wenig bei ihm ein wie unser Waldstorch. Hier stoßen wir auf Widersprüche, welche wir noch nicht zu lösen im Stande sind.
Der einmal begründete Horst wird alle Jahre zum Brüten benutzt: man kennt einzelne, welche seit hundert Jahren allsommerlich bewohnt waren. Jn der Regel erscheint der Storch ein paar Tage früher als die Störchin, gewöhnlich, wie schon bemerkt, urplötzlich; er benimmt sich aber so, daß man an seiner Eigenschaft als Besitzer gar nicht zweifeln kann. Wie viele Jahre nach einander ein und dasselbe Paar das Nest benutzt, weiß man nicht, nimmt aber, und gewiß mit Recht, an, daß die Lebensdauer der Vögel eine sehr lange und demgemäß ein Wechsel der Nesteigenthümer selten ist. Kommt, wie es zuweilen geschieht, nur einer der Störche zurück, so währt es oft lange Zeit, bevor er sich einen Gatten gefreit, und in der Regel entstehen dann heftige Kämpfe um das Nest, indem sich wahrscheinlich junge Paare einfinden, welche gemeinschaftlich über den früheren Jnhaber herfallen, ihn zu vertreiben suchen und auch oft genug vertreiben, oder sogar umbringen. Unter solchen Umständen wird der Mensch zuweilen genöthigt, einzugreifen, um den Frieden zu erhalten. Aus allen Beobachtungen darf man folgern, daß die Ehe eines Storchpaares für die Lebenszeit geschlossen wurde und beide Gatten sich in Treue zugethan sind. Ueber jeden Zweifel erhaben ist diese Treue jedoch nicht; denn man kennt Fälle, wo eine Störchin fremden Störchen Gehör gab, hat sogar beobachtet, daß ein unbeweibter Storch plötzlich über den neben seinem Neste Wache haltenden Gatten herfiel, und ihn mit einem wohlgezielten Schnabelstoße tödtete, nichts desto weniger aber von der brütenden Störchin ohne Weiteres angenommen wurde; man spricht auch von Auftritten, welche die nach Diesem leider gerechtfertigte Eifersucht der männlichen Störche unverkennbar bekundeten. Doch das sind Ausnahmen, und ihnen kann man andere Züge entgegenstellen, welche für die Treue des Storchpaares sprechen. Ein Storch blieb drei Jahre lang zurück und suchte an Quellen und Bächen Nahrung, oder während der grimmigsten Kälte unter Stalldächern Schutz. Jedes Jahr kam sein Gatte zurück, und sie brüteten wie gewöhnlich. Der zuerst zurückbleibende war das Weibchen. Jm vierten Herbste blieb nun aber auch das Männchen in Gesellschaft seines Weibchens während des Winters in der Heimat und Dies drei Jahre hinter einander. Beide wurden endlich von bösen Menschen getödtet, und es ergab sich, daß das Weibchen durch eine früher erhaltene Wunde reise- unfähig geworden war. Genau Dasselbe habe ich in Afrika erfahren. Hier sah ich zwei Störche, welche in der Winterherberge zurückgeblieben waren, ließ beide erlegen und fand denselben Grund für ihr Verweilen.
