kam, lag sie noch unverändert da und rührte sich nicht; nur als ich sie streichelte, that sie wie gewöhnlich im Käfige, kroch langsam an meinem Arme empor und blieb auf meiner Achsel liegen. Jch beunruhigte sie auf alle Weise, sie floh aber nicht, sondern kroch ganz langsam, an meinem Fuße empor und suchte sich unter meiner Weste zu verbergen; ich gab daher meinen Vorsatz auf und nahm sie wieder mit nach Hause." Die eine, welche Lenz pflegte, hatte sich so an ihn gewöhnt, daß es ihr gar nicht mehr einfiel, nach ihm zu beißen. "Nur wenn ich sie", erzählt er, "wie Dies öfter geschah, mit in ein Wäldchen von Kirschbäumen nahm, wo sie bald an einem Stamme hinauf, dann von Ast zu Ast und dann auch von Baum zu Baum ging, biß sie, wenn ich ihr nachgeklettert war und sie los- machen wollte. Sie fühlte sich dort oben einmal wieder frei, wollte ihre Freiheit behaupten und schlang sich immer wieder fest, wenn ich den Versuch machte, sie loszuwinden. Es blieb mir also Nichts übrig, als daß ich jedesmal eine Säge mit hinaufnahm und den ganzen Ast absägte, an welchem sie hing; auch ließ sie, wenn ich herunter war, nicht los und so mußte ich ihn denn jedesmal unter Wasser stecken, worauf sie ablassen mußte, eiligst auf das trockene Ufer schwamm und dort von mir mit Leichtigkeit wieder eingefangen wurde."
Von der Kletterfertigkeit, Schmiegsamkeit und dem Hange, sich der Bevormundung des Pflegers zu entziehen, erzählen Lenz und Linck anmuthige Geschichtchen. Jch will die des Letztgenannten im Auszug wiedergeben. Linck erhielt Anfangs Juni ein hübsches Paar aus Schlaugenbad zugesandt, nahm beide aus der mit Mos und Krantwerk wohl ausgefütterten Kiste heraus und überließ, von Geschäften in Anspruch genommen, sie in einem großen, wohlverschlossenen Zimmer sich selbst. Nach Verlauf einer Stunde kehrte er zurück, um die Gäste zu begrüßen; diese aber waren verschwunden. Jn allen Ecken wurde nachgesucht, alle denkbaren Schlupfwinkel aufgedeckt: vergebens! Endlich entdeckte er das Männchen in einer Höhe von zehn Fuß auf der Stange eines Vorhanges, in dessen Falten es sich vom Boden aus emporgearbeitet haben mußte, der Länge nach hingestreckt, ruhig auf das Treiben unter ihm herabschauend. Des noch fehlenden Weibchens halber wurde weiter gesucht, wiederum lange Zeit ohne Erfolg, bis unser Beobachter endlich aus dem Kissen eines gepolsterten Sessels ein leises Regen vernahm. Beim Umwenden des Stuhles sah er zu seiner Freude den Flüchtling, mit den Sprungfedern des Sitzkissens auf das Jnnigste verschlungen, und, wie verschiedene Beißversuche zeigten, entschlossen, seinen errungenen Schlupfwinkel gegen Jedermann zu behaupten. Nur mit größter Mühe konnte das Thier losgelöst werden.
