchweicht und dann mit dem Kopfe durchbohrt, ſo wird natürlich der einzige Faden, welcher denſelben bildet, in viele zerriſſen und unbrauchbar. Die Cocons, welche Seide liefern ſollen, können daher keine Schmetter- linge entwickeln, dieſe gehen vielmehr bei der Behandlung vor dem Abhaspeln zu Grunde.
Aller Wahrſcheinlichkeit nach ſtammt der Schmetterling aus China, dem Vaterlande ſeiner Futterpflanze, und verbreitete ſich mit ihr von Norden nach Süden in der nächſten Umgebung, bis unter der Regierung des Kaiſers Juſtinianus zwei perſiſche Mönche Maulbeerpflanzen und Eier (Graines), welche ſie entwendet und in ihren ausgehöhlten Wanderſtäben verborgen hatten, nach Konſtantinopel einſchmuggelten. Hier wenigſtens ward in Europa zuerſt ſeit 520 u. Chr. der Seidenbau betrieben, blieb aber bis in das 12. Jahrhundert Monopol des griechiſchen Kaiſer- reichs, wo die Jnſel Kos die bedeutendſte Rolle in dieſer Beziehung ſpielte. Von Griechenland aus ward der Seidenbau durch Araber nach Spanien verpflanzt. Jn der Mitte des 12. Jahr- hunderts kam er durch den Krieg, welchen RogerII. mit dem Byzantiner Emanuel führte, nach Sicilien und breitete ſich allmälig über Florenz, Bologna, Venedig, Mailand und das übrige Jtalien aus, unter HeinrichIV. nach Frankreich und von da weiter nach Norden. Jn Deutſch- land bildete ſich 1670 und zwar in Bayern die erſte Seidenbaugeſellſchaft. Friedrich der Große nahm ſich dieſes Jnduſtriezweigs in ſeinen Ländern auf das Wärmſte an, und ſo fand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Seidenbau überall in Deutſchland Eingang. Die Freiheitskriege gaben der neuen Errungenſchaft einen gewaltigen Stoß; denn die Zeiten waren nicht dazu angethan, Seidenraupen zu pflegen und Maulbeerblätter zu pflücken. Die Bäume wurden
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[327/0351]
Ailanthus Spinner. Seidenſpinner.
weißen Haarſchöpfchen des Hinterleibes nehmen ſich ſehr zierlich aus. — Die meiſten anderen
außereuropäiſchen Saturnien haben ſo ziemlich denſelben Flügelſchnitt, dieſelbe Zeichnungsanlage,
unſere drei deutſchen Arten, das große wiener Nachtpfauenauge (S. pyri), das mittlere
(S. spini) und das gemeinſte von ihnen, das kleine (S. carpini) dagegen kaum ausgeſchweifte Flügel,
auf jedem ein ſtattliches Auge und keinen Fenſterfleck. Jhre Raupen tragen ſtatt der Fleiſchzapfen
behaarte Warzen und fertigen zur Verpuppung einen gut geleimten, birnförmigen Cocon, welcher
oben durch trichterförmig nach innen gerichtete Geſpinnſtzipfelchen geſchloſſen wird. Noch andere
ſtattliche Schmetterlinge des Jn- und Auslandes ſchließen ſich hier an, deren Beſchreibung jedoch
unſere Grenzen überſchreiten würde.
