Die Schwimmer. Seeflieger. Scherenschnäbel. Möven.
sehr lang, der Schwanz mittellang und gegabelt, der Schnabel so eigenthümlich gebildet, daß der Vogel schon bei seinen Entdeckern eine gewisse Berühmtheit erlangen konnte. Sein Name bezeichnet ihn; denn er verschmächtigt sich unmittelbar vom Grunde aus so auffallend, daß er nur mit den beiden Schneiden einer Schere verglichen werden kann. Dazu kommt, daß der Unterkiefer den oberen bedeutend an Länge überragt, kurz, das Werkzeug uns als ein höchst absonderliches erscheinen muß. Die Beine sind schwächlich, zwar ziemlich lang, aber dünn; die Vorderzehen werden durch eine tief ausgeschnittene Schwimmhaut verbunden. Das etwas lange Gefieder liegt dicht an und besitzt einen eigenthümlichen fettigen Glanz.
Am mittleren und oberen Nile habe ich eine Art der Sippe (Rhynchops orientalis), welche wir kurzweg Scherenschnabel nennen wollen, kennen gelernt. Bei ihm sind Stirn, Gesicht, Schwanz und Unterseite, sowie die Spitzen der großen Flügeldeckfedern weiß, der Oberkopf, Hinterhals, Nacken und Mantel schwarzbraun. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel und der Fuß korallenroth. Die Länge beträgt 17, die Breite 42, die Fittiglänge 13, die Schwanzlänge 2 2/3 Zoll.
Der Scherenschnabel fliegt zwar bei Tage ebenso gut wie bei Nacht, aber nur, wenn er aufge- scheucht worden ist. Uebertages liegt er bewegungslos auf Sandbänken, gewöhnlich platt auf dem Bauche, seltener auf den kleinen, schwächlichen Füßen stehend. Während er sitzt, vernimmt man nicht einen einzigen Laut von ihm, sieht ihn auch selten eine Bewegung ausführen. Mit Sonnenuntergang wird er lebendig, regt und streckt sich, hebt die Flügel, fängt an, hin und her zu trippeln und zu rufen; nach Einbruch der Nacht fliegt er auf Nahrung aus. Jetzt sieht man ihn seinen Schnabel entsprechend verwenden. Unter langsamen Flügelschlägen gleitet er geräuschlos dicht über der Wasser- fläche dahin, von Zeit zu Zeit den unteren Schnabel minutenlang eintauchend und so das Wasser pflügend; dabei nimmt er die auf der Oberfläche schwimmenden Kerbthiere auf, welche wenigstens in den Nilländern seine Hauptnahrung bilden. Ob er auch Weichthiere, insbesondere Muscheln jagt und seinen Schnabel geschickt benutzt, um diese zu öffnen, weiß ich nicht: daß ein Verwandter von ihm so verfährt, scheint festgestellt zu sein. Lesson beobachtete oder erzählte wenigstens, daß die amerikanischen Scherenschnäbel sich neben die zweischaligen Muscheln, welche die Ebbe freigelegt hatte, ruhig hinsetzen, geduldig warten, bis dieselben sich ein wenig öffnen, in diesem Augenblicke aber den Unterschnabel bis ins Jnnere der Muschel stecken und wenn sich das gereizte Weichthier zusammenzieht, mit ihm auffliegen, sich einem Steine zuwenden und nun die Muschel so lange darauf schlagen, bis sie in Stücke springt. Auch Tschudi sagt Dasselbe, -- ob nach eigenen Beobachtungen oder Lesson's Angabe wiederholend, weiß ich freilich nicht. Einstweilen müssen wir den etwas auffallenden Berichten wohl Glauben schenken.