Bleibt das Paar ungestört, so beginnt es bald nach Ankunft mit der Ausbesserung des Horstes, indem es neue Prügel und Reiser herbeiträgt, und über den alten mehr oder weniger verrotteten auf- schichtet, auch eine neue Nestmulde herstellt. Demzufolge nimmt der Horst von Jahr zu Jahr an Höhe und Schwere zu, und Dies kann soweit gehen, daß die Unterlage ihn nicht mehr zu tragen vermag, und der Mensch wiederum helfen muß. Der Bau selbst gehört keineswegs zu den aus- gezeichneten. Daumstarke Reiser, und Stäbe, Aeste, Dornen, Erdklumpen und Rasenstücke bilden die Grundlage, feineres Reisig, Rohrhalmen und Schilfblätter eine zweite Schicht, dürre Gras- stückchen, Mist, Strohstoppeln, Lumpen, Papierstücken, Federn die eigentliche Nestmulde und Wiege für die Jungen. Alle Baustoffe werden im Schnabel herbeigetragen und zwar von beiden Gatten; das Weibchen ist aber, wie gewöhnlich, der Baumeister. Beide arbeiten so eifrig, daß ein neues Nest innerhalb acht Tagen vollendet, die Ausbesserung aber schon in zwei bis drei Tagen geschehen ist. Sowie der Bau beginnt, regt sich das Mißtrauen im Herzen der Besitzer, und einer von den Gatten pflegt regelmäßig Wache beim Neste zu halten, während der andere ausfliegt, um Niststoffe zu sammeln. Dabei wird selbstverständlich auf die manchfaltigste Weise geklappert, man möchte sagen, in allen Ton- und Taktarten, überhaupt die Freude über den glücklich gegründeten, bezüglich wieder aufgeputzten Herd deutlich kundgethan. Mitte oder Ende Aprils legt die Störchin das erste Ei, und wenn sie zu den älteren gehört, im Verlauf von wenigen Tagen die drei oder vier anderen hinterher. Jhre Gestalt ist eine rein eiförmige, die Schale fein, glatt, die Farbe weiß, zuweilen etwas ins
Die Läuſer. Stelzvögel. Störche.
wenig bei ihm ein wie unſer Waldſtorch. Hier ſtoßen wir auf Widerſprüche, welche wir noch nicht zu löſen im Stande ſind.
Der einmal begründete Horſt wird alle Jahre zum Brüten benutzt: man kennt einzelne, welche ſeit hundert Jahren allſommerlich bewohnt waren. Jn der Regel erſcheint der Storch ein paar Tage früher als die Störchin, gewöhnlich, wie ſchon bemerkt, urplötzlich; er benimmt ſich aber ſo, daß man an ſeiner Eigenſchaft als Beſitzer gar nicht zweifeln kann. Wie viele Jahre nach einander ein und daſſelbe Paar das Neſt benutzt, weiß man nicht, nimmt aber, und gewiß mit Recht, an, daß die Lebensdauer der Vögel eine ſehr lange und demgemäß ein Wechſel der Neſteigenthümer ſelten iſt. Kommt, wie es zuweilen geſchieht, nur einer der Störche zurück, ſo währt es oft lange Zeit, bevor er ſich einen Gatten gefreit, und in der Regel entſtehen dann heftige Kämpfe um das Neſt, indem ſich wahrſcheinlich junge Paare einfinden, welche gemeinſchaftlich über den früheren Jnhaber herfallen, ihn zu vertreiben ſuchen und auch oft genug vertreiben, oder ſogar umbringen. Unter ſolchen Umſtänden wird der Menſch zuweilen genöthigt, einzugreifen, um den Frieden zu erhalten. Aus allen Beobachtungen darf man folgern, daß die Ehe eines Storchpaares für die Lebenszeit geſchloſſen wurde und beide Gatten ſich in Treue zugethan ſind. Ueber jeden Zweifel erhaben iſt dieſe Treue jedoch nicht; denn man kennt Fälle, wo eine Störchin fremden Störchen Gehör gab, hat ſogar beobachtet, daß ein unbeweibter Storch plötzlich über den neben ſeinem Neſte Wache haltenden Gatten herfiel, und ihn mit einem wohlgezielten Schnabelſtoße tödtete, nichts deſto weniger aber von der brütenden Störchin ohne Weiteres angenommen wurde; man ſpricht auch von Auftritten, welche die nach Dieſem leider gerechtfertigte Eiferſucht der männlichen Störche unverkennbar bekundeten. Doch das ſind Ausnahmen, und ihnen kann man andere Züge entgegenſtellen, welche für die Treue des Storchpaares ſprechen. Ein Storch blieb drei Jahre lang zurück und ſuchte an Quellen und Bächen Nahrung, oder während der grimmigſten Kälte unter Stalldächern Schutz. Jedes Jahr kam ſein Gatte zurück, und ſie brüteten wie gewöhnlich. Der zuerſt zurückbleibende war das Weibchen. Jm vierten Herbſte blieb nun aber auch das Männchen in Geſellſchaft ſeines Weibchens während des Winters in der Heimat und Dies drei Jahre hinter einander. Beide wurden endlich von böſen Menſchen getödtet, und es ergab ſich, daß das Weibchen durch eine früher erhaltene Wunde reiſe- unfähig geworden war. Genau Daſſelbe habe ich in Afrika erfahren. Hier ſah ich zwei Störche, welche in der Winterherberge zurückgeblieben waren, ließ beide erlegen und fand denſelben Grund für ihr Verweilen.
