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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Rothe, gemeine Wespe.
auch Männchen und fruchtbare Weibchen geboren. Ob hier in Bezug auf die Eier die gleichen
Verhältnisse statt finden, wie bei der zahmen Honigbiene, ist wohl noch nicht untersucht worden,
ebenso wenig ermittelt, welche Verhältnisse auf die Entwickelung eines fruchtbaren Weibchens ein-
wirken; anders gelegte, königliche Zellen habe ich in keinem Hornissenneste entdecken können. Man
weiß nur so viel, daß mit dem Herannahen der rauhen Jahreszeit, nachdem sich die Pärchen
zusammengefunden haben, die noch vorhandene Brut von den Bewohnern des Baues selbst heraus-
gerissen und dem Verderben Preis gegeben wird, wie die Uebelthäter selbst ihrem Schicksale
nicht entgehen. Bis auf die befruchteten Weibchen, welche in den gewöhnlichen Verstecken Schutz
vor dem Winter suchen und finden, gehen die Arbeiter und Männchen nach und nach zu Grunde,
und die Herrschaft dieser sonst gefürchteten Thiere ist zu Ende. Daß sie sich bei der nöthigen
Vorsicht und richtigen Behandlung auch zähmen lassen, geht aus den interessanten Mittheilungen
des oben erwähnten Pfarrers hervor, welcher den Bienenkorb, worin der Bau angelegt war, von
seinem Platze wegtragen, ihn beliebig aufdecken durfte, auch seinen Kindern und Freunden den
Genuß an dem wunderbaren Treiben dieser Thiere verschaffen konnte, ohne je von den sonst wilden
und unbändigen Bestien belästigt zu werden. Der Staat, von dem er erzählt, nahm übrigens ein
tragisches Ende: die Mutter-Hornisse, welche fort und fort aus- und einflog, kam eines Tages
nicht wieder, der Eifer der Arbeiter ließ merklich nach, und allmälig stand der ganze Bau
verwaist da.

Von den übrigen Arten läßt sich die rothe Wespe (V. rufa) an der rothen Hinterleibswurzel
noch leicht unterscheiden, die anderen gleichen der gemeinen Wespe (V. vulgaris) mehr oder
weniger, besonders noch die deutsche (V. germaniea). Da ich mich auf sehr ausführliche
Beschreibungen einlassen müßte, um die Unterschiede festzustellen, ziehe ich es vor, einige Unter-
schiede in ihrer Lebensweise anzuführen. Vespa media, norvegica und sylvestris (auch holsatica
genannt) bauen an Bäume oder Sträucher. Von letzterer fand ich ein weißgraues Nest an einem
Weidenzweiglein, welches außerordentlich zierlich aussieht. So groß wie eine Wallnuß hängt es
unter einem Winkel von 45 Grad am Aestchen herab, wird am Grunde von einer napfförmigen
Außenhülle, wie von einer Manschette, umgeben. Das entgegengesetzte Ende der vollständigen
Hülle bleibt in einer Rundung von 5 Linien Durchmesser offen und gestattet einen Blick in das
Jnnere. Am Grunde der Kugelhöhlung sitzen rosettenartig zwölf sechsseitige, nach hinten verengte
Zellen, deren mittlere länger und vollkommener erscheinen, als die seitlichen. Der ganze Bau
macht den Eindruck der Jungfräulichkeit und scheint noch nicht bewohnt gewesen zu sein. Dieselbe
Art baut aber auch größere Nester von mehreren Zoll im Durchmesser, mit oder ohne Manschette,
denen manchmal die Gestalt einer umgekehrten Flasche zu Theil wird, wenn sich das untere Ende
etwas röhrenartig auszieht. Die Hülle besteht aus einigen Schichten, welche jede für sich in
einem Stücke wie ein Sack die Zellen umgeben und nur am Anfange mit einander verbunden
sind. Jedenfalls stellt die erwähnte Manschette die zweite, noch unvollendete Schicht dar. Bei
den anderen Arten (V. media, norvegica, saxonica) setzt sich die Hülle aus muschelförmig gewölbten
Stückchen zusammen, welche sich ähnlich den Dachziegeln decken und nur an ihren Wurzeln und
Seitenrändern zusammenhängen, in der Fläche von einander klassen und blasenähnliche Hohlräume
bilden. Auch hier findet sich das Flugloch am untern Ende, etwas zur Seite gerückt. V. media
baut eiförmige, bis über fußlange Nester, norvegica kugelige, bedeutend kleinere. Ein und die
andere der genannten Art wählt auch geschützte Stellen an Wandecken und verändert hiernach die
Gestalt der Nester.

