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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Hauben- und Kohlmeise.
soll die Zähmung und Eingewöhnung der Jungen gelingen, wenn man die Alten beim Neste gefangen
hat und sie mit der Brut in das Zimmer bringt. Die Elternliebe bewegt dann die Trotzköpfe, sofort
an das ihnen vorgesetzte Futter zu gehen, während sie sonst dieses oft gänzlich verschmähen und lieber
Hungers sterben, als die ungewohnte Nahrung anrühren.

Feinde der Haubenmeise sind alle kleinen Raubthiere und die kletternden Nager. Sperber,
Baumfalk und Merlin werden von den sonst so kecken Vögelchen entsetzlich gefürchtet, Beweis genug,
daß die genannten Räuber viele von ihnen vertilgen müssen. Die Nager und namentlich die Eich-
hörnchen mögen den Jungen sehr gefährlich werden; aber die Meisen müssen noch andere, uns
unbekannte Gefahren auszustehen haben, sonst ließe es sich nicht erklären, warum sie bei ihrer starken
Vermehrung nicht häufiger sind, als es wirklich der Fall ist. Um so mehr sollte der Mensch sich
bestreben, sie zu hegen und zu pflegen. Naumann hat sehr recht, wenn er es als Sünde bezeichnet,
diese nützlichen Geschöpfe, welche die düsteren Stellen der Nadelwaldungen durch ihr munteres, keckes
Betragen und ihre helle Lockstimme so angenehm beleben, ihres wohlschmeckenden Fleisches halber zu
verfolgen und zu tödten.



Die Waldmeisen (Parus) unterscheiden sich von den bisher genannten durch auffallend kräf-
tigen, kegelförmigen, seitlich zusammengedrückten, vorn scharfen, aber nicht nadelspitzigen Schnabel,
starke, mit großen, dicken Nägeln bewehrte Füße, kurze und breite Flügel, in denen die dritte und
vierte Schwinge die längsten sind, einen mittel- oder ziemlich langen Schwanz, welcher entweder
etwas schwach abgerundet oder seicht ausgeschnitten ist, und das reiche, weitstrahlige, oft prachtvoll
gefärbte und gezeichnete Gefieder. Die Geschlechter unterscheiden sich wenig; die Jungen ähneln der
Mutter.

Die bekannteste Art der Sippe ist unsere Fink- oder Kohlmeise (Parus major), sonst
auch Brand-, Groß-, Gras-, Spiegel-, Speck-, Schinken-, Talg- und Pickmeise
genannt, die allbekannte, weil überall gegenwärtige Vertreterin und das größte Mitglied der Familie.
Die Oberseite ist olivengrün, die Unterseite blaßgelb; der Oberkopf, die Kehle, ein nach unten hin sich
verschmälernder Streifen, welcher über die ganze Unterseite läuft, und ein bogiger, von der Gurgel
zum Hinterkopf verlaufender zweiter Streifen sind schwarz, die Schwingen und Steuerfedern blau-
grau, die Kopfseiten und ein Streifen über den Flügel weiß. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel
schwarz, der Fuß bleigrau. Das Weibchen unterscheidet sich durch mattere Farben und den schmä-
leren und kürzeren Bruststreifen. Bei den Jungen sind die Farben noch blässer. Die Länge beträgt
53/4, die Breite 9, die Fittiglänge 23/4, die Schwanzlänge 21/2 Zoll. Das Weibchen ist um wenige
Linien kürzer und schmäler als das Männchen.

