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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Alpenmauerläufer.
sehr wählerisch sein dürfen. Mit seinem feinen Schnabel erfaßt er auch die kleinste Beute mit Sicher-
heit, wie mit einer feinen Kneifzange. Seine Zunge vermag er zum ersten Erfassen kleiner Kerb-
thiere nicht zu benutzen. Jhre Dienste bestehen darin, die mit der Schnabelspitze erfaßten und in ihr
liegenden Kerfe oder deren Larven und Puppen durch rasches Vorschnellen anzuspießen und beim Zurück-
ziehen im hintern Theil des Schnabels abzustreifen. Größere Thiere, Raupen z. B., ergreift er zuerst
natürlich, wie er sie eben mit seiner Schnabelspitze erwischt, dreht und schüttelt sie dann aber, bis sie
endlich quer über die Mitte in ihr liegen, schleudert sie links und rechts gegen die Steine und wirft sie
schließlich durch Vor- und Rückwärtsschlenkern des Kopfes der Länge nach in den Schlund, worauf er
nie vergißt, den Schnabel nach beiden Seiten sorgfältig am Gestein abzuwischen. Kerbthiere, welche
eine feste Bedeckung haben, Käfer z. B., vermag er schon deshalb nicht anzuspießen, weil sich in dem
dann nothwendigerweise ziemlich weit geöffneten Schnabel die dünne Zunge beim Anstemmen gegen
den Käferpanzer zu stark biegen würde, was dieselbe bei geschlossenem, sie überall umschließenden
Schnabel nicht kann. Obwohl der Vogel nicht im Stande ist, mit seinem Schnabel an Eis und
Stein etwas Erkleckliches auszurichten, beweist doch das heftige und schallende Pochen Gefangener
gegen das Gitter ihres Käfigs deutlich, daß er an den Felsen angefrorne Kerbthiere, Puppen u. s. w.
loszulösen und in die Erde sich flüchtende lebende Beute durch Nachstoßen mit dem Schnabel oder
Wegräumen anderer geringer Hindernisse nichts desto weniger zu erreichen weiß. Jm Winter wird er
sich an Eier, Puppen und erstarrte Kerbthiere halten müssen; dann ist er auch ohne Zweifel den
ganzen Tag mit dem mühevollen Zusammensuchen seines Lebensunterhalts beschäftigt, und übrigens
weckt bekanntlich die nur auf kurze Zeit fallende Sonne das Leben einer Menge erstarrter Kerbthiere."

"Schon lange war der Besitz eines lebenden Mauerläufers mein höchster Wunsch gewesen, und
dieser Wunsch wuchs, je mehr ich den Vogel auf meinen Streifereien in unsern schönen Alpen beob-
achtete. Gleich nach meiner Rückkehr von der Hochschule holte ich deshalb einen großen, hölzernen
Käfig von vier Fuß Höhe, drei Fuß Länge und zwei Fuß Tiefe vom Dachboden herab, um ihn für
einen gelegentlich zu erhaltenden Gefangenen dieser Art herzurichten. Noch waren seine inneren
Wände mit knorriger Fichtenrinde über und über bepanzert; denn er hatte vor Jahren der behenden
Spechtmeise zum Tummelplatze gedient. Diese Wände wurden nun durch Felsen ersetzt, den ich,
da ich meinen zukünftigen Gefangenen doch nicht dem Regen aussetzen wollte, in sehr einfacher Weise
herstellte. Jch nahm die Fichtenrindenstücke, zerkleinerte sie, nagelte sie wieder in verschiedenen
Richtungen über- und neben einander, ließ aber dazwischen glatte Wandstellen offen. Einzelne-
Rindenstücken wurden so aufgenagelt, daß sie etwas von der Wand ab- und gegen das Jnnere des
Käfigs vorstanden, um anstatt der Sitzstangen Ruheplätze abzugeben. So behandelte ich beide Seiten
der Hinterwand. Den oberen Käfigboden nahm ich heraus, bis auf ein kleines Plätzchen hinten und
vorn am Käfig. Das Fehlende ersetzte ich durch ein Drahtgeflecht, damit auch von oben Licht ein-
fallen möchte. Um die Beleuchtung zu vervollständigen, wurde nun auch noch auf einer Seitenwand
die Thür durch ein dickes Glas ersetzt. Um die Rinde in Felsen zu verwandeln, nahm ich starken
Leim, überstrich damit Rinde um Rinde und bewarf das Ganze dick mit kleinen Steinchen und Sand,
stellenweise auch mit kurz geschnittenem Mos. An glatten Stellen konnte ich vermittelst des Leims
sogar ziemlich große Tuffsteine befestigen, und so erhielt ich eine Wohnung, welche der Lebensweise des
Mauerläufers so vollkommen als möglich entspricht. Hier glatte Flechten, dort tiefe Felsschrunden,
Schlupfwinkel und Schlupflöcher, ohne die ich überhaupt einen Vogel im Käfig nicht glücklich denken
kann, eine Schrunde mit ausgehöhltem Boden, so eingerichtet, daß sie als Schlaswinkel benutzt werden
konnte: -- das Ganze mußte den Ausprüchen genügen. Der Käfig wanderte einstweilen nach seinem
früheren Standort zurück, da ich wohl einsah, daß ich mein Ziel beinahe nur durch ein Wunder
erreichen konnte. Niemand hier wußte Etwas von einem gefangenen Mauerläufer; keiner der mir
bekannten Jäger, Wildschützen und Liebhaber hatte den Vogel jemals im Käfig gesehen. Jch ver-
suchte durch Versprechung einer guten Belohnung alle Vogler für meinen Zweck zu gewinnen, hielt
mich selbst tagelang im Gebirge auf, legte Schlaggärnchen, Leimruthen und andere Fallen an die

Brchm, Thierleben. IV. 4

Alpenmauerläufer.