Die gemeine, deutsche und rothe Wespe (V. vulgaris, germanica und rufa) legen ihre
Nester unter der Erde an und benutzen als Baugrund sehr gern alte Maulwurfshügel, welche sie
sich für ihre Zwecke vorrichten. Oft führt eine sehr lange Röhre zu der unterirdischen Höhle, aber
nur eine Oeffnung dient zum Aus- und Eingange. Wiesen, Feldraine, Abhänge von Hohlwegen
geben den Thieren beliebte Stellen zum Anbau. Die Hüllen bestehen aus vielen gekrümmten,

Rothe, gemeine Wespe.
auch Männchen und fruchtbare Weibchen geboren. Ob hier in Bezug auf die Eier die gleichen
Verhältniſſe ſtatt finden, wie bei der zahmen Honigbiene, iſt wohl noch nicht unterſucht worden,
ebenſo wenig ermittelt, welche Verhältniſſe auf die Entwickelung eines fruchtbaren Weibchens ein-
wirken; anders gelegte, königliche Zellen habe ich in keinem Horniſſenneſte entdecken können. Man
weiß nur ſo viel, daß mit dem Herannahen der rauhen Jahreszeit, nachdem ſich die Pärchen
zuſammengefunden haben, die noch vorhandene Brut von den Bewohnern des Baues ſelbſt heraus-
geriſſen und dem Verderben Preis gegeben wird, wie die Uebelthäter ſelbſt ihrem Schickſale
nicht entgehen. Bis auf die befruchteten Weibchen, welche in den gewöhnlichen Verſtecken Schutz
vor dem Winter ſuchen und finden, gehen die Arbeiter und Männchen nach und nach zu Grunde,
und die Herrſchaft dieſer ſonſt gefürchteten Thiere iſt zu Ende. Daß ſie ſich bei der nöthigen
Vorſicht und richtigen Behandlung auch zähmen laſſen, geht aus den intereſſanten Mittheilungen
des oben erwähnten Pfarrers hervor, welcher den Bienenkorb, worin der Bau angelegt war, von
ſeinem Platze wegtragen, ihn beliebig aufdecken durfte, auch ſeinen Kindern und Freunden den
Genuß an dem wunderbaren Treiben dieſer Thiere verſchaffen konnte, ohne je von den ſonſt wilden
und unbändigen Beſtien beläſtigt zu werden. Der Staat, von dem er erzählt, nahm übrigens ein
tragiſches Ende: die Mutter-Horniſſe, welche fort und fort aus- und einflog, kam eines Tages
nicht wieder, der Eifer der Arbeiter ließ merklich nach, und allmälig ſtand der ganze Bau
verwaiſt da.

