Beleuchtung, an ihnen herumzustöbern? Er würde seine Flügel beschmuzen und nässen und dann nicht im Stande sein, seinen Füßen die nöthige Nachhülfe zu leisten. Trotz seiner starken Nägel wäre es ihm nicht möglich, an den überrieselten Felswänden sich festzuklammern. Daß ihn seine Bewegung sehr ermüden muß, sieht man aus seiner Lage im Schlafkämmerchen. Er liegt im Grunde der Felsspalte, zu welcher er sich zurückzieht, auf dem Bauche, wie ein brütender Vogel, unzweifelhaft nur, um seine Flatter- und Kletterwerkzeuge gehörig ausruhen zu können."
"Außer der Fortpflanzungszeit sieht man den Mauerläufer selten paarweise. Er durchstreift meist einsam die öden Gebiete und läßt dabei seine kurze und unbedeutende, aber angenehm klingende Strophe fleißig hören. Gegen andere seiner Art, welche dieselbe Gegend durchstreifen, benimmt er sich entweder gleichgiltig oder sucht sie durch Herumjagen zu vertreiben. Mit fremdartigen Vögeln kommt er ohnehin nicht in nähere Berührung, und wenn es geschieht, flüchtet er vor ihnen."
Ueber die Fortpflanzung berichtet Girtanner nicht aus eigener Erfahrung, sondern wiederholt nur die Angaben, welche wir König Warthausen zu verdanken haben. "Die Fortpflanzungs- geschichte des Mauerläufers", sagt der Letztgenannte, "hat den Naturforschern schon viel zu schaffen gemacht. Die älteste Nachricht hierüber verdanken wir Kramer, welcher ihn sowohl in unzugäng- lichen Felslöchern und altem Gemäuer, wie in hohlen Bäumen, ja sogar in Todtenschädeln der Bein- häuser nisten läßt. Was hieran Wahres und Fabelhaftes ist, hat sich in der Folge in die späteren Werke verbreitet. Thienemann beschreibt drei Nester: bei einem von ihnen ist kein Zweifel über die Echtheit. Mir gelang es nach mehrjähriger Bemühung, zwei sichere, schöne und vollkommene Nester aufzutreiben, beide vom St. Gotthard. Das eine, welches zwei Eier enthielt, wurde am 1. Juni, das andere, in welchem drei Eier lagen, am 18. Juni gefunden. Beide sind aus denselben Stoffen erbaut. Sie stellen Wiederholungen vom Neste des Baumläufers dar, freilich im Großen, sind im Verhältniß ziemlich groß und bilden, oberflächlich betrachtet, ein verfilztes Gemisch von thierischen und pflanzlichen Stoffen. Zu unterst findet sich ein feiner Bau von feinen Würzelchen, und erst in diesem ist das eigentliche Nest eingebaut. Es hat ganz den Anschein, als sei ein altes Nest, wie das etwa des Hausrothschwanzes, als Unterlage gebraucht worden. Sein oberer Theil besteht aus feinem Mos und weißen Thierhaaren, welche gut in einander verarbeitet sind. Der Uebergang vom Napf in den Rand ist sanft abgerundet, der Baustoff nach innen zu am zartesten, und ihm sind hier eine Schneehuhnfeder, einige Flocken vom Haar der Schneemaus und einige Federn aus der Brust des Vogels selbst beigegeben. Beim zweiten Nest besteht die Grundlage lediglich aus Mos; die Ausfütterung gleicht der eines Bachstelzennestes, läßt sich von der Umkleidung leicht lösen und wird aus braunen und weißen Thierhaaren, welche im Grunde des Nestes besonders zart, fast flaumig sind, gebildet. Die Eier sind kleiner als beim Wendehals und größer als beim Rothschwanz. Jhre Form ist schön ei- oder birnenförmig, die Schale matt- oder schwachglänzend und auf schön milch- weißem Grunde roth befleckt. Die Flecken sind dunkelbraunroth, sehr klein, punktartig, scharf begrenzt, stehen am dicken Ende am zahlreichsten und fehlen gegen die Spitze hin fast ganz." Ob das Männchen sein Weibchen beim Brüten ablöst, oder ob dieses allein brütet, ist zur Zeit noch nicht festgestellt; wahrscheinlich ist das letztere. Wodzicki entdeckte im Tatragebirge zwei Nester des Mauerläufers, konnte aber nicht zu denselben gelangen, da sie sich zweihundert Fuß über dem Boden in einer steilen Felswand befanden. Jn dem einen schienen schon Junge zu sein; denn die Eltern trugen emsig Aezung herbei; in dem andern schien das Weibchen noch zu brüten, da das Männchen beständig mit Nahrung heranflog, welche ihm das Weibchen, seinen Kopf vorstreckend, aus dem Schnabel nahm. Die Beobachtung dieser anmuthigen Geschöpfe gewährte Wodzicki so viel Ver- gnügen, daß er ihnen stundenlang zusah. Er hätte auch viel darum gegeben, zu einem der Nester zu gelangen; Dies aber war von unten her ganz unmöglich, und von oben herab wollte sich keiner der Begleiter des Grafen herniederlassen, der lockendsten Versprechungen ungeachtet.
