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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Suppenschildkröte und Karette.
dieser, gerade in der Zeit ihrer Vermehrung aufgeriebenen Thiere liegen überall in Menge umher,
nachdem sie von den Rabengeiern des letzten Restes von Fleisch beraubt worden sind. Die Jndianer
tödten die Meerschildkröten des Oeles wegen, welches in ihrem Fleische enthalten ist, kochen dasselbe
und sammeln die zahlreichen Eier, welche in dem Sande oder noch in dem Leibe des Thieres enthalten
sind, in großen Körben, um sie zu Hause zu verzehren. Jn dieser Zeit der Schildkröteneier begegnet
man den mit den genannten Schätzen beladenen Familien der Jndianer oft an dieser Küste; auch
erbauen sie sich wohl Hütten von Palmenblättern, um mehrere Tage und Wochen sich am Strande
niederzulassen und täglich das Geschäft des Einsammelns zu betreiben." Jn ähnlicher Weise wird
den nutzbringenden Thieren allerorten an allen Küsten, welche sie zum Eierlegen besuchen, nach-
gestellt. Die Jäger nahen sich in kleinen Booten vorsichtig dem Strande der unbewohnten Jnseln oder
vom Lande her den Legeplätzen an bewohnten Küsten, verbergen sich in der Nähe, halten sich still und
warten, bis die ängstlichen Thiere an das Land gekrochen sind und sich hinlänglich weit vom Wasser
entfernt haben. Erheben sich die Jäger zu früh, so eilen die Schildkröten sofort dem Meere zu, und
da, wo der Strand einigermaßen abschüssig ist, gelingt es ihnen oft, sich zu retten, indem sie sich
schnell herumdrehen und dann über den Sand hinabgleiten lassen; kommen jene rechtzeitig zur Stelle,
so sichern sie sich ihre Beute dadurch, daß sie dieselbe umwenden, d. h. auf den Rücken wälzen.
Keine Seeschildkröte ist im Stande, sich aus dieser Lage zu befreien, obgleich sie sich, um Dies zu
ermöglichen, so quält, daß ihre Augen mit Blut unterlaufen und weit aus dem Kopfe heraustreten.
Nicht allzu selten geschieht es, daß die Fänger leichtsinnig oder, richtiger, grausam genug sind, mehr
Schildkröten umzuwenden, als sie gebrauchen können, einzelne von ihnen in der hilflosen Lage liegen
und elendiglich verschmachten lassen. Sehr große und schwere werden vermittels Hebebäumen umge-
wälzt. Am nächsten Morgen beginnt das Einsammeln der Gefangenen, welche nun zunächst
entweder in eigens für sie bereitete Behälter oder auf die Schiffe gebracht und vonhieraus versandt
werden. Jn den Zwingern, welche selbstverständlich mit Seewasser angefüllte Becken sind, sieht
man sie langsam umherschwimmen und oft ihrer drei oder vier sich über einander lagern. An
das Fressen gehen die Gefangenen selten, magern deshalb bald ab und verlieren rasch an Werth.
Diejenigen, welche man auf unsere europäischen Märkte bringt, kommen meist aus Westindien,
namentlich aus Jamaika. Man legt sie an einer passenden Stelle des Verdeckes auf den Rücken,
befestigt sie mit Stricken, breitet ein Tuch über sie und begießt dasselbe so oft mit Seewasser, daß es
beständig naß oder wenigstens feucht bleibt, steckt den armen Schelmen ein Stück mit Seewasser
getränktes Weißbrot in das Maul und vertraut im übrigen auf ihre außerordentliche Lebenszähigkeit.
Jn den europäischen Seestädten hält man sie in großen Kübeln, welche aller zwei bis drei Tage ein-
mal mit Wasser angefüllt werden, schlachtet sie dann, indem man ihnen den Kopf abhackt, und hängt
sie nun einen oder zwei Tage lang so auf, daß alles Blut ablaufen kann. Erst dann hält man das
Fleisch für geeignet zur Bereitung jener köstlichen Suppen.

