Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hautflügler. Faltenwespen. Gesellige Wespen.
unregelmäßig und kraus übereinander liegenden Stücken, zwischen welchen blasenähnliche Hohlräume
eingestreut sind. Auf diese Weise wirken sie wie Doppelfenster und Doppelthüren, die Wärme im
Jnnern zusammen-, Nässe von außen abhaltend. An abgestorbenen entrindeten Baumstämmen,
etwas verwitterten Holzpfosten und Bretterwänden erscheint während des Sommers dieses und
jenes Wespchen und nagt eifrig die Oberfläche ab, dabei streugt sie sich sichtbar an; denn in
rhythmischen Bewegungen und größerem Maßstabe zeigt der Hinterleib die entsprechenden der
zwickenden Kinnbacken an. V. rufa fertigt die kleinsten Nester, die beiden anderen Arten kommen
damit in warmen Sommern bis über einen Fuß im Durchmesser.

Die Frechheit, zügellose Wildheit der Wespen kennt ein Jeder zur Genüge, auch wenn er
nicht, wie es mir einst in meiner Kindheit widerfuhr, darum von einem ganzen Schwarme über-
fallen und unbarmherzig zerstochen wurde, weil er harmlos und völlig unkundig des Nestes den
Fußpfad wandelte, neben welchem sein Eingang lag. Vor einigen Jahren machten ein Hirtenhund
und seine Gesellschaft eine gleiche Erfahrung. Auf einem Gute weideten Kühe. Die betreffende
Stelle war von zahlreichen Maulwurfshügeln durchsetzt. Auf einem dieser sitzt der Hund, ein
treuer Wächter seiner Herde. Mit einem Male vollführt derselbe ein entsetzliches Geheul und
stürzt sich verzweiflungsvoll in das nahe vorbeifließende Wasser. Der Kuhhirt, zunächst nicht
ahnend, was geschehen, eilt seinem treuen Thiere zu Hilfe, lockt es herbei und findet es mit
Wespen gespickt. Noch damit beschäftigt, die durch das Wasserbad etwas abgekühlten Bestien von
ihm zu entfernen, bemerkt er im Eifer nicht, daß auch er auf einem Vulkan steht. Die gereizten
Thiere kriechen an seinen Beinen, innerhalb deren Bekleidung, in die Höhe, und auch er muß
schließlich im Wasser einige Linderung für die ihm beigebrachten Stiche suchen. Jmmer größer
wird die Verwirrung. Jene Maulwurfshügel sind von zahlreichen Schwärmen bewohnt, welche
man bisher nicht beachtet hatte. Auch die weidende Kühe waren einigen in den Weg gekommen
und auch sie wurden von den in wilde Aufregung versetzten Wespen angegriffen. Das Brüllen
aller und sich in das Wasser Stürzen war die Folge und der Kampf ein allgemeiner. Es
kostete große Mühe und der Mitwirkung vieler Kräfte, um allmälig die Ordnung wieder herzu-
stellen. Versuche, jene Nester zu zerstören und die Stelle für das weidende Vieh zugänglich zu
machen, blieben erfolglos. Die Wespen waren in jenem Jahre zu zahlreich und blieben Herren
der Situation. Wenn eine mit ihrem lauten und drohenden Tsu! Tsu! Tsu! zum Fenster herein
kommt, erregt sie Furcht und Schrecken. Eine Fliege, eine Spinne, ein Stückchen Fleisch oder
irgend welche Süßigkeit sucht sie hier und achtet nicht der Verfolgungen, denen sie ausgesetzt ist,
da dem rechtmäßigen Bewohner der Besuch nicht galt. Unter demselben Gesumme entfernt sie
sich wieder, wenn sie das Gesuchte nicht fand; ein Fleischladen in der Nachbarschaft, die Körbe
voll Obst, hinter denen die sonnegebräunte Hökerin mit Argusaugen Wache hält, der zur Schau
gestellte Pflaumenkuchen im Bäckerladen, das sind ihre Tummelplätze, wo sie Fliegen, Fleisch und
Süßigkeiten zu reicher Auswahl findet, wenn sie die ländlichen Gefilde zur Abwechselung einmal
mit dem Leben in der Stadt vertauschte. Jhre Wildheit, ihre Eile, wer sollte sie ihr nicht ver-
zeihen, wenn er bedenkt, daß in der kurzen Frist von kaum sechs Monaten eine Zwingburg von
solcher Ausdehnung gebaut, ein Staat gegründet und erzogen werden, alles das geschehen soll,
was dem darauf folgenden Jahre ein Gleiches sicherte. Für diese Dinge will die Zeit ausgekauft
sein, werden Thaten, Entschlossenheit gefordert; das aber erscheint dem Bedächtigeren, lange erst
Ueberlegenden als -- Wildheit, Ueberstürzung!

