Beide Goldhähnchen brüten zweimal im Jahre, das erstemal im Mai, das zweitemal im Juli. Die Nester sind sehr schwer zu finden. Sie stehen auf der Spitze langer Fichten- und Tannenäste, da, wo dichte Zweige und viele Nadeln sie verbergen und sind hier sehr künstlich befestigt, an herabhängenden Zweigen, welche von der ersten Lage der Neststoffe ganz oder zum Theil umschlossen sind und bis an den Boden oder über ihn hinausreichen. Sie sind ballförmig, außen 31/2 bis 4 Zoll breit, inwendig aber der sehr dicken Wände wegen nur 2 bis 21/2 Zoll tief und etwa 11/2 Zoll breit. Das Weibchen, welches beim Herbeischaffen der Baustoffe zuweilen vom Männchen begleitet, aber hierbei ebenso wenig, wie beim Verarbeiten derselben unterstützt wird, umwickelt zum Theil fliegend mit großer Geschicklichkeit die Zweige und füllt die Zwischenräume aus. Die erste Lage besteht aus Fichten- flechten und Baummos, das zuweilen mit etwas Erdmos untermischt wird und durch Raupengespinnst, welches besonders um die das Nest tragenden Zweige gewickelt ist, seine gehörige Festigkeit bekommt. Nur bei wenigen Nestern ragen einige Rehhaare aus der Oberfläche hervor. Alle Stoffe der ersten Lage sind fest durch einander gewirkt und reichen bis zur Ausfütterung. Diese besteht aus vielen Federn kleiner Vögel, unter denen Taubenfedern die größten, welche oben alle nach innen gerichtet sind und am Rande so weit vorstehen, daß sie einen Theil der Oeffnung bedecken. Bei zwei Nestern des feuerköpfigen Goldhähnchens, welche mein Vater fand, ragten aus der äußern Wand Thierhaare und zwar Reh- und Eichhornhaare hervor. Die Ausfütterung bestand zu unterst zum größten Theil aus Rehhaaren, welche bei dem einen über wenige Federn weggelegt waren, oben aber aus lauter Federn, welche so künstlich mit dem Untertheile in den eingebogenen Rand des Nestes eingebaut waren, daß sie die oben sehr enge Oeffnung fast oder ganz bedeckten. Das erste Gelege enthält acht bis zehn, das zweite sechs bis neun Eier, welche selbstverständlich sehr klein sind. Jhre Grund- farbe ist weißlichgelbgrau oder blaßfleischfarben; die Zeichnung besteht aus lehmgrauen Punkten, welche am dickeren Ende gewöhnlich dichter zusammenstehen. Einzelne sind auch geadert oder gewässert. Sie sind so zerbrechlich, daß man sie mit der größten Vorsicht behandeln muß, will man sie nicht mit den Fingern zerdrücken. Die Jungen werden von beiden Eltern mit vieler Mühe aufgefüttert; denn die Aezung besteht in den kleinsten Kerfen und Kerbthiereiern. Sie sitzen im Neste dicht auf und neben einander und müssen, um Platz zu finden, ihre Wohnung nach und nach mehr und mehr erweitern. Eine Goldhähnchenfamilie bleibt nur kurze Zeit zusammen; denn die Alten trennen sich entweder, wegen der zweiten Brut, bald von ihren Jungen oder schlagen sich mit andern Familien zu Flügen zusammen.
