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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Storch.
Grünliche oder Gelbliche spielend. Nur die Störchin brütet, aber höchst eifrig, achtundzwanzig und
einunddreißig Tage lang, wird währenddem vom Storche gefüttert, bewacht und geschützt und geht
deshalb selten vom Neste. Sind die Jungen ausgeschlüpft, so verdoppelt sich die Sorge der Eltern
um die Brut, und niemals entfernen sich beide zu gleicher Zeit von den Jungen. Anfänglich erhalten
diese hauptsächlich Gewürm der verschiedensten Art und Kerbthiere, Regenwürmer, Egel, Larven, Käfer,
Heuschrecken und dergleichen, später kräftigere Kost. Sie werden von den Eltern im eigentlichen Sinne
des Wortes geäzt, auch getränkt, da diese ihnen das nöthige Wasser ebenfalls im Kehlsacke zuschleppen;
später jedoch begnügen sich die Alten damit, den Jungen die Nahrung vorzuwürgen. Das Familien-
leben gewährt jederzeit ein unterhaltendes, nicht immer aber auch ein angenehmes Schauspiel.
Anfangs geht die Sache; später aber verursacht die Storchfamilie Unannehmlichkeiten mancherlei Art.
Nicht blos das Dach wird abscheulich beschmuzt, sondern auch eine Masse von Nahrungsstoffen herab-
geschleudert, sodaß sie unten verfault und Gestank verbreitet. Gar nicht selten geschieht es auch zum
Entsetzen der Hausfrau, daß der alte Storch mit einigen frisch gefangenen, noch halb lebenden Blind-
schleichen, Nattern und anderem Ekel oder Furcht einflößenden Ungeziefer ankommt und seine Jungen
damit äzen will, einige von den Schlangen aber verliert und diese nun über das Dach in den Hof
herabrollen läßt. Doch ist das Vergnügen an der Familie größer als aller Aerger, den sie verursacht.
Die Jungen sitzen in den ersten Tagen ihres Lebens auf den Fersen, stellen sich später im Neste auf,
werden auch von erfahrenen Eltern gegen das Herabfallen, durch Anbringung neuer Stäbe und
Reiser noch besonders geschützt, lernen bald die Gegend kennen und beweisen, daß ihr Auge von
Anfang an vortrefflich ist; denn sie erspähen den mit Futter beladenen Alten, welcher herbeikommt,
schon aus großer Ferne und begrüßen ihn zuerst durch Geberden, später durch Schnabelgeklapper, so
ungeschickt dasselbe anfänglich auch sein mag. Jhr Wachsthum währt mindestens zwei volle Monate.
Gegen das Ende dieser Zeit hin beginnen sie ihre Schwingen zu proben, stellen sich auf den Nestrand,
schlagen mit den Flügeln und unternehmen endlich das Wagstück, vom Neste aus bis auf den First
des Daches zu fliegen. Den Alten gewährt solche Unternehmungslust der Kinder die größte Freude;
sie beginnen nun flugs die nothwendige Lehre, machen ihnen alle Bewegungen des Fluges vor und
locken sie endlich auch vom Neste weg; die Jungen sehen, daß die Kunst ihrer Eltern auch ihnen glückt,
lernen schon nach den ersten Ausflügen auf ihre Fittige vertrauen und unternehmen nun tagtäglich
mit den Alten einen Spazierflug über das Dorf hinaus, kehren aber anfänglich noch jeden Abend zum
Neste zurück, um hier die Nacht zu verbringen. Doch verliert sich diese Anhänglichkeit an die Wiege
immer mehr; denn die Zeit naht nunmehr heran, in welcher Alt und Jung zur Wanderung
aufbricht.