Das landstreicherische Paar erhielt jetzt einen verläßlicheren Aufenthalt angewiesen: -- eine mit engem Drahtgeflecht überwobene Kiste. Eines Tages war der Deckel nicht sorgfältig genug geschlossen worden, den Schlangen es gelungen, ihn etwas zur Seite zu drücken, und das Gefängniß wiederum leer. Die Oeffnung, durch welche beide entschlüpft waren, erregte wegen ihrer Kleinheit gerechtes Erstaunen; es schien unbegreiflich, daß ein so großes Thier im Stande sei, durch einen solchen Ritz sich zu drängen. Diesmal wurde sehr lange vergeblich gesucht, alle Schiebladen aus- gezogen, jedes Polster auf das Genaueste eingesehen, selbst der Fußboden aufgebrochen, kein Zimmer, kein Winkel unbesichtigt gelassen: aber Schlangen und Mühe schienen verloren zu sein. "Nach drei Wochen etwa", erzählt unser Berichterstatter wörtlich, "war ich eben im Begriff, durch das Schlaf- gemach mich in ein inneres Zimmer zu begeben, als ich das Weibchen emsig bemüht fand, unter der Thür hinweg sich ins Nachbarzimmer zu zwängen. Es hielt, durch die nahenden Schritte gestört, einen Augenblick inne und lag nun, den Vorderleib auf der Schwelle, den übrigen Körper im Schlaf- zimmer, unter der Thür plattgedrückt, wie todt da. Jch versuchte, da die Thür, ohne es zu gefährden, nicht aufgethan werden konnte, es hervorzuziehen, hätte es aber in Stücke reißen müssen, um es los- zubringen; daher überließ ich es ganz sich selbst, und es nahm denn auch die Gelegenheit wahr, sich so eilfertig als möglich aus dem Staube zu machen. Hierbei konnte ich den Formemwechsel des Körpers, der sich bald senkrecht, bald in die Quere platt drückte, nicht genug bewundern. Wo aber in aller Welt hat das Thier inzwischen Wohnung genommen? Alle Umstände vereinigten sich, mir selbst und allen, welche die Oertlichkeit, sowie die Genauigkeit und den Umfang der angestellten
Aeskulapſchlange.
kam, lag ſie noch unverändert da und rührte ſich nicht; nur als ich ſie ſtreichelte, that ſie wie gewöhnlich im Käfige, kroch langſam an meinem Arme empor und blieb auf meiner Achſel liegen. Jch beunruhigte ſie auf alle Weiſe, ſie floh aber nicht, ſondern kroch ganz langſam, an meinem Fuße empor und ſuchte ſich unter meiner Weſte zu verbergen; ich gab daher meinen Vorſatz auf und nahm ſie wieder mit nach Hauſe.“ Die eine, welche Lenz pflegte, hatte ſich ſo an ihn gewöhnt, daß es ihr gar nicht mehr einfiel, nach ihm zu beißen. „Nur wenn ich ſie“, erzählt er, „wie Dies öfter geſchah, mit in ein Wäldchen von Kirſchbäumen nahm, wo ſie bald an einem Stamme hinauf, dann von Aſt zu Aſt und dann auch von Baum zu Baum ging, biß ſie, wenn ich ihr nachgeklettert war und ſie los- machen wollte. Sie fühlte ſich dort oben einmal wieder frei, wollte ihre Freiheit behaupten und ſchlang ſich immer wieder feſt, wenn ich den Verſuch machte, ſie loszuwinden. Es blieb mir alſo Nichts übrig, als daß ich jedesmal eine Säge mit hinaufnahm und den ganzen Aſt abſägte, an welchem ſie hing; auch ließ ſie, wenn ich herunter war, nicht los und ſo mußte ich ihn denn jedesmal unter Waſſer ſtecken, worauf ſie ablaſſen mußte, eiligſt auf das trockene Ufer ſchwamm und dort von mir mit Leichtigkeit wieder eingefangen wurde.“
Von der Kletterfertigkeit, Schmiegſamkeit und dem Hange, ſich der Bevormundung des Pflegers zu entziehen, erzählen Lenz und Linck anmuthige Geſchichtchen. Jch will die des Letztgenannten im Auszug wiedergeben. Linck erhielt Anfangs Juni ein hübſches Paar aus Schlaugenbad zugeſandt, nahm beide aus der mit Mos und Krantwerk wohl ausgefütterten Kiſte heraus und überließ, von Geſchäften in Anſpruch genommen, ſie in einem großen, wohlverſchloſſenen Zimmer ſich ſelbſt. Nach Verlauf einer Stunde kehrte er zurück, um die Gäſte zu begrüßen; dieſe aber waren verſchwunden. Jn allen Ecken wurde nachgeſucht, alle denkbaren Schlupfwinkel aufgedeckt: vergebens! Endlich entdeckte er das Männchen in einer Höhe von zehn Fuß auf der Stange eines Vorhanges, in deſſen Falten es ſich vom Boden aus emporgearbeitet haben mußte, der Länge nach hingeſtreckt, ruhig auf das Treiben unter ihm herabſchauend. Des noch fehlenden Weibchens halber wurde weiter geſucht, wiederum lange Zeit ohne Erfolg, bis unſer Beobachter endlich aus dem Kiſſen eines gepolſterten Seſſels ein leiſes Regen vernahm. Beim Umwenden des Stuhles ſah er zu ſeiner Freude den Flüchtling, mit den Sprungfedern des Sitzkiſſens auf das Jnnigſte verſchlungen, und, wie verſchiedene Beißverſuche zeigten, entſchloſſen, ſeinen errungenen Schlupfwinkel gegen Jedermann zu behaupten. Nur mit größter Mühe konnte das Thier losgelöſt werden.