Wie bei den Hornissen wird die Brut erzogen, und kaum ist der junge Bürger, oder vielmehr
die Bürgerin, der Gemeinde zugeführt, so unterzieht sie sich den Arbeiten ihrer älteren Schwestern.
Bauen, Jagen, Morden, Füttern und Erfrischung der eignen, so angespannten Kräfte füllen die
kurze Lebenszeit aus. Jm Herbste erscheinen neben den Jungfrauen Männchen und Weibchen,
damit das Geschlecht nicht aussterbe; denn die Stammmutter hat sich nun abgenutzt. Wenn durch

Die Hautflügler. Faltenwespen. Geſellige Wespen.
unregelmäßig und kraus übereinander liegenden Stücken, zwiſchen welchen blaſenähnliche Hohlräume
eingeſtreut ſind. Auf dieſe Weiſe wirken ſie wie Doppelfenſter und Doppelthüren, die Wärme im
Jnnern zuſammen-, Näſſe von außen abhaltend. An abgeſtorbenen entrindeten Baumſtämmen,
etwas verwitterten Holzpfoſten und Bretterwänden erſcheint während des Sommers dieſes und
jenes Wespchen und nagt eifrig die Oberfläche ab, dabei ſtreugt ſie ſich ſichtbar an; denn in
rhythmiſchen Bewegungen und größerem Maßſtabe zeigt der Hinterleib die entſprechenden der
zwickenden Kinnbacken an. V. rufa fertigt die kleinſten Neſter, die beiden anderen Arten kommen
damit in warmen Sommern bis über einen Fuß im Durchmeſſer.

Die Frechheit, zügelloſe Wildheit der Wespen kennt ein Jeder zur Genüge, auch wenn er
nicht, wie es mir einſt in meiner Kindheit widerfuhr, darum von einem ganzen Schwarme über-
fallen und unbarmherzig zerſtochen wurde, weil er harmlos und völlig unkundig des Neſtes den
Fußpfad wandelte, neben welchem ſein Eingang lag. Vor einigen Jahren machten ein Hirtenhund
und ſeine Geſellſchaft eine gleiche Erfahrung. Auf einem Gute weideten Kühe. Die betreffende
Stelle war von zahlreichen Maulwurfshügeln durchſetzt. Auf einem dieſer ſitzt der Hund, ein
treuer Wächter ſeiner Herde. Mit einem Male vollführt derſelbe ein entſetzliches Geheul und
ſtürzt ſich verzweiflungsvoll in das nahe vorbeifließende Waſſer. Der Kuhhirt, zunächſt nicht
ahnend, was geſchehen, eilt ſeinem treuen Thiere zu Hilfe, lockt es herbei und findet es mit
Wespen geſpickt. Noch damit beſchäftigt, die durch das Waſſerbad etwas abgekühlten Beſtien von
ihm zu entfernen, bemerkt er im Eifer nicht, daß auch er auf einem Vulkan ſteht. Die gereizten
Thiere kriechen an ſeinen Beinen, innerhalb deren Bekleidung, in die Höhe, und auch er muß
ſchließlich im Waſſer einige Linderung für die ihm beigebrachten Stiche ſuchen. Jmmer größer
wird die Verwirrung. Jene Maulwurfshügel ſind von zahlreichen Schwärmen bewohnt, welche
man bisher nicht beachtet hatte. Auch die weidende Kühe waren einigen in den Weg gekommen
und auch ſie wurden von den in wilde Aufregung verſetzten Wespen angegriffen. Das Brüllen
aller und ſich in das Waſſer Stürzen war die Folge und der Kampf ein allgemeiner. Es
koſtete große Mühe und der Mitwirkung vieler Kräfte, um allmälig die Ordnung wieder herzu-
ſtellen. Verſuche, jene Neſter zu zerſtören und die Stelle für das weidende Vieh zugänglich zu
machen, blieben erfolglos. Die Wespen waren in jenem Jahre zu zahlreich und blieben Herren