Vom 65.° nördlicher Breite an fehlt die Kohlmeise nirgends in Europa; sie ist aber keineswegs
überall häufig und kommt in südlichen Gegenden hier und da blos im Winter vor. Ueber ganz
Mittelasien ist sie ebenfalls verbreitet, und auch in Nordwestafrika soll sie gefunden werden. Jn
Deutschland sieht man sie überall und zu jeder Jahreszeit, am häufigsten aber im Frühjahr und im
Herbst, wenn die im Norden groß gewordenen zu uns herunterkommen und bei uns durchstreichen.
Auch die Kohlmeise ist Waldvogel, aber nicht so ausschließlich, als andere Arten ihrer Familie. Bei
uns zu Lande fehlt sie in keinem größeren Garten; in Südeuropa findet man sie in den Gärten fast
häufiger als im Walde. Den reinen Nadelwald liebt sie weniger als den Laubwald; am liebsten sind
ihr gemischte Bestände.

Jnnerhalb der Familie gebührt der Kohlmeise eine hervorragende Stellung. Sie vereinigt gewisser-
maßen alle Eigenschaften der Familienmitglieder. Wie diese ist sie ein außerordentlich lebhafter und
munterer, ein unruhiger und rastloser, neugieriger, thätiger, muthiger und rauflustiger Vogel. "Es ist
etwas Seltenes", sagt Naumann, "sie einmal einige Minuten lang still sitzen oder auch nur miß-

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Hauben- und Kohlmeiſe.
ſoll die Zähmung und Eingewöhnung der Jungen gelingen, wenn man die Alten beim Neſte gefangen
hat und ſie mit der Brut in das Zimmer bringt. Die Elternliebe bewegt dann die Trotzköpfe, ſofort
an das ihnen vorgeſetzte Futter zu gehen, während ſie ſonſt dieſes oft gänzlich verſchmähen und lieber
Hungers ſterben, als die ungewohnte Nahrung anrühren.

Feinde der Haubenmeiſe ſind alle kleinen Raubthiere und die kletternden Nager. Sperber,
Baumfalk und Merlin werden von den ſonſt ſo kecken Vögelchen entſetzlich gefürchtet, Beweis genug,
daß die genannten Räuber viele von ihnen vertilgen müſſen. Die Nager und namentlich die Eich-
hörnchen mögen den Jungen ſehr gefährlich werden; aber die Meiſen müſſen noch andere, uns
unbekannte Gefahren auszuſtehen haben, ſonſt ließe es ſich nicht erklären, warum ſie bei ihrer ſtarken
Vermehrung nicht häufiger ſind, als es wirklich der Fall iſt. Um ſo mehr ſollte der Menſch ſich
beſtreben, ſie zu hegen und zu pflegen. Naumann hat ſehr recht, wenn er es als Sünde bezeichnet,
dieſe nützlichen Geſchöpfe, welche die düſteren Stellen der Nadelwaldungen durch ihr munteres, keckes
Betragen und ihre helle Lockſtimme ſo angenehm beleben, ihres wohlſchmeckenden Fleiſches halber zu
verfolgen und zu tödten.



Die Waldmeiſen (Parus) unterſcheiden ſich von den bisher genannten durch auffallend kräf-
tigen, kegelförmigen, ſeitlich zuſammengedrückten, vorn ſcharfen, aber nicht nadelſpitzigen Schnabel,
ſtarke, mit großen, dicken Nägeln bewehrte Füße, kurze und breite Flügel, in denen die dritte und
vierte Schwinge die längſten ſind, einen mittel- oder ziemlich langen Schwanz, welcher entweder
etwas ſchwach abgerundet oder ſeicht ausgeſchnitten iſt, und das reiche, weitſtrahlige, oft prachtvoll
gefärbte und gezeichnete Gefieder. Die Geſchlechter unterſcheiden ſich wenig; die Jungen ähneln der
Mutter.

