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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Singvögel. Flüevögel. Meisen.
Gloger behauptet, daß sie blos so lange ein munteres Ansehen habe, als sie ihren Fraß aufsuche,
nach erfolgter Sättigung aber halbe Stunden lang in aufrechter Haltung, fast unbeweglich auf ein
und derselben Stelle sitze, so still, daß man sie gewöhnlich gar nicht bemerke. Jch kann dem genannten
Forscher hierin nicht ganz recht geben; aber freilich habe ich die Flüelerche auch nur im Winter beob-
achtet. Der Gang ist hüpfend, nicht schrittweise, fördert jedoch ungemein schnell, weil ein Sprung
unmittelbar auf den andern folgt. Dabei trägt die Flüelerche den Leib ziemlich wagerecht, den
Schwanz aber etwas erhaben, zuweilen so, daß die Flügel unter ihn zu liegen kommen. Der Flug,
welcher sehr schnell und leicht ist, bildet flache Wellenlinien, wenn der Vogel größere Strecken durch-
fliegt; gewöhnlich aber thut die Flüelerche Dies nicht, sondern streicht niedrig über den Boden dahin,
und nur im Frühjahre, während der Zeit der Liebe erhebt sie sich spielend in die Luft. Von der Höhe
zur Tiefe hinab schwebt sie nach Lerchenart, fast ohne Flügelschlag. Die Lockstimme ist ein helles
"Trui trui", welches entweder trillerartig wiederholt oder abgesetzt, langgezogen hervorgestoßen wird.
Der Gesang besteht aus mehreren abwechselnden Strophen; die einzelnen Töne sind flötend, laut und
klar. Das Lied hat Aehnlichkeit mit dem der Braunelle, auch wohl mit dem Schlage des Hänflings. Das
Wesen ist ein Gemisch von Harmlosigkeit und Friedfertigkeit. Die Flüelerche scheint mit allen andern
Vögeln in größter Eintracht zu leben und feindselige Absichten anderer Geschöpfe kaum für möglich zu
halten. Vor dem Menschen scheut sie sich durchaus nicht. Sie läßt den Hirten oder den Wanderer
dicht an sich herankommen oder findet sich selbst vor den Häusern und Hütten im Gebirge ein, ohne
irgend welche Scheu an den Tag zu legen. Auf der Riesenkoppe läuft sie, wie Gloger beobachtete,
oft zwischen einer nicht geringen Anzahl Besuchender umher, ohne sich durch deren Reden oder durch
deren Hin- und Hergehen stören zu lassen. Sie scheint gleichgiltig gegen die Menschen und nur mit
sich selbst beschäftigt zu sein; denn sie läuft still und in sich gekehrt, ihren Blick auf den Boden gerich-
tet, auf und nieder, ist auch so schweigsam, daß sie der Ungeübte kaum bemerkt.

Kerbthiere, Spinnen, Sämereien und Beeren bilden ihre Nahrung. Namentlich den Heu-
samen oder Blümt liebt sie sehr, daher auch einer ihrer Namen. Sie durchstöbert Alles, durchkriecht
alle Löcher und Spalten, besichtigt jeden Stein, jede Ritze, jeden Grasbusch und leidet so nur selten
Mangel.

Das Nest wird, nach den Angaben von Schinz, früh im Jahre in Steinritzen und Löchern,
unter Felsblöcke oder in das dazwischen emporsprossende Alpenrosengebüsch, auch wohl unter die Dach-
stöcke niederer steinerner Häuser angelegt, fast immer so, daß es von oben bedeckt und geschützt ist. Es
bildet eine schöne Halbkugel, welche inwendig an drei Zoll weit und zwei Zoll tief ist. Aeußerlich besteht
es aus Erdmos und Grashalmen; inwendig ist es mit dem feinsten Mos oder mit Wolle sehr weich
ausgefüttert, auch wohl mit Pferde- und Kuhhaaren ausgelegt. Die vier bis fünf länglichen, glatt-
schaligen Eier sind einfach blaugrün. Ob beide Geschlechter brüten, oder ob nur das Weibchen diese
Arbeit übernimmt, ist unbekannt; man weiß nur, daß das Pärchen zweimal im Jahre nistet, das
erste Mal im Mai, das zweite Mal im Juli.