der Situation. Wenn eine mit ihrem lauten und drohenden Tſu! Tſu! Tſu! zum Fenſter herein
kommt, erregt ſie Furcht und Schrecken. Eine Fliege, eine Spinne, ein Stückchen Fleiſch oder
irgend welche Süßigkeit ſucht ſie hier und achtet nicht der Verfolgungen, denen ſie ausgeſetzt iſt,
da dem rechtmäßigen Bewohner der Beſuch nicht galt. Unter demſelben Geſumme entfernt ſie
ſich wieder, wenn ſie das Geſuchte nicht fand; ein Fleiſchladen in der Nachbarſchaft, die Körbe
voll Obſt, hinter denen die ſonnegebräunte Hökerin mit Argusaugen Wache hält, der zur Schau
geſtellte Pflaumenkuchen im Bäckerladen, das ſind ihre Tummelplätze, wo ſie Fliegen, Fleiſch und
Süßigkeiten zu reicher Auswahl findet, wenn ſie die ländlichen Gefilde zur Abwechſelung einmal
mit dem Leben in der Stadt vertauſchte. Jhre Wildheit, ihre Eile, wer ſollte ſie ihr nicht ver-
zeihen, wenn er bedenkt, daß in der kurzen Friſt von kaum ſechs Monaten eine Zwingburg von
ſolcher Ausdehnung gebaut, ein Staat gegründet und erzogen werden, alles das geſchehen ſoll,
was dem darauf folgenden Jahre ein Gleiches ſicherte. Für dieſe Dinge will die Zeit ausgekauft
ſein, werden Thaten, Entſchloſſenheit gefordert; das aber erſcheint dem Bedächtigeren, lange erſt
Ueberlegenden als — Wildheit, Ueberſtürzung!

Wie bei den Horniſſen wird die Brut erzogen, und kaum iſt der junge Bürger, oder vielmehr
die Bürgerin, der Gemeinde zugeführt, ſo unterzieht ſie ſich den Arbeiten ihrer älteren Schweſtern.
Bauen, Jagen, Morden, Füttern und Erfriſchung der eignen, ſo angeſpannten Kräfte füllen die
kurze Lebenszeit aus. Jm Herbſte erſcheinen neben den Jungfrauen Männchen und Weibchen,
damit das Geſchlecht nicht ausſterbe; denn die Stammmutter hat ſich nun abgenutzt. Wenn durch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <floatingText>
        <body>
          <div n="1">
            <div n="2">
              <p><pb facs="#f0228" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Hautflügler. Faltenwespen. Ge&#x017F;ellige Wespen.</hi></fw><lb/>
unregelmäßig und kraus übereinander liegenden Stücken, zwi&#x017F;chen welchen bla&#x017F;enähnliche Hohlräume<lb/>
einge&#x017F;treut &#x017F;ind. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e wirken &#x017F;ie wie Doppelfen&#x017F;ter und Doppelthüren, die Wärme im<lb/>
Jnnern zu&#x017F;ammen-, Nä&#x017F;&#x017F;e von außen abhaltend. An abge&#x017F;torbenen entrindeten Baum&#x017F;tämmen,<lb/>
etwas verwitterten Holzpfo&#x017F;ten und Bretterwänden er&#x017F;cheint während des Sommers die&#x017F;es und<lb/>
jenes Wespchen und nagt eifrig die Oberfläche ab, dabei &#x017F;treugt &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;ichtbar an; denn in<lb/>
rhythmi&#x017F;chen Bewegungen und größerem Maß&#x017F;tabe zeigt der Hinterleib die ent&#x017F;prechenden der<lb/>
zwickenden Kinnbacken an. <hi rendition="#aq">V. rufa</hi> fertigt die klein&#x017F;ten Ne&#x017F;ter, die beiden anderen Arten kommen<lb/>
damit in warmen Sommern bis über einen Fuß im Durchme&#x017F;&#x017F;er.</p><lb/>
