Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Dreizehige Möve.
bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne versucht ihre Erregung auch durch die
Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von demselben Gedanken erfüllt sind, werden
Faber's Worte begreiflich. "Selbst wenn sie Erde zum Bau des Nestes im Schnabel tragen",
meint dieser Forscher, "können sie nicht schweigen, sondern stoßen ununterbrochen heisere Kehllaute
aus." Nach der Fortpflanzungszeit haben sie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit
erklärt sich auch ihr Schweigen.

Auch Derjenige, welcher meint, eine Vorstellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu
haben, wirft sich die Frage auf: wie ist es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See diese Millionen
ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve fast nur Fische frißt; Holboell hat auch
beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleichsam angefüllt ist mit Massen
von Lodden, daß die Seehunde, wenn sie diese Fische von unten verfolgen, der Möve zu einem
leichten Fange verhelfen, daß sie später genöthigt ist, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die
Nahrung zu gewinnen, -- findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und
zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die thatsächliche Erfahrung widerlegt sieht. Wie unendlich
reich das Meer ist, wie freigebig es auch dieser Möve den Tisch beschickt: Das bemerkt man, wenn
sie, verschlagen und verirrt, das Jnnere des Festlandes besucht. Hier findet man sie oft todt am
Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen untersucht, diesen vollständig leer. Sie, die vom
Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: sie verhungert.

Graba fand, daß die Brutplätze dieser Möve, welche er auf den Faröern besuchte, nach Westen
und Nordwesten gegen das Meer gerichtet waren und schließt daraus, daß die Stummelmöve solche
Felsenwände zum Brüten benutze, welche senkrecht zur herrschenden Windrichtung stehen und dem
abfliegenden Vogel es möglich machen, sogleich den zum Fluge günstigsten Wind zu benutzen; Boje
meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewissen Zeiten in der Nähe bestimmter Küsten
vorhanden, der hauptsächlichste Grund für die Wahl sein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und
Gesellschaftstrieb diese Wahl bestimmen. Wie Dem auch sein möge, Eins steht fest, daß die einmal
erwählten Felsenwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, anscheinend in immer gleicher
Anzahl, daß aber die Vögel selbstverständlich nur solche Wände wählen, welche ihnen Raum zur
Anlage ihrer Nester gewähren. Alle Mövenberge bestehen aus einzelnen Absätzen oder Gesimsen
über einander und sind reich an Höhlen und Vorsprüngen; in den Höhlen und auf den Absätzen steht
Nest an Nest, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen ist benutzt worden, jedes
Gesims dient Tausenden von Pärchen zur Brutstätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft sieht
man die Pärchen neben den Nestern sitzen, in den anmuthigsten Stellungen sich liebkosen, wie
Tauben schnäbeln, sich gegenseitig im Gefieder nesteln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es
sonst nennen will, die zartesten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausgesetzt
natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm verschlungen werden.
Während diese sich liebkosen, fliegen jene ab und zu, Neststoffe herbeischleppend, und so wird der Berg
beständig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander.
Das Nest selbst besteht der Hauptsache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im
Laufe der Jahre mit hohen Rändern versehen, und braucht also vor Beginn der Brut nur ein wenig
ausgebessert zu werden. Drei bis vier, auf schmuzigrostgelbem, weißgrünlichen oder roströthlichen
Grunde spärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an,
daß jedes Pärchen nur seiner eigenen Brut sich widmet, ist aber nicht im Stande, zu begreifen, wie
es möglich, daß das Paar unter den Hunderttausenden sein Nest, ja den Gatten herauszufinden
vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Augusts im Neste, sind bis dahin vollkommen flügge
geworden und schwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher selbstverständlich zum unendlichen
Geschrei noch nach Kräften beitragend.

Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern
und Raubmöven viel zu leiden; erstere nehmen sie vom Neste oder aus der Luft weg, letztere peinigen

Dreizehige Möve.
bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne verſucht ihre Erregung auch durch die
Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von demſelben Gedanken erfüllt ſind, werden
Faber’s Worte begreiflich. „Selbſt wenn ſie Erde zum Bau des Neſtes im Schnabel tragen“,
meint dieſer Forſcher, „können ſie nicht ſchweigen, ſondern ſtoßen ununterbrochen heiſere Kehllaute
aus.“ Nach der Fortpflanzungszeit haben ſie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit
erklärt ſich auch ihr Schweigen.

Auch Derjenige, welcher meint, eine Vorſtellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu
haben, wirft ſich die Frage auf: wie iſt es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See dieſe Millionen
ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve faſt nur Fiſche frißt; Holboell hat auch
beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleichſam angefüllt iſt mit Maſſen
von Lodden, daß die Seehunde, wenn ſie dieſe Fiſche von unten verfolgen, der Möve zu einem
leichten Fange verhelfen, daß ſie ſpäter genöthigt iſt, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die
Nahrung zu gewinnen, — findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und
zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die thatſächliche Erfahrung widerlegt ſieht. Wie unendlich
reich das Meer iſt, wie freigebig es auch dieſer Möve den Tiſch beſchickt: Das bemerkt man, wenn
ſie, verſchlagen und verirrt, das Jnnere des Feſtlandes beſucht. Hier findet man ſie oft todt am
Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen unterſucht, dieſen vollſtändig leer. Sie, die vom
Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: ſie verhungert.

Graba fand, daß die Brutplätze dieſer Möve, welche er auf den Faröern beſuchte, nach Weſten
und Nordweſten gegen das Meer gerichtet waren und ſchließt daraus, daß die Stummelmöve ſolche
Felſenwände zum Brüten benutze, welche ſenkrecht zur herrſchenden Windrichtung ſtehen und dem
abfliegenden Vogel es möglich machen, ſogleich den zum Fluge günſtigſten Wind zu benutzen; Boje
meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewiſſen Zeiten in der Nähe beſtimmter Küſten
vorhanden, der hauptſächlichſte Grund für die Wahl ſein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und
Geſellſchaftstrieb dieſe Wahl beſtimmen. Wie Dem auch ſein möge, Eins ſteht feſt, daß die einmal
erwählten Felſenwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, anſcheinend in immer gleicher
Anzahl, daß aber die Vögel ſelbſtverſtändlich nur ſolche Wände wählen, welche ihnen Raum zur
Anlage ihrer Neſter gewähren. Alle Mövenberge beſtehen aus einzelnen Abſätzen oder Geſimſen
über einander und ſind reich an Höhlen und Vorſprüngen; in den Höhlen und auf den Abſätzen ſteht
Neſt an Neſt, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen iſt benutzt worden, jedes
Geſims dient Tauſenden von Pärchen zur Brutſtätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft ſieht
man die Pärchen neben den Neſtern ſitzen, in den anmuthigſten Stellungen ſich liebkoſen, wie
Tauben ſchnäbeln, ſich gegenſeitig im Gefieder neſteln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es
ſonſt nennen will, die zarteſten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausgeſetzt
natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm verſchlungen werden.
Während dieſe ſich liebkoſen, fliegen jene ab und zu, Neſtſtoffe herbeiſchleppend, und ſo wird der Berg
beſtändig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander.
Das Neſt ſelbſt beſteht der Hauptſache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im
Laufe der Jahre mit hohen Rändern verſehen, und braucht alſo vor Beginn der Brut nur ein wenig
ausgebeſſert zu werden. Drei bis vier, auf ſchmuzigroſtgelbem, weißgrünlichen oder roſtröthlichen
Grunde ſpärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an,
daß jedes Pärchen nur ſeiner eigenen Brut ſich widmet, iſt aber nicht im Stande, zu begreifen, wie
es möglich, daß das Paar unter den Hunderttauſenden ſein Neſt, ja den Gatten herauszufinden
vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Auguſts im Neſte, ſind bis dahin vollkommen flügge
geworden und ſchwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher ſelbſtverſtändlich zum unendlichen
Geſchrei noch nach Kräften beitragend.

Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern
und Raubmöven viel zu leiden; erſtere nehmen ſie vom Neſte oder aus der Luft weg, letztere peinigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0927" n="875"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dreizehige Möve.</hi></fw><lb/>
bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne ver&#x017F;ucht ihre Erregung auch durch die<lb/>
Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von dem&#x017F;elben Gedanken erfüllt &#x017F;ind, werden<lb/><hi rendition="#g">Faber&#x2019;s</hi> Worte begreiflich. &#x201E;Selb&#x017F;t wenn &#x017F;ie Erde zum Bau des Ne&#x017F;tes im Schnabel tragen&#x201C;,<lb/>
meint die&#x017F;er For&#x017F;cher, &#x201E;können &#x017F;ie nicht &#x017F;chweigen, &#x017F;ondern &#x017F;toßen ununterbrochen hei&#x017F;ere Kehllaute<lb/>
aus.&#x201C; Nach der Fortpflanzungszeit haben &#x017F;ie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit<lb/>
erklärt &#x017F;ich auch ihr Schweigen.</p><lb/>
          <p>Auch Derjenige, welcher meint, eine Vor&#x017F;tellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu<lb/>
haben, wirft &#x017F;ich die Frage auf: wie i&#x017F;t es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See die&#x017F;e Millionen<lb/>
ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve fa&#x017F;t nur Fi&#x017F;che frißt; <hi rendition="#g">Holboell</hi> hat auch<lb/>
beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleich&#x017F;am angefüllt i&#x017F;t mit Ma&#x017F;&#x017F;en<lb/>
von <hi rendition="#g">Lodden,</hi> daß die Seehunde, wenn &#x017F;ie die&#x017F;e Fi&#x017F;che von unten verfolgen, der Möve zu einem<lb/>
leichten Fange verhelfen, daß &#x017F;ie &#x017F;päter genöthigt i&#x017F;t, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die<lb/>
Nahrung zu gewinnen, &#x2014; findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und<lb/>
zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die that&#x017F;ächliche Erfahrung widerlegt &#x017F;ieht. Wie unendlich<lb/>
reich das Meer i&#x017F;t, wie freigebig es auch die&#x017F;er Möve den Ti&#x017F;ch be&#x017F;chickt: Das bemerkt man, wenn<lb/>
&#x017F;ie, ver&#x017F;chlagen und verirrt, das Jnnere des Fe&#x017F;tlandes be&#x017F;ucht. Hier findet man &#x017F;ie oft todt am<lb/>
Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen unter&#x017F;ucht, die&#x017F;en voll&#x017F;tändig leer. Sie, die vom<lb/>
Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: &#x017F;ie verhungert.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Graba</hi> fand, daß die Brutplätze die&#x017F;er Möve, welche er auf den Faröern be&#x017F;uchte, nach We&#x017F;ten<lb/>
und Nordwe&#x017F;ten gegen das Meer gerichtet waren und &#x017F;chließt daraus, daß die Stummelmöve &#x017F;olche<lb/>
Fel&#x017F;enwände zum Brüten benutze, welche &#x017F;enkrecht zur herr&#x017F;chenden Windrichtung &#x017F;tehen und dem<lb/>
abfliegenden Vogel es möglich machen, &#x017F;ogleich den zum Fluge gün&#x017F;tig&#x017F;ten Wind zu benutzen; <hi rendition="#g">Boje</hi><lb/>
meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten in der Nähe be&#x017F;timmter Kü&#x017F;ten<lb/>
vorhanden, der haupt&#x017F;ächlich&#x017F;te Grund für die Wahl &#x017F;ein möge, und <hi rendition="#g">Faber</hi> glaubt, daß Heimats- und<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftstrieb die&#x017F;e Wahl be&#x017F;timmen. Wie Dem auch &#x017F;ein möge, Eins &#x017F;teht fe&#x017F;t, daß die einmal<lb/>
erwählten Fel&#x017F;enwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, an&#x017F;cheinend in immer gleicher<lb/>