An die Gefangenschaft gewöhnt sich die Flüelerche leicht, bei ordentlicher Pflege und Nach-
tigallfutter hält sie im Bauer auch einige Jahre aus und erfreut dann ihren Besitzer durch ihre große
Zahmheit und ihren lieblichen Gesang. "Sie übertrifft", so schreibt Gourcy meinem Vater, "jede
Lerche; denn ihr Lied ist, weil dieselben Strophen nicht wie bei jener mehrmals wiederholt werden,
viel angenehmer und außerdem sanfter. Es kommen im Gesange mehrere schöne, tiefe Töne vor.
Einige alte Vögel, welche ich besaß, riefen das "Fink, fink" so deutlich, wie es nur ein Fink thun
könnte, andere ließen auch Strophen aus dem Gesang der Nachtigall hören. Jm Sommer werden
einzelne außerordentlich laut. Sie singen viel, namentlich in der Abenddämmerung, auch wohl bei
Kerzenlicht, und manche verstummen während des ganzen Jahres nur auf kurze Zeit. Sie singen bis
in den September, also noch lange nachher, wenn alle anderen Vögel schon aufgehört haben, anhal-
tend und fleißig und werden deshalb besonders angenehm. Einer meiner Gefangenen sang siebzehn
Monate lang anhaltend fort, ohne während der Mauser im geringsten nachzulassen, und er wurde oft

Die Fänger. Singvögel. Flüevögel. Meiſen.
Gloger behauptet, daß ſie blos ſo lange ein munteres Anſehen habe, als ſie ihren Fraß aufſuche,
nach erfolgter Sättigung aber halbe Stunden lang in aufrechter Haltung, faſt unbeweglich auf ein
und derſelben Stelle ſitze, ſo ſtill, daß man ſie gewöhnlich gar nicht bemerke. Jch kann dem genannten
Forſcher hierin nicht ganz recht geben; aber freilich habe ich die Flüelerche auch nur im Winter beob-
achtet. Der Gang iſt hüpfend, nicht ſchrittweiſe, fördert jedoch ungemein ſchnell, weil ein Sprung
unmittelbar auf den andern folgt. Dabei trägt die Flüelerche den Leib ziemlich wagerecht, den
Schwanz aber etwas erhaben, zuweilen ſo, daß die Flügel unter ihn zu liegen kommen. Der Flug,
welcher ſehr ſchnell und leicht iſt, bildet flache Wellenlinien, wenn der Vogel größere Strecken durch-
fliegt; gewöhnlich aber thut die Flüelerche Dies nicht, ſondern ſtreicht niedrig über den Boden dahin,
und nur im Frühjahre, während der Zeit der Liebe erhebt ſie ſich ſpielend in die Luft. Von der Höhe
zur Tiefe hinab ſchwebt ſie nach Lerchenart, faſt ohne Flügelſchlag. Die Lockſtimme iſt ein helles
„Trui trui‟, welches entweder trillerartig wiederholt oder abgeſetzt, langgezogen hervorgeſtoßen wird.
Der Geſang beſteht aus mehreren abwechſelnden Strophen; die einzelnen Töne ſind flötend, laut und
klar. Das Lied hat Aehnlichkeit mit dem der Braunelle, auch wohl mit dem Schlage des Hänflings. Das
Weſen iſt ein Gemiſch von Harmloſigkeit und Friedfertigkeit. Die Flüelerche ſcheint mit allen andern
Vögeln in größter Eintracht zu leben und feindſelige Abſichten anderer Geſchöpfe kaum für möglich zu
halten. Vor dem Menſchen ſcheut ſie ſich durchaus nicht. Sie läßt den Hirten oder den Wanderer
dicht an ſich herankommen oder findet ſich ſelbſt vor den Häuſern und Hütten im Gebirge ein, ohne
irgend welche Scheu an den Tag zu legen. Auf der Rieſenkoppe läuft ſie, wie Gloger beobachtete,
oft zwiſchen einer nicht geringen Anzahl Beſuchender umher, ohne ſich durch deren Reden oder durch
deren Hin- und Hergehen ſtören zu laſſen. Sie ſcheint gleichgiltig gegen die Menſchen und nur mit
ſich ſelbſt beſchäftigt zu ſein; denn ſie läuft ſtill und in ſich gekehrt, ihren Blick auf den Boden gerich-
tet, auf und nieder, iſt auch ſo ſchweigſam, daß ſie der Ungeübte kaum bemerkt.