Jn der Gefangenschaft sieht man Goldhähnchen selten. Es ist sehr schwierig, sie an Stuben- futter zu gewöhnen; ihre Hinfälligkeit ist ungemein groß. "Man muß sie", sagt Naumann, "beim Fangen sehr behutsam behandeln, wenn sie Einem beim Fang nicht unter den Händen sterben sollen. Beschädigungen an den Füßen oder an andern Theilen bringt ihnen gewöhnlich einen baldigen Tod. Manche gewöhnen sich, wenn man sie frei in der Stube umherfliegen läßt, viele stoßen sich aber auch den Kopf so gegen die Decke, daß sie bald dahinsterben. Wird erst eins traurig, so muß man ihm gleich die Freiheit schenken, sonst geht es immer und bald zu Grunde. Mit einem einzelnen darf man gar nicht anfangen; die Erfahrung hat gelehrt, daß mehrere zu gleicher Zeit gefangene sich leichter eingewöhnten, als die einzelnen. Sie leben nicht nur sehr verträglich, sondern schlafen auch, auf einer Sprosse sitzend, dicht neben einander gerückt. Haben sie sich einmal eingewöhnt, so werden sie bald so zahm, daß sie ihrem Pfleger das Futter aus der Hand nehmen, und sie dauern dann bei sorg- fältiger Behandlung wohl einige Jahre. Jch habe sie sehr oft in der Stube der Landleute gesehen und selbst in der meinigen gehabt und mußte immer erstaunen über ihre Eßlust. Jn wenigen Tagen hatten sie alle Fliegen aufgezehrt, wenn ihrer auch noch so viele waren, und ich habe nie bemerkt, daß ihnen der zu häufige Genuß tödtlich geworden wäre. Sie fangen die Fliegen mit größter Geschicklichkeit, meist im Fluge und schnappen nur selten fehl. Jhr großer Rachen gestattet das Verschlucken so großer Beute ziemlich leicht, selbst dicke Schmeißfliegen würgen sie, wenn auch mit Anstrengung, hinunter." Um sie an das Futter zu gewöhnen, gibt man ihnen anfänglich Ameisen-
Die Fänger. Singvögel. Meiſen.
Beide Goldhähnchen brüten zweimal im Jahre, das erſtemal im Mai, das zweitemal im Juli. Die Neſter ſind ſehr ſchwer zu finden. Sie ſtehen auf der Spitze langer Fichten- und Tannenäſte, da, wo dichte Zweige und viele Nadeln ſie verbergen und ſind hier ſehr künſtlich befeſtigt, an herabhängenden Zweigen, welche von der erſten Lage der Neſtſtoffe ganz oder zum Theil umſchloſſen ſind und bis an den Boden oder über ihn hinausreichen. Sie ſind ballförmig, außen 3½ bis 4 Zoll breit, inwendig aber der ſehr dicken Wände wegen nur 2 bis 2½ Zoll tief und etwa 1½ Zoll breit. Das Weibchen, welches beim Herbeiſchaffen der Bauſtoffe zuweilen vom Männchen begleitet, aber hierbei ebenſo wenig, wie beim Verarbeiten derſelben unterſtützt wird, umwickelt zum Theil fliegend mit großer Geſchicklichkeit die Zweige und füllt die Zwiſchenräume aus. Die erſte Lage beſteht aus Fichten- flechten und Baummos, das zuweilen mit etwas Erdmos untermiſcht wird und durch Raupengeſpinnſt, welches beſonders um die das Neſt tragenden Zweige gewickelt iſt, ſeine gehörige Feſtigkeit bekommt. Nur bei wenigen Neſtern ragen einige Rehhaare aus der Oberfläche hervor. Alle Stoffe der erſten Lage ſind feſt durch einander gewirkt und reichen bis zur Ausfütterung. Dieſe beſteht aus vielen Federn kleiner Vögel, unter denen Taubenfedern die größten, welche oben alle nach innen gerichtet ſind und am Rande ſo weit vorſtehen, daß ſie einen Theil der Oeffnung bedecken. Bei zwei Neſtern des feuerköpfigen Goldhähnchens, welche mein Vater fand, ragten aus der äußern Wand Thierhaare und zwar Reh- und Eichhornhaare hervor. Die Ausfütterung beſtand zu unterſt zum größten Theil aus Rehhaaren, welche bei dem einen über wenige Federn weggelegt waren, oben aber aus lauter Federn, welche ſo künſtlich mit dem Untertheile in den eingebogenen Rand des Neſtes eingebaut waren, daß ſie die oben ſehr enge Oeffnung faſt oder ganz bedeckten. Das erſte Gelege enthält acht bis zehn, das zweite ſechs bis neun Eier, welche ſelbſtverſtändlich ſehr klein ſind. Jhre Grund- farbe iſt weißlichgelbgrau oder blaßfleiſchfarben; die Zeichnung beſteht aus lehmgrauen Punkten, welche am dickeren Ende gewöhnlich dichter zuſammenſtehen. Einzelne ſind auch geadert oder gewäſſert. Sie ſind ſo zerbrechlich, daß man ſie mit der größten Vorſicht behandeln muß, will man ſie nicht mit den Fingern zerdrücken. Die Jungen werden von beiden Eltern mit vieler Mühe aufgefüttert; denn die Aezung beſteht in den kleinſten Kerfen und Kerbthiereiern. Sie ſitzen im Neſte dicht auf und neben einander und müſſen, um Platz zu finden, ihre Wohnung nach und nach mehr und mehr erweitern. Eine Goldhähnchenfamilie bleibt nur kurze Zeit zuſammen; denn die Alten trennen ſich entweder, wegen der zweiten Brut, bald von ihren Jungen oder ſchlagen ſich mit andern Familien zu Flügen zuſammen.