Das landſtreicheriſche Paar erhielt jetzt einen verläßlicheren Aufenthalt angewieſen: — eine mit engem Drahtgeflecht überwobene Kiſte. Eines Tages war der Deckel nicht ſorgfältig genug geſchloſſen worden, den Schlangen es gelungen, ihn etwas zur Seite zu drücken, und das Gefängniß wiederum leer. Die Oeffnung, durch welche beide entſchlüpft waren, erregte wegen ihrer Kleinheit gerechtes Erſtaunen; es ſchien unbegreiflich, daß ein ſo großes Thier im Stande ſei, durch einen ſolchen Ritz ſich zu drängen. Diesmal wurde ſehr lange vergeblich geſucht, alle Schiebladen aus- gezogen, jedes Polſter auf das Genaueſte eingeſehen, ſelbſt der Fußboden aufgebrochen, kein Zimmer, kein Winkel unbeſichtigt gelaſſen: aber Schlangen und Mühe ſchienen verloren zu ſein. „Nach drei Wochen etwa“, erzählt unſer Berichterſtatter wörtlich, „war ich eben im Begriff, durch das Schlaf- gemach mich in ein inneres Zimmer zu begeben, als ich das Weibchen emſig bemüht fand, unter der Thür hinweg ſich ins Nachbarzimmer zu zwängen. Es hielt, durch die nahenden Schritte geſtört, einen Augenblick inne und lag nun, den Vorderleib auf der Schwelle, den übrigen Körper im Schlaf- zimmer, unter der Thür plattgedrückt, wie todt da. Jch verſuchte, da die Thür, ohne es zu gefährden, nicht aufgethan werden konnte, es hervorzuziehen, hätte es aber in Stücke reißen müſſen, um es los- zubringen; daher überließ ich es ganz ſich ſelbſt, und es nahm denn auch die Gelegenheit wahr, ſich ſo eilfertig als möglich aus dem Staube zu machen. Hierbei konnte ich den Formemwechſel des Körpers, der ſich bald ſenkrecht, bald in die Quere platt drückte, nicht genug bewundern. Wo aber in aller Welt hat das Thier inzwiſchen Wohnung genommen? Alle Umſtände vereinigten ſich, mir ſelbſt und allen, welche die Oertlichkeit, ſowie die Genauigkeit und den Umfang der angeſtellten
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Aeskulapſchlange.
kam, lag ſie noch unverändert da und rührte ſich nicht; nur als ich ſie ſtreichelte, that ſie wie
gewöhnlich im Käfige, kroch langſam an meinem Arme empor und blieb auf meiner Achſel liegen.
Jch beunruhigte ſie auf alle Weiſe, ſie floh aber nicht, ſondern kroch ganz langſam, an meinem Fuße
empor und ſuchte ſich unter meiner Weſte zu verbergen; ich gab daher meinen Vorſatz auf und nahm
ſie wieder mit nach Hauſe.“ Die eine, welche Lenz pflegte, hatte ſich ſo an ihn gewöhnt, daß es ihr
gar nicht mehr einfiel, nach ihm zu beißen. „Nur wenn ich ſie“, erzählt er, „wie Dies öfter geſchah,
mit in ein Wäldchen von Kirſchbäumen nahm, wo ſie bald an einem Stamme hinauf, dann von Aſt
zu Aſt und dann auch von Baum zu Baum ging, biß ſie, wenn ich ihr nachgeklettert war und ſie los-
machen wollte. Sie fühlte ſich dort oben einmal wieder frei, wollte ihre Freiheit behaupten und
ſchlang ſich immer wieder feſt, wenn ich den Verſuch machte, ſie loszuwinden. Es blieb mir alſo
Nichts übrig, als daß ich jedesmal eine Säge mit hinaufnahm und den ganzen Aſt abſägte, an
welchem ſie hing; auch ließ ſie, wenn ich herunter war, nicht los und ſo mußte ich ihn denn jedesmal
unter Waſſer ſtecken, worauf ſie ablaſſen mußte, eiligſt auf das trockene Ufer ſchwamm und dort von
mir mit Leichtigkeit wieder eingefangen wurde.“
Von der Kletterfertigkeit, Schmiegſamkeit und dem Hange, ſich der Bevormundung des Pflegers
zu entziehen, erzählen Lenz und Linck anmuthige Geſchichtchen. Jch will die des Letztgenannten
im Auszug wiedergeben. Linck erhielt Anfangs Juni ein hübſches Paar aus Schlaugenbad zugeſandt,
nahm beide aus der mit Mos und Krantwerk wohl ausgefütterten Kiſte heraus und überließ, von
Geſchäften in Anſpruch genommen, ſie in einem großen, wohlverſchloſſenen Zimmer ſich ſelbſt. Nach
Verlauf einer Stunde kehrte er zurück, um die Gäſte zu begrüßen; dieſe aber waren verſchwunden.
