Schneesturm sei losgebrochen und wirbele riesenhafte Flocken vom Himmel hernieder; minutenlang schneiete es Vögel, auf unabsehbare Ferne hin bedeckte sich das Meer mit ihnen, und noch erschien die Wand fast ebenso dicht betüpfelt als früher. Jetzt erst begriff ich, daß keiner der Forscher, deren Schilderung ich gelesen, zuviel gesagt; denn ich sah ein, daß er die Wahrheit unmöglich hatte sagen können, weil die Sprache solchen Massen gegenüber keine Worte hat.
Die dreizehige Möve vertritt die Sippe der Stummelmöven (Rissa), als deren wichtigstes Kennzeichen gelten muß, daß die Hinterzehe des Fußes fehlt oder doch nur angedeutet ist. Will man sonst noch nach unterscheidenden Merkmalen suchen, so kann man sie finden in dem schwächlichen Schnabel und den verhältnißmäßig kurzen, aber langzehigen, also auch mit großen Schwimmhäuten versehenen Füßen. Das Gefieder der alten Vögel ist auf Kopf, Hals, Unterrücken, Schwanz und Unterseite blendendweiß, auf dem Mantel mövenblau; die Schwingen sind weißgrau, ihre Spitzen schwarz. Das Auge ist braun, der Augenring korallenroth, der Schnabel zitronengelb, am Mund- winkel blutroth, der Fuß schwarz, auf der Sohle gelblich. Nach der Herbstmauser färbt sich der Hinterhals blaugrau und ein rundlicher Flecken hinter dem Ohre schwarz. Jm Jugendkleide ist der Mantel dunkelgrau, jede Feder schwarz gerandet. Die Länge beträgt 16 bis 17, die Breite 37 bis 39, die Fittiglänge 12, die Schwanzlänge 5 Zoll.
Auch die Stummelmöve ist ein hochnordischer Vogel, verläßt aber im Winter das Eismeer und erscheint dann häufig an unseren Küsten, streicht auch bis in sehr niedere Breiten hinab. Jm Binnen- lande sieht man sie im Winter öfterer als andere Seemöven, weil sie den Strömen und Flüssen bis tief ins Jnnere des Landes folgt und hier zuweilen in großen Gesellschaften auftritt. Auf Jsland und in Grönland gilt sie als das erste Zeichen des Frühlings; sie trifft bereits zwischen dem 8. und 20. März hier ein, auch dann, wenn noch grimmige Kälte herrscht, und bezieht sofort nach ihrer Ankunft die Vogelberge, gleichsam, als wolle sich jedes Pärchen den ihm so nöthigen Nistplatz sichern. Wenn dann noch tiefer Schnee die Gesimse bedeckt, zeigt sie sich besonders unruhig und läßt ihr betäubendes Geschrei ununterbrochen ertönen. Bis zum November verweilt sie in der Heimat; hierauf verläßt sie die Fjorde, fliegt aber größtentheils nur bis ins offene Meer hinaus und läßt sich blos durch die Noth zu größeren Wanderungen treiben.
Jm Betragen und in ihrem Wesen unterscheidet sich die Stummelmöve vielleicht nur durch die größere Geselligkeit und Schreilust wesentlich von ihren gleichgroßen Verwandten. Sie geht ziemlich schlecht und deshalb selten, schwimmt aber gern und anhaltend, auch bei ärgstem Wellengange, fliegt leicht, sanft, manchfache und zierliche Windungen ausführend, bald mit langsamen Flügelschwingungen, bald schwebend oder schwimmend und stößt geschickt aus der Höhe auf das Wasser herab, um einen hochgehenden Fisch oder ein anderes Thier aufzunehmen. Ungewöhnlich groß, selbst innerhalb ihrer Familie, ist ihre Geselligkeit, welche wahrscheinlich durch ihr sanftes Wesen begründet wird. Einzelne Stummelmöven sieht man selten, zahlreiche Flüge viel häufiger, und alle Glieder der Gesellschaften scheinen im tiefsten Frieden zu leben. "Entspinnt sich ja einmal ein Zank zwischen zweien", sagt Naumann sehr richtig, "so ist er doch weiter Nichts als ein augenblickliches Aufbrausen und geht sehr bald vorüber." Jn der That, man muß sich wundern über die verträglichen Geschöpfe; man wird entzückt, wenn man sieht, wie Millionen unter einander leben, zwar plärrend und kreischend, aber doch ohne sich zu zanken, wie vielmehr jeder sich bemüht, in der Gesammtheit die Stellung einzu- nehmen, welche ihm durch die Umstände zugewiesen wird. Um andere Vögel bekümmert sich die Stummelmöve nicht: Verwandte leben auf demselben Berge mit ihr, nicht aber im eigentlichen Sinne des Wortes unter ihr; denn ebenso, wie der Schwarm auf dem Meere sich geschlossen zusammenhält, behaupten auch die Brutvögel einen bestimmten Theil des Berges. Außer der Fortpflanzungszeit gehört diese Möve zu den schweigsamsten Arten ihrer Familie, während sie aber brütet, schreit sie ununterbrochen und in verschiedener Weise. Bald klingt die Stimme laut und gellend wie "Ka ka tai" oder "Häiä", bald wieder wie "Dack, dack", bald wie das Schreien eines weinenden Kindes,
Die Schwimmer. Seeflieger. Möven.