Der Flug des Scherenschnabels ist leicht und schön, aber insofern absonderlich, weil die Flügel sehr erhoben werden müssen, da sonst ihre Spitzen die Wasserfläche berühren würden. Der verhältniß- mäßig sehr lange Hals ermöglicht ihm solchen Flug und erlaubt ihm, seinen Körper noch einige Zoll über der Oberfläche des Wassers zu tragen, in welches er doch einen guten Theil seines Schnabels stecken muß. Seine Jagden dehnt er auf meilenweite Strecken des Stromes aus, zumal wenn er in zahlreicherer Gesellschaft auf einer und derselben Jnsel wohnt, sein Beutegebiet also durch andere geschmälert sieht. Jn Mittelafrika verläßt er wohl nur selten den Strom, um an benachbarten Regenteichen zu jagen; im Südosten und Westen des Erdtheiles dagegen mag er ebenso wie sein amerikanischer Verwandter stillere Meerestheile besuchen. Von der fliegenden Gesellschaft hört man oft den eigenthümlichen klagenden, mit Worten kaum wiederzugebenden, von dem eines jeden anderen mir bekannten Vogels verschiedenen Ruf.
Jn der Nähe von Dongola fand ich im Mai einen Brutplatz des Scherenschnabels auf. Viele dieser Vögel, welche platt auf einer großen sandigen Jnsel lagen, hatten mich auf letztere gelockt und ich wurde, als ich den Fuß ans Land setzte, so ängstlich umkreist, daß ich über die Ursache kaum in Zweifel bleiben konnte. Zu meiner großen Freude fand ich auch nach kurzem Suchen die eben ange- fangenen oder schon vollendeten Nester auf, einfache, in den Sand gegrabene Vertiefungen, welche
Die Schwimmer. Seeflieger. Scherenſchnäbel. Möven.
ſehr lang, der Schwanz mittellang und gegabelt, der Schnabel ſo eigenthümlich gebildet, daß der Vogel ſchon bei ſeinen Entdeckern eine gewiſſe Berühmtheit erlangen konnte. Sein Name bezeichnet ihn; denn er verſchmächtigt ſich unmittelbar vom Grunde aus ſo auffallend, daß er nur mit den beiden Schneiden einer Schere verglichen werden kann. Dazu kommt, daß der Unterkiefer den oberen bedeutend an Länge überragt, kurz, das Werkzeug uns als ein höchſt abſonderliches erſcheinen muß. Die Beine ſind ſchwächlich, zwar ziemlich lang, aber dünn; die Vorderzehen werden durch eine tief ausgeſchnittene Schwimmhaut verbunden. Das etwas lange Gefieder liegt dicht an und beſitzt einen eigenthümlichen fettigen Glanz.
Am mittleren und oberen Nile habe ich eine Art der Sippe (Rhynchops orientalis), welche wir kurzweg Scherenſchnabel nennen wollen, kennen gelernt. Bei ihm ſind Stirn, Geſicht, Schwanz und Unterſeite, ſowie die Spitzen der großen Flügeldeckfedern weiß, der Oberkopf, Hinterhals, Nacken und Mantel ſchwarzbraun. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel und der Fuß korallenroth. Die Länge beträgt 17, die Breite 42, die Fittiglänge 13, die Schwanzlänge 2⅔ Zoll.
