Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Schildkröten. Schienenschildkröten. Fransenschildkröten.

"Den Jubel, mit welchem die Bootsleute gewisse Sandbänke begrüßten", sagt Schomburgk,
"konnte ich nicht eher enträthseln, als bis mehrere der Jndianer, ehe noch die Kähne landeten, unge-
duldig in den Fluß sprangen, nach einer der Sandbänke schwammen, plötzlich dort im Sande zu
scharren begannen, und eine Menge Eier zum Vorscheine brachten.

"Die Legezeit der Schildkröten hatte begonnen, eine Zeit, welcher der Jndianer mit ebenso großer
Sehnsucht als unser Gutschmecker dem Schnepfenstriche oder dem Beginne der frischen Austersendungen
entgegensieht. Die Begierde der Jndianer war so groß, daß sie, glaube ich, auch wenn Todesstrafe
auf eigenwilligem Verlassen des Kahnes gestanden hätte, sich nicht würden haben abhalten lassen, nach
den Sandbänken zu schwimmen, welche in ihrem Schoße die wohlschmeckenden Eier bargen. Als ich
jenen gefeierten Leckerbissen kennen lernte, fand ich die Leidenschaft der Jndianer erklärlich. Was sind
unsere viel gepriesenen Kiebitzeier gegen das Ei einer Schildkröte!

"Das Thier begibt sich auf diesen Sandbänken meist achtzig bis hundertundvierzig Schritt land-
einwärts, scharrt dann eine Vertiefung in den Sand, legt die Eier ab, bedeckt sie mit Sand und kehrt
zum Wasser zurück. Ein Europäer würde ohne Erfahrung im Aufsuchen dieser Eier sich lange ver-
geblich bemühen; der kundige Sohn des Waldes aber täuscht sich selten und entfernt den Sand an
einer Stelle fast nie, ohne unmittelbar darunter die Eier zu finden. Eine leichte, wellenförmige
Erhöhung der Sandfläche verräth ihm die Stelle des Nestes, ein Zeichen, welches wir nicht eher unter-
scheiden lernten, als bis wir einige Sandbänke sahen, deren ganze Oberfläche ein wellenförmiges
Aeußere hatte. Das Eiweiß, welches beim Kochen nicht hart wird, sondern vollständig im flüssigen
Zustande bleibt, läßt man auslaufen und genießt nur das wohlschmeckende und nahrhafte Dotter.
Einen ausgezeichneten Leckerbissen lieferten uns die rohen Dotter mit Zucker und einigen Tropfen
Rum vermischt, was ihnen eine überraschende Aehnlichkeit mit dem feinsten Marzipan gab.

"Martius gibt als Legezeit der Schildkröte im Amazonenstrome die Monate Oktober und
November an; nach Humboldt fällt sie für den Orinoko in den März; im Essequibo dagegen beginnt
sie mit Januar und währt höchstens bis Anfang Februars. Diese Verschiedenheit der Legezeit scheint
genau mit dem verschiedenen Eintritte der Regenzeit innerhalb der Grenzen der drei Stromgebiete in
Verbindung zu stehen. Die Thiere entledigen sich ihrer Eier während jener günstigen Tage, in
welchen die Sonne vor dem Eintritte der großen Regenzeit noch ihr Brutgeschäft beendigen kann. Für
den Jndianer ist das Erscheinen der jungen Schildkröten das sicherste Merkmal für den baldigen
Beginn der letzteren; denn wenn jene, nachdem sie ausgekrochen sind, dem Wasser zueilen, kann man
sicher darauf rechnen, daß die Legezeit naht. Vierzig Tage, nachdem das Ei gelegt, durchbricht das
Junge die Pergamentumhüllung und schlüpft aus."