Jn Jndien und insbesondere auf Ceylon macht man weniger Umstände mit den für die Küche
bestimmten Seeschildkröten. Ein äußerst widerwärtiger Anblick bietet sich, laut Tennent, auf den
Märkten von Ceylon dem Besucher. Man sieht hier die gefangenen Schildkröten in unglaublicher
Weise quälen. Wahrscheinlich wünschen die Käufer das Fleisch so frisch als möglich zu erhalten oder
wollen sich die Verkäufer keine besondere Mühe mit dem Schlachten geben; man trennt also einfach
den Brustpanzer des lebenden Thieres ab und schneidet dem Kauflustigen das von ihm gewünschte
Fleischstück aus dem Leibe heraus. Bei der bekannten Lebenszähigkeit der Schildkröten und der
Unabhängigkeit der einzelnen Organe sieht dann der entsetzte Europäer, wie das geschundene
Thier die Augen verdreht, das Maul langsam öffnet und schließt, wie das Herz, welches gewöhnlich
zuletzt gefordert wird, pulsirt, wie das Leben sich noch in allen den Theilen regt, welche noch keine
Liebhaber fanden.

Zu gewissen Zeiten wird das Fleisch der Schildkröte wegen seiner schädlichen Wirkung gemieden.
Zu Pantura im Süden von Colombo wurden achtundzwanzig Leute, welche im Oktober des Jahres

Suppenſchildkröte und Karette.
dieſer, gerade in der Zeit ihrer Vermehrung aufgeriebenen Thiere liegen überall in Menge umher,
nachdem ſie von den Rabengeiern des letzten Reſtes von Fleiſch beraubt worden ſind. Die Jndianer
tödten die Meerſchildkröten des Oeles wegen, welches in ihrem Fleiſche enthalten iſt, kochen daſſelbe
und ſammeln die zahlreichen Eier, welche in dem Sande oder noch in dem Leibe des Thieres enthalten
ſind, in großen Körben, um ſie zu Hauſe zu verzehren. Jn dieſer Zeit der Schildkröteneier begegnet
man den mit den genannten Schätzen beladenen Familien der Jndianer oft an dieſer Küſte; auch
erbauen ſie ſich wohl Hütten von Palmenblättern, um mehrere Tage und Wochen ſich am Strande
niederzulaſſen und täglich das Geſchäft des Einſammelns zu betreiben.“ Jn ähnlicher Weiſe wird
den nutzbringenden Thieren allerorten an allen Küſten, welche ſie zum Eierlegen beſuchen, nach-
geſtellt. Die Jäger nahen ſich in kleinen Booten vorſichtig dem Strande der unbewohnten Jnſeln oder
vom Lande her den Legeplätzen an bewohnten Küſten, verbergen ſich in der Nähe, halten ſich ſtill und
warten, bis die ängſtlichen Thiere an das Land gekrochen ſind und ſich hinlänglich weit vom Waſſer
entfernt haben. Erheben ſich die Jäger zu früh, ſo eilen die Schildkröten ſofort dem Meere zu, und
da, wo der Strand einigermaßen abſchüſſig iſt, gelingt es ihnen oft, ſich zu retten, indem ſie ſich
ſchnell herumdrehen und dann über den Sand hinabgleiten laſſen; kommen jene rechtzeitig zur Stelle,
ſo ſichern ſie ſich ihre Beute dadurch, daß ſie dieſelbe umwenden, d. h. auf den Rücken wälzen.
Keine Seeſchildkröte iſt im Stande, ſich aus dieſer Lage zu befreien, obgleich ſie ſich, um Dies zu
ermöglichen, ſo quält, daß ihre Augen mit Blut unterlaufen und weit aus dem Kopfe heraustreten.
Nicht allzu ſelten geſchieht es, daß die Fänger leichtſinnig oder, richtiger, grauſam genug ſind, mehr
Schildkröten umzuwenden, als ſie gebrauchen können, einzelne von ihnen in der hilfloſen Lage liegen
und elendiglich verſchmachten laſſen. Sehr große und ſchwere werden vermittels Hebebäumen umge-
wälzt. Am nächſten Morgen beginnt das Einſammeln der Gefangenen, welche nun zunächſt
entweder in eigens für ſie bereitete Behälter oder auf die Schiffe gebracht und vonhieraus verſandt
werden. Jn den Zwingern, welche ſelbſtverſtändlich mit Seewaſſer angefüllte Becken ſind, ſieht
man ſie langſam umherſchwimmen und oft ihrer drei oder vier ſich über einander lagern. An
das Freſſen gehen die Gefangenen ſelten, magern deshalb bald ab und verlieren raſch an Werth.
Diejenigen, welche man auf unſere europäiſchen Märkte bringt, kommen meiſt aus Weſtindien,
namentlich aus Jamaika. Man legt ſie an einer paſſenden Stelle des Verdeckes auf den Rücken,
befeſtigt ſie mit Stricken, breitet ein Tuch über ſie und begießt daſſelbe ſo oft mit Seewaſſer, daß es
beſtändig naß oder wenigſtens feucht bleibt, ſteckt den armen Schelmen ein Stück mit Seewaſſer
getränktes Weißbrot in das Maul und vertraut im übrigen auf ihre außerordentliche Lebenszähigkeit.
Jn den europäiſchen Seeſtädten hält man ſie in großen Kübeln, welche aller zwei bis drei Tage ein-
mal mit Waſſer angefüllt werden, ſchlachtet ſie dann, indem man ihnen den Kopf abhackt, und hängt
ſie nun einen oder zwei Tage lang ſo auf, daß alles Blut ablaufen kann. Erſt dann hält man das
Fleiſch für geeignet zur Bereitung jener köſtlichen Suppen.

