gelaunt zu sehen. Jmmer frohen Muthes durchhüpft und beklettert sie die Zweige der Bäume, der Büsche, Hecken und Zäune ohne Unterlaß, hängt sich bald hier, bald da an den Schaft eines Bau- mes oder wiegt sich in verkehrter Stellung an der dünnen Spitze eines schlanken Zweiges, durchkriecht einen hohlen Stamm und schlüpft behend durch die Ritzen und Löcher, Alles mit den abwechselndsten Stellungen und Geberden, mit einer Lebhaftigkeit und Schnelle, die ins Possirliche übergeht. So sehr sie von einer außergewöhnlichen Neugier beherrscht wird, so gern sie alles Auffallende, was ihr in den Weg kommt, von allen Seiten besieht, beschnüffelt und daran herumhämmert, so geht sie doch dabei nicht etwa sorglos zu Werke; sie zeigt vielmehr in allen ihren Handlungen einen hohen Grad von Klugheit. So weiß sie nicht nur Dem, welcher ihr nachstellt, scheu auszuweichen, sondern auch den
[Abbildung]
Die Fink- oder Kohlmeise (Parus major).
Ort, wo ihr einmal eine Unannehmlichkeit begegnete, klüglich zu meiden, obgleich sie sonst gar nicht scheu ist. Man sieht es ihr, so zu sagen, an den Augen an, daß sie ein verschlagener, muthwilliger Vogel ist: sie hat einen ungemein listigen Blick."
So lange als irgend möglich hält sich die Kohlmeise im Gezweig der Bäume auf; zum Boden herab kommt sie selten. Sie fliegt aber auch nicht gern über weite Strecken, denn der Flug ist, wenn- gleich besser als der anderer Meisen, doch immer noch schwerfällig und ungeschickt. Jhre Stimme ist das gewöhnliche "Zitt" oder "Sitt"; ihm wird, wenn Gefahr droht, ein warnendes "Terrrrr" ange- hängt, im Schreck auch wohl ein "Pink, pink" vorgesetzt; zärtliche Gefühle werden durch die Silben "Wüdi wüdi" ausgedrückt. Der Gesang ist einfach, aber doch nicht unangenehm; die Töne klingen, wie Naumann sagt, "hell wie ein Glöckchen", etwa wie "Stiti, sizizidi" und "Sitidn sitidn". Die Landleute übersetzen sie durch die Worte "Sitz ich hoch, so flick den Pelz". So gesellig die Meise
Die Fänger. Singvögel. Meiſen.
gelaunt zu ſehen. Jmmer frohen Muthes durchhüpft und beklettert ſie die Zweige der Bäume, der Büſche, Hecken und Zäune ohne Unterlaß, hängt ſich bald hier, bald da an den Schaft eines Bau- mes oder wiegt ſich in verkehrter Stellung an der dünnen Spitze eines ſchlanken Zweiges, durchkriecht einen hohlen Stamm und ſchlüpft behend durch die Ritzen und Löcher, Alles mit den abwechſelndſten Stellungen und Geberden, mit einer Lebhaftigkeit und Schnelle, die ins Poſſirliche übergeht. So ſehr ſie von einer außergewöhnlichen Neugier beherrſcht wird, ſo gern ſie alles Auffallende, was ihr in den Weg kommt, von allen Seiten beſieht, beſchnüffelt und daran herumhämmert, ſo geht ſie doch dabei nicht etwa ſorglos zu Werke; ſie zeigt vielmehr in allen ihren Handlungen einen hohen Grad von Klugheit. So weiß ſie nicht nur Dem, welcher ihr nachſtellt, ſcheu auszuweichen, ſondern auch den
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Die Fink- oder Kohlmeiſe (Parus major).