Von den übrigen Arten läßt ſich die rothe Wespe (V. rufa) an der rothen Hinterleibswurzel
noch leicht unterſcheiden, die anderen gleichen der gemeinen Wespe (V. vulgaris) mehr oder
weniger, beſonders noch die deutſche (V. germaniea). Da ich mich auf ſehr ausführliche
Beſchreibungen einlaſſen müßte, um die Unterſchiede feſtzuſtellen, ziehe ich es vor, einige Unter-
ſchiede in ihrer Lebensweiſe anzuführen. Vespa media, norvegica und sylvestris (auch holsatica
genannt) bauen an Bäume oder Sträucher. Von letzterer fand ich ein weißgraues Neſt an einem
Weidenzweiglein, welches außerordentlich zierlich ausſieht. So groß wie eine Wallnuß hängt es
unter einem Winkel von 45 Grad am Aeſtchen herab, wird am Grunde von einer napfförmigen
Außenhülle, wie von einer Manſchette, umgeben. Das entgegengeſetzte Ende der vollſtändigen
Hülle bleibt in einer Rundung von 5 Linien Durchmeſſer offen und geſtattet einen Blick in das
Jnnere. Am Grunde der Kugelhöhlung ſitzen roſettenartig zwölf ſechsſeitige, nach hinten verengte
Zellen, deren mittlere länger und vollkommener erſcheinen, als die ſeitlichen. Der ganze Bau
macht den Eindruck der Jungfräulichkeit und ſcheint noch nicht bewohnt geweſen zu ſein. Dieſelbe
Art baut aber auch größere Neſter von mehreren Zoll im Durchmeſſer, mit oder ohne Manſchette,
denen manchmal die Geſtalt einer umgekehrten Flaſche zu Theil wird, wenn ſich das untere Ende
etwas röhrenartig auszieht. Die Hülle beſteht aus einigen Schichten, welche jede für ſich in
einem Stücke wie ein Sack die Zellen umgeben und nur am Anfange mit einander verbunden
ſind. Jedenfalls ſtellt die erwähnte Manſchette die zweite, noch unvollendete Schicht dar. Bei
den anderen Arten (V. media, norvegica, saxonica) ſetzt ſich die Hülle aus muſchelförmig gewölbten
Stückchen zuſammen, welche ſich ähnlich den Dachziegeln decken und nur an ihren Wurzeln und
Seitenrändern zuſammenhängen, in der Fläche von einander klaſſen und blaſenähnliche Hohlräume
bilden. Auch hier findet ſich das Flugloch am untern Ende, etwas zur Seite gerückt. V. media
baut eiförmige, bis über fußlange Neſter, norvegica kugelige, bedeutend kleinere. Ein und die
andere der genannten Art wählt auch geſchützte Stellen an Wandecken und verändert hiernach die
Geſtalt der Neſter.

Die gemeine, deutſche und rothe Wespe (V. vulgaris, germanica und rufa) legen ihre
Neſter unter der Erde an und benutzen als Baugrund ſehr gern alte Maulwurfshügel, welche ſie
ſich für ihre Zwecke vorrichten. Oft führt eine ſehr lange Röhre zu der unterirdiſchen Höhle, aber
nur eine Oeffnung dient zum Aus- und Eingange. Wieſen, Feldraine, Abhänge von Hohlwegen
geben den Thieren beliebte Stellen zum Anbau. Die Hüllen beſtehen aus vielen gekrümmten,

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[207/0227] Rothe, gemeine Wespe. auch Männchen und fruchtbare Weibchen geboren. Ob hier in Bezug auf die Eier die gleichen Verhältniſſe ſtatt finden, wie bei der zahmen Honigbiene, iſt wohl noch nicht unterſucht worden, ebenſo wenig ermittelt, welche Verhältniſſe auf die Entwickelung eines fruchtbaren Weibchens ein- wirken; anders gelegte, königliche Zellen habe ich in keinem Horniſſenneſte entdecken können. Man weiß nur ſo viel, daß mit dem Herannahen der rauhen Jahreszeit, nachdem ſich die Pärchen zuſammengefunden haben, die noch vorhandene Brut von den Bewohnern des Baues ſelbſt heraus- geriſſen und dem Verderben Preis gegeben wird, wie die Uebelthäter ſelbſt ihrem Schickſale nicht entgehen. Bis auf die befruchteten Weibchen, welche in den gewöhnlichen Verſtecken Schutz vor dem Winter ſuchen und finden, gehen die