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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Lebensweise der Schwirrvögel.
in langen Wellenlinien die Luft durchschneide, sich auf gewisse Strecken unter einem Winkel von
ungefähr vierzig Graden erhebe und dann in einer Bogenlinie wieder herab senke; aber er fügt Dem
hinzu, daß es unmöglich wäre, dem fliegenden Vogel auf mehr als funfzig oder sechszig Elleu zu
folgen, selbst wenn man das Auge mit einem guten Glase bewaffnet habe. Pöppig, welcher viel-
fache Gelegenheit hatte, Kolibris zu beobachten, behauptet, daß die sichelförmige Gestalt der Flügel
dem Kolibri zwar das schnellste Durchschneiden der Luft in gerader Linie, jedoch nicht das Aussteigen
oder eine andere, minder gewöhnliche Art des Fluges gestatte. "Daher fliegen Kolibris meist nur in
wagrechter Richtung etc." Diese Angabe steht mit den Mittheilungen aller Forscher, denen wir
Fähigkeit zum Beobachten zutrauen dürfen, so entschieden im Widerspruch, daß ein Gewicht auf sie
nicht gelegt werden kann. Gould sagt, daß der Schwirrvogel jede Art der Flügelbewegung mit der
größten Sicherheit ausführen könne, daß er häufig senkrecht in die Höhe steigt, rückwärts fliegt, sich im
Kreise dreht oder, so zu sagen, von Stelle zu Stelle oder von einem Theil des Baumes zu einem
andern hinwegtanzt, bald aufwärts, bald abwärts steigend, daß er sich über die höchsten Bäume
erhebt und dann wie ein Meteor plötzlich dahinschießt. "Oft weilt er summend und ruhig unter
kleinen Blumen am Boden; jetzt schwebt er einen Augenblick über einem winzigen Grase, im nächsten
sieht man ihn in einer Entfernung von mehr als vierzig Schritten -- er ist dahin geflogen mit der Schnel-
ligkeit des Gedankens. -- "Sie sind", bestätigt der Beobachter des nordamerikanischen Kolibri,
"außerordentlich heftig und ungestüm in ihren Bewegungen, wie Dies auch wohl bei den Hornissen der
Fall ist. Oft blieben sie ein paar Augenblicke auf einem Punkte schweben, als wären sie da mitten
in der Luft befestigt, dann aber plötzlich schossen sie mit Pfeilgeschwindigkeit seitwärts und schwenkten
sich im Halbkreise, wie ein Schlittschuhläufer, rasch um den Baum herum, um auf der andern Seite
eine andere Tulpe zu finden. Oft schnellte ein kleiner Vogel vom Gipfel des Baumes zum Himmel empor,
als würde er hinaufgeschleudert." Unwillkürlich kommt man immer wieder darauf zurück, den
Schwirrvogel als einen gefiederten Schmetterling auzusehen. Dies ist nicht bildlich, sondern buch-
stäblich zu verstehen. Gould hatte Mühe, einen Herrn zu überzeugen, daß er den Karpfen-
schwanz
(Macroglossa stellatarum) und nicht Kolibris in England habe fliegen sehen, und Bates
versichert, daß es ihm erst nach längerer Beobachtung möglich geworden, einen am Amazonenstrome
lebenden Rüsselschwärmer, den Titan (Macroglossa Titan), von gewissen Schwirrvögeln zu unter-
scheiden, und daß er mehr als einmal einen Schmetterling anstatt eines Kolibri vom Baume herab-
geschossen habe; denn die Art und Weise zu fliegen, sich vor Blüthen "aufzuhängen", ähnelt sich bei
beiden ebenso, wie ihre Gestalt. Jndianer und Neger, aber auch gebildete Weise halten den Titan
und den Kolibri für ein und dieselbe Thierart. Sie haben die Umwandlung einer Raupe in einen
Schmetterling wahrgenommen und folgern, daß eine nochmalige Berwandlung des Schmetterlings
in einen Vogel recht wohl möglich sein könne. Gewissenhafte Beobachter meinen, daß auch die Sinne
und geistigen Fähigkeiten der Schwärmer und Schwirrvögel auf ungefähr gleicher Höhe stehen dürften,
haben sich aber unzweifelhaft durch den harmlosen Ausdruck des Kolibri-Auges und die Zutraulichkeit
des Vogels zu falschen Schlüssen verleiten lassen. Die unerreichbare Gewandtheit und Schnelligkeit
der Bewegungen verleiht dem Schwirrvogel eine Sicherheit und Furchtlosigkeit, welche auf das Höchste
überrascht. "Hat man den Kolibri aufgefunden", sagt Burmeister, "so sieht man das klare Auge,
wie es unverwandt den Beobachter anblickt, die äußerste Seelenruhe verrathend, so lange der
Anwesende ruhig bleibt. Allein, sowie dieser sich bewegt, ist jener auch verschwunden."