Jn Jndien und insbeſondere auf Ceylon macht man weniger Umſtände mit den für die Küche
beſtimmten Seeſchildkröten. Ein äußerſt widerwärtiger Anblick bietet ſich, laut Tennent, auf den
Märkten von Ceylon dem Beſucher. Man ſieht hier die gefangenen Schildkröten in unglaublicher
Weiſe quälen. Wahrſcheinlich wünſchen die Käufer das Fleiſch ſo friſch als möglich zu erhalten oder
wollen ſich die Verkäufer keine beſondere Mühe mit dem Schlachten geben; man trennt alſo einfach
den Bruſtpanzer des lebenden Thieres ab und ſchneidet dem Kaufluſtigen das von ihm gewünſchte
Fleiſchſtück aus dem Leibe heraus. Bei der bekannten Lebenszähigkeit der Schildkröten und der
Unabhängigkeit der einzelnen Organe ſieht dann der entſetzte Europäer, wie das geſchundene
Thier die Augen verdreht, das Maul langſam öffnet und ſchließt, wie das Herz, welches gewöhnlich
zuletzt gefordert wird, pulſirt, wie das Leben ſich noch in allen den Theilen regt, welche noch keine
Liebhaber fanden.

Zu gewiſſen Zeiten wird das Fleiſch der Schildkröte wegen ſeiner ſchädlichen Wirkung gemieden.
Zu Pantura im Süden von Colombo wurden achtundzwanzig Leute, welche im Oktober des Jahres