Der Scherenſchnabel fliegt zwar bei Tage ebenſo gut wie bei Nacht, aber nur, wenn er aufge- ſcheucht worden iſt. Uebertages liegt er bewegungslos auf Sandbänken, gewöhnlich platt auf dem Bauche, ſeltener auf den kleinen, ſchwächlichen Füßen ſtehend. Während er ſitzt, vernimmt man nicht einen einzigen Laut von ihm, ſieht ihn auch ſelten eine Bewegung ausführen. Mit Sonnenuntergang wird er lebendig, regt und ſtreckt ſich, hebt die Flügel, fängt an, hin und her zu trippeln und zu rufen; nach Einbruch der Nacht fliegt er auf Nahrung aus. Jetzt ſieht man ihn ſeinen Schnabel entſprechend verwenden. Unter langſamen Flügelſchlägen gleitet er geräuſchlos dicht über der Waſſer- fläche dahin, von Zeit zu Zeit den unteren Schnabel minutenlang eintauchend und ſo das Waſſer pflügend; dabei nimmt er die auf der Oberfläche ſchwimmenden Kerbthiere auf, welche wenigſtens in den Nilländern ſeine Hauptnahrung bilden. Ob er auch Weichthiere, insbeſondere Muſcheln jagt und ſeinen Schnabel geſchickt benutzt, um dieſe zu öffnen, weiß ich nicht: daß ein Verwandter von ihm ſo verfährt, ſcheint feſtgeſtellt zu ſein. Leſſon beobachtete oder erzählte wenigſtens, daß die amerikaniſchen Scherenſchnäbel ſich neben die zweiſchaligen Muſcheln, welche die Ebbe freigelegt hatte, ruhig hinſetzen, geduldig warten, bis dieſelben ſich ein wenig öffnen, in dieſem Augenblicke aber den Unterſchnabel bis ins Jnnere der Muſchel ſtecken und wenn ſich das gereizte Weichthier zuſammenzieht, mit ihm auffliegen, ſich einem Steine zuwenden und nun die Muſchel ſo lange darauf ſchlagen, bis ſie in Stücke ſpringt. Auch Tſchudi ſagt Daſſelbe, — ob nach eigenen Beobachtungen oder Leſſon’s Angabe wiederholend, weiß ich freilich nicht. Einſtweilen müſſen wir den etwas auffallenden Berichten wohl Glauben ſchenken.
Der Flug des Scherenſchnabels iſt leicht und ſchön, aber inſofern abſonderlich, weil die Flügel ſehr erhoben werden müſſen, da ſonſt ihre Spitzen die Waſſerfläche berühren würden. Der verhältniß- mäßig ſehr lange Hals ermöglicht ihm ſolchen Flug und erlaubt ihm, ſeinen Körper noch einige Zoll über der Oberfläche des Waſſers zu tragen, in welches er doch einen guten Theil ſeines Schnabels ſtecken muß. Seine Jagden dehnt er auf meilenweite Strecken des Stromes aus, zumal wenn er in zahlreicherer Geſellſchaft auf einer und derſelben Jnſel wohnt, ſein Beutegebiet alſo durch andere geſchmälert ſieht. Jn Mittelafrika verläßt er wohl nur ſelten den Strom, um an benachbarten Regenteichen zu jagen; im Südoſten und Weſten des Erdtheiles dagegen mag er ebenſo wie ſein amerikaniſcher Verwandter ſtillere Meerestheile beſuchen. Von der fliegenden Geſellſchaft hört man oft den eigenthümlichen klagenden, mit Worten kaum wiederzugebenden, von dem eines jeden anderen mir bekannten Vogels verſchiedenen Ruf.
Jn der Nähe von Dongola fand ich im Mai einen Brutplatz des Scherenſchnabels auf. Viele dieſer Vögel, welche platt auf einer großen ſandigen Jnſel lagen, hatten mich auf letztere gelockt und ich wurde, als ich den Fuß ans Land ſetzte, ſo ängſtlich umkreiſt, daß ich über die Urſache kaum in Zweifel bleiben konnte. Zu meiner großen Freude fand ich auch nach kurzem Suchen die eben ange- fangenen oder ſchon vollendeten Neſter auf, einfache, in den Sand gegrabene Vertiefungen, welche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0916"n="866"/><fwplace="top"type="header">Die Schwimmer. Seeflieger. Scherenſchnäbel. Möven.</fw><lb/>ſehr lang, der Schwanz mittellang und gegabelt, der Schnabel ſo eigenthümlich gebildet, daß der<lb/>
