ist, so unverträglich, ja selbst boshaft ist sie gegen Schwächere. Jhr Charakter ist abscheulich. Sie ist keck, so lange sie sich gedeckt fühlt, erbärmlich feig, wenn Dies nicht der Fall ist. Sie geberdet sich wie unsinnig, wenn sie einen Raubvogel bemerkt; sie erschrickt entsetzlich, wenn man einen brausenden Ton hervorbringt oder einen Hut in die Höhe wirft, in welchem sie dann einen Falken sieht: aber sie fällt über jeden schwächeren Vogel mordsüchtig her und tödtet ihn, wenn sie es irgend kann. Schwache, Kranke ihrer eigenen Art werden unbarmherzig angegriffen und so lange mißhandelt, bis sie den Geist aufgegeben haben. Selbst größere Vögel greift sie an. Sie schleicht sich förmlich auf sie los, sucht sich, wie Bechstein beschreibt, durch einen starken Anfall auf den Rücken zu werfen, häkelt sich dann mit ihren scharfen Klanen tief in die Brust und den Bauch ein und hackt mit derben Schnabelhieben auf den Kopf ihres Schlachtopfers los, bis sie den Schädel desselben zertrümmert hat und zu dem Gehirn, ihrem größten Leckerbissen, kommen kann. Diese Eigenschaften vermehren sich, wie es scheint, in der Gefangenschaft; aber sie sind doch auch bei den freilebenden Vögeln schon sehr aus- gebildet, und deshalb ist der spanische Name "Guerrero" oder Krieger, Haderer, vortrefflich gewählt.
Kerbthiere und deren Eier oder Larven bilden die Hauptnahrung der Kohlmeise, Sämereien und Baumfrüchte eine Leckerei. Außerdem frißt sie Fleisch und, wie schon bemerkt, Gehirn. Sie scheint unersättlich zu sein; denn sie frißt vom Morgen bis zum Abend, und wenn sie wirklich ein Kerbthier nicht mehr fressen kann, so tödtet sie es wenigstens. Auch der verstecktesten Beute weiß sie sich zu bemächtigen; denn wenn sie Etwas nicht erlangen kann, so hämmert sie nach Art der Spechte so lange auf der Stelle herum, bis ein Stück Borke abspringt und damit das verborgene Kerbthier frei- gelegt wird. Jm Rothfall greift sie zur List. So weiß sie im Winter die im Stock verborgenen Bienen doch zu erlangen. "Sie geht", wie Lenz schildert, "an die Fluglöcher und pocht mit dem Schnabel an, wie man an eine Thüre pocht. Es entsteht im Jnnern ein Summen, und bald kommen einzelne oder viele Einwohner heraus, um den Störenfried mit Stichen zu vertreiben. Dieser packt aber gleich den Vertheidiger der Burg, welcher sich herauswagt, beim Kragen, fliegt mit ihm auf ein Aestchen, nimmt ihn zwischen die Füße, hackt ihm seinen Leib auf, frißt mit großer Lüsternheit sein Fleisch, läßt den Panzer fallen und macht sich auf, um neue Beute zu suchen. Die Bienen haben sich indessen, durch die Kälte geschreckt, wieder ins Jnnere zurückgezogen. Es wird wieder angepocht, wieder eine beim Kragen genommen, und so geht es von Tag zu Tag, von früh bis zum Abend fort." Wenn im Winter ein Schwein geschlachtet wird, ist sie gleich bei der Hand und zerrt sich hier möglichst große Stücke herunter: diese Fleischgier erklärt mehrere ihrer Volksnamen. Alle Nahrung, welche sie zu sich nimmt, wird vorher verkleinert. Sie hält das Beutestück nach Krähen- oder Rabenart mit den Zehen fest, zerstückelt es mit dem Schnabel und frißt es nun in kleinen Theilen. Dabei ist sie außer- ordentlich geschäftig, und ihre Thätigkeit gewährt ein recht anziehendes Schauspiel. Hat sie Ueber- fluß an Nahrung, so versteckt sie sich Etwas davon und sucht es zu passender Zeit wieder auf.