              <p>Die Frechheit, zügello&#x017F;e Wildheit der Wespen kennt ein Jeder zur Genüge, auch wenn er<lb/>
nicht, wie es mir ein&#x017F;t in meiner Kindheit widerfuhr, darum von einem ganzen Schwarme über-<lb/>
fallen und unbarmherzig zer&#x017F;tochen wurde, weil er harmlos und völlig unkundig des Ne&#x017F;tes den<lb/>
Fußpfad wandelte, neben welchem &#x017F;ein Eingang lag. Vor einigen Jahren machten ein Hirtenhund<lb/>
und &#x017F;eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eine gleiche Erfahrung. Auf einem Gute weideten Kühe. Die betreffende<lb/>
Stelle war von zahlreichen Maulwurfshügeln durch&#x017F;etzt. Auf einem die&#x017F;er &#x017F;itzt der Hund, ein<lb/>
treuer Wächter &#x017F;einer Herde. Mit einem Male vollführt der&#x017F;elbe ein ent&#x017F;etzliches Geheul und<lb/>
&#x017F;türzt &#x017F;ich verzweiflungsvoll in das nahe vorbeifließende Wa&#x017F;&#x017F;er. Der Kuhhirt, zunäch&#x017F;t nicht<lb/>
ahnend, was ge&#x017F;chehen, eilt &#x017F;einem treuen Thiere zu Hilfe, lockt es herbei und findet es mit<lb/>
Wespen ge&#x017F;pickt. Noch damit be&#x017F;chäftigt, die durch das Wa&#x017F;&#x017F;erbad etwas abgekühlten Be&#x017F;tien von<lb/>
ihm zu entfernen, bemerkt er im Eifer nicht, daß auch er auf einem Vulkan &#x017F;teht. Die gereizten<lb/>
Thiere kriechen an &#x017F;einen Beinen, innerhalb deren Bekleidung, in die Höhe, und auch er muß<lb/>
&#x017F;chließlich im Wa&#x017F;&#x017F;er einige Linderung für die ihm beigebrachten Stiche &#x017F;uchen. Jmmer größer<lb/>
wird die Verwirrung. Jene Maulwurfshügel &#x017F;ind von zahlreichen Schwärmen bewohnt, welche<lb/>
man bisher nicht beachtet hatte. Auch die weidende Kühe waren einigen in den Weg gekommen<lb/>
und auch &#x017F;ie wurden von den in wilde Aufregung ver&#x017F;etzten Wespen angegriffen. Das Brüllen<lb/>
aller und &#x017F;ich in das Wa&#x017F;&#x017F;er Stürzen war die Folge und der Kampf ein allgemeiner. Es<lb/>
ko&#x017F;tete große Mühe und der Mitwirkung vieler Kräfte, um allmälig die Ordnung wieder herzu-<lb/>
&#x017F;tellen. Ver&#x017F;uche, jene Ne&#x017F;ter zu zer&#x017F;tören und die Stelle für das weidende Vieh zugänglich zu<lb/>
machen, blieben erfolglos. Die Wespen waren in jenem Jahre zu zahlreich und blieben Herren<lb/>
der Situation. Wenn eine mit ihrem lauten und drohenden T&#x017F;u! T&#x017F;u! T&#x017F;u! zum Fen&#x017F;ter herein<lb/>
kommt, erregt &#x017F;ie Furcht und Schrecken. Eine Fliege, eine Spinne, ein Stückchen Flei&#x017F;ch oder<lb/>
irgend welche Süßigkeit &#x017F;ucht &#x017F;ie hier und achtet nicht der Verfolgungen, denen &#x017F;ie ausge&#x017F;etzt i&#x017F;t,<lb/>
da dem rechtmäßigen Bewohner der Be&#x017F;uch nicht galt. Unter dem&#x017F;elben Ge&#x017F;umme entfernt &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich wieder, wenn &#x017F;ie das Ge&#x017F;uchte nicht fand; ein Flei&#x017F;chladen in der Nachbar&#x017F;chaft, die Körbe<lb/>
voll Ob&#x017F;t, hinter denen die &#x017F;onnegebräunte Hökerin mit Argusaugen Wache hält, der zur Schau<lb/>