Vogel ſchon bei ſeinen Entdeckern eine gewiſſe Berühmtheit erlangen konnte. Sein Name bezeichnet<lb/>
ihn; denn er verſchmächtigt ſich unmittelbar vom Grunde aus ſo auffallend, daß er nur mit den beiden<lb/>
Schneiden einer Schere verglichen werden kann. Dazu kommt, daß der Unterkiefer den oberen<lb/>
bedeutend an Länge überragt, kurz, das Werkzeug uns als ein höchſt abſonderliches erſcheinen muß.<lb/>
Die Beine ſind ſchwächlich, zwar ziemlich lang, aber dünn; die Vorderzehen werden durch eine tief<lb/>
ausgeſchnittene Schwimmhaut verbunden. Das etwas lange Gefieder liegt dicht an und beſitzt einen<lb/>
eigenthümlichen fettigen Glanz.</p><lb/><p>Am mittleren und oberen Nile habe ich eine Art der Sippe (<hirendition="#aq">Rhynchops orientalis</hi>), welche wir<lb/>
kurzweg <hirendition="#g">Scherenſchnabel</hi> nennen wollen, kennen gelernt. Bei ihm ſind Stirn, Geſicht, Schwanz<lb/>
und Unterſeite, ſowie die Spitzen der großen Flügeldeckfedern weiß, der Oberkopf, Hinterhals, Nacken<lb/>
und Mantel ſchwarzbraun. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel und der Fuß korallenroth. Die<lb/>
Länge beträgt 17, die Breite 42, die Fittiglänge 13, die Schwanzlänge 2⅔ Zoll.</p><lb/><p>Der Scherenſchnabel fliegt zwar bei Tage ebenſo gut wie bei Nacht, aber nur, wenn er aufge-<lb/>ſcheucht worden iſt. Uebertages liegt er bewegungslos auf Sandbänken, gewöhnlich platt auf dem<lb/>
Bauche, ſeltener auf den kleinen, ſchwächlichen Füßen ſtehend. Während er ſitzt, vernimmt man nicht<lb/>
einen einzigen Laut von ihm, ſieht ihn auch ſelten eine Bewegung ausführen. Mit Sonnenuntergang<lb/>
wird er lebendig, regt und ſtreckt ſich, hebt die Flügel, fängt an, hin und her zu trippeln und zu<lb/>
rufen; nach Einbruch der Nacht fliegt er auf Nahrung aus. Jetzt ſieht man ihn ſeinen Schnabel<lb/>
entſprechend verwenden. Unter langſamen Flügelſchlägen gleitet er geräuſchlos dicht über der Waſſer-<lb/>
fläche dahin, von Zeit zu Zeit den unteren Schnabel minutenlang eintauchend und ſo das Waſſer<lb/>
pflügend; dabei nimmt er die auf der Oberfläche ſchwimmenden Kerbthiere auf, welche wenigſtens in<lb/>
den Nilländern ſeine Hauptnahrung bilden. Ob er auch Weichthiere, insbeſondere Muſcheln jagt und<lb/>ſeinen Schnabel geſchickt benutzt, um dieſe zu öffnen, weiß ich nicht: daß ein Verwandter von ihm ſo<lb/>
verfährt, ſcheint feſtgeſtellt zu ſein. <hirendition="#g">Leſſon</hi> beobachtete oder erzählte wenigſtens, daß die amerikaniſchen<lb/>
Scherenſchnäbel ſich neben die zweiſchaligen Muſcheln, welche die Ebbe freigelegt hatte, ruhig hinſetzen,<lb/>
geduldig warten, bis dieſelben ſich ein wenig öffnen, in dieſem Augenblicke aber den Unterſchnabel<lb/>
bis ins Jnnere der Muſchel ſtecken und wenn ſich das gereizte Weichthier zuſammenzieht, mit ihm<lb/>
auffliegen, ſich einem Steine zuwenden und nun die Muſchel ſo lange darauf ſchlagen, bis ſie in<lb/>