Gewisse Reisende haben von dem prachtvollen Farbenspiel gesprochen, welches bei den
fliegenden Kolibris bemerkbar werden soll; ihre Angaben sind jedoch nur bedingungsweise richtig.
Von der ganzen Farbenpracht, welche diese lebendigen Edelsteine zeigen, bemerkt man, wenn sie
fliegen, Nichts; sie wird erst offenbar, wenn sie ruhen, sei es, indem sie sich schwirrend vor einer
Blüthe halten, ohne einen andern Theil des Leibes außer den Flügeln zu bewegen, oder sei es,
indem sie sich ausruhend auf einem Zweige niederlassen. Diese Art der Bewegung meint wohl
auch Schomburgk. "Das Auge", sagt er, "welches einen Augenblick vorher die Blüthe noch still

Lebensweiſe der Schwirrvögel.
in langen Wellenlinien die Luft durchſchneide, ſich auf gewiſſe Strecken unter einem Winkel von
ungefähr vierzig Graden erhebe und dann in einer Bogenlinie wieder herab ſenke; aber er fügt Dem
hinzu, daß es unmöglich wäre, dem fliegenden Vogel auf mehr als funfzig oder ſechszig Elleu zu
folgen, ſelbſt wenn man das Auge mit einem guten Glaſe bewaffnet habe. Pöppig, welcher viel-
fache Gelegenheit hatte, Kolibris zu beobachten, behauptet, daß die ſichelförmige Geſtalt der Flügel
dem Kolibri zwar das ſchnellſte Durchſchneiden der Luft in gerader Linie, jedoch nicht das Auſſteigen
oder eine andere, minder gewöhnliche Art des Fluges geſtatte. „Daher fliegen Kolibris meiſt nur in
wagrechter Richtung ꝛc.“ Dieſe Angabe ſteht mit den Mittheilungen aller Forſcher, denen wir
Fähigkeit zum Beobachten zutrauen dürfen, ſo entſchieden im Widerſpruch, daß ein Gewicht auf ſie
nicht gelegt werden kann. Gould ſagt, daß der Schwirrvogel jede Art der Flügelbewegung mit der
größten Sicherheit ausführen könne, daß er häufig ſenkrecht in die Höhe ſteigt, rückwärts fliegt, ſich im
Kreiſe dreht oder, ſo zu ſagen, von Stelle zu Stelle oder von einem Theil des Baumes zu einem
andern hinwegtanzt, bald aufwärts, bald abwärts ſteigend, daß er ſich über die höchſten Bäume
erhebt und dann wie ein Meteor plötzlich dahinſchießt. „Oft weilt er ſummend und ruhig unter
kleinen Blumen am Boden; jetzt ſchwebt er einen Augenblick über einem winzigen Graſe, im nächſten
ſieht man ihn in einer Entfernung von mehr als vierzig Schritten — er iſt dahin geflogen mit der Schnel-
ligkeit des Gedankens. — „Sie ſind“, beſtätigt der Beobachter des nordamerikaniſchen Kolibri,
„außerordentlich heftig und ungeſtüm in ihren Bewegungen, wie Dies auch wohl bei den Horniſſen der
Fall iſt. Oft blieben ſie ein paar Augenblicke auf einem Punkte ſchweben, als wären ſie da mitten
in der Luft befeſtigt, dann aber plötzlich ſchoſſen ſie mit Pfeilgeſchwindigkeit ſeitwärts und ſchwenkten
ſich im Halbkreiſe, wie ein Schlittſchuhläufer, raſch um den Baum herum, um auf der andern Seite
eine andere Tulpe zu finden. Oft ſchnellte ein kleiner Vogel vom Gipfel des Baumes zum Himmel empor,
als würde er hinaufgeſchleudert.“ Unwillkürlich kommt man immer wieder darauf zurück, den
Schwirrvogel als einen gefiederten Schmetterling auzuſehen. Dies iſt nicht bildlich, ſondern buch-
ſtäblich zu verſtehen. Gould hatte Mühe, einen Herrn zu überzeugen, daß er den Karpfen-
ſchwanz
(Macroglossa stellatarum) und nicht Kolibris in England habe fliegen ſehen, und Bates
verſichert, daß es ihm erſt nach längerer Beobachtung möglich geworden, einen am Amazonenſtrome
lebenden Rüſſelſchwärmer, den Titan (Macroglossa Titan), von gewiſſen Schwirrvögeln zu unter-