Das Nest wird stets in einer Höhle angelegt, bald nahe über dem Boden, bald hoch oben im Wipfel des Baumes. Baumhöhlungen werden bevorzugt, aber auch Mauerritzen und selbst alte, ver- lassene Eichhorn-, Elster- und Krähennester nicht verschmäht. Der Bau selbst ist wenig künstlich. Trockene Halme, Würzelchen und etwas Mos bilden die Unterlage, Haare, Wolle, Borsten und Federn den Oberbau. Das Gelege besteht aus acht bis vierzehn zartschaligen Eiern, welche auf glänzendweißem Grunde mit feinen und groben, rostfarbenen oder hellröthlichen Punkten gezeichnet sind. Beide Gatten brüten wechselweise, und beide füttern die zahlreiche Familie mit Aufopferung groß, führen sie auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit und unterrichten sie sorgfältig in ihrem Gewerbe. Jn guten Sommern nisten sie immer zweimal.
Es hält nicht schwer, Meisen zu fangen, denn ihre Neugier wird ihnen leicht verderblich. Die Gebrannten freilich scheuen das Feuer, und die, welche man einmal berückte, wird man so leicht nicht wieder hintergehen. Jm Zimmer sind sie augenblicklich eingewöhnt; sie thun wenigstens, als wären sie hier von Anfang an zu Hause gewesen, benutzen sofort jedes passende Plätzchen zum Sitzen, durch- stöbern und durchkriechen Alles, fangen Fliegen und nehmen ohne Umstände das ihnen vorgesetzte
Kohlmeiſe.
iſt, ſo unverträglich, ja ſelbſt boshaft iſt ſie gegen Schwächere. Jhr Charakter iſt abſcheulich. Sie iſt keck, ſo lange ſie ſich gedeckt fühlt, erbärmlich feig, wenn Dies nicht der Fall iſt. Sie geberdet ſich wie unſinnig, wenn ſie einen Raubvogel bemerkt; ſie erſchrickt entſetzlich, wenn man einen brauſenden Ton hervorbringt oder einen Hut in die Höhe wirft, in welchem ſie dann einen Falken ſieht: aber ſie fällt über jeden ſchwächeren Vogel mordſüchtig her und tödtet ihn, wenn ſie es irgend kann. Schwache, Kranke ihrer eigenen Art werden unbarmherzig angegriffen und ſo lange mißhandelt, bis ſie den Geiſt aufgegeben haben. Selbſt größere Vögel greift ſie an. Sie ſchleicht ſich förmlich auf ſie los, ſucht ſich, wie Bechſtein beſchreibt, durch einen ſtarken Anfall auf den Rücken zu werfen, häkelt ſich dann mit ihren ſcharfen Klanen tief in die Bruſt und den Bauch ein und hackt mit derben Schnabelhieben auf den Kopf ihres Schlachtopfers los, bis ſie den Schädel deſſelben zertrümmert hat und zu dem Gehirn, ihrem größten Leckerbiſſen, kommen kann. Dieſe Eigenſchaften vermehren ſich, wie es ſcheint, in der Gefangenſchaft; aber ſie ſind doch auch bei den freilebenden Vögeln ſchon ſehr aus- gebildet, und deshalb iſt der ſpaniſche Name „Guerrero‟ oder Krieger, Haderer, vortrefflich gewählt.
Kerbthiere und deren Eier oder Larven bilden die Hauptnahrung der Kohlmeiſe, Sämereien und Baumfrüchte eine Leckerei. Außerdem frißt ſie Fleiſch und, wie ſchon bemerkt, Gehirn. Sie ſcheint unerſättlich zu ſein; denn ſie frißt vom Morgen bis zum Abend, und wenn ſie wirklich ein Kerbthier nicht mehr freſſen kann, ſo tödtet ſie es wenigſtens. Auch der verſteckteſten Beute weiß ſie ſich zu bemächtigen; denn wenn ſie Etwas nicht erlangen kann, ſo hämmert ſie nach Art der Spechte ſo lange auf der Stelle herum, bis ein Stück Borke abſpringt und damit das verborgene Kerbthier frei- gelegt wird. Jm Rothfall greift ſie zur Liſt. So weiß ſie im Winter die im Stock verborgenen Bienen doch zu erlangen. „Sie geht‟, wie Lenz ſchildert, „an die Fluglöcher und pocht mit dem Schnabel an, wie man an eine Thüre pocht. Es entſteht im Jnnern ein Summen, und bald kommen einzelne oder viele Einwohner heraus, um den Störenfried mit Stichen zu vertreiben. Dieſer packt aber gleich den Vertheidiger der Burg, welcher ſich herauswagt, beim Kragen, fliegt mit ihm auf ein Aeſtchen, nimmt ihn zwiſchen die Füße, hackt ihm ſeinen Leib auf, frißt mit großer Lüſternheit ſein Fleiſch, läßt den Panzer fallen und macht ſich auf, um neue Beute zu ſuchen. Die Bienen haben ſich indeſſen, durch die Kälte geſchreckt, wieder ins Jnnere zurückgezogen. Es wird wieder angepocht, wieder eine beim Kragen genommen, und ſo geht es von Tag zu Tag, von früh bis zum Abend fort.‟ Wenn im Winter ein Schwein geſchlachtet wird, iſt ſie gleich bei der Hand und zerrt ſich hier möglichſt große Stücke herunter: dieſe Fleiſchgier erklärt mehrere ihrer Volksnamen. Alle Nahrung, welche ſie zu ſich nimmt, wird vorher verkleinert. Sie hält das Beuteſtück nach Krähen- oder Rabenart mit den Zehen feſt, zerſtückelt es mit dem Schnabel und frißt es nun in kleinen Theilen. Dabei iſt ſie außer- ordentlich geſchäftig, und ihre Thätigkeit gewährt ein recht anziehendes Schauſpiel. Hat ſie Ueber- fluß an Nahrung, ſo verſteckt ſie ſich Etwas davon und ſucht es zu paſſender Zeit wieder auf.