Stücke ſpringt. Auch <hirendition="#g">Tſchudi</hi>ſagt Daſſelbe, — ob nach eigenen Beobachtungen oder <hirendition="#g">Leſſon’s</hi><lb/>
Angabe wiederholend, weiß ich freilich nicht. Einſtweilen müſſen wir den etwas auffallenden Berichten<lb/>
wohl Glauben ſchenken.</p><lb/><p>Der Flug des Scherenſchnabels iſt leicht und ſchön, aber inſofern abſonderlich, weil die Flügel<lb/>ſehr erhoben werden müſſen, da ſonſt ihre Spitzen die Waſſerfläche berühren würden. Der verhältniß-<lb/>
mäßig ſehr lange Hals ermöglicht ihm ſolchen Flug und erlaubt ihm, ſeinen Körper noch einige Zoll<lb/>
über der Oberfläche des Waſſers zu tragen, in welches er doch einen guten Theil ſeines Schnabels<lb/>ſtecken muß. Seine Jagden dehnt er auf meilenweite Strecken des Stromes aus, zumal wenn er in<lb/>
zahlreicherer Geſellſchaft auf einer und derſelben Jnſel wohnt, ſein Beutegebiet alſo durch andere<lb/>
geſchmälert ſieht. Jn Mittelafrika verläßt er wohl nur ſelten den Strom, um an benachbarten<lb/>
Regenteichen zu jagen; im Südoſten und Weſten des Erdtheiles dagegen mag er ebenſo wie ſein<lb/>
amerikaniſcher Verwandter ſtillere Meerestheile beſuchen. Von der fliegenden Geſellſchaft hört man<lb/>
oft den eigenthümlichen klagenden, mit Worten kaum wiederzugebenden, von dem eines jeden anderen<lb/>
mir bekannten Vogels verſchiedenen Ruf.</p><lb/><p>Jn der Nähe von Dongola fand ich im Mai einen Brutplatz des Scherenſchnabels auf. Viele<lb/>
dieſer Vögel, welche platt auf einer großen ſandigen Jnſel lagen, hatten mich auf letztere gelockt und<lb/>
ich wurde, als ich den Fuß ans Land ſetzte, ſo ängſtlich umkreiſt, daß ich über die Urſache kaum in<lb/>
Zweifel bleiben konnte. Zu meiner großen Freude fand ich auch nach kurzem Suchen die eben ange-<lb/>
fangenen oder ſchon vollendeten Neſter auf, einfache, in den Sand gegrabene Vertiefungen, welche<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[866/0916]
Die Schwimmer. Seeflieger. Scherenſchnäbel. Möven.
ſehr lang, der Schwanz mittellang und gegabelt, der Schnabel ſo eigenthümlich gebildet, daß der
Vogel ſchon bei ſeinen Entdeckern eine gewiſſe Berühmtheit erlangen konnte. Sein Name bezeichnet
ihn; denn er verſchmächtigt ſich unmittelbar vom Grunde aus ſo auffallend, daß er nur mit den beiden
Schneiden einer Schere verglichen werden kann. Dazu kommt, daß der Unterkiefer den oberen
bedeutend an Länge überragt, kurz, das Werkzeug uns als ein höchſt abſonderliches erſcheinen muß.
Die Beine ſind ſchwächlich, zwar ziemlich lang, aber dünn; die Vorderzehen werden durch eine tief
ausgeſchnittene Schwimmhaut verbunden. Das etwas lange Gefieder liegt dicht an und beſitzt einen
eigenthümlichen fettigen Glanz.
Am mittleren und oberen Nile habe ich eine Art der Sippe (Rhynchops orientalis), welche wir
kurzweg Scherenſchnabel nennen wollen, kennen gelernt. Bei ihm ſind Stirn, Geſicht, Schwanz
und Unterſeite, ſowie die Spitzen der großen Flügeldeckfedern weiß, der Oberkopf, Hinterhals, Nacken
und Mantel ſchwarzbraun. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel und der Fuß korallenroth. Die
Länge beträgt 17, die Breite 42, die Fittiglänge 13, die Schwanzlänge 2⅔ Zoll.