ſehr wähleriſch ſein dürfen. Mit ſeinem feinen Schnabel erfaßt er auch die kleinſte Beute mit Sicher-
heit, wie mit einer feinen Kneifzange. Seine Zunge vermag er zum erſten Erfaſſen kleiner Kerb-
thiere nicht zu benutzen. Jhre Dienſte beſtehen darin, die mit der Schnabelſpitze erfaßten und in ihr
liegenden Kerfe oder deren Larven und Puppen durch raſches Vorſchnellen anzuſpießen und beim Zurück-
ziehen im hintern Theil des Schnabels abzuſtreifen. Größere Thiere, Raupen z. B., ergreift er zuerſt
natürlich, wie er ſie eben mit ſeiner Schnabelſpitze erwiſcht, dreht und ſchüttelt ſie dann aber, bis ſie
endlich quer über die Mitte in ihr liegen, ſchleudert ſie links und rechts gegen die Steine und wirft ſie
ſchließlich durch Vor- und Rückwärtsſchlenkern des Kopfes der Länge nach in den Schlund, worauf er
nie vergißt, den Schnabel nach beiden Seiten ſorgfältig am Geſtein abzuwiſchen. Kerbthiere, welche
eine feſte Bedeckung haben, Käfer z. B., vermag er ſchon deshalb nicht anzuſpießen, weil ſich in dem
dann nothwendigerweiſe ziemlich weit geöffneten Schnabel die dünne Zunge beim Anſtemmen gegen
den Käferpanzer zu ſtark biegen würde, was dieſelbe bei geſchloſſenem, ſie überall umſchließenden
Schnabel nicht kann. Obwohl der Vogel nicht im Stande iſt, mit ſeinem Schnabel an Eis und
Stein etwas Erkleckliches auszurichten, beweiſt doch das heftige und ſchallende Pochen Gefangener
gegen das Gitter ihres Käfigs deutlich, daß er an den Felſen angefrorne Kerbthiere, Puppen u. ſ. w.