Schneeſturm ſei losgebrochen und wirbele rieſenhafte Flocken vom Himmel hernieder; minutenlang ſchneiete es Vögel, auf unabſehbare Ferne hin bedeckte ſich das Meer mit ihnen, und noch erſchien die Wand faſt ebenſo dicht betüpfelt als früher. Jetzt erſt begriff ich, daß keiner der Forſcher, deren Schilderung ich geleſen, zuviel geſagt; denn ich ſah ein, daß er die Wahrheit unmöglich hatte ſagen können, weil die Sprache ſolchen Maſſen gegenüber keine Worte hat.
Die dreizehige Möve vertritt die Sippe der Stummelmöven (Rissa), als deren wichtigſtes Kennzeichen gelten muß, daß die Hinterzehe des Fußes fehlt oder doch nur angedeutet iſt. Will man ſonſt noch nach unterſcheidenden Merkmalen ſuchen, ſo kann man ſie finden in dem ſchwächlichen Schnabel und den verhältnißmäßig kurzen, aber langzehigen, alſo auch mit großen Schwimmhäuten verſehenen Füßen. Das Gefieder der alten Vögel iſt auf Kopf, Hals, Unterrücken, Schwanz und Unterſeite blendendweiß, auf dem Mantel mövenblau; die Schwingen ſind weißgrau, ihre Spitzen ſchwarz. Das Auge iſt braun, der Augenring korallenroth, der Schnabel zitronengelb, am Mund- winkel blutroth, der Fuß ſchwarz, auf der Sohle gelblich. Nach der Herbſtmauſer färbt ſich der Hinterhals blaugrau und ein rundlicher Flecken hinter dem Ohre ſchwarz. Jm Jugendkleide iſt der Mantel dunkelgrau, jede Feder ſchwarz gerandet. Die Länge beträgt 16 bis 17, die Breite 37 bis 39, die Fittiglänge 12, die Schwanzlänge 5 Zoll.
Auch die Stummelmöve iſt ein hochnordiſcher Vogel, verläßt aber im Winter das Eismeer und erſcheint dann häufig an unſeren Küſten, ſtreicht auch bis in ſehr niedere Breiten hinab. Jm Binnen- lande ſieht man ſie im Winter öfterer als andere Seemöven, weil ſie den Strömen und Flüſſen bis tief ins Jnnere des Landes folgt und hier zuweilen in großen Geſellſchaften auftritt. Auf Jsland und in Grönland gilt ſie als das erſte Zeichen des Frühlings; ſie trifft bereits zwiſchen dem 8. und 20. März hier ein, auch dann, wenn noch grimmige Kälte herrſcht, und bezieht ſofort nach ihrer Ankunft die Vogelberge, gleichſam, als wolle ſich jedes Pärchen den ihm ſo nöthigen Niſtplatz ſichern. Wenn dann noch tiefer Schnee die Geſimſe bedeckt, zeigt ſie ſich beſonders unruhig und läßt ihr betäubendes Geſchrei ununterbrochen ertönen. Bis zum November verweilt ſie in der Heimat; hierauf verläßt ſie die Fjorde, fliegt aber größtentheils nur bis ins offene Meer hinaus und läßt ſich blos durch die Noth zu größeren Wanderungen treiben.