Jn der Gefangenſchaft ſieht man Goldhähnchen ſelten. Es iſt ſehr ſchwierig, ſie an Stuben- futter zu gewöhnen; ihre Hinfälligkeit iſt ungemein groß. „Man muß ſie‟, ſagt Naumann, „beim Fangen ſehr behutſam behandeln, wenn ſie Einem beim Fang nicht unter den Händen ſterben ſollen. Beſchädigungen an den Füßen oder an andern Theilen bringt ihnen gewöhnlich einen baldigen Tod. Manche gewöhnen ſich, wenn man ſie frei in der Stube umherfliegen läßt, viele ſtoßen ſich aber auch den Kopf ſo gegen die Decke, daß ſie bald dahinſterben. Wird erſt eins traurig, ſo muß man ihm gleich die Freiheit ſchenken, ſonſt geht es immer und bald zu Grunde. Mit einem einzelnen darf man gar nicht anfangen; die Erfahrung hat gelehrt, daß mehrere zu gleicher Zeit gefangene ſich leichter eingewöhnten, als die einzelnen. Sie leben nicht nur ſehr verträglich, ſondern ſchlafen auch, auf einer Sproſſe ſitzend, dicht neben einander gerückt. Haben ſie ſich einmal eingewöhnt, ſo werden ſie bald ſo zahm, daß ſie ihrem Pfleger das Futter aus der Hand nehmen, und ſie dauern dann bei ſorg- fältiger Behandlung wohl einige Jahre. Jch habe ſie ſehr oft in der Stube der Landleute geſehen und ſelbſt in der meinigen gehabt und mußte immer erſtaunen über ihre Eßluſt. Jn wenigen Tagen hatten ſie alle Fliegen aufgezehrt, wenn ihrer auch noch ſo viele waren, und ich habe nie bemerkt, daß ihnen der zu häufige Genuß tödtlich geworden wäre. Sie fangen die Fliegen mit größter Geſchicklichkeit, meiſt im Fluge und ſchnappen nur ſelten fehl. Jhr großer Rachen geſtattet das Verſchlucken ſo großer Beute ziemlich leicht, ſelbſt dicke Schmeißfliegen würgen ſie, wenn auch mit Anſtrengung, hinunter.‟ Um ſie an das Futter zu gewöhnen, gibt man ihnen anfänglich Ameiſen-
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[922/0970]
Die Fänger. Singvögel. Meiſen.
Beide Goldhähnchen brüten zweimal im Jahre, das erſtemal im Mai, das zweitemal im Juli.
Die Neſter ſind ſehr ſchwer zu finden. Sie ſtehen auf der Spitze langer Fichten- und Tannenäſte,
da, wo dichte Zweige und viele Nadeln ſie verbergen und ſind hier ſehr künſtlich befeſtigt, an
herabhängenden Zweigen, welche von der erſten Lage der Neſtſtoffe ganz oder zum Theil umſchloſſen
ſind und bis an den Boden oder über ihn hinausreichen. Sie ſind ballförmig, außen 3½ bis 4 Zoll
breit, inwendig aber der ſehr dicken Wände wegen nur 2 bis 2½ Zoll tief und etwa 1½ Zoll breit.
Das Weibchen, welches beim Herbeiſchaffen der Bauſtoffe zuweilen vom Männchen begleitet, aber hierbei
ebenſo wenig, wie beim Verarbeiten derſelben unterſtützt wird, umwickelt zum Theil fliegend mit großer
Geſchicklichkeit die Zweige und füllt die Zwiſchenräume aus. Die erſte Lage beſteht aus Fichten-
flechten und Baummos, das zuweilen mit etwas Erdmos untermiſcht wird und durch Raupengeſpinnſt,
welches beſonders um die das Neſt tragenden Zweige gewickelt iſt, ſeine gehörige Feſtigkeit bekommt.