loszulöſen und in die Erde ſich flüchtende lebende Beute durch Nachſtoßen mit dem Schnabel oder
Wegräumen anderer geringer Hinderniſſe nichts deſto weniger zu erreichen weiß. Jm Winter wird er
ſich an Eier, Puppen und erſtarrte Kerbthiere halten müſſen; dann iſt er auch ohne Zweifel den
ganzen Tag mit dem mühevollen Zuſammenſuchen ſeines Lebensunterhalts beſchäftigt, und übrigens
weckt bekanntlich die nur auf kurze Zeit fallende Sonne das Leben einer Menge erſtarrter Kerbthiere.“

„Schon lange war der Beſitz eines lebenden Mauerläufers mein höchſter Wunſch geweſen, und
dieſer Wunſch wuchs, je mehr ich den Vogel auf meinen Streifereien in unſern ſchönen Alpen beob-
achtete. Gleich nach meiner Rückkehr von der Hochſchule holte ich deshalb einen großen, hölzernen
Käfig von vier Fuß Höhe, drei Fuß Länge und zwei Fuß Tiefe vom Dachboden herab, um ihn für
einen gelegentlich zu erhaltenden Gefangenen dieſer Art herzurichten. Noch waren ſeine inneren
Wände mit knorriger Fichtenrinde über und über bepanzert; denn er hatte vor Jahren der behenden
Spechtmeiſe zum Tummelplatze gedient. Dieſe Wände wurden nun durch Felſen erſetzt, den ich,
da ich meinen zukünftigen Gefangenen doch nicht dem Regen ausſetzen wollte, in ſehr einfacher Weiſe
herſtellte. Jch nahm die Fichtenrindenſtücke, zerkleinerte ſie, nagelte ſie wieder in verſchiedenen
Richtungen über- und neben einander, ließ aber dazwiſchen glatte Wandſtellen offen. Einzelne-
Rindenſtücken wurden ſo aufgenagelt, daß ſie etwas von der Wand ab- und gegen das Jnnere des
Käfigs vorſtanden, um anſtatt der Sitzſtangen Ruheplätze abzugeben. So behandelte ich beide Seiten
der Hinterwand. Den oberen Käfigboden nahm ich heraus, bis auf ein kleines Plätzchen hinten und
vorn am Käfig. Das Fehlende erſetzte ich durch ein Drahtgeflecht, damit auch von oben Licht ein-
fallen möchte. Um die Beleuchtung zu vervollſtändigen, wurde nun auch noch auf einer Seitenwand
die Thür durch ein dickes Glas erſetzt. Um die Rinde in Felſen zu verwandeln, nahm ich ſtarken
Leim, überſtrich damit Rinde um Rinde und bewarf das Ganze dick mit kleinen Steinchen und Sand,
ſtellenweiſe auch mit kurz geſchnittenem Mos. An glatten Stellen konnte ich vermittelſt des Leims
ſogar ziemlich große Tuffſteine befeſtigen, und ſo erhielt ich eine Wohnung, welche der Lebensweiſe des
Mauerläufers ſo vollkommen als möglich entſpricht. Hier glatte Flechten, dort tiefe Felsſchrunden,
Schlupfwinkel und Schlupflöcher, ohne die ich überhaupt einen Vogel im Käfig nicht glücklich denken
kann, eine Schrunde mit ausgehöhltem Boden, ſo eingerichtet, daß ſie als Schlaſwinkel benutzt werden
konnte: — das Ganze mußte den Auſprüchen genügen. Der Käfig wanderte einſtweilen nach ſeinem
früheren Standort zurück, da ich wohl einſah, daß ich mein Ziel beinahe nur durch ein Wunder
erreichen konnte. Niemand hier wußte Etwas von einem gefangenen Mauerläufer; keiner der mir
bekannten Jäger, Wildſchützen und Liebhaber hatte den Vogel jemals im Käfig geſehen. Jch ver-
ſuchte durch Verſprechung einer guten Belohnung alle Vogler für meinen Zweck zu gewinnen, hielt
mich ſelbſt tagelang im Gebirge auf, legte Schlaggärnchen, Leimruthen und andere Fallen an die

Brchm, Thierleben. IV. 4
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[49/0061] Alpenmauerläufer. ſehr wähleriſch ſein dürfen. Mit ſeinem feinen Schnabel erfaßt er auch die kleinſte Beute mit Sicher- heit, wie mit einer feinen Kneifzange. Seine Zunge vermag er zum erſten Erfaſſen kleiner Kerb- thiere nicht zu benutzen. Jhre Dienſte beſtehen darin, die mit der Schnabelſpitze erfaßten und in ihr liegenden Kerfe oder deren Larven und Puppen durch raſches Vorſchnellen anzuſpießen und beim Zurück- ziehen im hintern Theil des Schnabels abzuſtreifen. Größere Thiere, Raupen z. B., ergreift er zuerſt natürlich, wie er ſie eben mit ſeiner Schnabelſpitze erwiſcht, dreht und ſchüttelt ſie dann aber, bis ſie endlich quer über die Mitte in ihr liegen, ſchleudert ſie links und rechts gegen die Steine und wirft ſie ſchließlich durch Vor- und