Das Neſt wird ſtets in einer Höhle angelegt, bald nahe über dem Boden, bald hoch oben im Wipfel des Baumes. Baumhöhlungen werden bevorzugt, aber auch Mauerritzen und ſelbſt alte, ver- laſſene Eichhorn-, Elſter- und Krähenneſter nicht verſchmäht. Der Bau ſelbſt iſt wenig künſtlich. Trockene Halme, Würzelchen und etwas Mos bilden die Unterlage, Haare, Wolle, Borſten und Federn den Oberbau. Das Gelege beſteht aus acht bis vierzehn zartſchaligen Eiern, welche auf glänzendweißem Grunde mit feinen und groben, roſtfarbenen oder hellröthlichen Punkten gezeichnet ſind. Beide Gatten brüten wechſelweiſe, und beide füttern die zahlreiche Familie mit Aufopferung groß, führen ſie auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit und unterrichten ſie ſorgfältig in ihrem Gewerbe. Jn guten Sommern niſten ſie immer zweimal.
Es hält nicht ſchwer, Meiſen zu fangen, denn ihre Neugier wird ihnen leicht verderblich. Die Gebrannten freilich ſcheuen das Feuer, und die, welche man einmal berückte, wird man ſo leicht nicht wieder hintergehen. Jm Zimmer ſind ſie augenblicklich eingewöhnt; ſie thun wenigſtens, als wären ſie hier von Anfang an zu Hauſe geweſen, benutzen ſofort jedes paſſende Plätzchen zum Sitzen, durch- ſtöbern und durchkriechen Alles, fangen Fliegen und nehmen ohne Umſtände das ihnen vorgeſetzte
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Kohlmeiſe.
iſt, ſo unverträglich, ja ſelbſt boshaft iſt ſie gegen Schwächere. Jhr Charakter iſt abſcheulich. Sie iſt
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wie unſinnig, wenn ſie einen Raubvogel bemerkt; ſie erſchrickt entſetzlich, wenn man einen brauſenden
Ton hervorbringt oder einen Hut in die Höhe wirft, in welchem ſie dann einen Falken ſieht: aber ſie
fällt über jeden ſchwächeren Vogel mordſüchtig her und tödtet ihn, wenn ſie es irgend kann. Schwache,
Kranke ihrer eigenen Art werden unbarmherzig angegriffen und ſo lange mißhandelt, bis ſie den Geiſt
aufgegeben haben. Selbſt größere Vögel greift ſie an. Sie ſchleicht ſich förmlich auf ſie los, ſucht ſich,
wie Bechſtein beſchreibt, durch einen ſtarken Anfall auf den Rücken zu werfen, häkelt ſich dann mit
ihren ſcharfen Klanen tief in die Bruſt und den Bauch ein und hackt mit derben Schnabelhieben auf
den Kopf ihres Schlachtopfers los, bis ſie den Schädel deſſelben zertrümmert hat und zu dem
Gehirn, ihrem größten Leckerbiſſen, kommen kann. Dieſe Eigenſchaften vermehren ſich, wie es
ſcheint, in der Gefangenſchaft; aber ſie ſind doch auch bei den freilebenden Vögeln ſchon ſehr aus-
gebildet, und deshalb iſt der ſpaniſche Name „Guerrero‟ oder Krieger, Haderer, vortrefflich gewählt.