Nur bei wenigen Neſtern ragen einige Rehhaare aus der Oberfläche hervor. Alle Stoffe der erſten
Lage ſind feſt durch einander gewirkt und reichen bis zur Ausfütterung. Dieſe beſteht aus vielen
Federn kleiner Vögel, unter denen Taubenfedern die größten, welche oben alle nach innen gerichtet
ſind und am Rande ſo weit vorſtehen, daß ſie einen Theil der Oeffnung bedecken. Bei zwei Neſtern
des feuerköpfigen Goldhähnchens, welche mein Vater fand, ragten aus der äußern Wand Thierhaare
und zwar Reh- und Eichhornhaare hervor. Die Ausfütterung beſtand zu unterſt zum größten Theil
aus Rehhaaren, welche bei dem einen über wenige Federn weggelegt waren, oben aber aus lauter
Federn, welche ſo künſtlich mit dem Untertheile in den eingebogenen Rand des Neſtes eingebaut
waren, daß ſie die oben ſehr enge Oeffnung faſt oder ganz bedeckten. Das erſte Gelege enthält acht
bis zehn, das zweite ſechs bis neun Eier, welche ſelbſtverſtändlich ſehr klein ſind. Jhre Grund-
farbe iſt weißlichgelbgrau oder blaßfleiſchfarben; die Zeichnung beſteht aus lehmgrauen Punkten, welche
am dickeren Ende gewöhnlich dichter zuſammenſtehen. Einzelne ſind auch geadert oder gewäſſert.
Sie ſind ſo zerbrechlich, daß man ſie mit der größten Vorſicht behandeln muß, will man ſie nicht mit
den Fingern zerdrücken. Die Jungen werden von beiden Eltern mit vieler Mühe aufgefüttert; denn
die Aezung beſteht in den kleinſten Kerfen und Kerbthiereiern. Sie ſitzen im Neſte dicht auf und
neben einander und müſſen, um Platz zu finden, ihre Wohnung nach und nach mehr und mehr
erweitern. Eine Goldhähnchenfamilie bleibt nur kurze Zeit zuſammen; denn die Alten trennen ſich
entweder, wegen der zweiten Brut, bald von ihren Jungen oder ſchlagen ſich mit andern Familien zu
Flügen zuſammen.
Jn der Gefangenſchaft ſieht man Goldhähnchen ſelten. Es iſt ſehr ſchwierig, ſie an Stuben-
futter zu gewöhnen; ihre Hinfälligkeit iſt ungemein groß. „Man muß ſie‟, ſagt Naumann, „beim
Fangen ſehr behutſam behandeln, wenn ſie Einem beim Fang nicht unter den Händen ſterben ſollen.
Beſchädigungen an den Füßen oder an andern Theilen bringt ihnen gewöhnlich einen baldigen Tod.
Manche gewöhnen ſich, wenn man ſie frei in der Stube umherfliegen läßt, viele ſtoßen ſich aber
auch den Kopf ſo gegen die Decke, daß ſie bald dahinſterben. Wird erſt eins traurig, ſo muß man
ihm gleich die Freiheit ſchenken, ſonſt geht es immer und bald zu Grunde. Mit einem einzelnen darf
man gar nicht anfangen; die Erfahrung hat gelehrt, daß mehrere zu gleicher Zeit gefangene ſich leichter
eingewöhnten, als die einzelnen. Sie leben nicht nur ſehr verträglich, ſondern ſchlafen auch, auf einer
Sproſſe ſitzend, dicht neben einander gerückt. Haben ſie ſich einmal eingewöhnt, ſo werden ſie
bald ſo zahm, daß ſie ihrem Pfleger das Futter aus der Hand nehmen, und ſie dauern dann bei ſorg-
fältiger Behandlung wohl einige Jahre. Jch habe ſie ſehr oft in der Stube der Landleute geſehen
und ſelbſt in der meinigen gehabt und mußte immer erſtaunen über ihre Eßluſt. Jn wenigen
Tagen hatten ſie alle Fliegen aufgezehrt, wenn ihrer auch noch ſo viele waren, und ich habe nie
bemerkt, daß ihnen der zu häufige Genuß tödtlich geworden wäre. Sie fangen die Fliegen mit
größter Geſchicklichkeit, meiſt im Fluge und ſchnappen nur ſelten fehl. Jhr großer Rachen geſtattet
das Verſchlucken ſo großer Beute ziemlich leicht, ſelbſt dicke Schmeißfliegen würgen ſie, wenn auch mit
Anſtrengung, hinunter.‟ Um ſie an das Futter zu gewöhnen, gibt man ihnen anfänglich Ameiſen-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 922. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/970>, abgerufen am 25.11.2024.
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