Zu diesem Ende versammeln sich alle Storchfamilien einer Gegend auf bestimmten Plätzen,
gewöhnlich weichen, sumpfigen Wiesen; die Anzahl der Zusammenkommenden mehrt sich von Tag zu
Tage; die Versammlungen währen immer länger. Um Jakobi, also Ende Julis, wird Musterung
gehalten; dabei soll es vorgekommen sein, daß die zur Reise Unfähigen von den anderen getödtet
wurden. Nach diesem sogenannten Storchgericht bricht endlich das ganze Heer zur Reise auf, hebt
sich, nachdem es vorher noch lebhaft geklappert, in die Höhe, kreist noch einige Zeit lang über der
geliebten Heimat und zieht nun in südwestlicher Richtung rasch seines Weges dahin, wahrscheinlich
unterwegs noch andere aufnehmend, und sich so mehr und mehr verstärkend. Naumann spricht von
Storchflügen, deren Anzahl sich auf zwei- bis fünftausend belaufen mochte, und ich kann ihm nur
beistimmen, da diejenigen Scharen, welche ich noch im Jnneren Afrikas während ihres Zuges sah,
zuweilen so zahlreich waren, daß sie große Flächen längs des Stromufers oder in der Steppe buch-
stäblich bedeckten, und wenn sie aufflogen, den Gesichtskreis erfüllten.

Der Storch gewöhnt sich leicht an die Gefangenschaft und an einen bestimmten Pfleger,
namentlich wenn er jung aus dem Neste genommen wurde. Wenn man sich viel mit ihm beschäftigt,
lernt man ihn noch von ganz anderer Seite kennen, als durch bloße Beobachtung. "Es ist eine irrige
Meinung", sagt Schinz, "an zahmen Thieren könne man die Naturtriebe nicht beobachten; sie ent-

Storch.
Grünliche oder Gelbliche ſpielend. Nur die Störchin brütet, aber höchſt eifrig, achtundzwanzig und
einunddreißig Tage lang, wird währenddem vom Storche gefüttert, bewacht und geſchützt und geht
deshalb ſelten vom Neſte. Sind die Jungen ausgeſchlüpft, ſo verdoppelt ſich die Sorge der Eltern
um die Brut, und niemals entfernen ſich beide zu gleicher Zeit von den Jungen. Anfänglich erhalten
dieſe hauptſächlich Gewürm der verſchiedenſten Art und Kerbthiere, Regenwürmer, Egel, Larven, Käfer,
Heuſchrecken und dergleichen, ſpäter kräftigere Koſt. Sie werden von den Eltern im eigentlichen Sinne
des Wortes geäzt, auch getränkt, da dieſe ihnen das nöthige Waſſer ebenfalls im Kehlſacke zuſchleppen;
ſpäter jedoch begnügen ſich die Alten damit, den Jungen die Nahrung vorzuwürgen. Das Familien-
leben gewährt jederzeit ein unterhaltendes, nicht immer aber auch ein angenehmes Schauſpiel.
Anfangs geht die Sache; ſpäter aber verurſacht die Storchfamilie Unannehmlichkeiten mancherlei Art.
Nicht blos das Dach wird abſcheulich beſchmuzt, ſondern auch eine Maſſe von Nahrungsſtoffen herab-
geſchleudert, ſodaß ſie unten verfault und Geſtank verbreitet. Gar nicht ſelten geſchieht es auch zum
Entſetzen der Hausfrau, daß der alte Storch mit einigen friſch gefangenen, noch halb lebenden Blind-
ſchleichen, Nattern und anderem Ekel oder Furcht einflößenden Ungeziefer ankommt und ſeine Jungen
damit äzen will, einige von den Schlangen aber verliert und dieſe nun über das Dach in den Hof
herabrollen läßt. Doch iſt das Vergnügen an der Familie größer als aller Aerger, den ſie verurſacht.
Die Jungen ſitzen in den erſten Tagen ihres Lebens auf den Ferſen, ſtellen ſich ſpäter im Neſte auf,
werden auch von erfahrenen Eltern gegen das Herabfallen, durch Anbringung neuer Stäbe und
Reiſer noch beſonders geſchützt, lernen bald die Gegend kennen und beweiſen, daß ihr Auge von
Anfang an vortrefflich iſt; denn ſie erſpähen den mit Futter beladenen Alten, welcher herbeikommt,
ſchon aus großer Ferne und begrüßen ihn zuerſt durch Geberden, ſpäter durch Schnabelgeklapper, ſo
ungeſchickt daſſelbe anfänglich auch ſein mag. Jhr Wachsthum währt mindeſtens zwei volle Monate.