ſcheiden, und daß er mehr als einmal einen Schmetterling anſtatt eines Kolibri vom Baume herab-
geſchoſſen habe; denn die Art und Weiſe zu fliegen, ſich vor Blüthen „aufzuhängen“, ähnelt ſich bei
beiden ebenſo, wie ihre Geſtalt. Jndianer und Neger, aber auch gebildete Weiſe halten den Titan
und den Kolibri für ein und dieſelbe Thierart. Sie haben die Umwandlung einer Raupe in einen
Schmetterling wahrgenommen und folgern, daß eine nochmalige Berwandlung des Schmetterlings
in einen Vogel recht wohl möglich ſein könne. Gewiſſenhafte Beobachter meinen, daß auch die Sinne
und geiſtigen Fähigkeiten der Schwärmer und Schwirrvögel auf ungefähr gleicher Höhe ſtehen dürften,
haben ſich aber unzweifelhaft durch den harmloſen Ausdruck des Kolibri-Auges und die Zutraulichkeit
des Vogels zu falſchen Schlüſſen verleiten laſſen. Die unerreichbare Gewandtheit und Schnelligkeit
der Bewegungen verleiht dem Schwirrvogel eine Sicherheit und Furchtloſigkeit, welche auf das Höchſte
überraſcht. „Hat man den Kolibri aufgefunden“, ſagt Burmeiſter, „ſo ſieht man das klare Auge,
wie es unverwandt den Beobachter anblickt, die äußerſte Seelenruhe verrathend, ſo lange der
Anweſende ruhig bleibt. Allein, ſowie dieſer ſich bewegt, iſt jener auch verſchwunden.“

Gewiſſe Reiſende haben von dem prachtvollen Farbenſpiel geſprochen, welches bei den
fliegenden Kolibris bemerkbar werden ſoll; ihre Angaben ſind jedoch nur bedingungsweiſe richtig.
Von der ganzen Farbenpracht, welche dieſe lebendigen Edelſteine zeigen, bemerkt man, wenn ſie
fliegen, Nichts; ſie wird erſt offenbar, wenn ſie ruhen, ſei es, indem ſie ſich ſchwirrend vor einer
Blüthe halten, ohne einen andern Theil des Leibes außer den Flügeln zu bewegen, oder ſei es,
indem ſie ſich ausruhend auf einem Zweige niederlaſſen. Dieſe Art der Bewegung meint wohl
auch Schomburgk. „Das Auge“, ſagt er, „welches einen Augenblick vorher die Blüthe noch ſtill

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[117/0131] Lebensweiſe der Schwirrvögel. in langen Wellenlinien die Luft durchſchneide, ſich auf gewiſſe Strecken unter einem Winkel von ungefähr vierzig Graden erhebe und dann in einer Bogenlinie wieder herab ſenke; aber er fügt Dem hinzu, daß es unmöglich wäre, dem fliegenden Vogel auf mehr als funfzig oder ſechszig Elleu zu folgen, ſelbſt wenn man das Auge mit einem guten Glaſe bewaffnet habe. Pöppig, welcher viel- fache Gelegenheit hatte, Kolibris zu beobachten, behauptet, daß die ſichelförmige Geſtalt der Flügel dem Kolibri zwar das ſchnellſte Durchſchneiden der Luft in gerader Linie, jedoch nicht das Auſſteigen oder eine andere, minder gewöhnliche Art des Fluges geſtatte. „Daher fliegen Kolibris meiſt nur in wagrechter Richtung ꝛc.“ Dieſe Angabe ſteht mit den Mittheilungen aller Forſcher, denen wir Fähigkeit zum Beobachten zutrauen dürfen, ſo entſchieden im Widerſpruch, daß ein Gewicht auf ſie nicht gelegt werden kann. Gould ſagt, daß der Schwirrvogel jede Art der Flügelbewegung mit der größten Sicherheit ausführen könne, daß er häufig ſenkrecht in die Höhe ſteigt, rückwärts fliegt, ſich im Kreiſe dreht oder, ſo zu ſagen, von Stelle zu Stelle oder von einem Theil des Baumes zu einem andern hinwegtanzt, bald aufwärts, bald abwärts ſteigend, daß er ſich über die höchſten Bäume erhebt und dann wie ein Meteor plötzlich dahinſchießt. „Oft weilt er ſummend