Die bekannteſte Art der Sippe iſt unſere Fink- oder Kohlmeiſe (Parus major), ſonſt
auch Brand-, Groß-, Gras-, Spiegel-, Speck-, Schinken-, Talg- und Pickmeiſe
genannt, die allbekannte, weil überall gegenwärtige Vertreterin und das größte Mitglied der Familie.
Die Oberſeite iſt olivengrün, die Unterſeite blaßgelb; der Oberkopf, die Kehle, ein nach unten hin ſich
verſchmälernder Streifen, welcher über die ganze Unterſeite läuft, und ein bogiger, von der Gurgel
zum Hinterkopf verlaufender zweiter Streifen ſind ſchwarz, die Schwingen und Steuerfedern blau-
grau, die Kopfſeiten und ein Streifen über den Flügel weiß. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel
ſchwarz, der Fuß bleigrau. Das Weibchen unterſcheidet ſich durch mattere Farben und den ſchmä-
leren und kürzeren Bruſtſtreifen. Bei den Jungen ſind die Farben noch bläſſer. Die Länge beträgt
5¾, die Breite 9, die Fittiglänge 2¾, die Schwanzlänge 2½ Zoll. Das Weibchen iſt um wenige
Linien kürzer und ſchmäler als das Männchen.

Vom 65.° nördlicher Breite an fehlt die Kohlmeiſe nirgends in Europa; ſie iſt aber keineswegs
überall häufig und kommt in ſüdlichen Gegenden hier und da blos im Winter vor. Ueber ganz
Mittelaſien iſt ſie ebenfalls verbreitet, und auch in Nordweſtafrika ſoll ſie gefunden werden. Jn
Deutſchland ſieht man ſie überall und zu jeder Jahreszeit, am häufigſten aber im Frühjahr und im
Herbſt, wenn die im Norden groß gewordenen zu uns herunterkommen und bei uns durchſtreichen.
Auch die Kohlmeiſe iſt Waldvogel, aber nicht ſo ausſchließlich, als andere Arten ihrer Familie. Bei
uns zu Lande fehlt ſie in keinem größeren Garten; in Südeuropa findet man ſie in den Gärten faſt
häufiger als im Walde. Den reinen Nadelwald liebt ſie weniger als den Laubwald; am liebſten ſind
ihr gemiſchte Beſtände.

Jnnerhalb der Familie gebührt der Kohlmeiſe eine hervorragende Stellung. Sie vereinigt gewiſſer-
maßen alle Eigenſchaften der Familienmitglieder. Wie dieſe iſt ſie ein außerordentlich lebhafter und
munterer, ein unruhiger und raſtloſer, neugieriger, thätiger, muthiger und raufluſtiger Vogel. „Es iſt
etwas Seltenes‟, ſagt Naumann, „ſie einmal einige Minuten lang ſtill ſitzen oder auch nur miß-