Gegen das Ende dieſer Zeit hin beginnen ſie ihre Schwingen zu proben, ſtellen ſich auf den Neſtrand,
ſchlagen mit den Flügeln und unternehmen endlich das Wagſtück, vom Neſte aus bis auf den Firſt
des Daches zu fliegen. Den Alten gewährt ſolche Unternehmungsluſt der Kinder die größte Freude;
ſie beginnen nun flugs die nothwendige Lehre, machen ihnen alle Bewegungen des Fluges vor und
locken ſie endlich auch vom Neſte weg; die Jungen ſehen, daß die Kunſt ihrer Eltern auch ihnen glückt,
lernen ſchon nach den erſten Ausflügen auf ihre Fittige vertrauen und unternehmen nun tagtäglich
mit den Alten einen Spazierflug über das Dorf hinaus, kehren aber anfänglich noch jeden Abend zum
Neſte zurück, um hier die Nacht zu verbringen. Doch verliert ſich dieſe Anhänglichkeit an die Wiege
immer mehr; denn die Zeit naht nunmehr heran, in welcher Alt und Jung zur Wanderung
aufbricht.

Zu dieſem Ende verſammeln ſich alle Storchfamilien einer Gegend auf beſtimmten Plätzen,
gewöhnlich weichen, ſumpfigen Wieſen; die Anzahl der Zuſammenkommenden mehrt ſich von Tag zu
Tage; die Verſammlungen währen immer länger. Um Jakobi, alſo Ende Julis, wird Muſterung
gehalten; dabei ſoll es vorgekommen ſein, daß die zur Reiſe Unfähigen von den anderen getödtet
wurden. Nach dieſem ſogenannten Storchgericht bricht endlich das ganze Heer zur Reiſe auf, hebt
ſich, nachdem es vorher noch lebhaft geklappert, in die Höhe, kreiſt noch einige Zeit lang über der
geliebten Heimat und zieht nun in ſüdweſtlicher Richtung raſch ſeines Weges dahin, wahrſcheinlich
unterwegs noch andere aufnehmend, und ſich ſo mehr und mehr verſtärkend. Naumann ſpricht von
Storchflügen, deren Anzahl ſich auf zwei- bis fünftauſend belaufen mochte, und ich kann ihm nur
beiſtimmen, da diejenigen Scharen, welche ich noch im Jnneren Afrikas während ihres Zuges ſah,
zuweilen ſo zahlreich waren, daß ſie große Flächen längs des Stromufers oder in der Steppe buch-
ſtäblich bedeckten, und wenn ſie aufflogen, den Geſichtskreis erfüllten.

Der Storch gewöhnt ſich leicht an die Gefangenſchaft und an einen beſtimmten Pfleger,
namentlich wenn er jung aus dem Neſte genommen wurde. Wenn man ſich viel mit ihm beſchäftigt,
lernt man ihn noch von ganz anderer Seite kennen, als durch bloße Beobachtung. „Es iſt eine irrige
Meinung“, ſagt Schinz, „an zahmen Thieren könne man die Naturtriebe nicht beobachten; ſie ent-

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[681/0723] Storch. Grünliche oder Gelbliche ſpielend. Nur die Störchin brütet, aber höchſt eifrig, achtundzwanzig und einunddreißig Tage lang, wird währenddem vom Storche gefüttert, bewacht und geſchützt und geht deshalb ſelten vom Neſte. Sind die Jungen ausgeſchlüpft, ſo verdoppelt ſich die Sorge der Eltern um die Brut, und niemals entfernen ſich beide zu gleicher Zeit von den Jungen. Anfänglich erhalten dieſe hauptſächlich Gewürm der verſchiedenſten Art und Kerbthiere, Regenwürmer, Egel, Larven, Käfer, Heuſchrecken und dergleichen, ſpäter kräftigere Koſt. Sie werden von den Eltern im eigentlichen Sinne des Wortes geäzt, auch getränkt, da dieſe ihnen das nöthige Waſſer ebenfalls im Kehlſacke zuſchleppen; ſpäter jedoch begnügen ſich die Alten damit, den Jungen die Nahrung vorzuwürgen. Das Familien- leben gewährt jederzeit ein unterhaltendes, nicht immer aber auch ein angenehmes Schauſpiel. Anfangs geht die Sache; ſpäter aber verurſacht die Storchfamilie Unannehmlichkeiten mancherlei Art. Nicht blos das Dach wird abſcheulich beſchmuzt, ſondern auch eine Maſſe von Nahrungsſtoffen