Der Seidenſpinner, Maulbeerſpinner (Bombyx mori), ſteht heut zu Tage im Syſtem
einzig da, indem der Gattungsname Bombyx, welchen Linné der ganzen Familie verlieh, ihm
allein noch geblieben iſt. Wie die ſchönſten Sänger unter den Vögeln das ſchlichteſte Kleid tragen,
ſo der nützlichſte unter allen Schmetterlingen. Er hat 1½ bis 1¾ Zoll Flugweite, iſt mehlweiß,
die Doppelreihe der bei beiden Geſchlechtern langen Fühlerzähne ſchwarz. Von den kurzen
Flügeln erhalten die vorderen durch tiefen Bogenausſchnitt des Saumes eine ſichelförmige Spitze;
eine gelbbräunliche Querbinde über beide iſt eben ſo oft ſichtbar wie ausgewiſcht. Der äußern
Erſcheinung, aber auch dem Drauge nach, ſofort ſich zu paaren, wenn er die Puppe verlaſſen hat,
iſt der Schmetterling ein echter Spinner, die nackte Raupe, gemeinhin „Seidenwurm“ genannt,
die vollendetſte aller Spinnerinnen, nur ihrer äußern Tracht nach ſchwärmerartig; denn ſie führt
hinten ein kurzes Horn, auch verdickt ſie ihren Hals faſt ganz ſo, wie die Raupe des mittleren
Weinſchwärmers (Sphinx Elpenor). Sie ſieht granweiß aus, hat über den Rücken braune Gabel-
zeichnungen und rothgelbe Augenflecke an den Seiten der vorderen Ringe. Jhre einzige Nahrung
bilden die Blätter des Maulbeerbaumes. Die eiförmigen, geleimten, auswendig von loſen Seiden-
fäden umgebenen Cocons ſind entweder weiß oder gelb, die beiden Farben, in denen bekanntlich
die rohe Seide vorkommt. Zwillingscocons gehören keineswegs zu den Seltenheiten; neulich ſah ich
aber einen, welcher geuau von der Form eines einfachen war und doch zwei Schmetterlinge geliefert
hatte. Da der Falter mittelſt ſeines Speichels das obere Ende des Cocons durchweicht und dann
mit dem Kopfe durchbohrt, ſo wird natürlich der einzige Faden, welcher denſelben bildet, in viele
zerriſſen und unbrauchbar. Die Cocons, welche Seide liefern ſollen, können daher keine Schmetter-
linge entwickeln, dieſe gehen vielmehr bei der Behandlung vor dem Abhaspeln zu Grunde.
Aller Wahrſcheinlichkeit nach ſtammt der Schmetterling aus China, dem Vaterlande ſeiner
Futterpflanze, und verbreitete ſich mit ihr von Norden nach Süden in der nächſten Umgebung, bis
unter der Regierung des Kaiſers Juſtinianus zwei perſiſche Mönche Maulbeerpflanzen und
Eier (Graines), welche ſie entwendet und in ihren ausgehöhlten Wanderſtäben verborgen hatten,
nach Konſtantinopel einſchmuggelten. Hier wenigſtens ward in Europa zuerſt ſeit 520 u. Chr.
der Seidenbau betrieben, blieb aber bis in das 12. Jahrhundert Monopol des griechiſchen Kaiſer-
reichs, wo die Jnſel Kos die bedeutendſte Rolle in dieſer Beziehung ſpielte. Von Griechenland
aus ward der Seidenbau durch Araber nach Spanien verpflanzt. Jn der Mitte des 12. Jahr-
hunderts kam er durch den Krieg, welchen Roger II. mit dem Byzantiner Emanuel führte,
nach Sicilien und breitete ſich allmälig über Florenz, Bologna, Venedig, Mailand und das übrige
Jtalien aus, unter Heinrich IV. nach Frankreich und von da weiter nach Norden. Jn Deutſch-
land bildete ſich 1670 und zwar in Bayern die erſte Seidenbaugeſellſchaft. Friedrich der Große
nahm ſich dieſes Jnduſtriezweigs in ſeinen Ländern auf das Wärmſte an, und ſo fand in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Seidenbau überall in Deutſchland Eingang. Die
Freiheitskriege gaben der neuen Errungenſchaft einen gewaltigen Stoß; denn die Zeiten waren nicht
dazu angethan, Seidenraupen zu pflegen und Maulbeerblätter zu pflücken. Die Bäume wurden
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/351>, abgerufen am 23.11.2024.
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