Anzahl, daß aber die Vögel &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich nur &#x017F;olche Wände wählen, welche ihnen Raum zur<lb/>
Anlage ihrer Ne&#x017F;ter gewähren. Alle Mövenberge be&#x017F;tehen aus einzelnen Ab&#x017F;ätzen oder Ge&#x017F;im&#x017F;en<lb/>
über einander und &#x017F;ind reich an Höhlen und Vor&#x017F;prüngen; in den Höhlen und auf den Ab&#x017F;ätzen &#x017F;teht<lb/>
Ne&#x017F;t an Ne&#x017F;t, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen i&#x017F;t benutzt worden, jedes<lb/>
Ge&#x017F;ims dient Tau&#x017F;enden von Pärchen zur Brut&#x017F;tätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft &#x017F;ieht<lb/>
man die Pärchen neben den Ne&#x017F;tern &#x017F;itzen, in den anmuthig&#x017F;ten Stellungen &#x017F;ich liebko&#x017F;en, wie<lb/>
Tauben &#x017F;chnäbeln, &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig im Gefieder ne&#x017F;teln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nennen will, die zarte&#x017F;ten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausge&#x017F;etzt<lb/>
natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm ver&#x017F;chlungen werden.<lb/>
Während die&#x017F;e &#x017F;ich liebko&#x017F;en, fliegen jene ab und zu, Ne&#x017F;t&#x017F;toffe herbei&#x017F;chleppend, und &#x017F;o wird der Berg<lb/>
be&#x017F;tändig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander.<lb/>
Das Ne&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;teht der Haupt&#x017F;ache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im<lb/>
Laufe der Jahre mit hohen Rändern ver&#x017F;ehen, und braucht al&#x017F;o vor Beginn der Brut nur ein wenig<lb/>
ausgebe&#x017F;&#x017F;ert zu werden. Drei bis vier, auf &#x017F;chmuzigro&#x017F;tgelbem, weißgrünlichen oder ro&#x017F;tröthlichen<lb/>
Grunde &#x017F;pärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an,<lb/>
daß jedes Pärchen nur &#x017F;einer eigenen Brut &#x017F;ich widmet, i&#x017F;t aber nicht im Stande, zu begreifen, wie<lb/>
es möglich, daß das Paar unter den Hunderttau&#x017F;enden &#x017F;ein Ne&#x017F;t, ja den Gatten herauszufinden<lb/>
vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Augu&#x017F;ts im Ne&#x017F;te, &#x017F;ind bis dahin vollkommen flügge<lb/>
geworden und &#x017F;chwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich zum unendlichen<lb/>
Ge&#x017F;chrei noch nach Kräften beitragend.</p><lb/>
          <p>Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern<lb/>
und Raubmöven viel zu leiden; er&#x017F;tere nehmen &#x017F;ie vom Ne&#x017F;te oder aus der Luft weg, letztere peinigen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[875/0927] Dreizehige Möve. bald wie der Klang einer Kindertrompete. Jede einzelne verſucht ihre Erregung auch durch die Stimme kund zu thun, und da nun Millionen von demſelben Gedanken erfüllt ſind, werden Faber’s Worte begreiflich. „Selbſt wenn ſie Erde zum Bau des Neſtes im Schnabel tragen“, meint dieſer Forſcher, „können ſie nicht ſchweigen, ſondern ſtoßen ununterbrochen heiſere Kehllaute aus.“ Nach der Fortpflanzungszeit haben ſie keinen Grund zum Schwatzen mehr, und damit erklärt ſich auch ihr Schweigen. Auch Derjenige, welcher meint, eine Vorſtellung von dem unendlichen Reichthume des Meeres zu haben, wirft ſich die Frage auf: wie iſt es möglich, daß ein kleiner Umkreis der See dieſe Millionen ernähren kann? Man weiß, daß die Stummelmöve faſt nur Fiſche frißt; Holboell hat auch beobachtet, daß während der Brutzeit das nördliche Eismeer gleichſam angefüllt iſt mit Maſſen von Lodden, daß die Seehunde, wenn ſie dieſe Fiſche von unten verfolgen, der Möve zu einem leichten Fange verhelfen, daß ſie ſpäter