"Die Nahrung des Mauerläufers", fährt Girtanner fort, "besteht aus Spinnen und Kerb- thieren, welche jene Höhen auch nicht mehr in zahlreichen Arten bewohnen, und er wird deshalb nicht
Die Späher. Klettervögel. Mauerkletten.
Beleuchtung, an ihnen herumzuſtöbern? Er würde ſeine Flügel beſchmuzen und näſſen und dann nicht im Stande ſein, ſeinen Füßen die nöthige Nachhülfe zu leiſten. Trotz ſeiner ſtarken Nägel wäre es ihm nicht möglich, an den überrieſelten Felswänden ſich feſtzuklammern. Daß ihn ſeine Bewegung ſehr ermüden muß, ſieht man aus ſeiner Lage im Schlafkämmerchen. Er liegt im Grunde der Felsſpalte, zu welcher er ſich zurückzieht, auf dem Bauche, wie ein brütender Vogel, unzweifelhaft nur, um ſeine Flatter- und Kletterwerkzeuge gehörig ausruhen zu können.“
„Außer der Fortpflanzungszeit ſieht man den Mauerläufer ſelten paarweiſe. Er durchſtreift meiſt einſam die öden Gebiete und läßt dabei ſeine kurze und unbedeutende, aber angenehm klingende Strophe fleißig hören. Gegen andere ſeiner Art, welche dieſelbe Gegend durchſtreifen, benimmt er ſich entweder gleichgiltig oder ſucht ſie durch Herumjagen zu vertreiben. Mit fremdartigen Vögeln kommt er ohnehin nicht in nähere Berührung, und wenn es geſchieht, flüchtet er vor ihnen.“
Ueber die Fortpflanzung berichtet Girtanner nicht aus eigener Erfahrung, ſondern wiederholt nur die Angaben, welche wir König Warthauſen zu verdanken haben. „Die Fortpflanzungs- geſchichte des Mauerläufers“, ſagt der Letztgenannte, „hat den Naturforſchern ſchon viel zu ſchaffen gemacht. Die älteſte Nachricht hierüber verdanken wir Kramer, welcher ihn ſowohl in unzugäng- lichen Felslöchern und altem Gemäuer, wie in hohlen Bäumen, ja ſogar in Todtenſchädeln der Bein- häuſer niſten läßt. Was hieran Wahres und Fabelhaftes iſt, hat ſich in der Folge in die ſpäteren Werke verbreitet. Thienemann beſchreibt drei Neſter: bei einem von ihnen iſt kein Zweifel über die Echtheit. Mir gelang es nach mehrjähriger Bemühung, zwei ſichere, ſchöne und vollkommene Neſter aufzutreiben, beide vom St. Gotthard. Das eine, welches zwei Eier enthielt, wurde am 1. Juni, das andere, in welchem drei Eier lagen, am 18. Juni gefunden. Beide ſind aus denſelben Stoffen erbaut. Sie ſtellen Wiederholungen vom Neſte des Baumläufers dar, freilich im Großen, ſind im Verhältniß ziemlich groß und bilden, oberflächlich betrachtet, ein verfilztes Gemiſch von thieriſchen und pflanzlichen Stoffen. Zu unterſt findet ſich ein feiner Bau von feinen Würzelchen, und erſt in dieſem iſt das eigentliche Neſt eingebaut. Es hat ganz den Anſchein, als ſei ein altes Neſt, wie das etwa des Hausrothſchwanzes, als Unterlage gebraucht worden. Sein oberer Theil beſteht aus feinem Mos und weißen Thierhaaren, welche gut in einander verarbeitet ſind. Der Uebergang vom Napf in den Rand iſt ſanft abgerundet, der Bauſtoff nach innen zu am zarteſten, und ihm ſind hier eine Schneehuhnfeder, einige Flocken vom Haar der Schneemaus und einige Federn aus der Bruſt des Vogels ſelbſt beigegeben. Beim zweiten Neſt beſteht die Grundlage lediglich aus Mos; die Ausfütterung gleicht der eines Bachſtelzenneſtes, läßt ſich von der Umkleidung leicht löſen und wird aus braunen und weißen Thierhaaren, welche im Grunde des Neſtes beſonders zart, faſt flaumig ſind, gebildet. Die Eier ſind kleiner als beim Wendehals und größer als beim Rothſchwanz. Jhre Form iſt ſchön ei- oder birnenförmig, die Schale matt- oder ſchwachglänzend und auf ſchön milch- weißem Grunde roth befleckt. Die Flecken ſind dunkelbraunroth, ſehr klein, punktartig, ſcharf begrenzt, ſtehen am dicken Ende am zahlreichſten und fehlen gegen die Spitze hin faſt ganz.