Eine der auffallendsten aller Schildkröten, in Brasilien Matamata genannt, vertritt die Sippe
der Fransenschildkröten (Chelys). Der ganz verknöcherte Brustpanzer ist mit dem Rückenpanzer
durch Knochennähte verbunden, der Kopf breit gedrückt und dreiseitig, die Nase in einen Rüssel verlängert,
das Maul bis in die Ohrgegend gespalten, der Hornüberzug der schwachen Kiefern äußerst dünn und
häutig, das Kinn durch Bärteln oder Fransen, die Kopfseite durch große Hautlappen, die Kehle durch
Fransen und der Hals durch ähnliche Gebilde geziert oder, richtiger, verunziert; denn der sogenannte
Kopfschmuck verleiht dem Thiere etwas überaus Häßliches. Auf dem flach gewölbten Rückenpanzer
fallen zwei breite tiefe Rinnen längs der Mittellinie und der wellig gezackte Rand in die Augen;
die Schilder sind mit um einander laufenden und ausstrahlenden Linien gezeichnet; der Rückenpanzer
ist kastanienbraun, die Unterschale schmuziggelb, der Kopf, der Hals und die Füße sind gilblich, auf
der Unterseite röthlich gefärbt. Die Länge des erwachsenen Thieres kann bis 3 Fuß erreichen.

Die Schildkröten. Schienenſchildkröten. Franſenſchildkröten.

„Den Jubel, mit welchem die Bootsleute gewiſſe Sandbänke begrüßten“, ſagt Schomburgk,
„konnte ich nicht eher enträthſeln, als bis mehrere der Jndianer, ehe noch die Kähne landeten, unge-
duldig in den Fluß ſprangen, nach einer der Sandbänke ſchwammen, plötzlich dort im Sande zu
ſcharren begannen, und eine Menge Eier zum Vorſcheine brachten.

„Die Legezeit der Schildkröten hatte begonnen, eine Zeit, welcher der Jndianer mit ebenſo großer
Sehnſucht als unſer Gutſchmecker dem Schnepfenſtriche oder dem Beginne der friſchen Auſterſendungen
entgegenſieht. Die Begierde der Jndianer war ſo groß, daß ſie, glaube ich, auch wenn Todesſtrafe
auf eigenwilligem Verlaſſen des Kahnes geſtanden hätte, ſich nicht würden haben abhalten laſſen, nach
den Sandbänken zu ſchwimmen, welche in ihrem Schoße die wohlſchmeckenden Eier bargen. Als ich
jenen gefeierten Leckerbiſſen kennen lernte, fand ich die Leidenſchaft der Jndianer erklärlich. Was ſind
unſere viel geprieſenen Kiebitzeier gegen das Ei einer Schildkröte!

„Das Thier begibt ſich auf dieſen Sandbänken meiſt achtzig bis hundertundvierzig Schritt land-
einwärts, ſcharrt dann eine Vertiefung in den Sand, legt die Eier ab, bedeckt ſie mit Sand und kehrt
zum Waſſer zurück. Ein Europäer würde ohne Erfahrung im Aufſuchen dieſer Eier ſich lange ver-
geblich bemühen; der kundige Sohn des Waldes aber täuſcht ſich ſelten und entfernt den Sand an
einer Stelle faſt nie, ohne unmittelbar darunter die Eier zu finden. Eine leichte, wellenförmige
Erhöhung der Sandfläche verräth ihm die Stelle des Neſtes, ein Zeichen, welches wir nicht eher unter-
ſcheiden lernten, als bis wir einige Sandbänke ſahen, deren ganze Oberfläche ein wellenförmiges
Aeußere hatte. Das Eiweiß, welches beim Kochen nicht hart wird, ſondern vollſtändig im flüſſigen
Zuſtande bleibt, läßt man auslaufen und genießt nur das wohlſchmeckende und nahrhafte Dotter.
Einen ausgezeichneten Leckerbiſſen lieferten uns die rohen Dotter mit Zucker und einigen Tropfen
Rum vermiſcht, was ihnen eine überraſchende Aehnlichkeit mit dem feinſten Marzipan gab.