Der Scherenſchnabel fliegt zwar bei Tage ebenſo gut wie bei Nacht, aber nur, wenn er aufge-
ſcheucht worden iſt. Uebertages liegt er bewegungslos auf Sandbänken, gewöhnlich platt auf dem
Bauche, ſeltener auf den kleinen, ſchwächlichen Füßen ſtehend. Während er ſitzt, vernimmt man nicht
einen einzigen Laut von ihm, ſieht ihn auch ſelten eine Bewegung ausführen. Mit Sonnenuntergang
wird er lebendig, regt und ſtreckt ſich, hebt die Flügel, fängt an, hin und her zu trippeln und zu
rufen; nach Einbruch der Nacht fliegt er auf Nahrung aus. Jetzt ſieht man ihn ſeinen Schnabel
entſprechend verwenden. Unter langſamen Flügelſchlägen gleitet er geräuſchlos dicht über der Waſſer-
fläche dahin, von Zeit zu Zeit den unteren Schnabel minutenlang eintauchend und ſo das Waſſer
pflügend; dabei nimmt er die auf der Oberfläche ſchwimmenden Kerbthiere auf, welche wenigſtens in
den Nilländern ſeine Hauptnahrung bilden. Ob er auch Weichthiere, insbeſondere Muſcheln jagt und
ſeinen Schnabel geſchickt benutzt, um dieſe zu öffnen, weiß ich nicht: daß ein Verwandter von ihm ſo
verfährt, ſcheint feſtgeſtellt zu ſein. Leſſon beobachtete oder erzählte wenigſtens, daß die amerikaniſchen
Scherenſchnäbel ſich neben die zweiſchaligen Muſcheln, welche die Ebbe freigelegt hatte, ruhig hinſetzen,
geduldig warten, bis dieſelben ſich ein wenig öffnen, in dieſem Augenblicke aber den Unterſchnabel
bis ins Jnnere der Muſchel ſtecken und wenn ſich das gereizte Weichthier zuſammenzieht, mit ihm
auffliegen, ſich einem Steine zuwenden und nun die Muſchel ſo lange darauf ſchlagen, bis ſie in
Stücke ſpringt. Auch Tſchudi ſagt Daſſelbe, — ob nach eigenen Beobachtungen oder Leſſon’s
Angabe wiederholend, weiß ich freilich nicht. Einſtweilen müſſen wir den etwas auffallenden Berichten
wohl Glauben ſchenken.
Der Flug des Scherenſchnabels iſt leicht und ſchön, aber inſofern abſonderlich, weil die Flügel
ſehr erhoben werden müſſen, da ſonſt ihre Spitzen die Waſſerfläche berühren würden. Der verhältniß-
mäßig ſehr lange Hals ermöglicht ihm ſolchen Flug und erlaubt ihm, ſeinen Körper noch einige Zoll
über der Oberfläche des Waſſers zu tragen, in welches er doch einen guten Theil ſeines Schnabels
ſtecken muß. Seine Jagden dehnt er auf meilenweite Strecken des Stromes aus, zumal wenn er in
zahlreicherer Geſellſchaft auf einer und derſelben Jnſel wohnt, ſein Beutegebiet alſo durch andere
geſchmälert ſieht. Jn Mittelafrika verläßt er wohl nur ſelten den Strom, um an benachbarten
Regenteichen zu jagen; im Südoſten und Weſten des Erdtheiles dagegen mag er ebenſo wie ſein
amerikaniſcher Verwandter ſtillere Meerestheile beſuchen. Von der fliegenden Geſellſchaft hört man
oft den eigenthümlichen klagenden, mit Worten kaum wiederzugebenden, von dem eines jeden anderen
mir bekannten Vogels verſchiedenen Ruf.
Jn der Nähe von Dongola fand ich im Mai einen Brutplatz des Scherenſchnabels auf. Viele
dieſer Vögel, welche platt auf einer großen ſandigen Jnſel lagen, hatten mich auf letztere gelockt und
ich wurde, als ich den Fuß ans Land ſetzte, ſo ängſtlich umkreiſt, daß ich über die Urſache kaum in
Zweifel bleiben konnte. Zu meiner großen Freude fand ich auch nach kurzem Suchen die eben ange-
fangenen oder ſchon vollendeten Neſter auf, einfache, in den Sand gegrabene Vertiefungen, welche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 866. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/916>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.