Bleibt das Paar ungeſtört, ſo beginnt es bald nach Ankunft mit der Ausbeſſerung des Horſtes, indem es neue Prügel und Reiſer herbeiträgt, und über den alten mehr oder weniger verrotteten auf- ſchichtet, auch eine neue Neſtmulde herſtellt. Demzufolge nimmt der Horſt von Jahr zu Jahr an Höhe und Schwere zu, und Dies kann ſoweit gehen, daß die Unterlage ihn nicht mehr zu tragen vermag, und der Menſch wiederum helfen muß. Der Bau ſelbſt gehört keineswegs zu den aus- gezeichneten. Daumſtarke Reiſer, und Stäbe, Aeſte, Dornen, Erdklumpen und Raſenſtücke bilden die Grundlage, feineres Reiſig, Rohrhalmen und Schilfblätter eine zweite Schicht, dürre Gras- ſtückchen, Miſt, Strohſtoppeln, Lumpen, Papierſtücken, Federn die eigentliche Neſtmulde und Wiege für die Jungen. Alle Bauſtoffe werden im Schnabel herbeigetragen und zwar von beiden Gatten; das Weibchen iſt aber, wie gewöhnlich, der Baumeiſter. Beide arbeiten ſo eifrig, daß ein neues Neſt innerhalb acht Tagen vollendet, die Ausbeſſerung aber ſchon in zwei bis drei Tagen geſchehen iſt. Sowie der Bau beginnt, regt ſich das Mißtrauen im Herzen der Beſitzer, und einer von den Gatten pflegt regelmäßig Wache beim Neſte zu halten, während der andere ausfliegt, um Niſtſtoffe zu ſammeln. Dabei wird ſelbſtverſtändlich auf die manchfaltigſte Weiſe geklappert, man möchte ſagen, in allen Ton- und Taktarten, überhaupt die Freude über den glücklich gegründeten, bezüglich wieder aufgeputzten Herd deutlich kundgethan. Mitte oder Ende Aprils legt die Störchin das erſte Ei, und wenn ſie zu den älteren gehört, im Verlauf von wenigen Tagen die drei oder vier anderen hinterher. Jhre Geſtalt iſt eine rein eiförmige, die Schale fein, glatt, die Farbe weiß, zuweilen etwas ins
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[680/0722]
Die Läuſer. Stelzvögel. Störche.
wenig bei ihm ein wie unſer Waldſtorch. Hier ſtoßen wir auf Widerſprüche, welche wir noch nicht
zu löſen im Stande ſind.
Der einmal begründete Horſt wird alle Jahre zum Brüten benutzt: man kennt einzelne, welche
ſeit hundert Jahren allſommerlich bewohnt waren. Jn der Regel erſcheint der Storch ein paar Tage
früher als die Störchin, gewöhnlich, wie ſchon bemerkt, urplötzlich; er benimmt ſich aber ſo, daß man
an ſeiner Eigenſchaft als Beſitzer gar nicht zweifeln kann. Wie viele Jahre nach einander ein und
daſſelbe Paar das Neſt benutzt, weiß man nicht, nimmt aber, und gewiß mit Recht, an, daß die
Lebensdauer der Vögel eine ſehr lange und demgemäß ein Wechſel der Neſteigenthümer ſelten iſt.