herab- geſchleudert, ſodaß ſie unten verfault und Geſtank verbreitet. Gar nicht ſelten geſchieht es auch zum Entſetzen der Hausfrau, daß der alte Storch mit einigen friſch gefangenen, noch halb lebenden Blind- ſchleichen, Nattern und anderem Ekel oder Furcht einflößenden Ungeziefer ankommt und ſeine Jungen damit äzen will, einige von den Schlangen aber verliert und dieſe nun über das Dach in den Hof herabrollen läßt. Doch iſt das Vergnügen an der Familie größer als aller Aerger, den ſie verurſacht. Die Jungen ſitzen in den erſten Tagen ihres Lebens auf den Ferſen, ſtellen ſich ſpäter im Neſte auf, werden auch von erfahrenen Eltern gegen das Herabfallen, durch Anbringung neuer Stäbe und Reiſer noch beſonders geſchützt, lernen bald die Gegend kennen und beweiſen, daß ihr Auge von Anfang an vortrefflich iſt; denn ſie erſpähen den mit Futter beladenen Alten, welcher herbeikommt, ſchon aus großer Ferne und begrüßen ihn zuerſt durch Geberden, ſpäter durch Schnabelgeklapper, ſo ungeſchickt daſſelbe anfänglich auch ſein mag. Jhr Wachsthum währt mindeſtens zwei volle Monate. Gegen das Ende dieſer Zeit hin beginnen ſie ihre Schwingen zu proben, ſtellen ſich auf den Neſtrand, ſchlagen mit den Flügeln und unternehmen endlich das Wagſtück, vom Neſte aus bis auf den Firſt des Daches zu fliegen. Den Alten gewährt ſolche Unternehmungsluſt der Kinder die größte Freude; ſie beginnen nun flugs die nothwendige Lehre, machen ihnen alle Bewegungen des Fluges vor und locken ſie endlich auch vom Neſte weg; die Jungen ſehen, daß die Kunſt ihrer Eltern auch ihnen glückt, lernen ſchon nach den erſten Ausflügen auf ihre Fittige vertrauen und unternehmen nun tagtäglich mit den Alten einen Spazierflug über das Dorf hinaus, kehren aber anfänglich noch jeden Abend zum Neſte zurück, um hier die Nacht zu verbringen. Doch verliert ſich dieſe Anhänglichkeit an die Wiege immer mehr; denn die Zeit naht nunmehr heran, in welcher Alt und Jung zur Wanderung aufbricht. Zu dieſem Ende verſammeln ſich alle Storchfamilien einer Gegend auf beſtimmten Plätzen, gewöhnlich weichen, ſumpfigen Wieſen; die Anzahl der Zuſammenkommenden mehrt ſich von Tag zu Tage; die Verſammlungen währen immer länger. Um Jakobi, alſo Ende Julis, wird Muſterung gehalten; dabei ſoll es vorgekommen ſein, daß die zur Reiſe Unfähigen von den anderen getödtet wurden. Nach dieſem ſogenannten Storchgericht bricht endlich das ganze Heer zur Reiſe auf, hebt ſich, nachdem es vorher noch lebhaft geklappert, in die Höhe, kreiſt noch einige Zeit lang über der geliebten Heimat und zieht nun in ſüdweſtlicher Richtung raſch ſeines Weges dahin, wahrſcheinlich unterwegs noch andere aufnehmend, und ſich ſo mehr und mehr verſtärkend. Naumann ſpricht von Storchflügen, deren Anzahl ſich auf zwei- bis fünftauſend belaufen mochte, und ich kann ihm nur beiſtimmen, da diejenigen Scharen, welche ich noch im Jnneren Afrikas während ihres Zuges ſah, zuweilen ſo zahlreich waren, daß ſie große Flächen längs des Stromufers oder in der Steppe buch- ſtäblich bedeckten, und wenn ſie aufflogen, den Geſichtskreis erfüllten. Der Storch gewöhnt ſich leicht an die Gefangenſchaft und an einen beſtimmten Pfleger, namentlich wenn er jung aus dem Neſte genommen wurde. Wenn man ſich viel mit ihm beſchäftigt, lernt man ihn noch von ganz anderer Seite kennen, als durch bloße Beobachtung. „Es iſt eine irrige Meinung“, ſagt Schinz, „an zahmen Thieren könne man die Naturtriebe nicht beobachten; ſie ent-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/723>, abgerufen am 22.11.2024.