Martius gibt als Legezeit der Schildkröte im Amazonenſtrome die Monate Oktober und
November an; nach Humboldt fällt ſie für den Orinoko in den März; im Eſſequibo dagegen beginnt
ſie mit Januar und währt höchſtens bis Anfang Februars. Dieſe Verſchiedenheit der Legezeit ſcheint
genau mit dem verſchiedenen Eintritte der Regenzeit innerhalb der Grenzen der drei Stromgebiete in
Verbindung zu ſtehen. Die Thiere entledigen ſich ihrer Eier während jener günſtigen Tage, in
welchen die Sonne vor dem Eintritte der großen Regenzeit noch ihr Brutgeſchäft beendigen kann. Für
den Jndianer iſt das Erſcheinen der jungen Schildkröten das ſicherſte Merkmal für den baldigen
Beginn der letzteren; denn wenn jene, nachdem ſie ausgekrochen ſind, dem Waſſer zueilen, kann man
ſicher darauf rechnen, daß die Legezeit naht. Vierzig Tage, nachdem das Ei gelegt, durchbricht das
Junge die Pergamentumhüllung und ſchlüpft aus.“



Eine der auffallendſten aller Schildkröten, in Braſilien Matamata genannt, vertritt die Sippe
der Franſenſchildkröten (Chelys). Der ganz verknöcherte Bruſtpanzer iſt mit dem Rückenpanzer
durch Knochennähte verbunden, der Kopf breit gedrückt und dreiſeitig, die Naſe in einen Rüſſel verlängert,
das Maul bis in die Ohrgegend geſpalten, der Hornüberzug der ſchwachen Kiefern äußerſt dünn und
häutig, das Kinn durch Bärteln oder Franſen, die Kopfſeite durch große Hautlappen, die Kehle durch
Franſen und der Hals durch ähnliche Gebilde geziert oder, richtiger, verunziert; denn der ſogenannte
Kopfſchmuck verleiht dem Thiere etwas überaus Häßliches. Auf dem flach gewölbten Rückenpanzer
fallen zwei breite tiefe Rinnen längs der Mittellinie und der wellig gezackte Rand in die Augen;
die Schilder ſind mit um einander laufenden und ausſtrahlenden Linien gezeichnet; der Rückenpanzer
iſt kaſtanienbraun, die Unterſchale ſchmuziggelb, der Kopf, der Hals und die Füße ſind gilblich, auf
der Unterſeite röthlich gefärbt. Die Länge des erwachſenen Thieres kann bis 3 Fuß erreichen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0058" n="46"/>
          <fw place="top" type="header">Die Schildkröten. Schienen&#x017F;childkröten. Fran&#x017F;en&#x017F;childkröten.</fw><lb/>
          <p>&#x201E;Den Jubel, mit welchem die Bootsleute gewi&#x017F;&#x017F;e Sandbänke begrüßten&#x201C;, &#x017F;agt <hi rendition="#g">Schomburgk,</hi><lb/>
&#x201E;konnte ich nicht eher enträth&#x017F;eln, als bis mehrere der Jndianer, ehe noch die Kähne landeten, unge-<lb/>
duldig in den Fluß &#x017F;prangen, nach einer der Sandbänke &#x017F;chwammen, plötzlich dort im Sande zu<lb/>
&#x017F;charren begannen, und eine Menge Eier zum Vor&#x017F;cheine brachten.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Legezeit der Schildkröten hatte begonnen, eine Zeit, welcher der Jndianer mit eben&#x017F;o großer<lb/>
Sehn&#x017F;ucht als un&#x017F;er Gut&#x017F;chmecker dem Schnepfen&#x017F;triche oder dem Beginne der fri&#x017F;chen Au&#x017F;ter&#x017F;endungen<lb/>