ge&#x017F;tellte Pflaumenkuchen im Bäckerladen, das &#x017F;ind ihre Tummelplätze, wo &#x017F;ie Fliegen, Flei&#x017F;ch und<lb/>
Süßigkeiten zu reicher Auswahl findet, wenn &#x017F;ie die ländlichen Gefilde zur Abwech&#x017F;elung einmal<lb/>
mit dem Leben in der Stadt vertau&#x017F;chte. Jhre Wildheit, ihre Eile, wer &#x017F;ollte &#x017F;ie ihr nicht ver-<lb/>
zeihen, wenn er bedenkt, daß in der kurzen Fri&#x017F;t von kaum &#x017F;echs Monaten eine Zwingburg von<lb/>
&#x017F;olcher Ausdehnung gebaut, ein Staat gegründet und erzogen werden, alles das ge&#x017F;chehen &#x017F;oll,<lb/>
was dem darauf folgenden Jahre ein Gleiches &#x017F;icherte. Für die&#x017F;e Dinge will die Zeit ausgekauft<lb/>
&#x017F;ein, werden Thaten, Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit gefordert; das aber er&#x017F;cheint dem Bedächtigeren, lange er&#x017F;t<lb/>
Ueberlegenden als &#x2014; Wildheit, Ueber&#x017F;türzung!</p><lb/>
              <p>Wie bei den Horni&#x017F;&#x017F;en wird die Brut erzogen, und kaum i&#x017F;t der junge Bürger, oder vielmehr<lb/>
die Bürgerin, der Gemeinde zugeführt, &#x017F;o unterzieht &#x017F;ie &#x017F;ich den Arbeiten ihrer älteren Schwe&#x017F;tern.<lb/>
Bauen, Jagen, Morden, Füttern und Erfri&#x017F;chung der eignen, &#x017F;o ange&#x017F;pannten Kräfte füllen die<lb/>
kurze Lebenszeit aus. Jm Herb&#x017F;te er&#x017F;cheinen neben den Jungfrauen Männchen und Weibchen,<lb/>
damit das Ge&#x017F;chlecht nicht aus&#x017F;terbe; denn die Stammmutter hat &#x017F;ich nun abgenutzt. Wenn durch<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </body>
      </floatingText>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0228] Die Hautflügler. Faltenwespen. Geſellige Wespen. unregelmäßig und kraus übereinander liegenden Stücken, zwiſchen welchen blaſenähnliche Hohlräume eingeſtreut ſind. Auf dieſe Weiſe wirken ſie wie Doppelfenſter und Doppelthüren, die Wärme im Jnnern zuſammen-, Näſſe von außen abhaltend. An abgeſtorbenen entrindeten Baumſtämmen, etwas verwitterten Holzpfoſten und Bretterwänden erſcheint während des Sommers dieſes und jenes Wespchen und nagt eifrig die Oberfläche ab, dabei ſtreugt ſie ſich ſichtbar an; denn in rhythmiſchen Bewegungen und größerem Maßſtabe zeigt der Hinterleib die entſprechenden der zwickenden Kinnbacken an. V. rufa fertigt die kleinſten Neſter, die beiden anderen Arten kommen damit in warmen Sommern bis über einen Fuß im Durchmeſſer. Die Frechheit, zügelloſe Wildheit der Wespen kennt ein Jeder zur Genüge, auch wenn er nicht, wie es mir einſt in meiner Kindheit widerfuhr, darum von einem ganzen Schwarme über- fallen und unbarmherzig zerſtochen wurde, weil er harmlos und völlig unkundig des Neſtes den Fußpfad wandelte, neben welchem ſein Eingang lag. Vor einigen Jahren machten ein Hirtenhund und ſeine Geſellſchaft eine gleiche Erfahrung. Auf einem Gute weideten Kühe. Die betreffende Stelle war von zahlreichen Maulwurfshügeln durchſetzt. Auf einem dieſer ſitzt der Hund, ein treuer Wächter ſeiner Herde. Mit einem Male vollführt derſelbe ein entſetzliches Geheul und ſtürzt ſich