Kommt, wie es zuweilen geſchieht, nur einer der Störche zurück, ſo währt es oft lange Zeit, bevor er
ſich einen Gatten gefreit, und in der Regel entſtehen dann heftige Kämpfe um das Neſt, indem ſich
wahrſcheinlich junge Paare einfinden, welche gemeinſchaftlich über den früheren Jnhaber herfallen,
ihn zu vertreiben ſuchen und auch oft genug vertreiben, oder ſogar umbringen. Unter ſolchen
Umſtänden wird der Menſch zuweilen genöthigt, einzugreifen, um den Frieden zu erhalten. Aus
allen Beobachtungen darf man folgern, daß die Ehe eines Storchpaares für die Lebenszeit geſchloſſen
wurde und beide Gatten ſich in Treue zugethan ſind. Ueber jeden Zweifel erhaben iſt dieſe Treue
jedoch nicht; denn man kennt Fälle, wo eine Störchin fremden Störchen Gehör gab, hat ſogar
beobachtet, daß ein unbeweibter Storch plötzlich über den neben ſeinem Neſte Wache haltenden Gatten
herfiel, und ihn mit einem wohlgezielten Schnabelſtoße tödtete, nichts deſto weniger aber von der
brütenden Störchin ohne Weiteres angenommen wurde; man ſpricht auch von Auftritten, welche die
nach Dieſem leider gerechtfertigte Eiferſucht der männlichen Störche unverkennbar bekundeten. Doch
das ſind Ausnahmen, und ihnen kann man andere Züge entgegenſtellen, welche für die Treue des
Storchpaares ſprechen. Ein Storch blieb drei Jahre lang zurück und ſuchte an Quellen und Bächen
Nahrung, oder während der grimmigſten Kälte unter Stalldächern Schutz. Jedes Jahr kam ſein
Gatte zurück, und ſie brüteten wie gewöhnlich. Der zuerſt zurückbleibende war das Weibchen. Jm
vierten Herbſte blieb nun aber auch das Männchen in Geſellſchaft ſeines Weibchens während des
Winters in der Heimat und Dies drei Jahre hinter einander. Beide wurden endlich von böſen
Menſchen getödtet, und es ergab ſich, daß das Weibchen durch eine früher erhaltene Wunde reiſe-
unfähig geworden war. Genau Daſſelbe habe ich in Afrika erfahren. Hier ſah ich zwei Störche,
welche in der Winterherberge zurückgeblieben waren, ließ beide erlegen und fand denſelben Grund
für ihr Verweilen.
Bleibt das Paar ungeſtört, ſo beginnt es bald nach Ankunft mit der Ausbeſſerung des Horſtes,
indem es neue Prügel und Reiſer herbeiträgt, und über den alten mehr oder weniger verrotteten auf-
ſchichtet, auch eine neue Neſtmulde herſtellt. Demzufolge nimmt der Horſt von Jahr zu Jahr an
Höhe und Schwere zu, und Dies kann ſoweit gehen, daß die Unterlage ihn nicht mehr zu tragen
vermag, und der Menſch wiederum helfen muß. Der Bau ſelbſt gehört keineswegs zu den aus-
gezeichneten. Daumſtarke Reiſer, und Stäbe, Aeſte, Dornen, Erdklumpen und Raſenſtücke bilden
die Grundlage, feineres Reiſig, Rohrhalmen und Schilfblätter eine zweite Schicht, dürre Gras-
ſtückchen, Miſt, Strohſtoppeln, Lumpen, Papierſtücken, Federn die eigentliche Neſtmulde und Wiege
für die Jungen. Alle Bauſtoffe werden im Schnabel herbeigetragen und zwar von beiden Gatten;
das Weibchen iſt aber, wie gewöhnlich, der Baumeiſter. Beide arbeiten ſo eifrig, daß ein neues Neſt
innerhalb acht Tagen vollendet, die Ausbeſſerung aber ſchon in zwei bis drei Tagen geſchehen iſt.
Sowie der Bau beginnt, regt ſich das Mißtrauen im Herzen der Beſitzer, und einer von den Gatten
pflegt regelmäßig Wache beim Neſte zu halten, während der andere ausfliegt, um Niſtſtoffe zu
ſammeln. Dabei wird ſelbſtverſtändlich auf die manchfaltigſte Weiſe geklappert, man möchte ſagen,
in allen Ton- und Taktarten, überhaupt die Freude über den glücklich gegründeten, bezüglich wieder
aufgeputzten Herd deutlich kundgethan. Mitte oder Ende Aprils legt die Störchin das erſte Ei, und
wenn ſie zu den älteren gehört, im Verlauf von wenigen Tagen die drei oder vier anderen hinterher.
Jhre Geſtalt iſt eine rein eiförmige, die Schale fein, glatt, die Farbe weiß, zuweilen etwas ins
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/722>, abgerufen am 22.11.2024.
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