entgegen&#x017F;ieht. Die Begierde der Jndianer war &#x017F;o groß, daß &#x017F;ie, glaube ich, auch wenn Todes&#x017F;trafe<lb/>
auf eigenwilligem Verla&#x017F;&#x017F;en des Kahnes ge&#x017F;tanden hätte, &#x017F;ich nicht würden haben abhalten la&#x017F;&#x017F;en, nach<lb/>
den Sandbänken zu &#x017F;chwimmen, welche in ihrem Schoße die wohl&#x017F;chmeckenden Eier bargen. Als ich<lb/>
jenen gefeierten Leckerbi&#x017F;&#x017F;en kennen lernte, fand ich die Leiden&#x017F;chaft der Jndianer erklärlich. Was &#x017F;ind<lb/>
un&#x017F;ere viel geprie&#x017F;enen Kiebitzeier gegen das Ei einer Schildkröte!</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das Thier begibt &#x017F;ich auf die&#x017F;en Sandbänken mei&#x017F;t achtzig bis hundertundvierzig Schritt land-<lb/>
einwärts, &#x017F;charrt dann eine Vertiefung in den Sand, legt die Eier ab, bedeckt &#x017F;ie mit Sand und kehrt<lb/>
zum Wa&#x017F;&#x017F;er zurück. Ein Europäer würde ohne Erfahrung im Auf&#x017F;uchen die&#x017F;er Eier &#x017F;ich lange ver-<lb/>
geblich bemühen; der kundige Sohn des Waldes aber täu&#x017F;cht &#x017F;ich &#x017F;elten und entfernt den Sand an<lb/>
einer Stelle fa&#x017F;t nie, ohne unmittelbar darunter die Eier zu finden. Eine leichte, wellenförmige<lb/>
Erhöhung der Sandfläche verräth ihm die Stelle des Ne&#x017F;tes, ein Zeichen, welches wir nicht eher unter-<lb/>
&#x017F;cheiden lernten, als bis wir einige Sandbänke &#x017F;ahen, deren ganze Oberfläche ein wellenförmiges<lb/>
Aeußere hatte. Das Eiweiß, welches beim Kochen nicht hart wird, &#x017F;ondern voll&#x017F;tändig im flü&#x017F;&#x017F;igen<lb/>
Zu&#x017F;tande bleibt, läßt man auslaufen und genießt nur das wohl&#x017F;chmeckende und nahrhafte Dotter.<lb/>
Einen ausgezeichneten Leckerbi&#x017F;&#x017F;en lieferten uns die rohen Dotter mit Zucker und einigen Tropfen<lb/>
Rum vermi&#x017F;cht, was ihnen eine überra&#x017F;chende Aehnlichkeit mit dem fein&#x017F;ten Marzipan gab.</p><lb/>
          <p>&#x201E;<hi rendition="#g">Martius</hi> gibt als Legezeit der Schildkröte im Amazonen&#x017F;trome die Monate Oktober und<lb/>
November an; nach <hi rendition="#g">Humboldt</hi> fällt &#x017F;ie für den Orinoko in den März; im E&#x017F;&#x017F;equibo dagegen beginnt<lb/>
&#x017F;ie mit Januar und währt höch&#x017F;tens bis Anfang Februars. Die&#x017F;e Ver&#x017F;chiedenheit der Legezeit &#x017F;cheint<lb/>
genau mit dem ver&#x017F;chiedenen Eintritte der Regenzeit innerhalb der Grenzen der drei Stromgebiete in<lb/>
Verbindung zu &#x017F;tehen. Die Thiere entledigen &#x017F;ich ihrer Eier während jener gün&#x017F;tigen Tage, in<lb/>
welchen die Sonne vor dem Eintritte der großen Regenzeit noch ihr Brutge&#x017F;chäft beendigen kann. Für<lb/>
den Jndianer i&#x017F;t das Er&#x017F;cheinen der jungen Schildkröten das &#x017F;icher&#x017F;te Merkmal für den baldigen<lb/>
Beginn der letzteren; denn wenn jene, nachdem &#x017F;ie ausgekrochen &#x017F;ind, dem Wa&#x017F;&#x017F;er zueilen, kann man<lb/>