Jm Betragen und in ihrem Weſen unterſcheidet ſich die Stummelmöve vielleicht nur durch die größere Geſelligkeit und Schreiluſt weſentlich von ihren gleichgroßen Verwandten. Sie geht ziemlich ſchlecht und deshalb ſelten, ſchwimmt aber gern und anhaltend, auch bei ärgſtem Wellengange, fliegt leicht, ſanft, manchfache und zierliche Windungen ausführend, bald mit langſamen Flügelſchwingungen, bald ſchwebend oder ſchwimmend und ſtößt geſchickt aus der Höhe auf das Waſſer herab, um einen hochgehenden Fiſch oder ein anderes Thier aufzunehmen. Ungewöhnlich groß, ſelbſt innerhalb ihrer Familie, iſt ihre Geſelligkeit, welche wahrſcheinlich durch ihr ſanftes Weſen begründet wird. Einzelne Stummelmöven ſieht man ſelten, zahlreiche Flüge viel häufiger, und alle Glieder der Geſellſchaften ſcheinen im tiefſten Frieden zu leben. „Entſpinnt ſich ja einmal ein Zank zwiſchen zweien“, ſagt Naumann ſehr richtig, „ſo iſt er doch weiter Nichts als ein augenblickliches Aufbrauſen und geht ſehr bald vorüber.“ Jn der That, man muß ſich wundern über die verträglichen Geſchöpfe; man wird entzückt, wenn man ſieht, wie Millionen unter einander leben, zwar plärrend und kreiſchend, aber doch ohne ſich zu zanken, wie vielmehr jeder ſich bemüht, in der Geſammtheit die Stellung einzu- nehmen, welche ihm durch die Umſtände zugewieſen wird. Um andere Vögel bekümmert ſich die Stummelmöve nicht: Verwandte leben auf demſelben Berge mit ihr, nicht aber im eigentlichen Sinne des Wortes unter ihr; denn ebenſo, wie der Schwarm auf dem Meere ſich geſchloſſen zuſammenhält, behaupten auch die Brutvögel einen beſtimmten Theil des Berges. Außer der Fortpflanzungszeit gehört dieſe Möve zu den ſchweigſamſten Arten ihrer Familie, während ſie aber brütet, ſchreit ſie ununterbrochen und in verſchiedener Weiſe. Bald klingt die Stimme laut und gellend wie „Ka ka tai“ oder „Häiä“, bald wieder wie „Dack, dack“, bald wie das Schreien eines weinenden Kindes,
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Die Schwimmer. Seeflieger. Möven.
Schneeſturm ſei losgebrochen und wirbele rieſenhafte Flocken vom Himmel hernieder; minutenlang
ſchneiete es Vögel, auf unabſehbare Ferne hin bedeckte ſich das Meer mit ihnen, und noch erſchien die
Wand faſt ebenſo dicht betüpfelt als früher. Jetzt erſt begriff ich, daß keiner der Forſcher, deren
Schilderung ich geleſen, zuviel geſagt; denn ich ſah ein, daß er die Wahrheit unmöglich hatte ſagen
können, weil die Sprache ſolchen Maſſen gegenüber keine Worte hat.
Die dreizehige Möve vertritt die Sippe der Stummelmöven (Rissa), als deren wichtigſtes
Kennzeichen gelten muß, daß die Hinterzehe des Fußes fehlt oder doch nur angedeutet iſt. Will man
ſonſt noch nach unterſcheidenden Merkmalen ſuchen, ſo kann man ſie finden in dem ſchwächlichen
Schnabel und den verhältnißmäßig kurzen, aber langzehigen, alſo auch mit großen Schwimmhäuten
verſehenen Füßen. Das Gefieder der alten Vögel iſt auf Kopf, Hals, Unterrücken, Schwanz und
Unterſeite blendendweiß, auf dem Mantel mövenblau; die Schwingen ſind weißgrau, ihre Spitzen
ſchwarz. Das Auge iſt braun, der Augenring korallenroth, der Schnabel zitronengelb, am Mund-
winkel blutroth, der Fuß ſchwarz, auf der Sohle gelblich. Nach der Herbſtmauſer färbt ſich der
Hinterhals blaugrau und ein rundlicher Flecken hinter dem Ohre ſchwarz. Jm Jugendkleide iſt der
Mantel dunkelgrau, jede Feder ſchwarz gerandet. Die Länge beträgt 16 bis 17, die Breite 37 bis
39, die Fittiglänge 12, die Schwanzlänge 5 Zoll.