Kerbthiere, Spinnen, Sämereien und Beeren bilden ihre Nahrung. Namentlich den Heu-
ſamen oder Blümt liebt ſie ſehr, daher auch einer ihrer Namen. Sie durchſtöbert Alles, durchkriecht
alle Löcher und Spalten, beſichtigt jeden Stein, jede Ritze, jeden Grasbuſch und leidet ſo nur ſelten
Mangel.

Das Neſt wird, nach den Angaben von Schinz, früh im Jahre in Steinritzen und Löchern,
unter Felsblöcke oder in das dazwiſchen emporſproſſende Alpenroſengebüſch, auch wohl unter die Dach-
ſtöcke niederer ſteinerner Häuſer angelegt, faſt immer ſo, daß es von oben bedeckt und geſchützt iſt. Es
bildet eine ſchöne Halbkugel, welche inwendig an drei Zoll weit und zwei Zoll tief iſt. Aeußerlich beſteht
es aus Erdmos und Grashalmen; inwendig iſt es mit dem feinſten Mos oder mit Wolle ſehr weich
ausgefüttert, auch wohl mit Pferde- und Kuhhaaren ausgelegt. Die vier bis fünf länglichen, glatt-
ſchaligen Eier ſind einfach blaugrün. Ob beide Geſchlechter brüten, oder ob nur das Weibchen dieſe
Arbeit übernimmt, iſt unbekannt; man weiß nur, daß das Pärchen zweimal im Jahre niſtet, das
erſte Mal im Mai, das zweite Mal im Juli.

An die Gefangenſchaft gewöhnt ſich die Flüelerche leicht, bei ordentlicher Pflege und Nach-
tigallfutter hält ſie im Bauer auch einige Jahre aus und erfreut dann ihren Beſitzer durch ihre große
Zahmheit und ihren lieblichen Geſang. „Sie übertrifft‟, ſo ſchreibt Gourcy meinem Vater, „jede
Lerche; denn ihr Lied iſt, weil dieſelben Strophen nicht wie bei jener mehrmals wiederholt werden,
viel angenehmer und außerdem ſanfter. Es kommen im Geſange mehrere ſchöne, tiefe Töne vor.
Einige alte Vögel, welche ich beſaß, riefen das „Fink, fink‟ ſo deutlich, wie es nur ein Fink thun
könnte, andere ließen auch Strophen aus dem Geſang der Nachtigall hören. Jm Sommer werden
einzelne außerordentlich laut. Sie ſingen viel, namentlich in der Abenddämmerung, auch wohl bei
Kerzenlicht, und manche verſtummen während des ganzen Jahres nur auf kurze Zeit. Sie ſingen bis
in den September, alſo noch lange nachher, wenn alle anderen Vögel ſchon aufgehört haben, anhal-
tend und fleißig und werden deshalb beſonders angenehm. Einer meiner Gefangenen ſang ſiebzehn
Monate lang anhaltend fort, ohne während der Mauſer im geringſten nachzulaſſen, und er wurde oft