Kerbthiere und deren Eier oder Larven bilden die Hauptnahrung der Kohlmeiſe, Sämereien
und Baumfrüchte eine Leckerei. Außerdem frißt ſie Fleiſch und, wie ſchon bemerkt, Gehirn. Sie
ſcheint unerſättlich zu ſein; denn ſie frißt vom Morgen bis zum Abend, und wenn ſie wirklich ein
Kerbthier nicht mehr freſſen kann, ſo tödtet ſie es wenigſtens. Auch der verſteckteſten Beute weiß ſie
ſich zu bemächtigen; denn wenn ſie Etwas nicht erlangen kann, ſo hämmert ſie nach Art der Spechte ſo
lange auf der Stelle herum, bis ein Stück Borke abſpringt und damit das verborgene Kerbthier frei-
gelegt wird. Jm Rothfall greift ſie zur Liſt. So weiß ſie im Winter die im Stock verborgenen Bienen
doch zu erlangen. „Sie geht‟, wie Lenz ſchildert, „an die Fluglöcher und pocht mit dem Schnabel an,
wie man an eine Thüre pocht. Es entſteht im Jnnern ein Summen, und bald kommen einzelne oder
viele Einwohner heraus, um den Störenfried mit Stichen zu vertreiben. Dieſer packt aber gleich den
Vertheidiger der Burg, welcher ſich herauswagt, beim Kragen, fliegt mit ihm auf ein Aeſtchen, nimmt
ihn zwiſchen die Füße, hackt ihm ſeinen Leib auf, frißt mit großer Lüſternheit ſein Fleiſch, läßt den
Panzer fallen und macht ſich auf, um neue Beute zu ſuchen. Die Bienen haben ſich indeſſen, durch
die Kälte geſchreckt, wieder ins Jnnere zurückgezogen. Es wird wieder angepocht, wieder eine beim
Kragen genommen, und ſo geht es von Tag zu Tag, von früh bis zum Abend fort.‟ Wenn im
Winter ein Schwein geſchlachtet wird, iſt ſie gleich bei der Hand und zerrt ſich hier möglichſt große
Stücke herunter: dieſe Fleiſchgier erklärt mehrere ihrer Volksnamen. Alle Nahrung, welche ſie zu
ſich nimmt, wird vorher verkleinert. Sie hält das Beuteſtück nach Krähen- oder Rabenart mit den
Zehen feſt, zerſtückelt es mit dem Schnabel und frißt es nun in kleinen Theilen. Dabei iſt ſie außer-
ordentlich geſchäftig, und ihre Thätigkeit gewährt ein recht anziehendes Schauſpiel. Hat ſie Ueber-
fluß an Nahrung, ſo verſteckt ſie ſich Etwas davon und ſucht es zu paſſender Zeit wieder auf.
Das Neſt wird ſtets in einer Höhle angelegt, bald nahe über dem Boden, bald hoch oben im
Wipfel des Baumes. Baumhöhlungen werden bevorzugt, aber auch Mauerritzen und ſelbſt alte, ver-
laſſene Eichhorn-, Elſter- und Krähenneſter nicht verſchmäht. Der Bau ſelbſt iſt wenig künſtlich.
Trockene Halme, Würzelchen und etwas Mos bilden die Unterlage, Haare, Wolle, Borſten und Federn
den Oberbau. Das Gelege beſteht aus acht bis vierzehn zartſchaligen Eiern, welche auf glänzendweißem
Grunde mit feinen und groben, roſtfarbenen oder hellröthlichen Punkten gezeichnet ſind. Beide
Gatten brüten wechſelweiſe, und beide füttern die zahlreiche Familie mit Aufopferung groß, führen ſie
auch nach dem Ausfliegen noch längere Zeit und unterrichten ſie ſorgfältig in ihrem Gewerbe. Jn
guten Sommern niſten ſie immer zweimal.
Es hält nicht ſchwer, Meiſen zu fangen, denn ihre Neugier wird ihnen leicht verderblich. Die
Gebrannten freilich ſcheuen das Feuer, und die, welche man einmal berückte, wird man ſo leicht nicht
wieder hintergehen. Jm Zimmer ſind ſie augenblicklich eingewöhnt; ſie thun wenigſtens, als wären
ſie hier von Anfang an zu Hauſe geweſen, benutzen ſofort jedes paſſende Plätzchen zum Sitzen, durch-
ſtöbern und durchkriechen Alles, fangen Fliegen und nehmen ohne Umſtände das ihnen vorgeſetzte
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 933. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/983>, abgerufen am 22.11.2024.
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