&#x017F;icher darauf rechnen, daß die Legezeit naht. Vierzig Tage, nachdem das Ei gelegt, durchbricht das<lb/>
Junge die Pergamentumhüllung und &#x017F;chlüpft aus.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Eine der auffallend&#x017F;ten aller Schildkröten, in Bra&#x017F;ilien <hi rendition="#g">Matamata</hi> genannt, vertritt die Sippe<lb/>
der <hi rendition="#g">Fran&#x017F;en&#x017F;childkröten</hi> <hi rendition="#aq">(Chelys).</hi> Der ganz verknöcherte Bru&#x017F;tpanzer i&#x017F;t mit dem Rückenpanzer<lb/>
durch Knochennähte verbunden, der Kopf breit gedrückt und drei&#x017F;eitig, die Na&#x017F;e in einen Rü&#x017F;&#x017F;el verlängert,<lb/>
das Maul bis in die Ohrgegend ge&#x017F;palten, der Hornüberzug der &#x017F;chwachen Kiefern äußer&#x017F;t dünn und<lb/>
häutig, das Kinn durch Bärteln oder Fran&#x017F;en, die Kopf&#x017F;eite durch große Hautlappen, die Kehle durch<lb/>
Fran&#x017F;en und der Hals durch ähnliche Gebilde geziert oder, richtiger, verunziert; denn der &#x017F;ogenannte<lb/>
Kopf&#x017F;chmuck verleiht dem Thiere etwas überaus Häßliches. Auf dem flach gewölbten Rückenpanzer<lb/>
fallen zwei breite tiefe Rinnen längs der Mittellinie und der wellig gezackte Rand in die Augen;<lb/>
die Schilder &#x017F;ind mit um einander laufenden und aus&#x017F;trahlenden Linien gezeichnet; der Rückenpanzer<lb/>
i&#x017F;t ka&#x017F;tanienbraun, die Unter&#x017F;chale &#x017F;chmuziggelb, der Kopf, der Hals und die Füße &#x017F;ind gilblich, auf<lb/>
der Unter&#x017F;eite röthlich gefärbt. Die Länge des erwach&#x017F;enen Thieres kann bis 3 Fuß erreichen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0058] Die Schildkröten. Schienenſchildkröten. Franſenſchildkröten. „Den Jubel, mit welchem die Bootsleute gewiſſe Sandbänke begrüßten“, ſagt Schomburgk, „konnte ich nicht eher enträthſeln, als bis mehrere der Jndianer, ehe noch die Kähne landeten, unge- duldig in den Fluß ſprangen, nach einer der Sandbänke ſchwammen, plötzlich dort im Sande zu ſcharren begannen, und eine Menge Eier zum Vorſcheine brachten. „Die Legezeit der Schildkröten hatte begonnen, eine Zeit, welcher der Jndianer mit ebenſo großer Sehnſucht als unſer Gutſchmecker dem Schnepfenſtriche oder dem Beginne der friſchen Auſterſendungen entgegenſieht. Die Begierde der Jndianer war ſo groß, daß ſie, glaube ich, auch wenn Todesſtrafe auf eigenwilligem Verlaſſen des Kahnes geſtanden hätte, ſich nicht würden haben abhalten laſſen, nach den Sandbänken zu ſchwimmen, welche in ihrem Schoße die wohlſchmeckenden Eier bargen. Als ich jenen gefeierten Leckerbiſſen kennen lernte, fand ich die Leidenſchaft der Jndianer erklärlich. Was ſind unſere viel geprieſenen Kiebitzeier gegen das Ei einer Schildkröte! „Das Thier begibt ſich auf dieſen Sandbänken meiſt achtzig bis hundertundvierzig Schritt land- einwärts, ſcharrt dann eine Vertiefung in den Sand, legt die Eier ab, bedeckt ſie mit Sand und kehrt zum Waſſer