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[916/0964] Die Fänger. Singvögel. Flüevögel. Meiſen. Gloger behauptet, daß ſie blos ſo lange ein munteres Anſehen habe, als ſie ihren Fraß aufſuche, nach erfolgter Sättigung aber halbe Stunden lang in aufrechter Haltung, faſt unbeweglich auf ein und derſelben Stelle ſitze, ſo ſtill, daß man ſie gewöhnlich gar nicht bemerke. Jch kann dem genannten Forſcher hierin nicht ganz recht geben; aber freilich habe ich die Flüelerche auch nur im Winter beob- achtet. Der Gang iſt hüpfend, nicht ſchrittweiſe, fördert jedoch ungemein ſchnell, weil ein Sprung unmittelbar auf den andern folgt. Dabei trägt die Flüelerche den Leib ziemlich wagerecht, den Schwanz aber etwas erhaben, zuweilen ſo, daß die Flügel unter ihn zu liegen kommen. Der Flug, welcher ſehr ſchnell und leicht iſt, bildet flache Wellenlinien, wenn der Vogel größere Strecken durch- fliegt; gewöhnlich aber thut die Flüelerche Dies nicht, ſondern ſtreicht niedrig über den Boden dahin, und nur im Frühjahre, während der Zeit der Liebe erhebt ſie ſich ſpielend in die Luft. Von der Höhe zur Tiefe hinab ſchwebt ſie nach Lerchenart, faſt ohne Flügelſchlag. Die Lockſtimme iſt ein helles „Trui trui‟, welches entweder trillerartig wiederholt oder abgeſetzt, langgezogen hervorgeſtoßen wird. Der Geſang beſteht aus mehreren abwechſelnden Strophen; die einzelnen Töne ſind flötend, laut und klar. Das Lied hat Aehnlichkeit mit dem der Braunelle, auch wohl mit dem Schlage des Hänflings. Das Weſen iſt ein Gemiſch von Harmloſigkeit und Friedfertigkeit. Die Flüelerche ſcheint mit allen andern Vögeln in größter Eintracht zu leben und feindſelige Abſichten anderer Geſchöpfe kaum für möglich zu halten. Vor dem Menſchen ſcheut ſie ſich durchaus nicht. Sie läßt den Hirten oder den Wanderer dicht an ſich herankommen oder findet ſich ſelbſt vor den Häuſern und Hütten im Gebirge ein, ohne irgend welche Scheu an den Tag zu legen. Auf der Rieſenkoppe läuft ſie, wie Gloger beobachtete, oft zwiſchen einer nicht geringen Anzahl Beſuchender umher, ohne ſich durch deren Reden oder durch deren Hin- und Hergehen ſtören zu laſſen. Sie ſcheint gleichgiltig gegen die Menſchen und nur mit ſich ſelbſt beſchäftigt zu ſein; denn ſie läuft ſtill und in ſich gekehrt, ihren Blick auf den Boden gerich- tet, auf und nieder, iſt auch ſo ſchweigſam, daß ſie der Ungeübte kaum bemerkt. Kerbthiere, Spinnen, Sämereien und Beeren bilden ihre Nahrung. Namentlich den Heu- ſamen oder Blümt liebt ſie ſehr, daher auch einer ihrer Namen. Sie durchſtöbert Alles, durchkriecht alle Löcher und Spalten, beſichtigt jeden Stein, jede Ritze, jeden Grasbuſch und leidet ſo nur ſelten Mangel. Das Neſt wird, nach den Angaben von Schinz, früh im Jahre in Steinritzen und Löchern, unter Felsblöcke oder in das dazwiſchen emporſproſſende Alpenroſengebüſch, auch wohl unter die Dach- ſtöcke niederer ſteinerner Häuſer angelegt, faſt immer ſo, daß es von oben bedeckt und geſchützt iſt. Es bildet eine ſchöne Halbkugel, welche inwendig an drei Zoll weit und zwei Zoll tief iſt. Aeußerlich beſteht es aus Erdmos und Grashalmen; inwendig iſt es mit dem feinſten Mos oder mit Wolle ſehr weich ausgefüttert, auch wohl mit Pferde- und Kuhhaaren ausgelegt. Die vier bis fünf länglichen, glatt- ſchaligen Eier ſind einfach blaugrün. Ob beide Geſchlechter brüten, oder ob nur das Weibchen dieſe Arbeit übernimmt, iſt unbekannt; man weiß nur, daß das Pärchen zweimal im Jahre niſtet, das erſte Mal im Mai, das zweite Mal im Juli. An die Gefangenſchaft gewöhnt ſich die Flüelerche leicht, bei ordentlicher Pflege und Nach- tigallfutter hält ſie im Bauer auch einige Jahre aus und erfreut dann ihren Beſitzer durch ihre große Zahmheit und ihren lieblichen Geſang. „Sie übertrifft‟, ſo ſchreibt Gourcy meinem Vater, „jede Lerche; denn ihr Lied iſt, weil dieſelben Strophen nicht wie bei jener mehrmals wiederholt werden, viel angenehmer und außerdem ſanfter. Es kommen im Geſange mehrere ſchöne, tiefe Töne vor. Einige alte Vögel, welche ich beſaß, riefen das „Fink, fink‟ ſo deutlich, wie es nur ein Fink thun könnte, andere ließen auch Strophen aus dem Geſang der Nachtigall hören. Jm Sommer werden einzelne außerordentlich laut. Sie ſingen viel, namentlich in der Abenddämmerung, auch wohl bei Kerzenlicht, und manche verſtummen während des ganzen Jahres nur auf kurze Zeit. Sie ſingen bis in den September, alſo noch lange nachher, wenn alle anderen Vögel ſchon aufgehört haben, anhal- tend und fleißig und werden deshalb beſonders angenehm. Einer meiner Gefangenen ſang ſiebzehn Monate lang anhaltend fort, ohne während der Mauſer im geringſten nachzulaſſen, und er wurde oft

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 916. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/964>, abgerufen am 18.05.2024.