Arbeiter und Männchen nach und nach zu Grunde, und die Herrſchaft dieſer ſonſt gefürchteten Thiere iſt zu Ende. Daß ſie ſich bei der nöthigen Vorſicht und richtigen Behandlung auch zähmen laſſen, geht aus den intereſſanten Mittheilungen des oben erwähnten Pfarrers hervor, welcher den Bienenkorb, worin der Bau angelegt war, von ſeinem Platze wegtragen, ihn beliebig aufdecken durfte, auch ſeinen Kindern und Freunden den Genuß an dem wunderbaren Treiben dieſer Thiere verſchaffen konnte, ohne je von den ſonſt wilden und unbändigen Beſtien beläſtigt zu werden. Der Staat, von dem er erzählt, nahm übrigens ein tragiſches Ende: die Mutter-Horniſſe, welche fort und fort aus- und einflog, kam eines Tages nicht wieder, der Eifer der Arbeiter ließ merklich nach, und allmälig ſtand der ganze Bau verwaiſt da. Von den übrigen Arten läßt ſich die rothe Wespe (V. rufa) an der rothen Hinterleibswurzel noch leicht unterſcheiden, die anderen gleichen der gemeinen Wespe (V. vulgaris) mehr oder weniger, beſonders noch die deutſche (V. germaniea). Da ich mich auf ſehr ausführliche Beſchreibungen einlaſſen müßte, um die Unterſchiede feſtzuſtellen, ziehe ich es vor, einige Unter- ſchiede in ihrer Lebensweiſe anzuführen. Vespa media, norvegica und sylvestris (auch holsatica genannt) bauen an Bäume oder Sträucher. Von letzterer fand ich ein weißgraues Neſt an einem Weidenzweiglein, welches außerordentlich zierlich ausſieht. So groß wie eine Wallnuß hängt es unter einem Winkel von 45 Grad am Aeſtchen herab, wird am Grunde von einer napfförmigen Außenhülle, wie von einer Manſchette, umgeben. Das entgegengeſetzte Ende der vollſtändigen Hülle bleibt in einer Rundung von 5 Linien Durchmeſſer offen und geſtattet einen Blick in das Jnnere. Am Grunde der Kugelhöhlung ſitzen roſettenartig zwölf ſechsſeitige, nach hinten verengte Zellen, deren mittlere länger und vollkommener erſcheinen, als die ſeitlichen. Der ganze Bau macht den Eindruck der Jungfräulichkeit und ſcheint noch nicht bewohnt geweſen zu ſein. Dieſelbe Art baut aber auch größere Neſter von mehreren Zoll im Durchmeſſer, mit oder ohne Manſchette, denen manchmal die Geſtalt einer umgekehrten Flaſche zu Theil wird, wenn ſich das untere Ende etwas röhrenartig auszieht. Die Hülle beſteht aus einigen Schichten, welche jede für ſich in einem Stücke wie ein Sack die Zellen umgeben und nur am Anfange mit einander verbunden ſind. Jedenfalls ſtellt die erwähnte Manſchette die zweite, noch unvollendete Schicht dar. Bei den anderen Arten (V. media, norvegica, saxonica) ſetzt ſich die Hülle aus muſchelförmig gewölbten Stückchen zuſammen, welche ſich ähnlich den Dachziegeln decken und nur an ihren Wurzeln und Seitenrändern zuſammenhängen, in der Fläche von einander klaſſen und blaſenähnliche Hohlräume bilden. Auch hier findet ſich das Flugloch am untern Ende, etwas zur Seite gerückt. V. media baut eiförmige, bis über fußlange Neſter, norvegica kugelige, bedeutend kleinere. Ein und die andere der genannten Art wählt auch geſchützte Stellen an Wandecken und verändert hiernach die Geſtalt der Neſter. Die gemeine, deutſche und rothe Wespe (V. vulgaris, germanica und rufa) legen ihre Neſter unter der Erde an und benutzen als Baugrund ſehr gern alte Maulwurfshügel, welche ſie ſich für ihre Zwecke vorrichten. Oft führt eine ſehr lange Röhre zu der unterirdiſchen Höhle, aber nur eine Oeffnung dient zum Aus- und Eingange. Wieſen, Feldraine, Abhänge von Hohlwegen geben den Thieren beliebte Stellen zum Anbau. Die Hüllen beſtehen aus vielen gekrümmten,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/227>, abgerufen am 26.11.2024.