zurück. Ein Europäer würde ohne Erfahrung im Aufſuchen dieſer Eier ſich lange ver- geblich bemühen; der kundige Sohn des Waldes aber täuſcht ſich ſelten und entfernt den Sand an einer Stelle faſt nie, ohne unmittelbar darunter die Eier zu finden. Eine leichte, wellenförmige Erhöhung der Sandfläche verräth ihm die Stelle des Neſtes, ein Zeichen, welches wir nicht eher unter- ſcheiden lernten, als bis wir einige Sandbänke ſahen, deren ganze Oberfläche ein wellenförmiges Aeußere hatte. Das Eiweiß, welches beim Kochen nicht hart wird, ſondern vollſtändig im flüſſigen Zuſtande bleibt, läßt man auslaufen und genießt nur das wohlſchmeckende und nahrhafte Dotter. Einen ausgezeichneten Leckerbiſſen lieferten uns die rohen Dotter mit Zucker und einigen Tropfen Rum vermiſcht, was ihnen eine überraſchende Aehnlichkeit mit dem feinſten Marzipan gab. „Martius gibt als Legezeit der Schildkröte im Amazonenſtrome die Monate Oktober und November an; nach Humboldt fällt ſie für den Orinoko in den März; im Eſſequibo dagegen beginnt ſie mit Januar und währt höchſtens bis Anfang Februars. Dieſe Verſchiedenheit der Legezeit ſcheint genau mit dem verſchiedenen Eintritte der Regenzeit innerhalb der Grenzen der drei Stromgebiete in Verbindung zu ſtehen. Die Thiere entledigen ſich ihrer Eier während jener günſtigen Tage, in welchen die Sonne vor dem Eintritte der großen Regenzeit noch ihr Brutgeſchäft beendigen kann. Für den Jndianer iſt das Erſcheinen der jungen Schildkröten das ſicherſte Merkmal für den baldigen Beginn der letzteren; denn wenn jene, nachdem ſie ausgekrochen ſind, dem Waſſer zueilen, kann man ſicher darauf rechnen, daß die Legezeit naht. Vierzig Tage, nachdem das Ei gelegt, durchbricht das Junge die Pergamentumhüllung und ſchlüpft aus.“ Eine der auffallendſten aller Schildkröten, in Braſilien Matamata genannt, vertritt die Sippe der Franſenſchildkröten (Chelys). Der ganz verknöcherte Bruſtpanzer iſt mit dem Rückenpanzer durch Knochennähte verbunden, der Kopf breit gedrückt und dreiſeitig, die Naſe in einen Rüſſel verlängert, das Maul bis in die Ohrgegend geſpalten, der Hornüberzug der ſchwachen Kiefern äußerſt dünn und häutig, das Kinn durch Bärteln oder Franſen, die Kopfſeite durch große Hautlappen, die Kehle durch Franſen und der Hals durch ähnliche Gebilde geziert oder, richtiger, verunziert; denn der ſogenannte Kopfſchmuck verleiht dem Thiere etwas überaus Häßliches. Auf dem flach gewölbten Rückenpanzer fallen zwei breite tiefe Rinnen längs der Mittellinie und der wellig gezackte Rand in die Augen; die Schilder ſind mit um einander laufenden und ausſtrahlenden Linien gezeichnet; der Rückenpanzer iſt kaſtanienbraun, die Unterſchale ſchmuziggelb, der Kopf, der Hals und die Füße ſind gilblich, auf der Unterſeite röthlich gefärbt. Die Länge des erwachſenen Thieres kann bis 3 Fuß erreichen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/58
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/58>, abgerufen am 07.05.2024.