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[931/0981] Hauben- und Kohlmeiſe. ſoll die Zähmung und Eingewöhnung der Jungen gelingen, wenn man die Alten beim Neſte gefangen hat und ſie mit der Brut in das Zimmer bringt. Die Elternliebe bewegt dann die Trotzköpfe, ſofort an das ihnen vorgeſetzte Futter zu gehen, während ſie ſonſt dieſes oft gänzlich verſchmähen und lieber Hungers ſterben, als die ungewohnte Nahrung anrühren. Feinde der Haubenmeiſe ſind alle kleinen Raubthiere und die kletternden Nager. Sperber, Baumfalk und Merlin werden von den ſonſt ſo kecken Vögelchen entſetzlich gefürchtet, Beweis genug, daß die genannten Räuber viele von ihnen vertilgen müſſen. Die Nager und namentlich die Eich- hörnchen mögen den Jungen ſehr gefährlich werden; aber die Meiſen müſſen noch andere, uns unbekannte Gefahren auszuſtehen haben, ſonſt ließe es ſich nicht erklären, warum ſie bei ihrer ſtarken Vermehrung nicht häufiger ſind, als es wirklich der Fall iſt. Um ſo mehr ſollte der Menſch ſich beſtreben, ſie zu hegen und zu pflegen. Naumann hat ſehr recht, wenn er es als Sünde bezeichnet, dieſe nützlichen Geſchöpfe, welche die düſteren Stellen der Nadelwaldungen durch ihr munteres, keckes Betragen und ihre helle Lockſtimme ſo angenehm beleben, ihres wohlſchmeckenden Fleiſches halber zu verfolgen und zu tödten. Die Waldmeiſen (Parus) unterſcheiden ſich von den bisher genannten durch auffallend kräf- tigen, kegelförmigen, ſeitlich zuſammengedrückten, vorn ſcharfen, aber nicht nadelſpitzigen Schnabel, ſtarke, mit großen, dicken Nägeln bewehrte Füße, kurze und breite Flügel, in denen die dritte und vierte Schwinge die längſten ſind, einen mittel- oder ziemlich langen Schwanz, welcher entweder etwas ſchwach abgerundet oder ſeicht ausgeſchnitten iſt, und das reiche, weitſtrahlige, oft prachtvoll gefärbte und gezeichnete Gefieder. Die Geſchlechter unterſcheiden ſich wenig; die Jungen ähneln der Mutter. Die bekannteſte Art der Sippe iſt unſere Fink- oder Kohlmeiſe (Parus major), ſonſt auch Brand-, Groß-, Gras-, Spiegel-, Speck-, Schinken-, Talg- und Pickmeiſe genannt, die allbekannte, weil überall gegenwärtige Vertreterin und das größte Mitglied der Familie. Die Oberſeite iſt olivengrün, die Unterſeite blaßgelb; der Oberkopf, die Kehle, ein nach unten hin ſich verſchmälernder Streifen, welcher über die ganze Unterſeite läuft, und ein bogiger, von der Gurgel zum Hinterkopf verlaufender zweiter Streifen ſind ſchwarz, die Schwingen und Steuerfedern blau- grau, die Kopfſeiten und ein Streifen über den Flügel weiß. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel ſchwarz, der Fuß bleigrau. Das Weibchen unterſcheidet ſich durch mattere Farben und den ſchmä- leren und kürzeren Bruſtſtreifen. Bei den Jungen ſind die Farben noch bläſſer. Die Länge beträgt 5¾, die Breite 9, die Fittiglänge 2¾, die Schwanzlänge 2½ Zoll. Das Weibchen iſt um wenige Linien kürzer und ſchmäler als das Männchen. Vom 65.° nördlicher Breite an fehlt die Kohlmeiſe nirgends in Europa; ſie iſt aber keineswegs überall häufig und kommt in ſüdlichen Gegenden hier und da blos im Winter vor. Ueber ganz Mittelaſien iſt ſie ebenfalls verbreitet, und auch in Nordweſtafrika ſoll ſie gefunden werden. Jn Deutſchland ſieht man ſie überall und zu jeder Jahreszeit, am häufigſten aber im Frühjahr und im Herbſt, wenn die im Norden groß gewordenen zu uns herunterkommen und bei uns durchſtreichen. Auch die Kohlmeiſe iſt Waldvogel, aber nicht ſo ausſchließlich, als andere Arten ihrer Familie. Bei uns zu Lande fehlt ſie in keinem größeren Garten; in Südeuropa findet man ſie in den Gärten faſt häufiger als im Walde. Den reinen Nadelwald liebt ſie weniger als den Laubwald; am liebſten ſind ihr gemiſchte Beſtände. Jnnerhalb der Familie gebührt der Kohlmeiſe eine hervorragende Stellung. Sie vereinigt gewiſſer- maßen alle Eigenſchaften der Familienmitglieder. Wie dieſe iſt ſie ein außerordentlich lebhafter und munterer, ein unruhiger und raſtloſer, neugieriger, thätiger, muthiger und raufluſtiger Vogel. „Es iſt etwas Seltenes‟, ſagt Naumann, „ſie einmal einige Minuten lang ſtill ſitzen oder auch nur miß- 59 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 931. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/981>, abgerufen am 22.11.2024.