verzweiflungsvoll in das nahe vorbeifließende Waſſer. Der Kuhhirt, zunächſt nicht ahnend, was geſchehen, eilt ſeinem treuen Thiere zu Hilfe, lockt es herbei und findet es mit Wespen geſpickt. Noch damit beſchäftigt, die durch das Waſſerbad etwas abgekühlten Beſtien von ihm zu entfernen, bemerkt er im Eifer nicht, daß auch er auf einem Vulkan ſteht. Die gereizten Thiere kriechen an ſeinen Beinen, innerhalb deren Bekleidung, in die Höhe, und auch er muß ſchließlich im Waſſer einige Linderung für die ihm beigebrachten Stiche ſuchen. Jmmer größer wird die Verwirrung. Jene Maulwurfshügel ſind von zahlreichen Schwärmen bewohnt, welche man bisher nicht beachtet hatte. Auch die weidende Kühe waren einigen in den Weg gekommen und auch ſie wurden von den in wilde Aufregung verſetzten Wespen angegriffen. Das Brüllen aller und ſich in das Waſſer Stürzen war die Folge und der Kampf ein allgemeiner. Es koſtete große Mühe und der Mitwirkung vieler Kräfte, um allmälig die Ordnung wieder herzu- ſtellen. Verſuche, jene Neſter zu zerſtören und die Stelle für das weidende Vieh zugänglich zu machen, blieben erfolglos. Die Wespen waren in jenem Jahre zu zahlreich und blieben Herren der Situation. Wenn eine mit ihrem lauten und drohenden Tſu! Tſu! Tſu! zum Fenſter herein kommt, erregt ſie Furcht und Schrecken. Eine Fliege, eine Spinne, ein Stückchen Fleiſch oder irgend welche Süßigkeit ſucht ſie hier und achtet nicht der Verfolgungen, denen ſie ausgeſetzt iſt, da dem rechtmäßigen Bewohner der Beſuch nicht galt. Unter demſelben Geſumme entfernt ſie ſich wieder, wenn ſie das Geſuchte nicht fand; ein Fleiſchladen in der Nachbarſchaft, die Körbe voll Obſt, hinter denen die ſonnegebräunte Hökerin mit Argusaugen Wache hält, der zur Schau geſtellte Pflaumenkuchen im Bäckerladen, das ſind ihre Tummelplätze, wo ſie Fliegen, Fleiſch und Süßigkeiten zu reicher Auswahl findet, wenn ſie die ländlichen Gefilde zur Abwechſelung einmal mit dem Leben in der Stadt vertauſchte. Jhre Wildheit, ihre Eile, wer ſollte ſie ihr nicht ver- zeihen, wenn er bedenkt, daß in der kurzen Friſt von kaum ſechs Monaten eine Zwingburg von ſolcher Ausdehnung gebaut, ein Staat gegründet und erzogen werden, alles das geſchehen ſoll, was dem darauf folgenden Jahre ein Gleiches ſicherte. Für dieſe Dinge will die Zeit ausgekauft ſein, werden Thaten, Entſchloſſenheit gefordert; das aber erſcheint dem Bedächtigeren, lange erſt Ueberlegenden als — Wildheit, Ueberſtürzung! Wie bei den Horniſſen wird die Brut erzogen, und kaum iſt der junge Bürger, oder vielmehr die Bürgerin, der Gemeinde zugeführt, ſo unterzieht ſie ſich den Arbeiten ihrer älteren Schweſtern. Bauen, Jagen, Morden, Füttern und Erfriſchung der eignen, ſo angeſpannten Kräfte füllen die kurze Lebenszeit aus. Jm Herbſte erſcheinen neben den Jungfrauen Männchen und Weibchen, damit das Geſchlecht nicht ausſterbe; denn die Stammmutter hat ſich nun abgenutzt. Wenn durch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/228
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/228>, abgerufen am 26.11.2024.