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[53/0067] Suppenſchildkröte und Karette. dieſer, gerade in der Zeit ihrer Vermehrung aufgeriebenen Thiere liegen überall in Menge umher, nachdem ſie von den Rabengeiern des letzten Reſtes von Fleiſch beraubt worden ſind. Die Jndianer tödten die Meerſchildkröten des Oeles wegen, welches in ihrem Fleiſche enthalten iſt, kochen daſſelbe und ſammeln die zahlreichen Eier, welche in dem Sande oder noch in dem Leibe des Thieres enthalten ſind, in großen Körben, um ſie zu Hauſe zu verzehren. Jn dieſer Zeit der Schildkröteneier begegnet man den mit den genannten Schätzen beladenen Familien der Jndianer oft an dieſer Küſte; auch erbauen ſie ſich wohl Hütten von Palmenblättern, um mehrere Tage und Wochen ſich am Strande niederzulaſſen und täglich das Geſchäft des Einſammelns zu betreiben.“ Jn ähnlicher Weiſe wird den nutzbringenden Thieren allerorten an allen Küſten, welche ſie zum Eierlegen beſuchen, nach- geſtellt. Die Jäger nahen ſich in kleinen Booten vorſichtig dem Strande der unbewohnten Jnſeln oder vom Lande her den Legeplätzen an bewohnten Küſten, verbergen ſich in der Nähe, halten ſich ſtill und warten, bis die ängſtlichen Thiere an das Land gekrochen ſind und ſich hinlänglich weit vom Waſſer entfernt haben. Erheben ſich die Jäger zu früh, ſo eilen die Schildkröten ſofort dem Meere zu, und da, wo der Strand einigermaßen abſchüſſig iſt, gelingt es ihnen oft, ſich zu retten, indem ſie ſich ſchnell herumdrehen und dann über den Sand hinabgleiten laſſen; kommen jene rechtzeitig zur Stelle, ſo ſichern ſie ſich ihre Beute dadurch, daß ſie dieſelbe umwenden, d. h. auf den Rücken wälzen. Keine Seeſchildkröte iſt im Stande, ſich aus dieſer Lage zu befreien, obgleich ſie ſich, um Dies zu ermöglichen, ſo quält, daß ihre Augen mit Blut unterlaufen und weit aus dem Kopfe heraustreten. Nicht allzu ſelten geſchieht es, daß die Fänger leichtſinnig oder, richtiger, grauſam genug ſind, mehr Schildkröten umzuwenden, als ſie gebrauchen können, einzelne von ihnen in der hilfloſen Lage liegen und elendiglich verſchmachten laſſen. Sehr große und ſchwere werden vermittels Hebebäumen umge- wälzt. Am nächſten Morgen beginnt das Einſammeln der Gefangenen, welche nun zunächſt entweder in eigens für ſie bereitete Behälter oder auf die Schiffe gebracht und vonhieraus verſandt werden. Jn den Zwingern, welche ſelbſtverſtändlich mit Seewaſſer angefüllte Becken ſind, ſieht man ſie langſam umherſchwimmen und oft ihrer drei oder vier ſich über einander lagern. An das Freſſen gehen die Gefangenen ſelten, magern deshalb bald ab und verlieren raſch an Werth. Diejenigen, welche man auf unſere europäiſchen Märkte bringt, kommen meiſt aus Weſtindien, namentlich aus Jamaika. Man legt ſie an einer paſſenden Stelle des Verdeckes auf den Rücken, befeſtigt ſie mit Stricken, breitet ein Tuch über ſie und begießt daſſelbe ſo oft mit Seewaſſer, daß es beſtändig naß oder wenigſtens feucht bleibt, ſteckt den armen Schelmen ein Stück mit Seewaſſer getränktes Weißbrot in das Maul und vertraut im übrigen auf ihre außerordentliche Lebenszähigkeit. Jn den europäiſchen Seeſtädten hält man ſie in großen Kübeln, welche aller zwei bis drei Tage ein- mal mit Waſſer angefüllt werden, ſchlachtet ſie dann, indem man ihnen den Kopf abhackt, und hängt ſie nun einen oder zwei Tage lang ſo auf, daß alles Blut ablaufen kann. Erſt dann hält man das Fleiſch für geeignet zur Bereitung jener köſtlichen Suppen. Jn Jndien und insbeſondere auf Ceylon macht man weniger Umſtände mit den für die Küche beſtimmten Seeſchildkröten. Ein äußerſt widerwärtiger Anblick bietet ſich, laut Tennent, auf den Märkten von Ceylon dem Beſucher. Man ſieht hier die gefangenen Schildkröten in unglaublicher Weiſe quälen. Wahrſcheinlich wünſchen die Käufer das Fleiſch ſo friſch als möglich zu erhalten oder wollen ſich die Verkäufer keine beſondere Mühe mit dem Schlachten geben; man trennt alſo einfach den Bruſtpanzer des lebenden Thieres ab und ſchneidet dem Kaufluſtigen das von ihm gewünſchte Fleiſchſtück aus dem Leibe heraus. Bei der bekannten Lebenszähigkeit der Schildkröten und der Unabhängigkeit der einzelnen Organe ſieht dann der entſetzte Europäer, wie das geſchundene Thier die Augen verdreht, das Maul langſam öffnet und ſchließt, wie das Herz, welches gewöhnlich zuletzt gefordert wird, pulſirt, wie das Leben ſich noch in allen den Theilen regt, welche noch keine Liebhaber fanden. Zu gewiſſen Zeiten wird das Fleiſch der Schildkröte wegen ſeiner ſchädlichen Wirkung gemieden. Zu Pantura im Süden von Colombo wurden achtundzwanzig Leute, welche im Oktober des Jahres

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/67>, abgerufen am 08.05.2024.