genöthigt iſt, zehn und mehr Meilen weit zu fliegen, um die Nahrung zu gewinnen, — findet aber doch noch keine genügende Antwort für jene Frage und zweifelt, obgleich man alle Zweifel durch die thatſächliche Erfahrung widerlegt ſieht. Wie unendlich reich das Meer iſt, wie freigebig es auch dieſer Möve den Tiſch beſchickt: Das bemerkt man, wenn ſie, verſchlagen und verirrt, das Jnnere des Feſtlandes beſucht. Hier findet man ſie oft todt am Strande liegen, und wenn man dann ihren Magen unterſucht, dieſen vollſtändig leer. Sie, die vom Reichthum Verwöhnte, erliegt dem Mangel des Landes: ſie verhungert. Graba fand, daß die Brutplätze dieſer Möve, welche er auf den Faröern beſuchte, nach Weſten und Nordweſten gegen das Meer gerichtet waren und ſchließt daraus, daß die Stummelmöve ſolche Felſenwände zum Brüten benutze, welche ſenkrecht zur herrſchenden Windrichtung ſtehen und dem abfliegenden Vogel es möglich machen, ſogleich den zum Fluge günſtigſten Wind zu benutzen; Boje meint, daß die Fülle der Nahrung, welche zu gewiſſen Zeiten in der Nähe beſtimmter Küſten vorhanden, der hauptſächlichſte Grund für die Wahl ſein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und Geſellſchaftstrieb dieſe Wahl beſtimmen. Wie Dem auch ſein möge, Eins ſteht feſt, daß die einmal erwählten Felſenwände jahraus, jahrein wieder bezogen werden, anſcheinend in immer gleicher Anzahl, daß aber die Vögel ſelbſtverſtändlich nur ſolche Wände wählen, welche ihnen Raum zur Anlage ihrer Neſter gewähren. Alle Mövenberge beſtehen aus einzelnen Abſätzen oder Geſimſen über einander und ſind reich an Höhlen und Vorſprüngen; in den Höhlen und auf den Abſätzen ſteht Neſt an Neſt, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Plätzchen iſt benutzt worden, jedes Geſims dient Tauſenden von Pärchen zur Brutſtätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft ſieht man die Pärchen neben den Neſtern ſitzen, in den anmuthigſten Stellungen ſich liebkoſen, wie Tauben ſchnäbeln, ſich gegenſeitig im Gefieder neſteln und vernimmt ihr Girren oder, wie man es ſonſt nennen will, die zarteſten Laute nämlich, welche eine Möve hervorbringen kann, vorausgeſetzt natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlich von dem allgemeinen Lärm verſchlungen werden. Während dieſe ſich liebkoſen, fliegen jene ab und zu, Neſtſtoffe herbeiſchleppend, und ſo wird der Berg beſtändig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrochen wimmelt und wirrt es durch einander. Das Neſt ſelbſt beſteht der Hauptſache nach aus Tangen, wird aber durch den Koth der Vögel im Laufe der Jahre mit hohen Rändern verſehen, und braucht alſo vor Beginn der Brut nur ein wenig ausgebeſſert zu werden. Drei bis vier, auf ſchmuzigroſtgelbem, weißgrünlichen oder roſtröthlichen Grunde ſpärlich dunkler gefleckte und getüpfelte Eier bilden das Gelege. Man nimmt an, daß jedes Pärchen nur ſeiner eigenen Brut ſich widmet, iſt aber nicht im Stande, zu begreifen, wie es möglich, daß das Paar unter den Hunderttauſenden ſein Neſt, ja den Gatten herauszufinden vermag. Die Jungen verweilen bis Mitte Auguſts im Neſte, ſind bis dahin vollkommen flügge geworden und ſchwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher ſelbſtverſtändlich zum unendlichen Geſchrei noch nach Kräften beitragend. Wie alle kleineren Arten der Familie haben auch die Stummelmöven von Edelfalken, Seeadlern und Raubmöven viel zu leiden; erſtere nehmen ſie vom Neſte oder aus der Luft weg, letztere peinigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/927
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 875. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/927>, abgerufen am 23.11.2024.