Rückwärtsſchlenkern des Kopfes der Länge nach in den Schlund, worauf er nie vergißt, den Schnabel nach beiden Seiten ſorgfältig am Geſtein abzuwiſchen. Kerbthiere, welche eine feſte Bedeckung haben, Käfer z. B., vermag er ſchon deshalb nicht anzuſpießen, weil ſich in dem dann nothwendigerweiſe ziemlich weit geöffneten Schnabel die dünne Zunge beim Anſtemmen gegen den Käferpanzer zu ſtark biegen würde, was dieſelbe bei geſchloſſenem, ſie überall umſchließenden Schnabel nicht kann. Obwohl der Vogel nicht im Stande iſt, mit ſeinem Schnabel an Eis und Stein etwas Erkleckliches auszurichten, beweiſt doch das heftige und ſchallende Pochen Gefangener gegen das Gitter ihres Käfigs deutlich, daß er an den Felſen angefrorne Kerbthiere, Puppen u. ſ. w. loszulöſen und in die Erde ſich flüchtende lebende Beute durch Nachſtoßen mit dem Schnabel oder Wegräumen anderer geringer Hinderniſſe nichts deſto weniger zu erreichen weiß. Jm Winter wird er ſich an Eier, Puppen und erſtarrte Kerbthiere halten müſſen; dann iſt er auch ohne Zweifel den ganzen Tag mit dem mühevollen Zuſammenſuchen ſeines Lebensunterhalts beſchäftigt, und übrigens weckt bekanntlich die nur auf kurze Zeit fallende Sonne das Leben einer Menge erſtarrter Kerbthiere.“ „Schon lange war der Beſitz eines lebenden Mauerläufers mein höchſter Wunſch geweſen, und dieſer Wunſch wuchs, je mehr ich den Vogel auf meinen Streifereien in unſern ſchönen Alpen beob- achtete. Gleich nach meiner Rückkehr von der Hochſchule holte ich deshalb einen großen, hölzernen Käfig von vier Fuß Höhe, drei Fuß Länge und zwei Fuß Tiefe vom Dachboden herab, um ihn für einen gelegentlich zu erhaltenden Gefangenen dieſer Art herzurichten. Noch waren ſeine inneren Wände mit knorriger Fichtenrinde über und über bepanzert; denn er hatte vor Jahren der behenden Spechtmeiſe zum Tummelplatze gedient. Dieſe Wände wurden nun durch Felſen erſetzt, den ich, da ich meinen zukünftigen Gefangenen doch nicht dem Regen ausſetzen wollte, in ſehr einfacher Weiſe herſtellte. Jch nahm die Fichtenrindenſtücke, zerkleinerte ſie, nagelte ſie wieder in verſchiedenen Richtungen über- und neben einander, ließ aber dazwiſchen glatte Wandſtellen offen. Einzelne- Rindenſtücken wurden ſo aufgenagelt, daß ſie etwas von der Wand ab- und gegen das Jnnere des Käfigs vorſtanden, um anſtatt der Sitzſtangen Ruheplätze abzugeben. So behandelte ich beide Seiten der Hinterwand. Den oberen Käfigboden nahm ich heraus, bis auf ein kleines Plätzchen hinten und vorn am Käfig. Das Fehlende erſetzte ich durch ein Drahtgeflecht, damit auch von oben Licht ein- fallen möchte. Um die Beleuchtung zu vervollſtändigen, wurde nun auch noch auf einer Seitenwand die Thür durch ein dickes Glas erſetzt. Um die Rinde in Felſen zu verwandeln, nahm ich ſtarken Leim, überſtrich damit Rinde um Rinde und bewarf das Ganze dick mit kleinen Steinchen und Sand, ſtellenweiſe auch mit kurz geſchnittenem Mos. An glatten Stellen konnte ich vermittelſt des Leims ſogar ziemlich große Tuffſteine befeſtigen, und ſo erhielt ich eine Wohnung, welche der Lebensweiſe des Mauerläufers ſo vollkommen als möglich entſpricht. Hier glatte Flechten, dort tiefe Felsſchrunden, Schlupfwinkel und Schlupflöcher, ohne die ich überhaupt einen Vogel im Käfig nicht glücklich denken kann, eine Schrunde mit ausgehöhltem Boden, ſo eingerichtet, daß ſie als Schlaſwinkel benutzt werden konnte: — das Ganze mußte den Auſprüchen genügen. Der Käfig wanderte einſtweilen nach ſeinem früheren Standort zurück, da ich wohl einſah, daß ich mein Ziel beinahe nur durch ein Wunder erreichen konnte. Niemand hier wußte Etwas von einem gefangenen Mauerläufer; keiner der mir bekannten Jäger, Wildſchützen und Liebhaber hatte den Vogel jemals im Käfig geſehen. Jch ver- ſuchte durch Verſprechung einer guten Belohnung alle Vogler für meinen Zweck zu gewinnen, hielt mich ſelbſt tagelang im Gebirge auf, legte Schlaggärnchen, Leimruthen und andere Fallen an die Brchm, Thierleben. IV. 4

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/61>, abgerufen am 27.11.2024.