Auch die Stummelmöve iſt ein hochnordiſcher Vogel, verläßt aber im Winter das Eismeer und
erſcheint dann häufig an unſeren Küſten, ſtreicht auch bis in ſehr niedere Breiten hinab. Jm Binnen-
lande ſieht man ſie im Winter öfterer als andere Seemöven, weil ſie den Strömen und Flüſſen bis
tief ins Jnnere des Landes folgt und hier zuweilen in großen Geſellſchaften auftritt. Auf Jsland
und in Grönland gilt ſie als das erſte Zeichen des Frühlings; ſie trifft bereits zwiſchen dem 8. und
20. März hier ein, auch dann, wenn noch grimmige Kälte herrſcht, und bezieht ſofort nach ihrer
Ankunft die Vogelberge, gleichſam, als wolle ſich jedes Pärchen den ihm ſo nöthigen Niſtplatz ſichern.
Wenn dann noch tiefer Schnee die Geſimſe bedeckt, zeigt ſie ſich beſonders unruhig und läßt ihr
betäubendes Geſchrei ununterbrochen ertönen. Bis zum November verweilt ſie in der Heimat; hierauf
verläßt ſie die Fjorde, fliegt aber größtentheils nur bis ins offene Meer hinaus und läßt ſich blos
durch die Noth zu größeren Wanderungen treiben.
Jm Betragen und in ihrem Weſen unterſcheidet ſich die Stummelmöve vielleicht nur durch die
größere Geſelligkeit und Schreiluſt weſentlich von ihren gleichgroßen Verwandten. Sie geht ziemlich
ſchlecht und deshalb ſelten, ſchwimmt aber gern und anhaltend, auch bei ärgſtem Wellengange, fliegt
leicht, ſanft, manchfache und zierliche Windungen ausführend, bald mit langſamen Flügelſchwingungen,
bald ſchwebend oder ſchwimmend und ſtößt geſchickt aus der Höhe auf das Waſſer herab, um einen
hochgehenden Fiſch oder ein anderes Thier aufzunehmen. Ungewöhnlich groß, ſelbſt innerhalb ihrer
Familie, iſt ihre Geſelligkeit, welche wahrſcheinlich durch ihr ſanftes Weſen begründet wird. Einzelne
Stummelmöven ſieht man ſelten, zahlreiche Flüge viel häufiger, und alle Glieder der Geſellſchaften
ſcheinen im tiefſten Frieden zu leben. „Entſpinnt ſich ja einmal ein Zank zwiſchen zweien“, ſagt
Naumann ſehr richtig, „ſo iſt er doch weiter Nichts als ein augenblickliches Aufbrauſen und geht
ſehr bald vorüber.“ Jn der That, man muß ſich wundern über die verträglichen Geſchöpfe; man
wird entzückt, wenn man ſieht, wie Millionen unter einander leben, zwar plärrend und kreiſchend,
aber doch ohne ſich zu zanken, wie vielmehr jeder ſich bemüht, in der Geſammtheit die Stellung einzu-
nehmen, welche ihm durch die Umſtände zugewieſen wird. Um andere Vögel bekümmert ſich die
Stummelmöve nicht: Verwandte leben auf demſelben Berge mit ihr, nicht aber im eigentlichen Sinne
des Wortes unter ihr; denn ebenſo, wie der Schwarm auf dem Meere ſich geſchloſſen zuſammenhält,
behaupten auch die Brutvögel einen beſtimmten Theil des Berges. Außer der Fortpflanzungszeit
gehört dieſe Möve zu den ſchweigſamſten Arten ihrer Familie, während ſie aber brütet, ſchreit ſie
ununterbrochen und in verſchiedener Weiſe. Bald klingt die Stimme laut und gellend wie „Ka ka
tai“ oder „Häiä“, bald wieder wie „Dack, dack“, bald wie das Schreien eines weinenden Kindes,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 874. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/926>, abgerufen am 23.11.2024.
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