und ruhig unter kleinen Blumen am Boden; jetzt ſchwebt er einen Augenblick über einem winzigen Graſe, im nächſten ſieht man ihn in einer Entfernung von mehr als vierzig Schritten — er iſt dahin geflogen mit der Schnel- ligkeit des Gedankens. — „Sie ſind“, beſtätigt der Beobachter des nordamerikaniſchen Kolibri, „außerordentlich heftig und ungeſtüm in ihren Bewegungen, wie Dies auch wohl bei den Horniſſen der Fall iſt. Oft blieben ſie ein paar Augenblicke auf einem Punkte ſchweben, als wären ſie da mitten in der Luft befeſtigt, dann aber plötzlich ſchoſſen ſie mit Pfeilgeſchwindigkeit ſeitwärts und ſchwenkten ſich im Halbkreiſe, wie ein Schlittſchuhläufer, raſch um den Baum herum, um auf der andern Seite eine andere Tulpe zu finden. Oft ſchnellte ein kleiner Vogel vom Gipfel des Baumes zum Himmel empor, als würde er hinaufgeſchleudert.“ Unwillkürlich kommt man immer wieder darauf zurück, den Schwirrvogel als einen gefiederten Schmetterling auzuſehen. Dies iſt nicht bildlich, ſondern buch- ſtäblich zu verſtehen. Gould hatte Mühe, einen Herrn zu überzeugen, daß er den Karpfen- ſchwanz (Macroglossa stellatarum) und nicht Kolibris in England habe fliegen ſehen, und Bates verſichert, daß es ihm erſt nach längerer Beobachtung möglich geworden, einen am Amazonenſtrome lebenden Rüſſelſchwärmer, den Titan (Macroglossa Titan), von gewiſſen Schwirrvögeln zu unter- ſcheiden, und daß er mehr als einmal einen Schmetterling anſtatt eines Kolibri vom Baume herab- geſchoſſen habe; denn die Art und Weiſe zu fliegen, ſich vor Blüthen „aufzuhängen“, ähnelt ſich bei beiden ebenſo, wie ihre Geſtalt. Jndianer und Neger, aber auch gebildete Weiſe halten den Titan und den Kolibri für ein und dieſelbe Thierart. Sie haben die Umwandlung einer Raupe in einen Schmetterling wahrgenommen und folgern, daß eine nochmalige Berwandlung des Schmetterlings in einen Vogel recht wohl möglich ſein könne. Gewiſſenhafte Beobachter meinen, daß auch die Sinne und geiſtigen Fähigkeiten der Schwärmer und Schwirrvögel auf ungefähr gleicher Höhe ſtehen dürften, haben ſich aber unzweifelhaft durch den harmloſen Ausdruck des Kolibri-Auges und die Zutraulichkeit des Vogels zu falſchen Schlüſſen verleiten laſſen. Die unerreichbare Gewandtheit und Schnelligkeit der Bewegungen verleiht dem Schwirrvogel eine Sicherheit und Furchtloſigkeit, welche auf das Höchſte überraſcht. „Hat man den Kolibri aufgefunden“, ſagt Burmeiſter, „ſo ſieht man das klare Auge, wie es unverwandt den Beobachter anblickt, die äußerſte Seelenruhe verrathend, ſo lange der Anweſende ruhig bleibt. Allein, ſowie dieſer ſich bewegt, iſt jener auch verſchwunden.“ Gewiſſe Reiſende haben von dem prachtvollen Farbenſpiel geſprochen, welches bei den fliegenden Kolibris bemerkbar werden ſoll; ihre Angaben ſind jedoch nur bedingungsweiſe richtig. Von der ganzen Farbenpracht, welche dieſe lebendigen Edelſteine zeigen, bemerkt man, wenn ſie fliegen, Nichts; ſie wird erſt offenbar, wenn ſie ruhen, ſei es, indem ſie ſich ſchwirrend vor einer Blüthe halten, ohne einen andern Theil des Leibes außer den Flügeln zu bewegen, oder ſei es, indem ſie ſich ausruhend auf einem Zweige niederlaſſen. Dieſe Art der Bewegung meint wohl auch Schomburgk. „Das Auge“, ſagt er, „welches einen Augenblick vorher die Blüthe noch ſtill

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/131>, abgerufen am 23.11.2024.