Jn allen Ecken wurde nachgeſucht, alle denkbaren Schlupfwinkel aufgedeckt: vergebens! Endlich
entdeckte er das Männchen in einer Höhe von zehn Fuß auf der Stange eines Vorhanges, in deſſen
Falten es ſich vom Boden aus emporgearbeitet haben mußte, der Länge nach hingeſtreckt, ruhig auf
das Treiben unter ihm herabſchauend. Des noch fehlenden Weibchens halber wurde weiter geſucht,
wiederum lange Zeit ohne Erfolg, bis unſer Beobachter endlich aus dem Kiſſen eines gepolſterten
Seſſels ein leiſes Regen vernahm. Beim Umwenden des Stuhles ſah er zu ſeiner Freude den
Flüchtling, mit den Sprungfedern des Sitzkiſſens auf das Jnnigſte verſchlungen, und, wie verſchiedene
Beißverſuche zeigten, entſchloſſen, ſeinen errungenen Schlupfwinkel gegen Jedermann zu behaupten.
Nur mit größter Mühe konnte das Thier losgelöſt werden.
Das landſtreicheriſche Paar erhielt jetzt einen verläßlicheren Aufenthalt angewieſen: — eine
mit engem Drahtgeflecht überwobene Kiſte. Eines Tages war der Deckel nicht ſorgfältig genug
geſchloſſen worden, den Schlangen es gelungen, ihn etwas zur Seite zu drücken, und das Gefängniß
wiederum leer. Die Oeffnung, durch welche beide entſchlüpft waren, erregte wegen ihrer Kleinheit
gerechtes Erſtaunen; es ſchien unbegreiflich, daß ein ſo großes Thier im Stande ſei, durch einen
ſolchen Ritz ſich zu drängen. Diesmal wurde ſehr lange vergeblich geſucht, alle Schiebladen aus-
gezogen, jedes Polſter auf das Genaueſte eingeſehen, ſelbſt der Fußboden aufgebrochen, kein Zimmer,
kein Winkel unbeſichtigt gelaſſen: aber Schlangen und Mühe ſchienen verloren zu ſein. „Nach drei
Wochen etwa“, erzählt unſer Berichterſtatter wörtlich, „war ich eben im Begriff, durch das Schlaf-
gemach mich in ein inneres Zimmer zu begeben, als ich das Weibchen emſig bemüht fand, unter der
Thür hinweg ſich ins Nachbarzimmer zu zwängen. Es hielt, durch die nahenden Schritte geſtört,
einen Augenblick inne und lag nun, den Vorderleib auf der Schwelle, den übrigen Körper im Schlaf-
zimmer, unter der Thür plattgedrückt, wie todt da. Jch verſuchte, da die Thür, ohne es zu gefährden,
nicht aufgethan werden konnte, es hervorzuziehen, hätte es aber in Stücke reißen müſſen, um es los-
zubringen; daher überließ ich es ganz ſich ſelbſt, und es nahm denn auch die Gelegenheit wahr, ſich
ſo eilfertig als möglich aus dem Staube zu machen. Hierbei konnte ich den Formemwechſel des
Körpers, der ſich bald ſenkrecht, bald in die Quere platt drückte, nicht genug bewundern. Wo aber
in aller Welt hat das Thier inzwiſchen Wohnung genommen? Alle Umſtände vereinigten ſich, mir
ſelbſt und allen, welche die Oertlichkeit, ſowie die Genauigkeit und den Umfang der angeſtellten
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/255>, abgerufen am 16.07.2024.
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