Ort, wo ihr einmal eine Unannehmlichkeit begegnete, klüglich zu meiden, obgleich ſie ſonſt gar nicht ſcheu iſt. Man ſieht es ihr, ſo zu ſagen, an den Augen an, daß ſie ein verſchlagener, muthwilliger Vogel iſt: ſie hat einen ungemein liſtigen Blick.‟
So lange als irgend möglich hält ſich die Kohlmeiſe im Gezweig der Bäume auf; zum Boden herab kommt ſie ſelten. Sie fliegt aber auch nicht gern über weite Strecken, denn der Flug iſt, wenn- gleich beſſer als der anderer Meiſen, doch immer noch ſchwerfällig und ungeſchickt. Jhre Stimme iſt das gewöhnliche „Zitt‟ oder „Sitt‟; ihm wird, wenn Gefahr droht, ein warnendes „Terrrrr‟ ange- hängt, im Schreck auch wohl ein „Pink, pink‟ vorgeſetzt; zärtliche Gefühle werden durch die Silben „Wüdi wüdi‟ ausgedrückt. Der Geſang iſt einfach, aber doch nicht unangenehm; die Töne klingen, wie Naumann ſagt, „hell wie ein Glöckchen‟, etwa wie „Stiti, ſizizidi‟ und „Sitidn ſitidn‟. Die Landleute überſetzen ſie durch die Worte „Sitz ich hoch, ſo flick den Pelz‟. So geſellig die Meiſe
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Die Fänger. Singvögel. Meiſen.
gelaunt zu ſehen. Jmmer frohen Muthes durchhüpft und beklettert ſie die Zweige der Bäume, der
Büſche, Hecken und Zäune ohne Unterlaß, hängt ſich bald hier, bald da an den Schaft eines Bau-
mes oder wiegt ſich in verkehrter Stellung an der dünnen Spitze eines ſchlanken Zweiges, durchkriecht
einen hohlen Stamm und ſchlüpft behend durch die Ritzen und Löcher, Alles mit den abwechſelndſten
Stellungen und Geberden, mit einer Lebhaftigkeit und Schnelle, die ins Poſſirliche übergeht. So
ſehr ſie von einer außergewöhnlichen Neugier beherrſcht wird, ſo gern ſie alles Auffallende, was ihr
in den Weg kommt, von allen Seiten beſieht, beſchnüffelt und daran herumhämmert, ſo geht ſie doch
dabei nicht etwa ſorglos zu Werke; ſie zeigt vielmehr in allen ihren Handlungen einen hohen Grad
von Klugheit. So weiß ſie nicht nur Dem, welcher ihr nachſtellt, ſcheu auszuweichen, ſondern auch den
[Abbildung Die Fink- oder Kohlmeiſe (Parus major).]
Ort, wo ihr einmal eine Unannehmlichkeit begegnete, klüglich zu meiden, obgleich ſie ſonſt gar nicht
ſcheu iſt. Man ſieht es ihr, ſo zu ſagen, an den Augen an, daß ſie ein verſchlagener, muthwilliger
Vogel iſt: ſie hat einen ungemein liſtigen Blick.‟
So lange als irgend möglich hält ſich die Kohlmeiſe im Gezweig der Bäume auf; zum Boden
herab kommt ſie ſelten. Sie fliegt aber auch nicht gern über weite Strecken, denn der Flug iſt, wenn-
gleich beſſer als der anderer Meiſen, doch immer noch ſchwerfällig und ungeſchickt. Jhre Stimme iſt
das gewöhnliche „Zitt‟ oder „Sitt‟; ihm wird, wenn Gefahr droht, ein warnendes „Terrrrr‟ ange-
hängt, im Schreck auch wohl ein „Pink, pink‟ vorgeſetzt; zärtliche Gefühle werden durch die Silben
„Wüdi wüdi‟ ausgedrückt. Der Geſang iſt einfach, aber doch nicht unangenehm; die Töne klingen,
wie Naumann ſagt, „hell wie ein Glöckchen‟, etwa wie „Stiti, ſizizidi‟ und „Sitidn ſitidn‟.
Die Landleute überſetzen ſie durch die Worte „Sitz ich hoch, ſo flick den Pelz‟. So geſellig die Meiſe
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 932. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/982>, abgerufen am 22.11.2024.
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