“ Ob das Männchen ſein Weibchen beim Brüten ablöſt, oder ob dieſes allein brütet, iſt zur Zeit noch nicht feſtgeſtellt; wahrſcheinlich iſt das letztere. Wodzicki entdeckte im Tatragebirge zwei Neſter des Mauerläufers, konnte aber nicht zu denſelben gelangen, da ſie ſich zweihundert Fuß über dem Boden in einer ſteilen Felswand befanden. Jn dem einen ſchienen ſchon Junge zu ſein; denn die Eltern trugen emſig Aezung herbei; in dem andern ſchien das Weibchen noch zu brüten, da das Männchen beſtändig mit Nahrung heranflog, welche ihm das Weibchen, ſeinen Kopf vorſtreckend, aus dem Schnabel nahm. Die Beobachtung dieſer anmuthigen Geſchöpfe gewährte Wodzicki ſo viel Ver- gnügen, daß er ihnen ſtundenlang zuſah. Er hätte auch viel darum gegeben, zu einem der Neſter zu gelangen; Dies aber war von unten her ganz unmöglich, und von oben herab wollte ſich keiner der Begleiter des Grafen herniederlaſſen, der lockendſten Verſprechungen ungeachtet.
„Die Nahrung des Mauerläufers“, fährt Girtanner fort, „beſteht aus Spinnen und Kerb- thieren, welche jene Höhen auch nicht mehr in zahlreichen Arten bewohnen, und er wird deshalb nicht
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[48/0060]
Die Späher. Klettervögel. Mauerkletten.
Beleuchtung, an ihnen herumzuſtöbern? Er würde ſeine Flügel beſchmuzen und näſſen und dann
nicht im Stande ſein, ſeinen Füßen die nöthige Nachhülfe zu leiſten. Trotz ſeiner ſtarken Nägel
wäre es ihm nicht möglich, an den überrieſelten Felswänden ſich feſtzuklammern. Daß ihn ſeine
Bewegung ſehr ermüden muß, ſieht man aus ſeiner Lage im Schlafkämmerchen. Er liegt im Grunde
der Felsſpalte, zu welcher er ſich zurückzieht, auf dem Bauche, wie ein brütender Vogel, unzweifelhaft
nur, um ſeine Flatter- und Kletterwerkzeuge gehörig ausruhen zu können.“
„Außer der Fortpflanzungszeit ſieht man den Mauerläufer ſelten paarweiſe. Er durchſtreift
meiſt einſam die öden Gebiete und läßt dabei ſeine kurze und unbedeutende, aber angenehm klingende
Strophe fleißig hören. Gegen andere ſeiner Art, welche dieſelbe Gegend durchſtreifen, benimmt er
ſich entweder gleichgiltig oder ſucht ſie durch Herumjagen zu vertreiben. Mit fremdartigen Vögeln
kommt er ohnehin nicht in nähere Berührung, und wenn es geſchieht, flüchtet er vor ihnen.“
Ueber die Fortpflanzung berichtet Girtanner nicht aus eigener Erfahrung, ſondern wiederholt
nur die Angaben, welche wir König Warthauſen zu verdanken haben. „Die Fortpflanzungs-
geſchichte des Mauerläufers“, ſagt der Letztgenannte, „hat den Naturforſchern ſchon viel zu ſchaffen
gemacht. Die älteſte Nachricht hierüber verdanken wir Kramer, welcher ihn ſowohl in unzugäng-
lichen Felslöchern und altem Gemäuer, wie in hohlen Bäumen, ja ſogar in Todtenſchädeln der Bein-
häuſer niſten läßt. Was hieran Wahres und Fabelhaftes iſt, hat ſich in der Folge in die ſpäteren
Werke verbreitet. Thienemann beſchreibt drei Neſter: bei einem von ihnen iſt kein Zweifel über
die Echtheit. Mir gelang es nach mehrjähriger Bemühung, zwei ſichere, ſchöne und vollkommene
Neſter aufzutreiben, beide vom St. Gotthard. Das eine, welches zwei Eier enthielt, wurde am
1. Juni, das andere, in welchem drei Eier lagen, am 18. Juni gefunden. Beide ſind aus denſelben
Stoffen erbaut. Sie ſtellen Wiederholungen vom Neſte des Baumläufers dar, freilich im
Großen, ſind im Verhältniß ziemlich groß und bilden, oberflächlich betrachtet, ein verfilztes Gemiſch
von thieriſchen und pflanzlichen Stoffen. Zu unterſt findet ſich ein feiner Bau von feinen Würzelchen,
und erſt in dieſem iſt das eigentliche Neſt eingebaut. Es hat ganz den Anſchein, als ſei ein altes
Neſt, wie das etwa des Hausrothſchwanzes, als Unterlage gebraucht worden. Sein oberer Theil
beſteht aus feinem Mos und weißen Thierhaaren, welche gut in einander verarbeitet ſind. Der
Uebergang vom Napf in den Rand iſt ſanft abgerundet, der Bauſtoff nach innen zu am zarteſten, und
ihm ſind hier eine Schneehuhnfeder, einige Flocken vom Haar der Schneemaus und einige Federn aus
der Bruſt des Vogels ſelbſt beigegeben. Beim zweiten Neſt beſteht die Grundlage lediglich aus Mos;
die Ausfütterung gleicht der eines Bachſtelzenneſtes, läßt ſich von der Umkleidung leicht löſen und
wird aus braunen und weißen Thierhaaren, welche im Grunde des Neſtes beſonders zart, faſt flaumig
ſind, gebildet. Die Eier ſind kleiner als beim Wendehals und größer als beim Rothſchwanz. Jhre
Form iſt ſchön ei- oder birnenförmig, die Schale matt- oder ſchwachglänzend und auf ſchön milch-
weißem Grunde roth befleckt. Die Flecken ſind dunkelbraunroth, ſehr klein, punktartig, ſcharf
begrenzt, ſtehen am dicken Ende am zahlreichſten und fehlen gegen die Spitze hin faſt ganz.“ Ob
das Männchen ſein Weibchen beim Brüten ablöſt, oder ob dieſes allein brütet, iſt zur Zeit noch nicht
feſtgeſtellt; wahrſcheinlich iſt das letztere. Wodzicki entdeckte im Tatragebirge zwei Neſter des
Mauerläufers, konnte aber nicht zu denſelben gelangen, da ſie ſich zweihundert Fuß über dem Boden
in einer ſteilen Felswand befanden. Jn dem einen ſchienen ſchon Junge zu ſein; denn die Eltern
trugen emſig Aezung herbei; in dem andern ſchien das Weibchen noch zu brüten, da das Männchen
beſtändig mit Nahrung heranflog, welche ihm das Weibchen, ſeinen Kopf vorſtreckend, aus dem
Schnabel nahm. Die Beobachtung dieſer anmuthigen Geſchöpfe gewährte Wodzicki ſo viel Ver-
gnügen, daß er ihnen ſtundenlang zuſah. Er hätte auch viel darum gegeben, zu einem der Neſter zu
gelangen; Dies aber war von unten her ganz unmöglich, und von oben herab wollte ſich keiner der
Begleiter des Grafen herniederlaſſen, der lockendſten Verſprechungen ungeachtet.
„Die Nahrung des Mauerläufers“, fährt Girtanner fort, „beſteht aus Spinnen und Kerb-
thieren, welche jene Höhen auch nicht mehr in zahlreichen Arten bewohnen, und er wird deshalb nicht
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/60>, abgerufen am 27.11.2024.
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